Im zweiten Teil der Artikelserie über das Priestertum befasst sich unser Autor Vigilius mit der Zölibatsfrage. Er enttarnt das verborgene Ressentiment der Zölibatsgegner und begründet den Zölibat als Funktion am priesterlichen Amt – und das heißt am Amt Christi, der selbst den übernatürlichen Lebenszusammenhang von Gott und menschlicher Kreatur hervorbringt.
Von Vigilius*
Der Zölibat Christi
In seiner „Einführung in das Christentum“ bemerkt der junge Josef Ratzinger zum Satz des Glaubensbekenntnisses „empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau“: „Die Gottessohnschaft Jesu beruht … nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft … ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum; kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit: Gott ist immer Vater, Sohn und Geist; die Empfängnis Jesu bedeutet nicht, dass ein neuer Gott-Sohn entsteht, sondern dass Gott als Sohn … selber Mensch ist.“1 Diese Aussage Ratzingers ist ebenso unspektakulär wie irritierend. Unspektakulär ist sie, weil die Person des göttlichen Logos natürlich nur durch die erste Person der Gottheit konstituiert werden kann; die göttlichen Personen sind ja nichts anderes als „relationes subsistentes“ (Thomas von Aquin), also ihr ewiges wechselseitiges Bezogensein. Wäre Josef der Vater des Menschen Jesus, würde das am Logos-Sein Jesu nichts ändern können. Irritierend ist das Hervorheben dieser Selbstverständlichkeit aber deswegen, weil man dies in Ratzingers thematischem Kontext als die Insinuation verstehen kann, dass es keine theologische Relevanz der Rede von der biologischen Jungfräulichkeit Mariens gebe, die getrost als bloße Metapher für den Neuanfang des Heiles durch Gottes Handeln dechiffriert werden dürfe. Genau so wird die fragliche Rede in der modernen Theologie gewöhnlicherweise interpretiert, und man wird nicht fehlgehen, wenn man Ratzinger zu diesem Zeitpunkt als deren Parteigänger betrachtet.
Die Schlussfolgerung, die biologische Jungfräulichkeit Mariens sei aufgrund des ontologischen Datums theologisch überhaupt irrelevant, wäre jedoch falsch. Deren Relevanz liegt nur auf einer anderen Ebene als der trinitätstheologische Satz und kann deswegen durch diesen Satz auch unmittelbar überhaupt nicht disqualifiziert werden. Es ist vielmehr umgekehrt: Die Aussage über die biologische Jungfräulichkeit bezieht sich präzise auf den trinitätstheologischen Sachverhalt, und zwar insofern, als sie ihn gerade zur Geltung bringen will. Diese Beziehung ist eine der Entsprechung, die schon von Platon als das „schönste aller Bänder“ bezeichnet wurde. Dass der alleinige Vater der Person des Logos Gott selber ist, bringt die auf die Menschwerdung des Logos bezogene irdische Vaterlosigkeit Jesu nämlich angemessenerweise zur Geltung. In Jesus Christus gibt es ja keine zwei Personen, eine göttliche und eine menschliche. Christus ist vielmehr die vom ewigen Vater immerfort ausgehende göttliche Person, die ihrer göttlichen Natur nun auch noch „unvermischt und ungetrennt“ die menschliche hinzufügt. Ein irdischer Vater Jesu würde dieses Gefüge zwar ontologisch nicht zerstören, es aber doch auf der Offenbarungsebene, das heißt: dem Erscheinen des göttlichen Vaters im Menschsein der Person seines ewigen Logos, verdunkeln. Demgegenüber ist die für die Menschheit stellvertretende freie Gabe des Menschseins an den Logos durch die Gottesmutter für das Ereignis schlechterdings konstitutiv. In ihr empfängt die Schöpfung ihren Herrn und lässt ihn Mensch sein.
