Das Protestieren des Pontifex

Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk voreingenommene und einseitige Thesen vertritt


Pius XII., die Juden, der Holocaust und die Anatomie einer Debatte
Pius XII., die Juden, der Holocaust und die Anatomie einer Debatte

Ein Gast­kom­men­tar von Hubert Hecker

Seit dem Thea­ter­stück des deut­schen Schrift­stel­lers Rolf Hoch­huth von 1963 unter dem Titel „Der Stell­ver­tre­ter“ wird in immer neu­en Anläu­fen Papst Pius XII. unter­stellt, er habe nichts gegen die NS-Juden­ver­fol­gung getan und gesagt. Wei­te­re Autoren wie Gold­ha­gen und Corn­well haben den Pius-Papst zum Sün­den­bock oder „Buh­mann für alles“ gemacht, wie Ruth Lapi­de 2002 for­mu­lier­te. Auf der Ver­leum­dungs­wel­le rei­tet auch der ame­ri­ka­ni­sche Sozi­al­wis­sen­schaft­ler David J. Kert­zer mit sei­nem Buch von 2020: „Der Papst, der schwieg“. Der deutsch-fran­zö­si­sche Sen­der Arte, eine öffent­lich-recht­li­che Rund­funk­an­stalt, hat sich in die­se Ver­däch­ti­gungs­kam­pa­gne ein­ge­klinkt, indem die Anstalt auf der Basis des Buches am 23. Janu­ar 2025 eine „Film­do­ku­men­ta­ti­on“ präsentierte.

In dem Film wird das anste­hen­de The­ma nicht als eine offe­ne Fra­ge unter ver­schie­de­nen Aspek­ten unter­sucht, wie das für eine seriö­se Doku­men­ta­ti­on gebo­ten ist. Ein wis­sen­schaft­li­ches Defi­zit besteht auch dar­in, dass die Hin­ter­grün­de für die päpst­lich-diplo­ma­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie nicht erör­tert, son­dern als „lächer­lich“ abge­tan wer­den (Min 33).

So ist ein ten­den­ziö­ses Pro­jekt ent­stan­den, bei dem eine vor­ur­teils­be­haf­te­te Behaup­tung am Anfang steht: die The­se von der „Pas­si­vi­tät“ oder dem „Schwei­gen“ des Pap­stes gegen­über der Juden­ver­fol­gung. Metho­disch wer­den selek­tiv vor­wie­gend Quel­len her­an­ge­zo­gen, mit denen die Ein­gangs­the­se illu­striert wird. Aus die­sem vor­ein­ge­nom­me­nen Ansatz ent­steht ein Ten­denz-Bei­trag mit Falsch­aus­sa­gen. Dazu kom­men halt­lo­sen Behaup­tun­gen und geschwät­zi­ge Kol­por­ta­ge – etwa mit der Wen­dung: „Im Vati­kan sag­te man: Der (Papst) redet nicht wie Jesus“. Posi­ti­ve Aktio­nen des Pap­stes zugun­sten der Juden fal­len bei dem Such­fil­ter „Pas­si­vi­tät“ her­aus, wie das fol­gen­de Bei­spiel zeigt.

