
Der Publizist Gaetano Masciullo, Autor von Büchern über den Modernismus und jüngst über den Kampf der Freimaurer gegen die Kirche, wagt einen Ausblick, welche unter den derzeitigen Kardinälen im kommenden Konklave als Papabili eine Rolle spielen könnten.
Nach Franziskus: Wer sind die Papabili?
Von Gaetano Masciullo*
Zum heutigen Tag besteht das Kardinalskollegium aus 252 Purpurträgern, von denen 138 im Konklave stimmberechtigte Kardinäle. Nicht weniger als 149 aller lebenden Purpurträger (oder 60 Prozent) wurden von Franziskus ernannt. Von den Papstwählern sind es sogar 80 Prozent! Nur 103 der lebenden Kardinäle wurden von den Vorgängern des heutigen Kirchenoberhaupts ernannt. In den zwölf Jahren seines Pontifikats haben wir eine sehr hohe Zahl von Konsistorien und Kardinalsernennungen erlebt, von denen viele Prälaten aus entlegenen Regionen der Welt und der Kirche oder – wie wir heute lieber sagen – von den „Rändern“ kommen.
Das ist scheinbar ein Weg, um jenen Menschen eine Stimme zu geben, die bisher in der Leitung der Kirche an den Rand gedrängt wurden, in Wirklichkeit versteht man bei genauerer und ernsthafter Analyse, daß diese Wahl Teil einer sehr präzisen Strategie von Franziskus ist, um nach seinem Abgang die Wahl eines Papstes „nach seinem Bild und Gleichnis“ zu begünstigen, der also fähig und bereit ist, das von ihm begonnene Werk einer tiefgreifenden neomodernistischen Revolutionierung des Wesens der katholischen Kirche und insbesondere des Papsttums zu vollenden oder zumindest fortzusetzen.
Es gibt zwei Effekte, die Franziskus durch die Schaffung so vieler „peripherer“ Kardinäle bewirkt hat. Erstens: Die Mehrheit der heutigen Kardinäle ist mit der komplexen kurialen Logik der Macht nicht vertraut. Zweitens kennen einander die Mitglieder des Kollegiums in ihrer großen Mehrheit nicht. Damit ist der Weg für die zweite Phase der Strategie geebnet: In der Hoffnung, daß die ausgewählten Kardinäle sich Franziskus gegenüber für den Titel, den sie erhalten haben, „dankbar“ fühlen und sich bewußt sind, daß sie alle mehr oder weniger mit den progressivsten Tendenzen innerhalb der zeitgenössischen katholischen Theologie übereinstimmen, sollten sie im Konklave dazu gedrängt werden, sich zu vereinen und die „franziskanische“ Partei des Kollegiums zu unterstützen, d. h. jene Kardinäle, die aktiv die bergoglianische Agenda verfolgen, welche Partei – wie wir sehen werden – nicht so mehrheitsfähig ist, wie es scheinen mag.
Um diese große Wissenslücke unter den Kardinälen zu schließen, haben die bekannten Vatikanisten Edward Pentin und Diane Montagna eine ebenso notwendige wie lobenswerte Arbeit geleistet. The College of Cardinals Report ist eine interaktive Website, die einen knappen, aber nicht oberflächlichen Überblick über die wichtigsten Daten des Kollegiums insgesamt, aber auch über die einzelnen Kardinäle bietet.
Auf diese Weise kann sich jeder Kardinal mit den Profilen seiner „prominentesten“ Kollegen befassen und sein Votum auf sehr viel fundiertere Weise abgeben. Diese Internetseite könnte, wenn sie unter den Kirchenfürsten verbreitet wird, als Dämpfer für Bergoglios oben erwähnte Strategie dienen. Wohlgemerkt: Ich sage nicht, daß dies die Absichten von Pentin und Montagna sind, es ist nur meine eigene Überlegung.