Ich habe diese Frage deswegen kurz erörtert, weil die Struktur der Argumentation Ratzingers in der Zölibatsdiskussion wieder auftaucht. Es gehört zum festen rhetorischen Repertoire der Zölibatsgegner, an dieser einen Stelle mal wieder die metaphysische Substanzontologie zu bemühen und darauf hinzuweisen, dass der Zölibat für das sakramentale Priestersein ontologisch nicht konstitutiv sei. Das stimmt. Wie im obigen Falle folgt aus der ontologischen Indifferenz aber keineswegs die komplette Beliebigkeit des Zölibates. Vielmehr haben wir es hier wiederum mit zwei unterschiedlichen Satzebenen zu tun, und zwar in präziser Analogie zur Frage des Vaters Jesu. Denn erneut ist das Argument eines der Angemessenheit, das heißt der existentiellen Entsprechung zur ontologischen Bestimmung des Priestertums.
Nun liegt es in der Natur der Bestimmung von Angemessenheiten, dass solche Verhältnisse nicht a priori trennscharf zu machen sind. Ausweisbar ist indes, dass der Zölibat als Verzicht auf Ehe und Familiengründung für den Priester geradezu die existentielle Entsprechung zur theologischen Bestimmung seines Amtes schlechthin ist. Unter der Entsprechungsrücksicht würde das Weiheamt substantiell Schaden nehmen, wenn der Zölibat mit dem Amt nicht verbindlich verknüpft wäre. Um dies zu plausibilisieren, spielen die von Ratzinger erwähnten trinitätstheologischen und christologischen Motive die entscheidende Rolle. Schauen wir sie zunächst noch einmal an.
Die ontologische Grundbestimmung Jesu Christi besteht darin, dass er als Person der ewige Logos des göttlichen Vaters ist. Der Vater spricht seine Gottheit in diesem Wort aus, so dass der Logos die vollständige Selbstmitteilung des Vaters ist. Und weil zur Vollkommenheit des Vaters das Personsein, also seine einmalige Habe der göttlichen Natur gehört, muss der Logos, in dem sich der Vater in seiner Vollkommenheit aussagt, selber wieder eine Person sein. Der Logos könnte nicht das wesensgleiche Abbild des Vaters sein, wenn er nicht die Selbstmitteilung des Vaters wiederum personal zu eigen haben würde, um die empfangene göttliche Natur dem Vater zurückschenken zu können. Darum nennen wir den Logos auch den ewigen „Sohn“ – wie wir überhaupt die erste, sich aussagende Person der Gottheit auch nur im Blick auf den Sohn als „Vater“ bezeichnen.
Wenn nun der ewige Sohn Mensch wird, besitzt er die menschliche Natur, um sie in seine ewige Beziehung zum Vater aufzunehmen. Zugleich wird der Vater für uns allererst in Christus zugänglich, sofern der Sohn, darin den Vater verherrlichend, um unserer Rettung willen zum Sühnopfer wird. Dies ist das „Christusamt“, von dem der schon zitierte Karl Barth spricht. Es gibt, wie Barth richtig sagt, „keine neutrale Menschlichkeit Jesu“. Jesus ist der Christus, der keine andere Sendung besitzt als in sich selber den gottverherrlichenden übernatürlichen Lebenszusammenhang von Gott und Kreatur hervorzubringen. Genau um dieser Hervorbringung willen sendet der Vater seinen Logos in die Welt. Diesem Willen ist der Sohn gehorsam; er lässt sich als Fortführung seines ewigen Verhältnisses zum Vater von diesem in den Opfertod geben. Es gibt für Jesus keine andere zugleich ontologische und existentielle Dimension neben dieser Sendung: „Meine Speise ist es, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe.“ (Joh 4, 34)
Vor diesem Hintergrund wird es einsichtig, dass Jesus als der Christus keine Ehe eingegangen ist und keine leiblichen Kinder hatte. Wiederum wird man zunächst mit Ratzinger konstatieren dürfen, dass eine Ehe weder das ewige Logossein der Person Christi ontologisch tangiert noch Kinder produziert hätte, die Götter wären. Auch geht es hier nicht um sittliche Fragen, denn Ehe und Familie sind Güter, in denen sich der göttliche Schöpfungswille selber manifestiert. Das wird von Jesus ausdrücklich affirmiert. Der Grund für den Zölibat Christi liegt also weder auf der Ebene ontologischer noch moralischer Prinzipien, sondern allein auf derjenigen der Angemessenheit, die mit seinem spezifischen Amt zusammenhängt.