  • Der Film weist auf den weit­ver­brei­te­ten säku­la­ren Anti­se­mi­tis­mus in Euro­pa in der ersten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts hin. Er ver­mit­telt den Ein­druck, Papst Pius XII. sei damit im Ein­klang gestan­den und sogar „bestärkt“ wor­den, wie es in einer Rezen­si­on heißt. Tat­säch­lich ver­wei­ger­ten auf der inter­na­tio­na­len Flücht­lings­kon­fe­renz von Évi­an im Som­mer 1938 vie­le west­li­che Staa­ten die Auf­nah­me jüdi­scher Flücht­lin­ge aus Deutsch­land mit anti­se­mi­ti­schen Begrün­dun­gen. Papst Pius XII. dage­gen orga­ni­sier­te als vati­ka­ni­scher Staats­se­kre­tär noch im glei­chen Jahr auf diplo­ma­ti­schen Wegen knapp 20.000 Aus­rei­se­vi­sa für deut­sche Juden – mehr als auf der Évi­an-Kon­fe­renz an Auf­nah­me­zu­sa­gen von 32 west­li­chen Län­dern zusam­men­ge­kom­men waren. Der Papst setz­te sich also ent­ge­gen den anti­se­mi­ti­schen Ten­den­zen in West­eu­ro­pa, Kana­da und Austra­li­en für die Juden ein.
Mit die­sem Bild beginnt der Film: „Pius XII. und der Holo­caust“ des fran­zö­sisch-deut­schen öffent­lich-recht­li­chen Sen­ders Arte.
  • Auch inner­halb der Kir­che habe eine anti­se­mi­ti­sche Stim­mung geherrscht, behaup­tet der oben erwähn­te David J. Kert­zer als Kron­zeu­ge des Films. Sei­ne The­se: Ins­be­son­de­re die Gemein­de­pfar­rer hät­ten in ihren Sonn­tags­pre­dig­ten eine nega­ti­ve Cha­rak­te­ri­sie­rung der Juden betrie­ben (Min 28). Kert­zer beschwört die Aus­wir­kun­gen – wohl als Anfäl­lig­keit für die säku­la­re Juden­ver­fol­gung der Natio­nal­so­zia­li­sten. Die The­se in die­ser All­ge­mein­heit dürf­te der Pro­fes­sor kaum belast­bar bele­gen kön­nen. Dage­gen gibt es für Deutsch­land unver­däch­ti­ge Quel­len, die das Gegen­teil erwei­sen. Im Lage­be­richt zu dem Regie­rungs­be­zirk Arnsberg/​Westfalen für 1935, das Jahr der Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­ze, beschei­nig­te die Gesta­po dem nie­de­ren Kle­rus nach­hal­ti­ge Resi­stenz gegen die anti­se­mi­ti­sche Ras­sen­leh­re der Nazis: „Der nie­de­re Kle­rus lehnt das Ideen­gut, vor allem den Gedan­ken von Ras­se und Blut des Natio­nal­so­zia­lis­mus, kur­zer Hand als are­li­gi­ös ab. Einen beson­ders gro­ßen Raum nimmt in den Pre­dig­ten die Ras­sen­fra­ge ein. Die Maß­nah­men gegen das Juden­tum und das Ste­ri­li­sa­ti­ons­ge­setz sind daher Gegen­stand dau­ern­der Hetze.“

Im Übri­gen spricht es für die geschlos­se­ne Abwehr­front des katho­li­schen Kle­rus gegen die NS-Ideo­lo­gie, wenn von den damals 21.000 Geist­li­chen in Deutsch­land nur 0,5 Pro­zent Mit­glie­der der NSDAP waren. Das war die mit Abstand gering­ste Quo­te gegen­über allen ande­ren Berufs­grup­pen wie etwa den pro­te­stan­ti­schen Pfar­rern und Bischö­fen mit etwa 20 Pro­zent oder Medi­zi­nern mit bis zu 80 Pro­zent an Mit­glied­schaf­ten in NS-Organisationen.

  • Doku­men­te, die posi­tiv für Hal­tung und Hand­lun­gen des Pap­stes spre­chen, wer­den im Film ein­sei­tig zitiert und inter­pre­tiert. Ein Bei­spiel:
    Aus der päpst­li­chen Enzy­kli­ka Sum­mi pon­ti­fi­ca­tus kurz nach dem Ende des Polen­kriegs von Sei­ten Hit­lers und Sta­lins stellt der Film neben­säch­li­che Stel­len in den Vor­der­grund, um die Haupt­aus­sa­gen des Doku­ments zu mar­gi­na­li­sie­ren. Der Papst bekla­ge zwar den Über­fall auf Polen, aber nicht als Ver­stoß gegen das Völ­ker­recht, behaup­tet ein Film­spre­cher (Min 12). Dage­gen heißt es in dem Text: Ein tota­li­tä­res Regie­rungs­sy­stem „raubt dem Völ­ker­recht sei­ne Grund­la­ge und Kraft … und ver­hin­dert Eini­gung und fried­li­chen Verkehr.“