Mit Hilfe dieses unschätzbaren Instruments, das nun für jedermann zugänglich ist, können wir 22 Papabili unter den Kardinälen ausfindig machen und darunter 12 besonders herausragende. Wenn wir uns vorstellen, daß diese Kardinäle gemäß einer „parlamentarischen“ Sitzordnung verteilt sind, wobei die dem Schutz der katholischen Tradition günstigsten Kardinäle auf der rechten Seite und die radikalsten Neomodernisten auf der linken Seite stehen, ergibt sich folgendes Bild:
In Rot habe ich die Kardinäle hervorgehoben, die der Tradition am positivsten gegenüberstehen. In Violett habe ich die Papabili markiert, die zwar nicht ausdrücklich oder offenkundig Freunde der katholischen Tradition (insbesondere der liturgischen Tradition) sind, die man aber dennoch als der Ratzinger-Linie nahestehend und daher aus theologischer, moralischer und pastoraler Sicht als konservativ betrachten kann. Es wird ersichtlich, daß die Traditionalisten und Konservativen im großen und ganzen die Mehrheit bilden, auch wenn man das glauben könnte, aber vielleicht hilft uns das, besser zu verstehen, warum Franziskus sich für die oben beschriebene Strategie entschieden hat.
Im linken Bereich finden wir den progressivsten Flügel der Papstkandidaten. Im kobaltfarbenen Bereich finden wir drei Kardinäle, die man als „gemäßigt“ bezeichnen könnte, sehr diskret in ihren Äußerungen, die aber höchstwahrscheinlich mit der „franziskanischen“ Partei sympathisieren. Im blauen Teil schließlich finden wir die eigentliche Franziskus-Partei, diejenigen, die Bergoglio wiederholt als seine Favoriten und Schützlinge bezeichnet hat (in Wahrheit haben seine Dauphins in den vergangenen Jahren mal mehr und mal weniger Gunst vom Seher erfahren). Die Namen der aussichtsreichsten Kandidaten sind in fetten weißen Buchstaben geschrieben.
Unter der Annahme, daß die „franziskanische“ Partei im Konklave eine Niederlage erleidet, ist es angebracht, unsere kurze Analyse der Papstwahl mit einer Prämisse zu ergänzen. Die Kirche wird nach dem Tod von Bergoglio einen sehr mutigen und starken, vor allem aber einen jungen Papst brauchen, der die in den letzten Jahren entstandenen Schäden entschlossen beheben kann. Wenn keine unvorhergesehenen Ereignisse eintreten, wird es mindestens zwanzig Jahre dauern, um die Dinge in liturgischer, doktrinärer, moralischer und rechtlicher Hinsicht in Ordnung zu bringen, ganz zu schweigen von den Problemen in der Verwaltung des Vatikans, dem IOR und vielen anderen schwerwiegenden Problemen, die lange vor diesem Pontifikat entstanden sind.
Wenn die Kardinäle den authentischen Weg der katholischen Konterrevolution gehen wollen, brauchen sie einen jungen Kandidaten, und in der aktuellen Liste gibt es nur sehr wenige, die sich für dieses Projekt eignen würden, außer vielleicht Kardinal Pierbattista Pizzaballa (59 Jahre), der von Franziskus selbst kreiert wurde. Es ist daher nicht auszuschließen, daß die Kardinäle bei der Abstimmung beschließen, sich außerhalb dieser Liste umzusehen, d. h. auf einige Außenseiter zu setzen, wie z. B. auf den sehr jungen Kanadier Francis Leo (53), der ebenfalls von Franziskus zum Kardinal erhoben wurde.
Ein weiteres Element ist zu berücksichtigen: Die Unzufriedenheit unter den Kardinälen ist weit verbreitet. Diese zwölf Jahre waren selbst für diejenigen, die dem Favoriten der Gruppe von St. Gallen sehr nahe stehen, schwer zu bewältigen. Daher könnte man auch folgende Überlegung anstellen. Im Falle des Todes von Franziskus werden viele Kardinäle, die bisher zurückhaltend und diskret aufgetreten sind, ihre konträren Positionen offen äußern können. So hat Fiducia supplicans bekanntlich bei afrikanischen Kardinälen, die der bergoglianischen Agenda ursprünglich sehr nahe standen, große Empörung und Enttäuschung ausgelöst. Im Falle einer Abdankung von Franziskus (eine Aussicht, die unwahrscheinlich ist, aber nicht völlig ausgeschlossen werden sollte) könnten diese Kardinäle das Profil der Diskretion wahren, und in diesem Fall könnte die Wahl auf einen „Kompromiß“-Kandidaten fallen, während sie die Zeit abwarten, um ihre Pflicht zu erfüllen.
