
Von Roberto de Mattei*
Am 21. April 2025, dem „Engelsmontag“, wie man in Italien den Ostermontag auch nennt, verließ die Seele von Jorge Mario Bergoglio um 7.35 Uhr seinen sterblichen Körper, um sich dem Göttlichen Gericht zu stellen. Erst am Tag des Jüngsten Gerichts werden wir erfahren, wie das Urteil des höchsten Gerichts, vor das jeder von uns eines Tages treten muß, über Papst Franziskus lautete. Beten wir heute für seine Seele, so wie die Kirche öffentlich in ihren Novendiali betet, und verbinden wir, gerade weil die Kirche eine öffentliche Gesellschaft ist, unsere Gebete mit dem Versuch eines historischen Urteils über sein Pontifikat.
Jorge Mario Bergoglio, der 266. römische Papst, der erste mit dem Namen Franziskus, war für zwölf Jahre der Stellvertreter Christi, obwohl er die Bezeichnung Bischof von Rom diesem Namen vorgezogen hat. Aber der Bischof von Rom wird zu einem solchen, wenn er nach seiner Wahl das Munus Petrinum annimmt. Mit der Annahme des Pontifikats übernimmt der Papst auch die im Päpstlichen Jahrbuch aufgeführten Titel: Bischof von Rom, Stellvertreter Jesu Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, Summus Pontifex der Weltkirche, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der römischen Provinz, Souverän des Staates der Vatikanstadt, Diener der Diener Gottes und Patriarch des Westens (letzterer Titel wurde 2024 wieder eingeführt, nachdem er 2006 von Benedikt XVI. abgeschafft worden war).
Diese Titel verdienen eine besondere Ehrung, insbesondere der des Stellvertreters Christi, der den Papst nicht zum Nachfolger, sondern zum Vertreter Jesu Christi, des Gottmenschen und Erlösers der Menschheit, auf Erden macht. Der Papst wird nicht wegen seiner Person geehrt, sondern wegen der Würde der Sendung, die Christus dem Petrus anvertraut hat. So wie in den christlichen Sakramenten eine Geste eine unsichtbare Gnade zum Ausdruck bringt, so sind auch die Ehrungen (Titel, Gewänder, Zeremonien) sensible Zeichen geistiger Wirklichkeiten, auch institutioneller Art. Die Autorität ist eine spirituelle und unsichtbare Realität, aber damit sie anerkannt wird, muß sie sich sichtbar manifestieren, durch Gesten und Rituale. Andernfalls laufen die Institutionen Gefahr, unsichtbar zu werden, und die religiöse Gesellschaft versinkt ebenso wie die politische Gesellschaft im Chaos. Das Christentum beruht auf diesem Grundsatz: Der unsichtbare Gott hat ein Gesicht, einen Körper, einen Namen angenommen: „Das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14); „Keiner hat den Vater je gesehen. Einzig der Sohn, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, brachte von ihm Kunde (Joh 1,18). Der Evangelist Johannes ist unter den Autoren des Neuen Testaments derjenige, der am intensivsten eine Theologie der Sichtbarkeit des Unsichtbaren ausarbeitet, in seinem Evangelium, aber vor allem im Buch der Geheimen Offenbarung, in dem das Symbol zur prophetischen Vision wird, um das verborgene Handeln Gottes in der Geschichte zu zeigen.

Papst Franziskus hat keinen Respekt vor dem päpstlichen Anstand gezeigt, vom ersten informellen „Brüder und Schwestern, guten Abend“, das er am Tag seiner Wahl von der Loggia des Petersdoms aus sprach, bis zu seinem öffentlichen Auftritt am vergangenen 9. April, als er in seinem Rollstuhl und mit einer gestreiften, ponchoähnlichen Decke ohne jedes Zeichen der päpstlichen Würde in der Basilika erschien. An die Stelle der sakralen Symbolik hat Papst Bergoglio eine mediale Symbolik gesetzt, die aus Bildern, Worten und Begegnungen besteht, die zu Botschaften geworden sind, die oft stärker sind als offizielle Dokumente: von „Wer bin ich, um zu urteilen?“ über die Fußwaschung für Frauen und Moslems bis hin zu seiner Teilnahme per Videobotschaft am Festival von Sanremo im Jahr 2025. Manche sagen, daß Papst Franziskus damit das Papsttum „vermenschlicht“ habe, aber in Wirklichkeit hat er es trivialisiert und banalisiert. Es ist die Institution des Papsttums, nicht die Person von Jorge Mario Bergoglio, die durch diese und zahllose andere Gesten erniedrigt wurde, die die Sprache und die Zeichen säkularisiert haben, die die Kirche immer benutzt hat, um das göttliche Geheimnis auszudrücken.