Unter der Über­schrift: „Gegen Ras­sis­mus und jede Gewalt­herr­schaft“ fasst Wiki­pe­dia die wich­tig­sten Grund­sät­ze des päpst­li­chen Schrei­bens zusam­men: Aus der Ein­heit der Mensch­heit in Ursprung und Natur resul­tiert die ver­nunft­mä­ßi­ge Gleich­heit der Men­schen und Natio­nen ohne irgend­wel­che Über­le­gen­heit oder Unter­ord­nung von Ras­sen. Sie ver­pflich­tet aber auch die Men­schen und Völ­ker zur Respek­tie­rung der natur­recht­li­chen Geset­ze der Soli­da­ri­tät und Brü­der­lich­keit, zu Ver­trags­treue, gegen­sei­ti­gem Aus­tausch von Gütern und fried­li­chen Bezie­hun­gen der Natio­nen. Die­se men­schen- und völ­ker­recht­li­chen Maxi­men des Pap­stes sind des­halb bedeut­sam, weil sie im Ansatz die spä­te­ren Grund­sät­ze der UNO-Char­ta ein­schließ­lich der Men­schen­rech­te ent­hal­ten. Der Film unter­schlägt die­se Kern­aus­sa­gen. Statt­des­sen ver­sucht er mit sinn­lo­ser Sophi­ste­rei her­um­zu­mä­keln: Die Enzy­kli­ka wür­de zwar die Gleich­heit aller Men­schen postu­lie­ren, aber sie ver­ges­se zu erwäh­nen, dass die Juden dazu­ge­hö­ren – als wenn sie in dem Begriff aller Men­schen nicht schon ein­ge­schlos­sen wären.

Die New York Times cha­rak­te­ri­sier­te den päpst­li­chen Pro­test unter der Über­schrift: „Dik­ta­to­ren, Ver­trags­brü­che und Ras­sis­mus wer­den vom Papst in sei­ner ersten Enzy­kli­ka ver­ur­teilt“. Die deut­sche NS-Regie­rung stopp­te den Druck und die Ver­brei­tung des päpst­li­chen Schrei­bens, die Gesta­po ermit­tel­te gegen Per­so­nen, die die Enzy­kli­ka gele­sen oder zu ver­brei­ten ver­sucht hat­ten – Poli­zei­maß­nah­men wie 100 Jah­re vor­her zu dem Hes­si­schen Land­bo­ten von Georg Büch­ner. Alli­ier­te Flug­zeu­ge war­fen acht­und­acht­zig­tau­send Kopien über Deutsch­land ab.

  • Der Film ver­mit­telt den Ein­druck, dass Papst Pius XII. bei dem Besuch des deut­schen Außen­mi­ni­sters Rib­ben­trop im März 1940 eine Art Pakt geschlos­sen hät­te (Min 13): Hit­ler wür­de die Kir­che und Prie­ster nicht wei­ter ver­fol­gen, wenn Papst und Kir­che sich nicht mehr kri­tisch zu poli­ti­schen The­men und der Ras­sen­po­li­tik NS-Deutsch­lands äußern wür­den. Der Film spricht nicht aus­drück­lich von einer Ver­ein­ba­rung, aber sol­che Zwi­schen­be­mer­kun­gen wie: „Pius sieht das genau­so wie Hit­ler“ ver­stär­ken den oben genann­ten Eindruck.
José M. Sán­chez: Pius XII. und der Holocaust

Die histo­ri­sche Ent­wick­lung straf­te die Film-Inter­pre­ta­ti­on einer Über­ein­kunft Lügen: Statt Zurück­hal­tung ver­schärf­te Hit­ler ab die­sem Zeit­punkt die Kir­chen­ver­fol­gung mit dem soge­nann­ten Klo­ster­sturm. Die NS-Regie­rung beschlag­nahm­te und ent­eig­ne­te mehr als 300 katho­li­sche Klö­ster und kirch­li­che Ein­rich­tun­gen und ver­trieb die Bewoh­ner. Ange­sichts der aggres­si­ven Poli­tik Hit­lers erneu­er­te der Papst sei­ne Kri­tik an der NS-Reli­gi­ons- und Ras­sen­po­li­tik, indem er dem deut­schen Ver­tre­ter Hit­lers eine lan­ge Liste Gräu­el­ta­ten und reli­giö­ser Ver­fol­gun­gen von Chri­sten und Juden in Deutsch­land und in Polen vor­las, so der Histo­ri­ker Mar­tin Gilbert.