Die Traditionalisten und Konservativen unter den Papabili
Beginnen wir also mit dem eher traditionalistischen Flügel. Am weitesten rechts von allen steht der US-amerikanische Kardinal Raymond Burke, der nicht vorgestellt werden muß. Er ist ein entschiedener Gegner des Diakonats der Frau, der Segnung von Homosexuellen, der Abschaffung des priesterlichen Zölibats, der Einschränkung der tridentinischen Messe, der Geheimverträge mit der Volksrepublik China, der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene und der Überwindung von Humanae Vitae, doch es ist sehr unwahrscheinlich, daß er zum Papst gewählt wird. Kürzlich hat er sich sogar positiv zu Donald Trump geäußert, was sicherlich einen großen Teil der Kardinäle verärgert hat. Nichtsdestotrotz wird Burke sicherlich eine herausragende Rolle bei der Koordinierung der Anti-Franziskus-Partei spielen, was auch die zahlreichen Versuche des derzeitigen Inhabers der Cathedra Petri in den vergangenen Jahren erklärt, sein Wirken einzuschränken und zu behindern.
Da wäre dann der guineische Kardinal Robert Sarah, der auf der Website von Pentin und Montagna als einer der zwölf Favoriten genannt wird. Wahrscheinlich liegt das an seiner afrikanischen Herkunft: Er wäre der erste afrikanische Papst nach Gelasius I., der im 5. Jahrhundert Papst war. In dem sechsseitigen Artikel, der im Juli 2022 von Paris-Match veröffentlicht wurde, wird er als eine Person mit „enormem Einfluß“ beschrieben. Trotzdem hat Kardinal Sarah nie öffentlich sein aktives Interesse an der Wahl zum Papst bekundet. Stattdessen hat er weiterhin geschrieben, gepredigt und Interviews gegeben und sich dabei auf die „Verteidigung des Glaubens“ konzentriert. Während des vergangenen Konklaves gehörte er nicht zu den favorisierten Papabili. Bekannt ist jedoch, wie viel stille Hilfe Sarah Benedikt XVI. bei der Förderung der Treue zur kirchlichen Lehre geleistet hat, und vielleicht wird dies beim Konklave berücksichtigt werden.
Der deutsche Kardinal Gerhard Müller, ehemaliger Präfekt der Glaubenskongregation, gilt als theologisch orthodox und steht zugleich fest hinter den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils. Müller vertritt in mehreren Fragen traditionelle Positionen, lehnt die Weihe von Frauen zum Diakonat ab und wehrt sich gegen Änderungen des priesterlichen Zölibats im lateinischen Ritus. Er hat den deutschen Synodalen Weg und das, was er als Abweichung von der etablierten kirchlichen Lehre wahrnimmt, kritisiert. Als Kritiker des Globalismus und der Agenda 2030 hat er öffentlich Zweifel und Fragen zu den Handlungen von Franziskus geäußert, sich aber bemüht, direkte Kritik am Papst zu vermeiden. Die Liturgie scheint jedoch nicht seine Priorität zu sein.
Der uruguayische Kardinal Daniel Fernando Sturla Berhouet hat eine stark ratzingerianische Linie. Er sieht den Kampf gegen die institutionalisierte säkulare Kultur und die zunehmende Verbreitung eines religiösen Gefühls ohne Gott als eine Herausforderung für die Kirche. Er betont oft die zentrale Bedeutung der Eucharistie für das Glaubensleben. Er urteilte sehr hart über Fiducia supplicans und bezeichnete das Dokument als „zweideutig, spalterisch und verwirrend“. Auch er steht der Synodalität sehr skeptisch gegenüber.
Der italienische Kardinal Mauro Piacenza hat administrative Fähigkeiten und eine tiefe spirituelle Sensibilität bewiesen, Eigenschaften, die ihn für die Leitung der Kirche nicht nur in Italien, sondern weltweit geeignet machen würden. Er ist ein Verfechter der Orthodoxie und als Spiritual von Priestern hoch angesehen. Obwohl er sich bisher noch nicht öffentlich zur Frage von Traditionis custodes geäußert hat, ist von ihm bekannt, daß er in privaten Gesprächen jede Einschränkung der überlieferten Form des Römischen Ritus entschieden ablehnt. Als Liebhaber lehrmäßiger Klarheit hat er wiederholt die Schönheit und Wirksamkeit des Sakraments der Beichte als Heilmittel für individuelle Übel betont. Von besonderer Bedeutung ist die Aufmerksamkeit, die Piacenza der Reform des Klerus widmete: Er betonte oft, wie wichtig es ist, daß die Priester in der Lehre gut ausgebildet und in moralischen und bioethischen Fragen auf dem neuesten Stand sind. Sein hohes Alter (80) macht ihn jedoch nicht zu einem vorrangigen Kandidaten.
