
Von Cristina Siccardi*
Die Schutzpatrone Europas sind nicht Ursula von der Leyen, Roberta Metsola, António Costa, Kaja Kallas und auch nicht Macron und Steinmeier, sondern die heiligen Benedikt von Nursia, Kyrill und Methodius, Birgitta von Schweden, Katharina von Siena und Teresia Benedicta vom Kreuz, über die der Senat der Italienischen Republik 2017 in einer Publikation mit dem Titel „Patrone Europas: Wege der Einheit, des Friedens, der Kultur“ schrieb: „In besonderer Weise waren sie alle zutiefst europäisch […]. Wenn Frieden, Kultur, Dialog und die Verteidigung der Menschenrechte heute moralische Gebote für alle Bürger Europas sind, und nicht nur für diejenigen, die sich als Gläubige bekennen, dann müssen wir den außergewöhnlichen Vorreitern Anerkennung zollen. Ihre Stimme hat uns auch nach Jahrhunderten noch viel zu sagen und zu lehren“. Bei der Lektüre dieser Überlegungen müssen einige notwendige Unterscheidungen getroffen werden. Der damalige Präsident des Senats, Pietro Grasso1, hatte das europäische Patronat der genannten Heiligen anerkannt; er führte jedoch eine Operation durch, die im Einklang mit all jenen steht, die seit vielen Jahren versuchen, die Figuren der Heiligen in die Agonie des säkularen politischen und religiösen Liberalismus zu integrieren und ihre Lehren zu instrumentalisieren.
Die Schutzheiligen Europas wirkten im Frieden Christi und nicht der Welt; sie knüpften ihre Beziehungen nicht in einem leeren Dialog, sondern auf den konstruktiven Linien des Evangeliums; sie dachten und handelten nicht anthropozentrisch, sondern evangelisch und übernatürlich im Licht der Gnade Gottes; sie gaben der Herrlichkeit Gottes und nicht der Welt den Vorrang, indem sie sich auf das Heil der Seelen konzentrierten und weltlich orientierte Vorschläge und Versuchungen als schädlich betrachteten. Sie waren keine „außergewöhnlichen Vorläufer“ einer antichristlichen europäistischen Ideologie, sondern Meister bei der Errichtung des Reiches Gottes durch Christus den König.
Der heilige Benedikt von Nursia (480–547) wurde von Papst Paul VI. am 24. Oktober 1964 mit dem Apostolischen Schreiben Pacis Nuntius zum „Schutzpatron ganz Europas“ erklärt. Kyrill und Methodius wurden von Papst Johannes Paul II. am 31. Dezember 1980 mit dem Apostolischen Schreiben Egregiae virtutis zu Mitpatronen erklärt. Derselbe Papst erklärte am 1. Oktober 1999 auch die heilige Birgitta von Schweden, die heilige Katharina von Siena und die heilige Teresia Benedicta vom Kreuz zu Mitpatronen Europas.
Die menschliche und christliche Gestalt des heiligen Benedikt bleibt in der Geschichte ein leuchtender Bezugspunkt in einer Zeit des tiefgreifenden Wandels (wie auch der unseren), als die alte römische Ordnung zusammenbrach und eine neue Ära unter dem Einfluß der neuen Völker, die am Horizont Europas auftauchten, anbrechen sollte. Durch die Gründung von Abteien und Klöstern auf dem Kontinent heilte der heilige Benedikt Seelen, sanierte Dörfer, förderte die rationelle Bewirtschaftung des Landes, verschaffte den Familien, die in der Umgebung der benediktinischen Klöster lebten und arbeiteten, Arbeit und Brot; er rettete das antike griechisch-römische Kultur- und Literaturerbe und beeinflußte die Veränderung der Sitten der Germanen, Slawen und Ungarn. Die benediktinische Regel brachte Ordnung und Zivilisation dank zweier tiefgreifend angewandter Worte „Ora et labora“, die ein Gefühl der Pflicht, der Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Gewissen und dem Blick Gottes (was folglich den Respekt vor den legitimen Rechten der anderen einschloß) einflößten und die Verantwortlichkeit, den Mut und die Entschlossenheit förderten, all dies, wie Johannes Paul II. bei seinem Pastoralbesuch in Norcia am 23. März 1980 sagte, „auf der Grundlage und kraft eines geistlichen Lebens des Glaubens und des Gebets, das absolut intensiv und beispielhaft war“.