  • In einer frü­he­ren Ver­si­on des Films, aus­ge­strahlt vom ARD-Sen­der Phö­nix am 4.11.2024, wird die The­se von einem Deal zwi­schen Hit­ler und dem Papst noch wei­ter aus­ge­schlach­tet. Papst Pius XII. hät­te mit Hit­lers Unter­händ­lern „aus­ge­macht“, zu der Juden­ver­fol­gung zu schwei­gen, wenn die NS-Medi­en mit ihrer Hetz­kam­pa­gne gegen die Kir­che wegen homo­se­xu­el­ler und pädo­phi­ler Geist­li­cher auf­hör­te. Bei zwei Gesprä­chen im Vati­kan jeweils im Früh­jahr 1939 und 1940 hat­ten Hit­lers Emis­sä­re tat­säch­lich ein sol­ches Ver­hand­lungs­an­ge­bot ange­deu­tet. Der Papst ging dar­auf natür­lich nicht ein. Denn Hit­ler hat­te schon im Som­mer 1937, also zwei Jah­re vor den Ver­hand­lun­gen, die Wel­le der soge­nann­ten Sitt­lich­keits­pro­zes­se stop­pen las­sen, um die „innen­po­li­ti­sche Kon­flikt­la­ge“ mit den Katho­li­ken zu befrie­den, wie das Histo­ri­sche Lexi­kon Bay­erns fest­stellt. Der „Stopp“ konn­te also gar nicht mehr Ver­hand­lungs­ge­gen­stand sein. Zum andern war es nicht die Art des Pap­stes, mit einem sol­chen Deal von sei­nen Hand­lungs­ma­xi­men abzu­rücken. Auch aus den Gesprächs­pro­to­kol­len, die der Film zitiert, ist kein ent­spre­chen­des Aus­hand­lungs­er­geb­nis her­aus­zu­le­sen. Trotz­dem bleibt der Film in sei­nem Schluss-Resü­mee bei die­ser unwah­ren und ver­leum­de­ri­schen Behaup­tung: „Pius sicher­te mit sei­nem Schwei­gen (zu der Juden­ver­fol­gung) den Bestand der Kir­che und erkauf­te sich, dass Hit­ler den sexu­el­len Miss­brauch in der Kir­che nicht ans Licht kom­men ließ“ (Min 14).
  • Bei sei­ner Weih­nachts­an­spra­che im Jah­re 1942 knüpf­te der Papst an die Enzy­kli­ka vom Okto­ber 1939 gegen den Polen­krieg an, in der er die Gleich­heit der Men­schen und Natio­nen betont hat­te. Auch in der Anspra­che drei Jah­re spä­ter befass­te er sich größ­ten­teils mit Men­schen­rech­ten und Prin­zi­pi­en für die Völ­ker­ver­stän­di­gung und zivil­ge­sell­schaft­li­chen Umgang. In die­sem Rah­men ging er auf die „Hun­dert­tau­sen­den“ von Unschul­di­gen ein, die allein „auf­grund ihrer Natio­na­li­tät oder Ras­se zum Tode oder all­mäh­li­chen Aus­ster­ben ver­ur­teilt“ sei­en. Auch wenn der Papst die Täter und Opfer nicht nament­lich nann­te, ergab sich aus den Begriffs­be­deu­tun­gen der Ankla­ge, näm­lich Mas­sen­mor­de an unschul­di­gen Men­schen aus ras­si­sti­schen Moti­ven, die zwin­gen­de Fol­ge­rung, dass damit nur Hit­lers Völ­ker­mord an den Juden gemeint sein konn­te. Auf Nach­fra­ge hat der Pius-Papst aus­drück­lich die­se Inten­ti­on bestä­tigt – und so hat nach einer Stu­die auch die