Es ist dieses Amt der Begründung eines nicht mehr aus der Kraft der Natur, sondern nur in der Gnade entstehenden Verwandtschaftsverhältnisses, das den Grund sowohl für die biologische Jungfräulichkeit der Gottesmutter, deren Kind „nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren“ ist (Joh 1, 13), als auch für die Ehelosigkeit und sexuelle Enthaltsamkeit Christi selber bildet. Anders als die eingangs erwähnte verwässernde Reduktion auf die Ebene bloßer Metaphorik, die die moderne Theologie aus Feigheit vor dem naturwissenschaftlichen Weltbild liebt, bringt gerade die biologische Dimension den geistigen Sachverhalt am entschiedensten zur Geltung. Wie der menschgewordene Logos keinen menschlichen Vater besitzt, wird er auch selber kein Ehemann und Vater, denn er wird für uns in der Weise zum Erzeuger, dass wir in ihm als dem Sohn schlechthin auf analoge Weise ebenso zu Söhnen Gottes werden. Für ihn, der als Mensch mit diesem Werk identisch ist, ist es sinnwidrig, auch noch leibliche Kinder zu zeugen. Dass es heilstheologisch ausschließlich auf diesen unableitbaren Gnadenzusammenhang ankommt, wird allein durch den Zölibat des Herrn auf eine existentiell adäquate Weise reflektiert.
Indienstnahme
Ein entschiedener Befürworter des zölibatären Lebens war Papst Johannes Paul II. In vielzähligen Texten hat sich der Papst zu dieser Frage geäußert und hätte Jorge Bergoglios – praktisch zunächst missglücktes – Ansinnen sicher vehement zurückgewiesen, den verpflichtenden Zölibat abzuschaffen. Wojtylas Begriff des Zölibates wirft meines Erachtens aber eine Schwierigkeit auf, die sich bei genauerer Betrachtung als ein Anwendungsfall der vielleicht sogar zentralen Problematik des gesamten Wojtyla-Pontifikates darstellt. Karol Wojtyla denkt nämlich von seiner philosophischen, das heißt: personalistischen Herkunft her subjektphilosophisch und anthropologisch. Und das wirkt sich wie auf alle anderen religiös-kirchlichen Dimensionen (etwa die Liturgie) auch auf das Verständnis des priesterlichen Zölibates aus. Die Vorbehalte, die traditionelle Katholiken nahezu instantan gegen Wojtyla hegen, hängen mit diesem anthropologischen Ansatz zusammen.
Es gibt eine instruktive Studie von Martin Mayer zu Wojtylas Zölibatsverständnis, deren Titel bereits erhellend ist: „Zölibat als Weg personaler Selbstverwirklichung. Die Sicht des Zölibates bei Johannes Paul II. / Karol Wojtyła und dessen anthropologisch-spirituellen Grundlagen“.2 Der Autor arbeitet hier heraus, dass Wojtyla den Zölibat als eine Funktion an der Reifung und Beziehungsfähigkeit der Person konzipiert. Der Zölibat ist ein Mittel, das die Person befähigen soll, die ursprüngliche Sinnrichtung der Sexualität zu realisieren, nämlich die Hingabe an eine andere Person. Mit dieser Begründungsarchitektur erhofft sich Wojtyla, dem modernen Menschen wieder den Sinn des Zölibates vermitteln zu können.