Die Mission der Brüder Kyrill (826/827–869) und Method (815/825–885), byzantinische Evangelisierer der slawischen Völker in Mähren und Pannonien (einer alten Region zwischen den Flüssen Donau und Save, die den westlichen Teil des heutigen Ungarns, den nördlichen Teil Kroatiens und einen Teil Sloweniens umfaßte), führte im 9. Jahrhundert zur Erfindung des glagolitischen Alphabets, das nach dem Namen seines Erfinders dann „kyrillisch“ genannt wurde und aus dem genialen Versuch hervorging, die lateinische, die griechische und die slawische Sprache miteinander zu verbinden. So wie der heilige Benedikt die Grundlagen des lateinischen Europas gelegt hatte, brachten die beiden Brüder von Thessaloniki die griechische und byzantinische Tradition auf den Kontinent, wie Papst Pius XI. in seinem Apostolischen Schreiben Quod Sanctum Cyrillum von 1927 anerkannte, indem er sie als „Söhne des Ostens, byzantinischer Heimat, griechischer Herkunft, durch die römische Mission, durch slawische apostolische Früchte“ bezeichnete.
Die Völker Europas mit ihren Sprachen, Kulturen, Sitten und Gebräuchen waren unter dem Heiligen Römischen Reich vereint, das unter der Ägide und dem Banner des Christentums errichtet wurde, eines nicht-revolutionären, nicht-zerstörerischen Glaubens, aber stark in seinen Grundsätzen und Werten des dreieinigen Gottes, des Vaterlandes, der Familie und des Privateigentums. Es ist völlig klar, daß der Kitt für so viel Vielfalt allein der religiöse Glaube war, der jede Identität respektierte, im Gegensatz zur schleichenden EU, die den Völkern Europas ohne Respekt für ihre Identitäten ein einheitliches Denken und Sein aufzwingen will.
Die Eliminierung des Christentums aus der europäischen Lymphe hat, wie wir sehen können, den Kontinent in den Abgrund des neo-nietzscheanischen Denkens geführt, das objektive Wahrheiten leugnet und eine Pluralität fragwürdiger Perspektiven auferlegt, in denen „subjektive Wahrheiten“ und angebliche Rechte mit der schizophrenen Ideologie jener verbunden sind, die mit einer supranationalen, tyrannischen und versklavenden Politik herrschen, die gegen die Gesetze Gottes, aber auch gegen die Natur verstößt und letztlich die luziferische Matrix des „Non serviam“ wieder aufstellt. Wenn Europa durch die protestantische Revolution verwundet und seine Einheit zerbrochen wurde, so ist heute die vermeintliche EU, die stolpert und sich in einem Labyrinth von Verwirrungen verirrt, die Frucht ihres Verrats an sich selbst.
Die heilige Brigitta von Schweden (1303–1373) war Ehefrau, Mutter, Nonne, Mystikerin, eine Frau von großer Nächstenliebe und Vermittlerin für Ordnung und Frieden innerhalb und außerhalb der Kirche. Sie reiste nach Rom, um das Heilige Jahr 1350 zu begehen, und fand dort eine dramatische Situation vor: Der Papst war nach Avignon umgezogen und das römische Volk war wie eine Herde ohne Hirten. Es herrschte die Pest und in Europa tobte der Konflikt zwischen Frankreich und England. In den Räumen des Palazzo Farnese und in den Kirchen Roms empfing sie göttliche Offenbarungen und wandte sich in der Zwischenzeit direkt an den Papst, die Kardinäle und die Herrscher Europas, um sich für die göttliche Ordnung und den Frieden in Europa einzusetzen, um den Hundertjährigen Krieg zu beenden. Sie setzte sich für die Rückkehr des Papstes nach Rom ein, ebenso wie die dominikanische Mystikerin und ihre Zeitgenossin, die heilige Katharina von Siena (1347–1380), die sie überlebte und die endgültige Rückkehr Gregors XI. nach Rom im Jahr 1377 erlebte. Birgitta, die sich besonders der Passion Christi widmete, pilgerte von Assisi auf den Gargano, um schließlich im Alter von fast siebzig Jahren das Heilige Land zu erreichen.
Fünf mittelalterliche Heilige als Schutzpatrone Europas und eine aus der Neuzeit, die als Jüdin geborene Edith Stein (1891–1942), die als Atheistin zur katholischen Kirche konvertierte und eine Unbeschuhte Karmelitin wurde. Sie war hochintelligent und hatte den universitären Zweig der Philosophie gewählt, wo sie Schülerin von Edmund Husserl und Mitglied der Freiburger Fakultät wurde. Eines Tages war sie wie vom Donner gerührt, als sie eine Frau mit Einkaufstaschen in eine Kirche gehen sah, um zu beten… eine sehr einfache Handlung, die Edith jedoch zeigte, daß man jederzeit zu Gott beten kann, und so lernte sie dank dieser Frau, daß der zentrale Punkt des christlichen Glaubensbekenntnisses darin besteht, eine persönliche Beziehung zwischen der Seele und dem Schöpfer und Vater herzustellen. 1921 las sie während eines Urlaubs die Autobiographie der Karmelitenmystikerin Teresa von Avila und trat darauf in die römische Kirche ein und ließ sich am 1. Januar 1922 taufen. Nach einer Zeit der spirituellen Unterscheidung trat sie 1934 in das Karmeliterkloster in Köln ein, nahm den Namen Teresia Benedicta vom Kreuz an und schrieb dort das metaphysische Buch „Endliches und ewiges Sein“ mit dem Ziel, die Philosophien des heiligen Thomas von Aquin und Husserls miteinander zu versöhnen.