Im Gegensatz zu letzterem steht der (vielleicht noch wenig bekannte) singalesische Kardinal Malcolm Ranjith, der im Laufe der Jahre viele Funktionen innehatte, vom Pfarrer bis zum Bischof in verschiedenen Diözesen, vom apostolischen Nuntius über den Kurienbeamten bis zum Metropolitan-Erzbischof. Als erfahrenen Polyglott sehen ihn einige als eine Figur, die in perfekter Kontinuität zu Benedikt XVI. steht. Auch seine geografische Herkunft spricht für ihn: Er stammt aus dem globalen Süden, konkret aus Asien, einem Gebiet, in dem die Kirche schnell wächst. Auf der liturgischen Ebene befürwortet er Elemente wie die Wiederherstellung der Chorschranken bzw. der Kommunionbänke und der knienden Mundkommunion. Er teilt einige pastorale Elemente auch mit Papst Franziskus, wie z. B. die Sorge um die Armen. Dies ist jedoch ein weiteres Element, um ihn als potentiellen Wunschkandidaten auch derjenigen Kardinäle zu betrachten, die keine Traditionalisten sind.
Der niederländische Kardinal Willem Eijk gilt als weiterer Favorit für das Papstamt, da er sich durch gleich mehrere Merkmale auszeichnet. Als großer Experte für bioethische Fragen aufgrund seiner medizinischen und theologischen Ausbildung ist er bekannt für sein Festhalten an der katholischen Lehre und seine Bereitschaft, diese zu verteidigen, auch bei unpopulären Themen wie Humanae Vitae und der Unauflöslichkeit der Ehe. Er zeigte auch großes Geschick bei der finanziellen und pastoralen Umstrukturierung der Diözesen, in denen er tätig war, korrigierte liturgische Mißstände und förderte neue Initiativen für junge Menschen. Als Erzbischof mußte er sich den Herausforderungen des sexuellen Mißbrauchs durch Geistliche stellen, indem er Untersuchungskommissionen und Hilfsprogramme einrichtete. Als stark marianisch geprägter Purpurträger sprach er sich gegen die Frauenordination, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und die Gender-Theorien aus.
Der ungarische Kardinal Péter Erdő ist ein weiterer Spitzenkandidat. Geboren und aufgewachsen unter dem kommunistischen Regime, wußte Erdő aus erster Hand, was es bedeutet, die Religionsfreiheit für Katholiken zu verteidigen. Als international anerkannter Kanonist hat seine Ernennung zum Generalberichterstatter für die Familiensynoden (2014 und 2015), eine Position, die traditionell einem potentiellen Nachfolger des Papstes vorbehalten ist, sein Ansehen weiter erhöht. Er gilt einhellig als ein Mann des Ausgleichs und der Einheit, der in der Lage ist, mit verschiedenen Positionen innerhalb der Kirche in Dialog zu treten. Obwohl er die Form des Novus Ordo bevorzugt, ist er bereit, die traditionelle Form zuzulassen. Letztlich scheint Erdő der perfekte Kandidat zu sein, wenn die Kardinäle jemanden wählen wollen, der die Kirche auf der konservativen Linie im Sinne Ratzingers weiterführen wird, ohne den Eindruck eines abrupten Kurswechsels nach Franziskus zu erwecken.