Der erste, der die Kirche ihrer Majestät beraubt hat, war jedoch nicht Franziskus, sondern Paul VI., auf den der Verzicht auf die Tiara zurückgeht, die er am 13. November 1964 auf den „Altar des Konzils“ legte, gefolgt von der Abschaffung der Sedia Gestatoria, der Edelgarde und des päpstlichen Hofes, die kein überflüssiger Zierrat waren, sondern Ehrenzeichen, die der römisch-katholischen Kirche als einer von Jesus Christus gegründeten menschlich-göttlichen Institution zustehen. In dieser Hinsicht stellt das Pontifikat von Franziskus nicht, wie manche meinen, einen „Bruch“ mit seinen Vorgängern dar, sondern erscheint vielmehr als die Erfüllung einer vom Zweiten Vatikanischen Konzil eingeführten pastoralen Linie, die Benedikt XVI. nur teilweise umzukehren versucht hat.
Das apostolische Schreiben Amoris laetitia vom 19. März 2016 hat aufgrund seiner Öffnung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen und Paaren in „irregulären“ Situationen ohne Zweifel eine Situation der Orientierungslosigkeit geschaffen; das am 4. Februar 2019 mit dem Großimam der Al-Azhar-Moschee unterzeichnete Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen war ein neuer Schritt auf dem Weg des falschen Ökumenismus; die Ermutigung zur Einwanderung, die Förderung der globalistischen Agenda, die Ausrufung des „Synodalismus“, die Diskriminierung der Traditionalisten, die Möglichkeit der Segnung homosexueller Paare und die Erlaubnis für Laien und Frauen, die Leitung eines Dikasteriums zu übernehmen, sind alles Ereignisse, die legitime Reaktionen in der katholischen Welt hervorgerufen haben. Auch dank dieses Widerstands sind die von den progressiven Bischöfen angestrebten Ziele wie die Diakonatsweihe von Frauen, die Eheschließung von Priestern und die Übertragung der Lehrbefugnis an die Bischofskonferenzen unter Papst Franziskus nicht verwirklicht worden, was seine eifrigsten Anhänger enttäuschte. Der revolutionärste Aspekt seines Pontifikats bleibt jedoch die Abfolge von Worten und Taten, die die öffentliche Wahrnehmung des Primats Petri verändert, verweltlicht und geschwächt haben.
Nun geht eine Ära zu Ende und man fragt sich, welche neue Ära beginnen wird. Der nächste Papst mag konservativer oder progressiver sein als Franziskus, aber er wird kein Bergoglianer sein, denn der Bergoglianismus war kein ideologisches Projekt, sondern ein Regierungsstil, pragmatisch, autoritär und oft der Improvisation überlassen. Auch wegen dieses fehlenden Vermächtnisses könnten die starken Spannungen und Polarisierungen, die sich unter der Herrschaft von Franziskus entwickelt haben, bereits in den Tagen des Konklaves explodieren.
Es sei auch daran erinnert, daß Franziskus 2021 ein Jahr des heiligen Joseph ausgerufen, am 25. März 2022 Rußland und die Ukraine dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht und am 24. Oktober 2024 seine vierte Enzyklika Dilexit nos der Herz-Jesu-Verehrung gewidmet hat: alles Gesten, die im Einklang mit der traditionellen Spiritualität der Kirche stehen und sich deutlich vom heidnischen Pachamama-Kult unterscheiden, dem der Papst ebenfalls im Vatikan gehuldigt hat. Widersprüche kennzeichnen also die bergoglianische Ära. Franziskus verweigerte beispielsweise der Gottesmutter den Titel der Miterlöserin und nannte sie eine „Mestizin“ des Geheimnisses der Menschwerdung, schrieb aber in seinem Testament, daß er sein Leben und seinen Dienst immer „der Mutter unseres Herrn, der heiligsten Maria“, anvertraut habe. Deshalb bat er darum, daß seine sterblichen Überreste „in Erwartung des Tages der Auferstehung in der päpstlichen Basilika Santa Maria Maggiore ruhen“. „Ich wünsche, daß meine letzte irdische Reise in diesem sehr alten Marienheiligtum endet, wo ich zu Beginn und am Ende jeder Apostolischen Reise zum Gebet hingegangen bin, um der Unbefleckten Mutter meine Anliegen vertrauensvoll anzuvertrauen und ihr für ihre gütige und mütterliche Fürsorge zu danken.“
Der seligen Jungfrau Maria ist nun seine letzte Reise anvertraut, während die Kirche vor einem Moment in ihrer Geschichte steht, der außerordentlich schwerwiegend und komplex ist. Ihr, der Mutter des mystischen Leibes Christi, vertrauen wir heute alle unsere Hoffnungen an, in der Gewißheit, daß auf die Tage des Leidens der Kirche bald die Tage ihrer Auferstehung und Herrlichkeit folgen werden.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Famiglia Cristiana (Screenshots)
Die Fußwaschung im Johannesevangelium, mit der Jesus die traditionelle jüdische Liturgie auf den Kopf stellte, zeigt deutlich, dass die Nachfolger Jesu in die Welt gesandt wurden, um zu dienen: „Tut einander, wie ich euch getan habe…“