Das Problem dieser moralpsychologischen Wesensbestimmung des zölibatären Lebens besteht meines Erachtens nicht darin, dass sie den phänomenologisch möglicherweise konstatierbaren anthropologischen und subjektiv-spirituellen Effekt falsch beschreiben würde. Die Schwierigkeit ist vielmehr, dass Woityla diesen Effekt zum Motiv des Zölibates macht. Damit wird die Beschreibung zu einer anthropozentrischen, und das heißt: zu einer subjekttheoretisch eingefassten Begründung. Das entspricht der modernen Subjektivität in der Tat. Denn es ist diese Subjektivität, die, um mit Martin Heidegger zu sprechen, alles von sich her und auf sich hin-stellt und damit den normativen Bezirk umreißt, in dem sich die Dinge überhaupt nur zeigen dürfen und als seiend gelten können. Wahrheitstheoretisch heißt das, dass nur noch solche Positionen den Status rationaler und affektiver Plausibilität erlangen können, die in diesem Bezirk situierbar sind.
Ich möchte an dieser Stelle die innere Problematik der neuzeitlichen Wende zum Subjekt, die sich auch bei Karol Wojtyla konstatieren lässt, philosophisch nicht näher erörtern. Erwähnt habe ich den Wojtyla-Ansatz nur deswegen, weil er der letzte prominente Versuch ist, den Zölibat zu begründen, ohne dass es meines Erachtens dieser Begründung gelingen kann, die priesterliche Ehelosigkeit angemessen zu formulieren. Genau betrachtet muss die personalistische Perspektive den Sinn des Zölibates sogar systematisch verfehlen. Und als solche ist sie eine heuristisch nützliche Kontrastfolie, um die Pointe des Zölibates sichtbar werden zu lassen.
Der Begründungsansatz des Zölibates ist nämlich gerade kein anthropologischer und daher auch kein persönlich-spiritueller, weil die Ehe- und Kinderlosigkeit des Priesters ein Erfordernis des Amtes darstellt. Der Priester steht nicht unter der Verpflichtung der zölibatären Lebensform, um so zu seiner menschlichen Fülle zu gelangen, sondern deswegen, weil diese Lebensform die existentielle Sichtbarwerdung des objektiven Gehaltes des Priestertums als der sakramentalen Selbstvergegenwärtigung Christi und seines Opfers ist. Pointierter ausgedrückt: Der priesterliche Zölibat ist keine anthropologische, sondern eine rituelle Funktion. Er ist wesenhaft ein Moment an der Messliturgie, und von hierher ebenso eine Funktion am Hirte- und Lehrersein des Priesters. Der zölibatäre Verzicht ist ein dem Opfer geschuldetes Opfer. Dass Wojtyla gerade dafür kein Verständnis hatte, kommt eben aus seinem Personalismus, der zu jener Sphäre keinen Zugang findet, die Hegel den „objektiven Geist“ nennt.