inter­na­tio­na­le Pres­se die Rede ver­stan­den. Als Gegen­pro­be für die­ses Ver­ständ­nis kann das natio­nal­so­zia­li­sti­sche Reichs­si­cher­heits­haupt­amt ange­führt wer­den, das den Papst beschul­dig­te, nun­mehr ein „Sprach­rohr“ der Juden zu sein. Im Film­kom­men­tar mein­te dage­gen der Moral­theo­lo­ge Klaus Kühl­wein, die Alli­ier­ten hät­ten die Rede­pas­sa­ge sicher­lich nicht so ver­stan­den bzw. ver­ste­hen kön­nen (Min 41). Die­se Behaup­tung ist nach­weis­lich falsch: Fran­cis Osbor­ne, der bri­ti­sche Ver­tre­ter im Vati­kan, schrieb zu der Papst­re­de: Die Pas­sa­gen in sei­ner Weih­nachts­sen­dung sei­en „ein­deu­tig auf die Ver­fol­gung der Juden bezo­gen“. Der ame­ri­ka­ni­sche Diplo­mat Harold H. Titt­mann iden­ti­fi­zier­te die Bot­schaft des Pap­stes als „Ankla­ge gegen den Tota­li­ta­ris­mus“ Hit­lers, bei der der „Hin­weis auf die Ver­fol­gung der Juden und die Mas­sen­de­por­ta­tio­nen unver­kenn­bar“ sei.
  • Schließ­lich ist das Hal­tung von Papst und Kir­che zur NS-Ver­fol­gung der etwa 8.000 Juden in Rom zu erör­tern. Anfang Sep­tem­ber 1943 hat­ten die deut­schen Trup­pen Rom besetzt. Mit­te des Monats befahl Hein­rich Himm­ler als Reichs­füh­rer SS die Depor­ta­ti­on aller etwa 56.000 ita­lie­ni­schen Juden, anfan­gend mit den Juden Roms. Ab die­sem Zeit­punkt bekam Papst Pius XII. täg­lich Bitt- und Hil­fe­brie­fe von jüdi­schen Fami­li­en und Grup­pen. Der Papst akti­vier­te ver­schie­de­ne vati­ka­ni­sche Kanä­le zur Inter­ven­ti­on, um die dro­hen­de Depor­ta­ti­on abzu­wen­den bzw. zu stop­pen. Gleich­zei­tig sand­te er Hand­schrei­ben an die Äbte und Bischö­fe mit der Anwei­sung, die Klau­sur der Klö­ster und Kon­ven­te auf­zu­he­ben, um Zuflucht­stät­ten für die ver­folg­ten Juden zu schaf­fen. Das berich­te­te Isra­el Zol­li, der Ober­rab­bi­ner von Rom. Die päpst­li­che Anwei­sung ist auch durch Ein­trä­ge in Klö­stern doku­men­tiert und gesi­chert, denn eine Klau­sur konn­te nur vom Papst zeit­lich auf­ge­ho­ben wer­den. Schließ­lich bestä­tig­te auch die ita­lie­ni­sche Histo­ri­ke­rin Emma Fat­to­ri­ni im Film den Tat­be­stand: „Der Papst hat den Juden in Rom gehol­fen, indem er sie in Klö­stern und Ordens­häu­sern unter­brin­gen ließ, wo er alle Juden will­kom­men hieß“ (Min 48). Und selbst wenn man­che kirch­li­che Ein­rich­tun­gen auch ohne aus­drück­li­che vati­ka­ni­sche Auf­for­de­rung han­del­ten, dürf­ten das vor­gän­gi­ge Hil­fe­han­deln des Pap­stes sowie sein Pro­test gegen den ras­si­sti­schen Mas­sen­mord an unschul­di­gen Men­schen in sei­ner Weih­nachts­an­spra­che sie moti­viert und ermu­tigt haben.