Um sie vor den Rassengesetzen der Nationalsozialisten zu schützen, übersiedelt sie der Orden der Karmeliterinnen in die Niederlande, was aber nicht ausreichte: Im Mai 1940 werden die Niederlande von deutschen Truppen besetzt und am 26. Juli 1942 tritt Hitlers Befehl in Kraft, daß auch jüdische Konvertiten gefangengenommen und interniert werden sollen. So wurden Teresia Benedicta vom Kreuz und ihre Schwester Rosa, die ebenfalls katholisch geworden war, in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo sie am 9. August 1942 ermordet wurden und ihre Leichen in den Krematorien verbrannt wurden.
Vor einigen Tagen hat Roberto Benigni in einem Theaterstück mit dem Titel „Der Traum“ das Manifest von Ventotene für ein freies und geeintes Europa deklamiert und gepriesen, ein Manifest, das im Mittelpunkt einer bekannten linken Kundgebung in Rom, aber auch einer großen politischen und medialen Kontroverse war. Bei seiner Lobpreisung des kulturellen Europas und seiner unbestreitbaren Vormachtstellung in der Welt hat Benigni jedoch völlig „vergessen“, darauf hinzuweisen, daß es das Christentum war, das im Namen der Schönheit eine außergewöhnliche Entwicklung von Kunst, Literatur und Musik hervorgebracht hat. Und er hat auch „vergessen“ zu sagen, dass es das Christentum war, das die wissenschaftliche Erforschung des belebten und unbelebten Seins in Gang gesetzt hat, man denke an die Klöster, die sich mit der Katalogisierung der Pflanzen- und Tierwelt befaßten, sowie an die medizinische Erforschung der Heilkräuter; man denke aber auch an die vielen Hospize und Krankenhauseinrichtungen, die in Europa gegründet wurden, um den Gebrechlichen und Kranken zu helfen, an die ritterlichen Einrichtungen, um die Pilger zu verteidigen und ihnen beizustehen (Pilgerfahrten und Kirchenjubiläen haben entscheidend zur Einigung Europas beigetragen), karitative Einrichtungen zur Unterstützung der Armen, schulische Einrichtungen zur Bildung, diözesane und Ordenseinrichtungen zur Formung und Betreuung der Seelen, die heute meist zu Waisen geworden sind.
Dank der Evangelisierung entstand in Europa eine gigantische Maschinerie außerordentlicher Zivilisation und hervorragender Fortschritte, die ihm eine unvergleichliche Seele verliehen und die, auch wenn sie heute unsichtbar geworden scheint, dank der göttlichen Vorsehung, dank der Engelsfürsten, wie im Buch des Propheten Daniel angedeutet, dank der Unbefleckten Empfängnis, dank der Gemeinschaft der Heiligen und seiner sechs Schutzpatrone fortbesteht. Die gigantische Geschichte Europas enthält erhabene Beispiele für Heiligkeit, aber auch für Schändlichkeit wie die Französische Revolution, den Nationalsozialismus, den Stalinismus und die gegenwärtige tödliche europäische Gesetzgebung, doch für den Gläubigen ist nichts verloren, und diese unsichtbare, verfolgte und mit Füßen getretene Seele Europas wird in denen, die nach der durch Jesus Christus gebrachten Freiheit dürsten und die bereits den Dunst der Ruinen sehen, ihren Ehrenplatz finden oder vielleicht schon gefunden haben.
*Cristina Siccardi, Historikerin und Publizistin, zu ihren jüngsten Buchpublikationen gehören „L’inverno della Chiesa dopo il Concilio Vaticano II“ (Der Winter der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Veränderungen und Ursachen, 2013); „San Pio X“ („Der heilige Pius X. Das Leben des Papstes, der die Kirche geordnet und erneuert hat“, 2014), „San Francesco“ („Heiliger Franziskus. Eine der am meisten verzerrten Gestalten der Geschichte“, 2019), „Quella messa così martoriata e perseguitata, eppur così viva!“ „Diese so geschlagene und verfolgte und dennoch so lebendige Messe“ zusammen mit P. Davide Pagliarani, 2021), „Santa Chiara senza filtri“ („Die heilige Klara ungefiltert. Ihre Worte, ihre Handlungen, ihr Blick“, 2024),
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
1 Pietro Grasso, Jurist, 2005–2012 Italiens Nationaler Anti-Mafia-Staatsanwalt, 2013–2022 Senator, zunächst für die Linksdemokraten (PD), dann für die linksradikale Partei Liberi e Uguali (LeU), davon 2013–2018 Senatspräsident.
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