Genau die genannte Bestimmung des Zölibates ergibt sich jedoch aus den vorherigen Beschreibungen der Wesensbestimmungen des vom Opfer her definierten „Christusamtes“, der Messe, des Priestertums und der Kirche im ganzen. Denn der Priester ist als Sacerdos der sich durch den Heiligen Geist sakramental selber vermittelnde Christus, der sein Opfer, das in der göttlichen Ewigkeit im verklärten Modus immerwährende Aktualität besitzt, im kirchlichen Kultus vergegenwärtigt. Er vergegenwärtigt sich und sein Opfer, um darin seinen mystischen Leib, die übernatürliche Gemeinschaft der Gläubigen mit ihm zu realisieren. Die reale Weise unseres Einbezugs in dieses durch das Kreuzesopfer ermöglichte neue „Verwandtschaftsverhältnis“ ist die durch die Taufe eröffnete Teilnahme an der Liturgie des Lammes, das bereits unter irdischen Bedingungen zu unserem Leben in Gott werden will. Weil sich aber dieser Vermittlungsvorgang durch den Priester vollzieht, der, wie es im klassischen Sprachgebrauch hieß, kraft seiner sakramentalen Rolle zum geistlichen Vater der Gläubigen wird, entspricht es dem Sein des Priesters zuhöchst, präzise aus eben dem Grund zölibatär zu leben, aus dem Christus selbst zölibatär lebte. Auch der priesterliche Zölibat bezeugt, dass das Heil des Menschen ausschließlich das Sohnwerden im ewigen Sohn ist, und dass dies aus dem Opfer des Sohnes und „nicht aus dem Willen des Fleisches“ hervorgebracht wird. Zerfällt dieser sich aus dem Prinzip des Opfers Christi und dessen kirchlicher Selbstvergegenwärtigung begründende Zusammenhang, zerfällt unumgänglich der katholische Begriff des Priestertums. Und ohne diesen Begriff ist der priesterliche Zölibat in der Tat völlig unplausibel, ebenso unplausibel, wie es der verpflichtende Zölibat des protestantischen Pfarrers wäre.
Mit der Bestimmung des Zölibates als einer Funktion am Ritus stelle ich nicht in Abrede, dass der Zölibat vom Priester in dessen persönlicher Spiritualität eingeholt werden muss und kann. Er holt ihn aber nur dadurch ein, dass er seinen Zölibat als ein Erfordernis seines Amtes bejaht. Das kann ihm nur gelingen, wenn er seinem Amt dienen will, und das wird ihm nur gelingen, wenn er dieses Amt liebt. Das unterscheidet die Struktur des geistlichen Lebens eines Priesters von der Spiritualität der Ordensleute. Für Mönche ist es prinzipiell gleichgültig, ob sie Priester sind oder nicht, und die Frage ihrer Ehelosigkeit wird von der Amtsdimension überhaupt nicht berührt. Der Priester ist hingegen nicht eigens zum Zölibat, sondern zum Priestertum berufen. Ähnlich wie die Leviten wird er zu einem unvergleichlich heiligen Dienst auserwählt, den er ausüben kann, weil er mit dem „character indelebilis“ der hohepriesterlichen Gewalt Christi selber gezeichnet wird. Durch den Priester wird das Opferlamm auf den Altären der Kirche gegenwärtig und erschließt sich den Gläubigen die Gemeinschaft mit dem trinitarischen Gott, und deswegen muss der Priester – wie Christus selber – seine Menschlichkeit diesem Amt komplett zur Verfügung stellen. Soll es also Priester geben, die den Zölibat aufrichtig bejahen, müsste die Kirche zum Verständnis der Messe als Opferhandlung und zu einem Ritus zurückkehren, in dem das Wesen der Messe unverstellt sichtbar wird.
Die Erwählung zum Priestertum ist eine Art von göttlichem Verhängnis. Was kann die oft vernehmbare Klage hier schon bedeuten, dass der mit dem Amt gegebene Ehe- und Familienverzicht „unzumutbar“ sei? Wenn die Gottheit kommt und über uns verfügt, fragt sie nicht, ob wir ihre Zumutungen für zumutbar halten. Wir sind Gottes Besitz: „Ist nicht der Töpfer Herr über den Ton?“ (Röm 9, 21) Dass der sich in die Verfügung fügende Priester in Wojtylas Sinne personal „selbst verwirklicht“, wird man vermuten dürfen. Das wird für ihn jedoch nur ein nicht-intendierter Nebeneffekt sein: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur getan, was wir zu tun schuldig waren.“ (Lk 17, 10) Und nur der, der spricht wie geheißen, wird dann hören: „Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn.“ (Mt 25, 21)
Der Zölibat und der spätmoderne Sexualitätsdiskurs
Aufgrund des emanzipatorischen Charakters der modernen Subjektivität müssen institutionell auferlegte, mittlerweile aber selbst biologisch bedingte Limitationen der sexuellen Selbstbestimmung als überwindungsbedürftige Repressionen erscheinen. Zu diesem formalen Aspekt kommt der inhaltliche hinzu, dass nun gerade die Sphäre der Sexualität, und zwar jenseits des Reproduktionszusammenhanges, als ein vorzüglicher Raum der individuellen Selbstverwirklichung und Sinnerfüllung betrachtet wird. In diesem Raum ist die vorgebliche Selbstbestimmung zwar weitgehend durch die hintergründigen Systemimperative des modernen Weltunterwerfungsbetriebs kolonialisiert, aber es gehört zu den systemfunktional offenbar besonders bedeutenden Illusionsbildungen, dass der Mensch ohne sexuelle Betätigungen kein gutes Leben führen könne. Es ist tief in die spätmodernen Subjekte eingedrungen, dass sie ihre Autonomie gerade entlang der Systemimperative finden, die sich durch einen gigantischen Manipulationsapparat in die Gehirne eingefressen haben.