Der bereits erwähnte italienische Kardinal Pierbattista Pizzaballa wird von einigen als „zu jung“ angesehen, aber vielleicht könnte gerade dieses Element ihn begünstigen (vergessen wir nicht die Logik, die den jungen Wojtyla auf den Petrusthron hob). Seine Erfahrung und seine Führungsqualitäten resultieren aus seinem langen Dienst in einer so wichtigen und komplexen Region wie dem Heiligen Land. Diese Erfahrung verleiht ihm eine ausgewogene Sichtweise und die Fähigkeit zum Dialog mit den verschiedenen religiösen und politischen Gemeinschaften in dieser Weltgegend. Seine biblische und sprachliche Ausbildung ist ein weiteres Unterscheidungsmerkmal. Er gilt als Mann des Ausgleichs und der Offenheit und ist in der Lage, die Treue zur Tradition mit einem scharfen Blick für die Moderne zu verbinden. Seine franziskanische Spiritualität und seine Sorge um die Armen und Leidenden sind weitere Elemente, die ihn für die Mitglieder der Franziskus-Partei interessant machen könnten.
Das Profil des italienischen Kardinals Angelo Bagnasco, auch wenn er nicht mehr zur Wahl steht (82 Jahre alt), scheint perfekt für den Fall, daß sich die Kardinäle für einen „Übergangspapst“ entscheiden, der nach den internen Spaltungen innerhalb der Kirche während der Jahre von Papst Franziskus dennoch einen traditionellen Ansatz und eine konservative Führung weiterführt. Er verfügt über menschliche und spirituelle Qualitäten, die ihn zu einer maßgeblichen und angesehenen Persönlichkeit machen würden.
Der burmesische Kardinal Charles Maung Bo scheint der ideale Kandidat für die Wahl eines Papstes zu sein, der über eine große pastorale Erfahrung in schwierigen Kontexten verfügt und einen pastoralen Schwerpunkt auf Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit legt (in dieser Hinsicht würde er von den Bergoglianern geschätzt werden) sowie ein tiefes Verständnis für die Herausforderungen der asiatischen Welt hat, die im Leben der Kirche immer wichtiger zu werden scheint. Bo ist jedoch auch ein starker Befürworter der von Papst Franziskus geförderten Synodalität. Er glaubt, daß es wichtig ist, auf die Stimmen aller Mitglieder der Kirche zu hören.
Der kanadische Kardinal Marc Ouellet war während des Konklaves 2013 ein starker Anwärter auf das Papstamt, mußte aber in den letzten Jahren feststellen, daß sein Ansehen als Favorit für das Papstamt abnahm. Zu den Faktoren, die ihn anfangs dazu machten, gehörte seine große Erfahrung in der Kirche aufgrund seiner jahrzehntelangen Leitung des heutigen Bischofsdikasteriums. Sein Engagement für die Einheit und die Gemeinschaft innerhalb der Kirche waren weitere Faktoren, die für ihn sprachen, da er als „konservativer Prälat mit moderner Sichtweise“ gilt. Auf der liturgischen Ebene hat er unter dem Pontifikat von Franziskus eine besonders feindselige Haltung gegenüber der überlieferten Liturgie gezeigt.
Der in der Schweiz geborene schwedische Kardinal Anders Arborelius, den Franziskus 2022 als „eine Person, die uns den Weg in die Zukunft zeigen kann“, lobte, ist ebenfalls ein beliebter Papabile. Er ist für seine offene und optimistische Persönlichkeit bekannt und verfügt über umfangreiche Erfahrung im Dienst der Kirche, da er mehrere wichtige Positionen innehatte, darunter den Vorsitz der Skandinavischen Bischofskonferenz und die Mitgliedschaft in verschiedenen vatikanischen Dikasterien. Er ist ein starker Förderer des interreligiösen Dialogs (man darf nicht vergessen, daß er selbst vom Luthertum zur katholischen Kirche konvertiert ist) und wird als sehr bescheidener und selbstloser Mensch wahrgenommen: Eigenschaften, die man bei einem Papst sehr schätzt, vor allem nach den Erfahrungen mit Bergoglio.
Die „gemäßigten“ und neomodernistischen Päpste
Kommen wir nun zum anderen Flügel der Liste der Favoriten. Beginnen wir mit den „gemäßigten“ Modernisten. Dabei handelt es sich um drei Kardinäle, die sich bisher nicht zu kontroversen Themen geäußert haben, aber dieses vorsichtige Schweigen könnte ein ohrenbetäubendes Symptom für Krypto-Modernismus sein.
