
Von Caminante Wanderer*
Vergangene Woche wurde ein Interview mit dem Bischof der spanischen Diözese Orihuela-Alicante, Msgr. José Ignacio Munilla Aguirre1, veröffentlicht. Er scheint ein konservativer Bischof zu sein, ein gemäßigter und wohlmeinender Prälat, weit entfernt von der progressiven Mittelmäßigkeit seiner Mitbrüder. Das ist wahrscheinlich wahr. Ich kenne ihn nicht gut genug, habe aber gute spanische Freunde, die ihn kennen. Höflichkeit ist aber nicht gleichbedeutend mit Mut, und man muß sagen, daß Bischof Munilla in den Minuten, in denen er die Frage des Journalisten nach der überlieferten Messe beantwortet, eine erstaunliche Unkenntnis und, ich wage zu behaupten, eine riskante Unvorsichtigkeit an den Tag legt, die ihn dazu bringt, etwas zu behaupten, was nicht nur unbewiesen, sondern schlichtweg eine Lüge ist. Schauen wir uns seine Antworten an:
1. „Die traditionelle Messe wurde von Papst Benedikt XVI. gebilligt, um bestimmte Gruppen, die sich von der Kirche entfernt hatten, wieder anzubinden und um den Opferaspekt der Messe zu betonen.“
FALSCH.
Joseph Ratzinger war schon, als er noch Priester war, ein entschiedener Verfechter des Fortbestands der überlieferten Messe in der Kirche, und zwar so sehr, daß viele Priester, als er 1977 zum Erzbischof von München-Freising gewählt wurde, seinen Einzug in die Kathedrale am Tag seiner Amtseinführung blockierten, auch mit der Begründung, daß sie die Verteidigung der traditionellen Hl. Messe durch ihren neuen Bischof ablehnten. Aber das ist nicht nur eine Anekdote. Ratzinger war zeit seines Lebens und lange vor dem Auftauchen „bestimmter Gruppen, die sich von der Kirche entfernt hatten“, ein Kritiker des Novus ordo und ein Verfechter des Vetus ordo. So schrieb er zum Beispiel 1976 – noch als einfacher Priester:
„Das Problem des neuen Missale liegt demgegenüber darin, daß es aus dieser kontinuierlichen, vor und nach Pius V. immer weitergegangenen Geschichte ausbricht und ein durchaus neues Buch (wenn auch aus altem Material) schafft, dessen Auftreten mit einem der kirchlichen Rechts- und Liturgiegeschichte durchaus fremden Typus von Verbot des Bisherigen begleitet ist. Ich kann aus meiner Kenntnis der Konzilsdebatte und aus nochmaliger Lektüre der damals gehaltenen Reden der Konzilsväter mit Sicherheit sagen, daß dies [vom Zweiten Vatikanischen Konzil] nicht intendiert war“ (Wolfgang Waldstein: „Zum Motuproprio Summorum Pontificum“, in: Una Voce Korrespondenz 38/3 [2008], S. 201–214).
Und dreißig Jahre später, als Papst, schrieb er:
„In der Liturgiegeschichte gibt es Wachstum und Fortschritt, aber keinen Bruch. Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein. Es tut uns allen gut, die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und Beten der Kirche gewachsen sind, und ihnen ihren rechten Ort zu geben“ (Apostolisches Begleitschreiben zum Motu proprio Summorum Pontificum).
In diesen dreißig Jahren und auch danach können Dutzende ähnlicher Interventionen angeführt werden (gesammelt auf dieser Internetseite), und alle zeigen, daß der Wille Benedikts XVI. genau das Gegenteil von dem war, was Bischof Munilla postuliert: Es gibt keine Erwähnung von Dissidentengruppen und keine Erwähnung von einer größeren Evidenz für den Opferaspekt der traditionellen Messe. Es gibt etwas viel Tieferes und Metaphysischeres, das der Bischof von Alicante nicht kennt oder nicht zu sehen vermag.
2. „Joseph Ratzinger hat nach dem Konzil nie öffentlich die traditionelle Messe gefeiert.“
FALSCH.