Aus diesem Grunde gilt das Institut des Zölibates als krank und krankmachend, weil die sexuelle Enthaltsamkeit per se als selbstentfaltungsfeindlich gilt. Genau diese Einschätzung ist von der Systempropaganda intendiert, und sie hat auch für die Perspektive, die die Priester selber auf ihren Zölibat einnehmen, effiziente Arbeit geleistet. Die disziplinierende Zurichtung der Körper und Vermachtung der Einzelnen, von denen Michel Foucaults Analytiken der modernen Gesellschaften handeln, feiert ihre größten Triumphe gerade dort, wo die Suggestion perfekt geworden ist, es handele sich um Reklamationen unversehrter Individualität und Freiheitsspielräume. Dies bedeutet, dass die für die Massen mittlerweile unhinterfragt selbstverständliche Position zur Sexualität gegenteilig zur philanthropischen Rhetorik von der Herrschaftsrationalität der entfalteten Moderne als vielleicht sogar zentrales Standardisierungsinstrument benutzt wird.
Dass es in Wahrheit im spätmodernen Sexualitätsdiskurs vorrangig um die Erzeugung des allseits manipulierbaren Massenmenschen geht, sieht man besonders markant bei der frühkindlichen Sexualisierung in den Medien und staatlichen Institutionen. Eigentliches Ziel ist hier die Verhinderung der Entwicklung des Schambewusstseins. Die Scham ist nämlich eine Reklamation unveräußerlicher Privatheit, sie bildet das Arcanum der moralischen Personalität, und dessen Auflösung beabsichtigt eine Reduktion des Menschen auf die Ebene bloß animalischer Vollzüge eines sich selbst als Kollektivwesen begreifenden Individuums. Die Versessenheit der Macht auf die totale sexuelle Freizügigkeit erklärt sich nur durch die Absicht, den Menschen bedingungslos zu veröffentlichen, ihm die Urimpulse des seelischen Selbstschutzes zu nehmen und so widerstandslose und ausbeutbare Massenpunkte zu erzeugen. In der Sexualität geschieht genau das, was mit dem Menschen im digitalen Kosmos passiert. Der „letzte Mensch“ Nietzsches, der überall herumhüpfende „Erdfloh“, ist der durchdigitalisierte und durchsexualisierte, dadurch umfassend kontrollierbare und nahezu beliebig modellierbare Plastikmensch der späten Moderne.