Der französische Kardinal Jean-Marc Noël Aveline wird von einigen als Schützling von Franziskus angesehen. Sein Engagement in den Bereichen Migration und interreligiöser Dialog deckt sich mit den Prioritäten des derzeitigen Amtsinhabers. Es ist bekannt, daß sich die beiden regelmäßig im Vatikan treffen, auch außerhalb der offiziellen Arbeitszeiten, und er ist von linken politischen und kirchlichen Kreisen besonders geschätzt. Schließlich befürwortet Aveline eine starke Dezentralisierung in der Kirche. In Anbetracht dieses letzten Elements und da – wie eingangs erwähnt – die Partei von Franziskus sich den Willen der St.-Gallen-Mafia zu eigen gemacht hat, das Konzept des Papsttums an sich zu revolutionieren, könnte Aveline in der Tat ein gefährlicher Anwärter im nächsten Konklave sein.
Der kongolesische Kapuzinerkardinal Fridolin Ambongo Besungu ist ein starker Verfechter der liturgischen Inkulturation und des Zairischen Ritus. Nach der Verkündigung Fiducia supplicans geriet Ambongo ins Rampenlicht der Medien, weil er das Dokument als unangemessen und sogar „eurozentrisch“ kritisierte. In Afrika gibt es in der Tat andere Themen als die Segnung homosexueller Paare. Während er die traditionellen Werte der Kirche in Fragen wie der Familie und dem priesterlichen Zölibat verteidigt, hat er sich bei anderen Themen, wie dem Diakonat der Frau, offen für einen Dialog gezeigt.
Der italienische Kardinal Fernando Filoni gehört zwar nicht zu den Spitzenkandidaten für das Amt des Papstes, genießt aber aufgrund seiner umfangreichen diplomatischen und kurialen Erfahrung hohes Ansehen. Es gibt jedoch auch Aspekte, die seiner Wahl im Wege stehen könnten: Er hat insbesondere keine Erfahrung in der Leitung von Diözesen und wird mit der italienischen „alten Garde der Bürokratie“ identifiziert. Vielleicht machen ihn aber gerade diese Eigenschaften zum idealen Sicherheitskandidaten für die Kardinalswähler, die den Status quo der Kirche noch eine Zeit lang bewahren wollen.
Damit kommen wir zu den echten Modernisten, den Revolutionären an vorderster Front. Der Schweizer Kardinal Kurt Koch verfügt über ein umfassendes Wissen über die Kirche und ihre theologischen Herausforderungen, was heute sehr wichtig erscheint, wenn man bedenkt, wie wichtig es ist, die Einheit der Kirche in einem Umfeld wie dem deutschen Sprachraum zu bewahren, das sehr anfällig für Spaltungen und Schismen ist. Er ist für seine Skepsis gegenüber dem deutschen Synodalen Weg bekannt, was die Sympathie einiger konservativerer Wähler wecken könnte, aber insgesamt ist er kein Freund der Tradition: In bezug auf den weiblichen Diakonat hat er sich im Laufe der Jahre zweideutig geäußert, während er sich in liturgischer Hinsicht wiederholt für eine Versöhnung von Vetus und Novus Ordo ausgesprochen hat, um nur eine Form als (Hegelsche) Synthese zu haben. Kurzum, Koch weist viele Parallelen zu Ratzinger auf: ein Progressiver, der sich im Laufe der Zeit gemildert hat, der aber immer noch sehr stark modernistisch geprägt ist.
Der italienische Kardinal Pietro Parolin ist der derzeitige Staatssekretär des Vatikans, eine sehr prominente Rolle in der Römischen Kurie. Er hat sich in den letzten Jahren wiederholt für Anliegen eingesetzt, die innerhalb der Kirche als konservativ gelten, aber man darf nicht vergessen, daß sein Handeln immer sehr revolutionär war. Um die Wahrheit zu sagen, wäre Parolin der ideale Kandidat für ein Pontifikat in voller Kontinuität mit Franziskus, weil er die gleichen Reformen verfolgen würde, aber auf eine weniger auffällige und mehr diplomatische und pragmatische Weise. Parolin gilt auch als Verfechter der Ostpolitik, einer Strategie der Zusammenarbeit mit feindlichen Mächten durch Kompromisse und Versöhnung, insbesondere in den Beziehungen zu China. In der Tat spielte er eine entscheidende Rolle bei der Wiederaufnahme direkter Kontakte zwischen dem Heiligen Stuhl und Peking. Ich persönlich denke, daß die Chancen für Parolin, zum Nachfolger von Franziskus gewählt zu werden, heute sehr hoch sind. Wir dürfen jedoch nicht das alte römische Sprichwort vergessen, daß derjenige, der als Papst in das Konklave hineingeht, als Kardinal herauskommt.