Kardinal Ratzinger hat bei zahlreichen Gelegenheiten die überlieferte Messe öffentlich und mit großer Feierlichkeit zelebriert. Hier sind nur einige Beispiele von vielen, die im Internet zu finden sind:
Pontifikalamt im Priesterseminar der Priesterbruderschaft St. Petrus in Wigratzbad (1995):

Pontifikalamt in Weimar, 1989 und 1999:

Pontifikalamt im Kloster Le Barroux im Jahr 1995:

3. „Es ist nicht ersichtlich, daß es die Absicht von Benedikt XVI. war, daß die traditionelle Liturgie in einer allgemeinen Weise gefeiert werden kann.“
FALSCH.
Diese Absicht ist vielmehr für jeden offensichtlich, der das Motu proprio Summorum Pontificum liest, in dem Papst Benedikt die traditionelle Messe „befreit“, so daß sie von jedem Priester in jeder Kirche ordentlich, d. h. täglich, allgemein zelebriert werden kann. Die einzigen Einschränkungen, die er macht, sind die gleichen, wie sie auch für die Feier der Messe von Paul VI. gelten. Zum Beispiel:
„Art. 2. In Messen, die ohne Volk gefeiert werden, kann jeder katholische Priester des lateinischen Ritus – sei er Weltpriester oder Ordenspriester – entweder das vom sel. Papst Johannes XXIII. im Jahr 1962 herausgegebene Römische Meßbuch gebrauchen oder das von Papst Paul VI. im Jahr 1970 promulgierte, und zwar an jedem Tag […].“
„Art. 5 § 2. Die Feier nach dem Meßbuch des sel. Johannes XXIII. kann an den Werktagen stattfinden; an Sonntagen und Festen kann indes ebenfalls eine Feier dieser Art stattfinden.“
4. „Es ist falsch zu sagen, daß das Zweite Vatikanum die Liturgie verarmt hat.“
FALSCH.
Hier kommen natürlich unterschiedliche Meinungen ins Spiel, aber Bischof Munilla bezieht sich auf die Lehre von Papst Benedikt XVI. Die Beispiele für die Meinung des Pontifex über die Verarmung der nachkonziliaren Liturgie sind vielfältig und können im obigen Link überprüft werden. Ich nenne nur ein Beispiel:
„Die liturgische Reform hat sich in ihrer konkreten Ausführung von diesem Ursprung immer mehr entfernt. Das Ergebnis ist nicht Wiederbelebung, sondern Verwüstung. […] An die Stelle der gewordenen Liturgie hat man die gemachte Liturgie gesetzt“ (Simandron – Der Wachklopfer. Gedenkschrift für Klaus Gamber (1919–1989), Hrsg. Wilhelm Nyssen [Köln: Luthe-Verlag, 1989], S. 13–15, zitiert in: Theologisches, 20/2 [1990], S. 103f).
5. „Wir vergessen, was das Sprichwort Lex orandi, lex credendi sagt.“
FALSCH
Erstens ist der Ausdruck, auf den er anspielt, weder ein Sprichwort noch eine Redensart, sondern ein Grundsatz mit dogmatischem und normativem Charakter, der von der Tradition, die in den Kirchenvätern (z. B. dem heiligen Augustinus und Prosper von Aquitanien) und im Lehramt zum Ausdruck kommt, bestätigt wird.
Zweitens: Papst Benedikt XVI. sagt gleich zu Beginn von Summorum Pontificum:
„Art. 1. Das von Paul VI. promulgierte Römische Meßbuch ist die ordentliche Ausdrucksform der ‚Lex orandi’ der katholischen Kirche des lateinischen Ritus. Das vom hl. Pius V. promulgierte und vom sel. Johannes XXIII. neu herausgegebene Römische Meßbuch hat hingegen als außerordentliche Ausdrucksform derselben ‚Lex orandi‘ der Kirche zu gelten, und aufgrund seines verehrungswürdigen und alten Gebrauchs soll es sich der gebotenen Ehre erfreuen. Diese zwei Ausdrucksformen der ‚Lex orandi‘ der Kirche werden aber keineswegs zu einer Spaltung der ‚Lex credendi‘ der Kirche führen; denn sie sind zwei Anwendungsformen des einen Römischen Ritus.“
6. „Wenn es innerhalb der Kirche Gemeinschaften gäbe, die unterschiedliche liturgische Riten feiern, wäre dies der Einheit abträglich.“
SKANDALÖS FALSCH.
