
Von Roberto de Mattei*
Jeder kennt die Marienheiligtümer von Loreto und Pompeji und in Rom die großen Basiliken, aber nicht jeder weiß, daß es im Herzen der Ewigen Stadt eine kleine Pfarrbasilika gibt, Sant’Andrea delle Fratte, auch bekannt als Heiligtum der Madonna del Miracolo (Unserer Lieben Frau von der Wundertätigen Medaille). Hier erschien nämlich am 20. Januar 1842 die Gottesmutter dem Juden Alphonse Ratisbonne und bekehrte ihn auf der Stelle. Eine Tafel an einer der Säulen der Erscheinungskapelle erinnert an dieses Ereignis: „Am 20. Januar 1842 kam Alphonse Ratisbonne, ein verstockter Jude, hierher. Die Jungfrau erschien ihm so, wie Du sie siehst. Er fiel als Jude und stand als Christ auf. Fremder, nimm diese kostbare Erinnerung an die Barmherzigkeit Gottes und die Macht der allerseligsten Jungfrau mit“.
Alphonse Ratisbonne, 1814 in Straßburg als Sohn einer wohlhabenden, ursprünglich aus Regensburg gekommenen jüdischen Bankiersfamilie geboren, hatte beschlossen, eine lange Reise von Frankreich nach Konstantinopel anzutreten, um seine schwache Gesundheit zu verbessern. Am Dreikönigstag 1842 kam er für einen kurzen Aufenthalt in Rom an. Unter den Leuten, die er traf, war ein Freund, der ihn im Laufe einer heftigen religiösen Diskussion herausforderte, eine Medaille mit dem Bildnis der Unbefleckten Empfängnis zu tragen, wie sie vier Jahre zuvor der heiligen Katharina Labouré in der Rue du Bac in Paris erschienen war, und das Memorare o piissima Virgo Maria (Gedenke, gütigste Jungfrau Maria) zu rezitieren, jenes alte Mariengebet, das traditionell dem heiligen Bernhard zugeschrieben wird.
Um seine Überlegenheit gegenüber dem katholischen „Aberglauben“ zu demonstrieren, nahm Ratisbonne die Herausforderung lachend an und trug die sogenannte Wundertätige Medaille um seinen Hals. Die Gruppe katholischer Freunde, die er in Rom hatte, betete jedoch für seine Bekehrung. Ein unvorhergesehenes Ereignis hatte Ratisbonne gezwungen, seine Abreise aus Rom zu verschieben. Dies führte zum 20. Januar 1842.
Ratisbonne ging an der Kirche Sant’Andrea delle Fratte vorbei, die sich zwischen dem Trevi-Brunnen und der Spanischen Treppe befindet, als er den Impuls verspürte, die Kirche zu betreten, in der die Beerdigung eines seiner Freunde vorbereitet wurde, der für ihn gebetet hatte, des französischen Grafen de La Feronnays, der am 17. Januar plötzlich verstorben war:
„Wenn in diesem Augenblick (es war Mittag) eine dritte Person zu mir gekommen wäre und gesagt hätte: ‚Alphonse, in einer Viertelstunde wirst du Jesus Christus, deinen Gott und deinen Erlöser, anbeten, du wirst dich in einer armen Kirche niederwerfen, du wirst dir vor einem Priester an die Brust klopfen, wirst in einem Jesuitenkloster den Karneval verbringen, um dich auf die Taufe vorzubereiten, bereit, dich für den katholischen Glauben zu opfern; und du wirst der Welt entsagen, ihrem Prunk, ihren Vergnügungen, deinem Vermögen, deinen Hoffnungen, deiner Zukunft; … und du wirst nichts anderes mehr anstreben, als Jesus Christus zu folgen und Sein Kreuz bis zum Tod zu tragen! …‘. Ich sage, wenn irgendein Prophet mir eine solche Vorhersage gemacht hätte, hätte ich nur einen Menschen für noch törichter gehalten als ihn: den Menschen, der eine solche Torheit für möglich gehalten hätte! Und doch ist es gerade diese Torheit, die heute meine Weisheit und mein Glück ausmacht.“