Der südafrikanische Kardinal Stephen Brislin ist offenbar ein weniger favorisierter Papstkandidat als andere, aber er hat in der Vergangenheit eingeräumt, daß seine Wahl technisch möglich ist. Er spricht sich nachdrücklich für die Einbeziehung von LGBT in die Kirche und das Frauendiakonat aus und hält Víctor Manuel Fernández, den derzeitigen Präfekten des Dikasteriums für die Glaubenslehre, für einen „wahren Giganten mit großem Intellekt und Erfahrung“. Ich glaube, es ist nicht nötig, noch etwas hinzuzufügen.
Der philippinische Kardinal Luis Tagle gilt seit langem als Bergoglios Nachfolger, so sehr, daß er den Spitznamen „asiatischer Franziskus“ erhalten hat. Im Jahr 2022 beendete er jedoch seine Amtszeit als Präsident der Caritas Internationalis, nachdem bei einer unabhängigen Prüfung Mängel in der Einrichtung festgestellt worden waren. Diese Ereignisse nährten Spekulationen, Kardinal Tagle habe die Gunst von Papst Bergoglio verloren. Als Mitglied der Schule von Bologna, der zufolge das Zweite Vatikanische Konzil in völliger Abkehr von früheren Lehren und Praktiken interpretiert werden muß, hat sich Tagle sehr „offen“ zu Themen wie der Kommunion für sakramental unverheiratete Paare und der Homosexualität geäußert und angedeutet, daß die universellen moralischen Grundsätze „nicht in allen Situationen gelten“ könnten. Außerdem ist er ein großer Befürworter der Geheimabkommen zwischen China und dem Vatikan.
Der portugiesische Kardinal José Tolentino de Mendonça gilt, obwohl er nicht zu den führenden Papabili gehört, als möglicher Kompromißkandidat für das nächste Konklave. Trotz seines relativ jungen Alters (59) steht er Franziskus sehr nahe. Für die Papstwähler, die sich ein sehr langes Pontifikat der Kontinuität wünschen, sicherlich heterodox und modernistisch, mit einem noch größeren revolutionären Impuls als Franziskus, könnte dieser Kardinal der ideale Kandidat sein. In einem Konklave wird er wahrscheinlich Stimmen unter seinen portugiesischen und brasilianischen Brüdern sammeln, bei denen er großen Einfluß haben soll. Es gäbe in der Tat viel zu beten, sollte er gewählt werden.…
Schließlich haben wir noch den italienischen Kardinal Matteo Zuppi, der buchstäblich das Gegenteil von Kardinal Burke ist. Während letzterer nie allzu viele Skrupel hatte, progressive Öffnungen innerhalb der Kirche zu kritisieren, sie in aller Deutlichkeit zu verurteilen und dadurch den Haß und die Abneigung eines großen Teils des Weltepiskopats (nicht nur des offen modernistischen) auf sich zu ziehen, hat sich Zuppi ebenso explizit für die radikaleren neomodernistischen Instanzen der zeitgenössischen Theologie ausgesprochen. Im Mai 2022 wurde er zum Vorsitzenden der Italienischen Bischofskonferenz gewählt. Er hat an mehreren Synoden des Vatikans teilgenommen und betrachtet die Synodalität als „grundlegend“ für die Erneuerung der Kirche. Obwohl er progressive Neigungen hat, versucht er, den Dialog mit todos, todos, todos zu führen, auch mit denen, die theologisch und liturgisch konservativ sind, und die Kanäle mit denen offenzuhalten, die die Liturgie aller Zeiten befürworten (wer weiß aber, ob er diesen Ansatz als Papst fortsetzen würde?).
*Gaetano Masciullo, 1993 in Bari geboren, studierte Philosophie und Geschichte, freier Publizist, Autor mehrerer Bücher, zuletzt „La Tiara e la loggia. La lotta della massoneria contro la Chiesa“ („Tiara und Loge. Der Kampf der Freimaurerei gegen die Kirche“) mit einem Vorwort von Don Nicola Bux, Verona 2023.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Gaetano Masciullo