In der katholischen Kirche gibt es viele Riten (den römischen, byzantinischen, koptischen, äthiopischen, maronitischen, armenischen, syro-malabarischen, chaldäischen, syro-malankarischen), und niemand käme auf die Idee zu sagen, daß diese Vielfalt ein Hindernis für die Einheit sei und folglich unterdrückt werden sollte. Außerdem gibt es innerhalb der lateinischen Kirche noch andere Riten wie den ambrosianischen. Wenige Kilometer von der Residenz von Bischof Munilla entfernt wird zum Beispiel der mozarabische Ritus gefeiert. Seine Aussage ist also ein Unsinn, über den nicht lange nachgedacht werden muß.
7. „Es wäre nicht klug, jeden Sonntag die traditionelle Messe zu besuchen.“
FALSCH.
Das Motu proprio von Papst Benedikt zielt in erster und letzter Konsequenz darauf ab, daß in allen Pfarreien beide Riten gefeiert werden und es den Gläubigen freisteht, den einen oder den anderen zu besuchen. Und das geschah und geschieht selbst heute immer noch an mehreren Orten. Und es führt nicht zu Spaltungen, Streitigkeiten oder Unstimmigkeiten. Es hat den Anschein, daß Bischof Munilla eine starre und klerikale Haltung einnimmt und den Gläubigen vorschreiben will, wo, wie und wann sie die Heilige Messe besuchen sollen.
Und zweitens, weil die Kirche nie gesagt hat, zum Beispiel in Mailand: „Es ist nicht klug, wenn die Gläubigen jeden Sonntag im ambrosianischen Ritus zur Messe gehen, sondern sie sollen auch am römischen Ritus teilnehmen“. Das ist Unsinn.
Wenn man also den Titel des veröffentlichten Videos widerlegt („Was halten Sie von der traditionellen Messe. Für Munilla herrscht Klarheit“), muß man sagen, daß Munilla sich darüber überhaupt nicht im klaren ist. Die von mir aufgezeigten Belege lassen den Schluß zu, daß Bischof Munilla entweder Summorum Pontificum nicht gelesen hat oder, wenn er es gelesen hat, es nicht verstanden hat: und falls er es gelesen und verstanden hat, hat er es vergessen. Und man kann auch zu dem Schluß kommen, daß der Bischof von Alicante, zumindest gelegentlich, über etwas spricht, von dem er nichts weiß. Wie dem auch sei, es ist sehr beunruhigend, daß ein Bischof, der in Spanien als Leuchtturm des konservativen Denkens gilt, in seinem Wissen und seinen Argumenten so schwach ist.
Der Märtyrerbischof St. Dionysius wurde im 3. Jahrhundert in Paris von den Schergen des Kaisers Decius enthauptet, weshalb er mit Kopf und Haupt in den Händen dargestellt wird. Es gibt aber auch Bischöfe, die, ohne Märtyrer zu sein, ihren Kopf verloren haben und von denen niemand weiß, wo sie ihn gelassen haben.
*Caminante Wanderer, argentinischer Blogger und Philosoph
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Caminante Wanderer
1 Der Baske Msgr. José Ignacio Munilla Aguirre wurde 1986 zum Priester seiner Heimatdiözese Donostia/San Sebastian geweiht. 2006 ernannte ihn Papst Benedikt XVI. zum Bischof von Palencia in León. 2009 beförderte er ihn zum Bischof von Donostia/San Sebastian. Papst Franziskus ernannte ihn 2021 zum Bischof von Orihuela-Alicante im Land Valencia. Msgr. Munilla gilt als „sehr konservativ“ und vertritt nationalspanische Positionen, weshalb er in seiner baskischen Heimatdiözese erhebliche Widerstände erlebte.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar