
Dutzende seltener Bücher mit Ledereinband aus französischen Klöstern des Hochmittelalters sind in Robben- und Walroßhaut eingebunden, die möglicherweise sogar aus Grönland stammen, das derzeit im Fokus geopolitischer Interessen steht. Dies ergab eine Studie, die soeben in der Fachzeitschrift Royal Society Open Science veröffentlicht wurde.
Für diese Studie wurden 43 hochmittelalterliche Bände aus der Bibliothek von Clairvaux und benachbarter Zisterzienserklöster analysiert. Durch DNA- und Proteinanalysen wurde nachgewiesen, daß die Einbände aus der Haut von Robbenarten wie der Kegelrobbe, der Harpune- und der Bartrobbe bestehen, aber auch von Walrossen. Da diese Tiere weder in der näheren noch weiteren Umgebung von Clairvaux heimisch sind oder waren, konnten die Wissenschaftler nachweisen, daß die verwendeten Häute aus dem hohen Norden stammten, teils von Arten, die in Skandinavien, Dänemark und Schottland heimisch sind, teils aber auch von solchen, die es in Island und Grönland sind.
Die Verwendung dieser Häute durch die Mönche in der Champagne setzt ein ausgedehntes Handelsnetz voraus, aus dem sie die nötigen Materialien beziehen konnten.
Das Kloster Clairvaux wurde im Jahr 1115 vom heiligen Bernhard von Clairvaux gegründet und ist eine der vier Primarabteien des Zisterzienserordens. Es spielte eine zentrale Rolle in der Verbreitung des Ordens in Europa.
Die untersuchten Codices sind teils fast 900 Jahre alt. Bisher hatte man angenommen, sie seien in Wildschweinleder eingebunden.
In Skandinavien und Irland war die Verwendung von Robbenfellen als Einband für Codices nicht völlig unbekannt. Ihre Verbreitung in Klöstern im französischen Landesinneren überraschte die Forscher jedoch. Es wurde angenommen, daß die Einbände, aus lokalen Materialien wie eben Wildschwein oder Hirsch hergestellt wurden. Die Neuentdeckung zeigt hingegen, daß der mittelalterliche Handel deutlich weiträumiger und artikulierter war, als bisher angenommen.
Alle analysierten Codices stammen aus Abteien, die entlang mittelalterlicher Handelsrouten lagen. Das war schon bisher bekannt, allerdings verdeutlichen die neuen Erkenntnisse die Verbindungen der Klöster zu einem weitreichenden Handelsnetz, das sich von der Arktis bis in die Champagne an der Grenze zum Heiligen Römischen Reich erstreckte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Oltrelanotte (Screnschot)