Genau das ist nämlich geschehen. „Die Kirche des heiligen Andreas“, erinnert sich Ratisbonne, „ist klein, arm und verlassen. Ich ging mechanisch dahin, schaute mich um, ohne einen Gedanken zu fassen; ich erinnere mich nur an einen schwarzen Hund, der vor mir auf und ab sprang… Sobald der Hund verschwand, verschwand die ganze Kirche, ich sah nichts mehr… oder besser gesagt, oh mein Gott, ich sah nur eines! Wie könnte ich davon sprechen? Oh nein, das menschliche Wort darf nicht versuchen, das Unaussprechliche auszudrücken; jede Beschreibung, so erhaben sie auch sein mag, wäre nur eine Entweihung der unaussprechlichen Wahrheit. Da lag ich nun, am Boden, in meinen Tränen gebadet, mein Herz war außer sich. […] Ich wußte nicht, wo ich war; ich wußte nicht, ob ich Alphonse oder jemand anderes war; ich fühlte eine so totale Veränderung, daß ich glaubte, ein anderes Ich zu sein … Die glühendste Freude strömte aus den Tiefen meiner Seele; ich fühlte etwas Feierliches und Heiliges in mir, das mich veranlaßte, einen Priester zu rufen … Ich wurde dorthin geführt, und erst nachdem ich den positiven Befehl erhalten hatte, sprach ich darüber, so gut ich konnte, auf meinen Knien und mit zitterndem Herzen.“
„Alles, was ich sagen kann, ist, daß im Augenblick des Ereignisses die Augenbinde von meinen Augen fiel; nicht eine einzige, sondern die Gesamtheit der Binden, die mich umhüllt hatten, verschwanden schnell eine nach der anderen, wie Schnee und Schlamm und Eis unter der Einwirkung einer glühenden Sonne. Ich kam aus einem Grab, aus einem Abgrund der Finsternis, und ich war lebendig, vollkommen lebendig … Aber ich weinte! Ich sah auf dem Grund des Abgrunds das äußerste Elend, dem ich durch unendliche Barmherzigkeit entrissen worden war; ich erschauderte beim Anblick all meiner Missetaten, und ich war erstaunt, gerührt, in Bewunderung und Dankbarkeit versunken … Oh! wie viele steigen ruhig in diesen Abgrund hinab, mit geschlossenen Augen durch Stolz oder Nachlässigkeit! Sie steigen hinab und versinken lebendig in schrecklicher Finsternis!“
„Ich kann diesen Wandel nur mit dem Bild eines Menschen erklären, der aus einem tiefen Schlaf erwacht, oder mit dem eines geborenen Blinden, der auf einmal das Licht sieht; er sieht, kann aber das Licht nicht definieren, das ihn erleuchtet und in dem er die Objekte seiner Bewunderung betrachtet.“
Als sich die Nachricht in Rom verbreitete, ließ Papst Gregor XVI. eine gründliche Untersuchung durchführen, die das wundersame Ereignis bestätigte. Ratisbonne wurde am 31. Januar 1842 in der Kirche Gesù mit dem Namen Alphonse Maria getauft. Er wurde Priester und widmete sein Leben dem Apostolat unter den Juden.
In der Rue du Bac, in La Salette, in Lourdes und in Fatima wählte die Gottesmutter unschuldige Seelen aus, um ihre Botschaften in die Welt zu tragen. In Rom erschien die heilige Jungfrau Maria einem Sünder, der in seiner Person die moderne, ungläubige und in ihren Irrtümern verbohrte Welt zu repräsentieren scheint. Die Bekehrung von Ratisbonne war so vollkommen und augenblicklich wie die des heiligen Paulus, aber die Gottesmutter wollte, daß sie von kleinen Gesten begleitet wird: die Annahme der Wundertätigen Medaille, das Aufsagen des Memorare, die eindringlichen Gebete der Freunde.
Nichts ist für die Gottesmutter, die königliche Spenderin der Gnaden, unmöglich, wenn sie von glühenden und frommen Herzen angerufen wird. Bitten wir also die Königin des Himmels und der Erde, daß sie erneut ihre Macht und Barmherzigkeit offenbart. So wie sie den Juden Ratisbonne bekehrte und in seinem Herzen regierte, so möge sie auch in unseren Tagen die Bekehrung der Welt, den Triumph des Unbefleckten Herzens, die Errichtung der Herrschaft Mariens über die Seelen und die Gesellschaft gewähren.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
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