Laut dem israe­li­schen For­scher Micha­el Tagli­a­coz­zo erhiel­ten 4.238 Juden in 155 römi­schen Klö­stern lebens­ret­ten­des Asyl, 477 wur­den auf dem vati­ka­ni­schen Ter­ri­to­ri­um ver­steckt. Letzt­lich konn­ten durch vati­ka­ni­sche, orts­kirch­li­che und bür­ger­li­che Ver­stecke etwa 7000 römi­sche Juden vor der Depor­ta­ti­on geret­tet werden.

Ange­sichts der vie­len histo­ri­schen Nach­wei­se für die päpst­lich initi­ier­te Hilfs­ak­ti­on ist es eine igno­ran­te und arro­gan­te Trotz­re­ak­ti­on, wenn der Film­kom­men­tar die päpst­li­che Initia­ti­ve aus­drück­lich leug­net und ins Blaue hin­ein behaup­tet, was er nicht bewei­sen kann: alle römi­schen Klö­ster und Kon­ven­te hät­ten aus­schließ­lich „von sich aus“ ihre Pfor­ten und Klau­su­ren geöff­net (Min 48).

  • Wäh­rend der frü­hen Regie­rungs­zeit von Papst Pius XII. von 1939 bis 1945 baten ca. 10.000 Juden aus ganz Euro­pa den Pon­ti­fex und Vati­kan um Hil­fe. Gera­de in der Zeit der ver­schärf­ten Ver­fol­gung behiel­ten sie das Ver­trau­en und die Hoff­nung, dass der Hei­li­ge Stuhl ihnen hel­fen könn­te. „Ret­ten Sie uns, Hei­li­ger Vater“ war der Tenor vie­ler Bitt­brie­fe. In man­chen Fäl­len konn­te der Vati­kan selbst hel­fen, etwa bei finan­zi­el­ler Not oder bei der Ver­mitt­lung von Woh­nun­gen und Ver­stecken. Bei Bit­ten um Visa oder Haft­be­frei­ung wand­te sich die päpst­li­che Ver­wal­tung an die jeweils zustän­di­ge Stel­le. Das sind die ersten Ergeb­nis­se aus dem For­schungs­pro­jekt der Kir­chen­hi­sto­ri­kers Hubert Wolf im Vatikan-Archiv.

Ein Gegen­stück zu die­ser For­schung im Vati­kan bil­de­ten die Unter­su­chun­gen von Pin­chas Lapi­de in neun mit­tel- und ost­eu­ro­päi­schen Län­dern. Der deutsch-jüdi­sche Diplo­mat und Histo­ri­ker forsch­te in den zwei Nach­kriegs­jahr­zehn­ten zur nazi­sti­schen Juden­ver­fol­gung in die­sen Län­dern sowie den Inter­ven­tio­nen von Vati­kan und orts­kirch­li­chen Stel­len zur Ret­tung von Juden. Nach Lapi­des Land-für-Land-Recher­che gab Pius XII. zum Bei­spiel direk­te Anwei­sun­gen zur Ret­tung bul­ga­ri­scher Juden. Giu­sep­pe Ron­cal­li, damals Legat für Tür­kei und Grie­chen­land, bestä­tig­te Lapi­de gegen­über, dass er die Aus­stel­lung von tau­send Blan­kotauf­schei­nen für ver­folg­te Juden „mit Wis­sen und im Auf­trag Pius‘ XII.“ aus­ge­ge­ben habe. Als Resü­mee sei­ner For­schung hielt Lapi­de fest: Der Hei­li­ge Stuhl hat mehr getan den Juden zu hel­fen als jede ande­re Orga­ni­sa­ti­on des Westens, ein­schließ­lich des Roten Kreu­zes. „Pius XII. hat wäh­rend des Krie­ges durch dis­kre­te Hil­fe von kirch­li­chen Stel­len direkt oder indi­rekt das Leben von etwa 860.000 Juden gerettet.“

In dem Film: „Papst Pius XII. und der Holo­caust“ wer­den vie­le vor­ein­ge­nom­me­ne und ein­sei­ti­ge The­sen ver­tre­ten sowie das posi­ti­ve Han­deln des Pap­stes unter­schla­gen, so dass der Strei­fen kaum als seriö­se Doku­men­ta­ti­on ange­se­hen wer­den kann.

Lite­ra­tur­emp­feh­lung: José M. Sán­chez: Pius XII. und der Holo­caust. Ana­to­mie einer Debat­te, Schö­ningh-Ver­lag, 167 Seiten

Bild: Bucheinband/arte.tv (Screen­shots)

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