
Wiederholt tauchen Fragen auf wie jene, woran man erkenne, daß derzeit etwa im Vatikan Anspannung und Unruhe herrschen. Die Antwort soll an einem konkreten, aktuellen Beispiel aufgezeigt werden: Kardinal Gianfranco Ghirlanda, ein Jesuit wie Papst Franziskus und bekannter Kanonist, ging gestern an die Öffentlichkeit, um ein Dementi auszusprechen.
Seit einigen Wochen kursieren hartnäckige Gerüchte, Papst Franziskus wolle Hand an die Wahlordnung des Konklave legen. Ob dies tatsächlich die Absicht des noch amtierenden Papstes ist oder nicht, darüber wird heftig diskutiert. Die gesamte Diskussion erfolgt außerhalb der offiziellen Kanäle und gründet auf Gerüchten, Spekulationen und Indizien. Ghirlanda, 2022 von Franziskus zum Kardinal kreiert, habe, so die Gerüchte, den Auftrag von Franziskus erhalten, die Änderungen der Wahlordnung auszuarbeiten.
Nun dementierte der Purpurträger gegenüber der spanischen Tageszeitung ABC, an einem Dokument zur Änderung der Sedisvakanz und des Konklaves zu arbeiten oder gearbeitet zu haben. Man kann dieses Dementi für glaubhaft halten oder auch nicht, springender daran ist der Punkt, daß Ghirlanda überhaupt ein solches öffentlich ausgesprochen hat. Erstens stünde es ihm nicht zu, von sich aus eine solche Äußerung zu tätigen, zweitens, warum etwas dementieren, das offiziell nicht auf der Tagesordnung steht.
Ghirlanda ist der Hauptberater von Papst Franziskus in kirchenrechtlichen Fragen. Es erscheint kaum vorstellbar, daß er von sich aus an die Öffentlichkeit tritt, um zu erklären, daß der Papst „derzeit keine Reform der Konklaveordnung erwägt“. Ein solches Vorgehen läßt erkennen, daß sich im Vatikan bereits alles auf das nahende Konklave konzentriert und daher Spannung und Unruhe herrschen.
Eine Wahlrechtsänderung könnte natürlich schlagartig die Ist-Situation im Wahlkörper und alle damit verbundenen Rechnungen über den Haufen werden. Das wiederum wirft Fragen auf, zu wessen Nutzen dies geschehen würde und was das genau bedeuten könnte. Längst werden hinter den Kulissen die Stimmrechte gezählt, werden Gruppen ausfindig gemacht und mögliche Mehrheiten errechnet.
Zur Frage nach dem Cui bono wird vor allem Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin genannt, dem bei einer Senkung des notwendigen Quorums von der derzeitigen Zwei-Drittel-Mehrheit auf eine absolute Mehrheit die besten Aussichten zuerkannt werden, die Nachfolge von Franziskus antreten zu können. Ist die Wahl also schon entschieden? Diese Frage wurde aufgeregt hin und her gereicht.
Ghirlanda, selbst altersbedingt nicht mehr Papstwähler, dementierte nun kategorisch. Es sei „absolut falsch“, es seien „Fake News“, daß er an einem solchen Dokument arbeite. Womit er indirekt auch sagte, es sei undenkbar, daß Franziskus nicht ihn, seinen Hauskanonisten, mit einer solchen Aufgabe beauftragt hätte.
Offensichtlich ist Franziskus oder wer derzeit den Zugang zu Santa Marta kontrolliert, daran interessiert, das Wahlkollegium zu beruhigen. Einige Stimmen sagen, weil Franziskus die Wahl Parolins verhindern wolle, vielleicht aber auch nur, um den Eindruck einer bereits gelaufenen Wahl zu vermeiden.
War es Parolin, der Ghirlanda zu Franziskus ans Krankenbett brachte, um den Rücktritt des Papstes vorzubereiten, wie es manche Stimmen behaupten. Auf einige dieser Fragen werden die nächsten Tage und Wochen Antwort geben, andere werden später Antwort finden, manche nie.
Der Vatikan ist mit Dementis sehr zurückhaltend. Über das, was nicht ist, muß man nicht sprechen. Unter Franziskus erfolgten sie nicht einmal mehr, wo sie inhaltlich dringend geboten schienen. Als aber der staatliche italienische Rundfunk erstmals die Meldung einer Wahlrechtsänderung und eines möglichen Rücktritts bekanntgab – Franziskus war gerade eine Woche im Krankenhaus –, gab es umgehend ein offizielles Dementi durch das vatikanische Presseamt. Eine ungewöhnliche Situation, sowohl was die Tatsache selbst als auch die Eile betrifft.
Nun erklärte Kardinal Ghirlanda:
„Ich habe den Heiligen Vater während seines Aufenthalts in der Gemelli-Klinik nicht besucht. Das ist etwas völlig Erfundenes.“
Den ABC-Artikel verfaßte Javier Martínez-Brocal, ein Franziskus nahestehender Vatikanist, was die Wahrscheinlichkeit nahelegt, daß hier Santa Marta direkt eine Botschaft aussenden wollte.
2022 hatte Ghirlanda, damals soeben zum Kardinal erhoben, gegenüber ABC erklärt, es gebe keinen Auftrag, die Gesetzgebung für einen Papst-Rücktritt zu ändern oder die rechtliche Festschreibung der von Benedikt XVI. eingeführten Figur eines „emeritierten Papstes“ vorzunehmen. Wörtlich sagte der Kanonist am 18. Dezember 2022:
„Nein. Ich habe das Thema nicht angefaßt, und ich bin auch nicht auf die Idee gekommen, das zu tun. Es ist wohl so, daß der Heilige Geist kein Interesse daran hat, daß ich mich mit solchen Dingen befasse.“
Damals fügte Ghirlanda hinzu, daß praktisch alle Päpste des 20. Jahrhunderts die Wahlrechtsordnung des Konklaves geändert hätten, er aber noch keinen solchen Auftrag erhalten habe.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: X/JesuitNews (Screenshot)