
Das sechzehnte ordentliche Heilige Jahr wurde von Innozenz XII. ausgerufen, der anordnete, daß in Rom eine Atmosphäre des Gebets herrschen sollte. Das Jubeljahr selbst war dann durch den Tod des Papstes gekennzeichnet, der einige Monate später von Clemens XI. abgelöst wurde.
Das 18. Jahrhundert war ein Jahrhundert der großen Veränderungen, der bedeutenden Umwälzungen, der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung, die später zur ersten industriellen Revolution führen sollte. Innerhalb weniger Jahre wurde ab Mitte des Jahrhunderts der Barock, der das gesamte 17. Jahrhundert beherrscht hatte, von einer neoklassischen Linie abgelöst, die die Antike und die Klassiker wieder in Mode brachte und Besuche an den Orten empfahl, an denen diese Kunst geboren worden war und ihre besten Früchte getragen hatte. Die Grand Tour wurde zu einer grundlegenden Etappe in der Ausbildung der jungen Aristokraten und Künstler. Italien war der privilegierte Ort für die Ausbildung des künstlerischen und ästhetischen Geschmacks. Rom war das Zentrum des lateinischen Altertums und des Glanzes der Renaissance.
Das Heilige Jahr 1700 steht genau am Beginn dieses epochalen Übergangs, der durch ein Ereignis gekennzeichnet ist, das noch mehr zum Wendepunkt wird: den Tod des Papstes, Innozenz‘ XII., der in diesem Jahr auf dem päpstlichen Thron saß. Er wurde 1615 geboren und im Alter von 76 Jahren zum Papst gewählt. Er setzte sich dafür ein, daß der Klerus ein Vorbild für die Gläubigen ist, daß die koptische Konfession sich mit der katholischen unierte und daß die Vetternwirtschaft besiegt wurde. Tragische Konflikte prägten die europäische Geschichte. Der Papst rief die Hilfe des Himmels an, indem er innerhalb weniger Jahre drei außerordentliche Jubiläen ausrief: das erste 1691 für den Beginn seines Pontifikats, das zweite 1693 und das dritte 1695, um den Frieden unter den christlichen Fürsten zu beschwören. Er war ein Beschützer der Künste und Wissenschaften. Er förderte Missionen in verschiedenen Kontinenten. Er ließ die Kirche der Geburt Jesu in Rom errichten.1
Mit dem Hospiz San Michele a Ripa institutionalisierte der Papst die Armenfürsorge, zunächst für Waisenkinder, später auch für andere Kategorien von Bedürftigen: Die Einrichtung bot Gastfreundschaft, Unterkunft und Pflege. Das beeindruckende Werk kann noch heute bewundert werden. Mit dem päpstlichen Schreiben Ad exercitium pietatis (1693) beschloß der Papst, „ein Institut zu gründen und ein großes Gebäude zu errichten, das in der Lage sein sollte, vier zahlreiche Klassen von Menschen aufzunehmen, die der Stellung nach am würdigsten sind, die genährt, gekleidet und sowohl im Geist als auch in den Künsten angeleitet werden sollten, damit man sie nicht auf den Straßen und in den Kirchen umherirren sieht, um die Frömmigkeit der Gläubigen mit ihren Klagen zu stören und die Stadt mit abscheulichen Gesichtern zu füllen, sondern damit sie nützliche Mitglieder der Res publica werden“. Die vier Klassen von Menschen waren die „armen alten Männer“, „die unglücklichen alten Frauen“, „die armen Knaben“ und „die armen verwaisten Mädchen“.
Mit der Bulle Regi saeculorum vom 18. Mai 1699 rief Papst Innozenz XII. das sechzehnte ordentliche Jubiläum aus. Er sorgte für ein Klima in der Stadt, das das Gebet und die Pilgerfahrt begünstigte. Er förderte die Mobilität der Pilger mit der neuen Verbindung zwischen der Via Appia Antica und der heutigen Via Appia Nuova, die nun Appia Pignatelli (nach dem Familiennamen des Papstes) genannt wird. Da der Papst an akuter Gicht erkrankt war, konnte er dem Ritus der Öffnung der Heiligen Pforte nicht beiwohnen. Stattdessen nahm die Königin von Polen, Maria Kazimiera, teil, die Ende 1698 ihre Reise nach Rom antrat und 1699 mit ihren drei Kindern in der Stadt eintraf. Als fromme und gläubige Frau zeigte sie den Pilgern während des Jubiläums Gesten großer Hingabe und Demut. Sie ließ sich im Palazzo Zuccari nieder, ganz nach dem Vorbild von Christina von Schweden. Beeindruckt von den karitativen Werken, dem Geist der Hingabe und des Gebets während des Heiligen Jahres wurde einer der Söhne der Königin Kapuziner.
Großherzog Cosimo III. von Medici trat seine Pilgerreise nach Rom im Mai 1700 an und verließ die Stadt erst wieder am Ende des Jubiläums mit einer Reliquie des heiligen Franz Xaver.
Viele Gläubige kamen nach Rom, zumindest bis September. Allein die Bruderschaft der Heiligen Dreifaltigkeit2 empfing dreihunderttausend Pilger. Der Papst verwendete einen Großteil der Almosen der Gläubigen, um die Kosten für ihre Unterbringung und Versorgung der Pilger zu finanzieren.
Dann, am 27. September 1700, geschah etwas, das den letzten Teil des Heiligen Jahres kennzeichnete: der Tod von Innozenz XII. im Alter von 85 Jahren. Es war das erste Mal in der Geschichte, daß ein Jubeljahr – zumindest vorübergehend – gefeiert wurde, obwohl der päpstliche Thron vakant war. Es dauerte zwei Monate, bis ein neuer Pontifex gewählt war: Clemens XI.
Die Trauer über den Tod von Innozenz XII. und die Sedisvakanz ließ die Zahl der Pilger merklich zurückgehen. Der Neugewählte versuchte, den von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg fortzusetzen: Bekämpfung der Vetternwirtschaft, Förderung von Missionen, Mäzenatentum in Kunst und Wissenschaft. Er begann auch mit archäologischen Ausgrabungen in Rom und Urbino. In den Monaten nach seiner Wahl mußte er sich mit der Katastrophe einer Tiberüberschwemmung auseinandersetzen. Die Basilika St. Paul vor den Mauern konnte von den Pilgern nicht mehr erreicht werden. Daher wurde sie als Ziel der Heiligjahr-Wallfahrt durch Santa Maria in Trastevere ersetzt. Die Zahl der ausländischen Pilger ging zurück, da die Straßen nach der Überschwemmung weitgehend unpassierbar waren.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
1 Heute die kongolesische Nationalkirche in Rom.
2 Deren Bruderschaftskirche, die auf den hl. Philipp Neri zurückgeht, ist heute die Kirche der Petrusbruderschaft (FSSP) in Rom und damit Meßort im überlieferten Ritus.
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