Der Zölibat verstößt also letztlich gegen das unter dem Schein seines Gegenteils auftretende Prinzip des vermachteten Massenmenschen, das kulturell und strukturell umfassend implementiert worden ist. Es ist in diesem Horizont nachgerade unverschämt, dass sich eine Klasse von Menschen das Recht herausnimmt, sich nicht als Kollektivwesen mit unumgänglichen Triebbefriedigungspraxen zu begreifen. Das heißt: Dieses Widerstandsmotiv gegen den Zölibat ist in Wahrheit ein ressentimenthaftes. Es beklagt den fehlenden Willen zur Egalitarisierung, zur Verweigerung, sich der Normalität zu unterwerfen, und wertet diese Verweigerung als elitären Dünkel, der allerdings nicht als ein solcher benannt werden darf, sondern mittels der moralischen und biopolitischen Normalisierungskategorien des spätmodernen Bewusstseins verächtlich gemacht wird.
Was in diesem Zusammenhang allerdings erklärt werden muss, ist der auffällige Umstand, dass der priesterliche Zölibat stärker angegriffen wird als die ehelose Lebensform der Ordensleute. Davon darf man sich jedoch nicht blenden lassen. Denn die Ehelosigkeit der Mönche ist nur insofern an das moderne Bewusstsein anschlussfähiger als der mit dem Amt verbundene Zölibat, als sie, wenn auch mit der Hermeneutik der Gewalt, als eine rein individuell begründete exotische Lebensstilvariante rekonstruierbar ist. Michel Foucaults Referenzen auf die aszetischen Praxen der philosophischen und religiösen Traditionen haben hier signifikanten Charakter. Diese Praxen werden von ihm nämlich aus deren ursprünglichem Selbstverständnis herausgelöst und als Funktionen an der Selbstinszenierung des Subjekts rekonstruiert. Das Subjektivitätsparadigma taucht hier also wieder auf, und es hat sich im Vergleich zur Wojtyla’schen „Selbstverwirklichung“ radikalisiert. Denn für die dekonstruktivistische Perspektive, die keine menschliche „Natur“ mehr kennt, geht es in spätmarxistischer Manier um die komplette Selbsterfindung des Menschen. Der Mensch ist als theatralisches Subjekt eine spezifische Weise eines sich selbst organisierenden materiellen Agglomerates; es wird nicht etwas verwirklicht, was vorher unentfaltet schon vorhanden war. Es gibt keine Wahrheit der Dinge und also, worauf Foucault größten Wert legt, auch keine „Wahrheit im Geschlecht“. Die Inszenierung ist die Sache selbst. Und letztlich dienen die aszetischen Praxen als diätetische Klugheitsmittel nur der Steigerung der Lüste innerhalb dieses Agglomerates.
Wie sehr diese Perspektive auch innerhalb der Kirche zum Verständnisprinzip der traditionellen aszetischen Praxen geworden ist, verrät der vollständige Schwund der alten kirchlichen Position, das Ordensleben bilde den „Stand der Vollkommenheit“. Ebenso wenig wie mit dem philosophischen Ansatz Foucaults ist diese objektivierende Auffassung mit der liberalen Theologie vereinbar. Denn die Formulierung verstößt sowohl gegen das Gesetz der Gleichheit aller als auch gegen die Überzeugung, dass die Lust in all ihren bunten Spielarten die höchste menschliche Erfüllung sei, von der her auch der partielle Verzicht allererst seinen guten Sinn erlange. Hier scheint es bemerkenswerterweise doch noch so etwas wie eine Ordnung der Dinge zu geben. Schließlich kämpft die liberale Front seit Langem in der Nachfolge Rousseaus und unter Referenz auf jeweils allerneueste „humanwissenschaftliche Erkenntnisse“ dafür, das kirchliche Sexualitätsverständnis aus seinem vorgeblichen augustinischen Ghetto zu befreien und in der Kirche eine neue Kultur der „Unverkrampftheit“ zu etablieren. Vorläufiger Höhepunkt dieses Projektes „unverkrampft werden!“ sind die einschlägigen Texte des deutschen Synodalen Weges. Aber die alte Vollkommenheitsidee ist auch bei den heutigen Ordensleuten selber Schnee von gestern. Für gewöhnlich legen sie großen Wert darauf, nicht mehr distinguiert zu sein, sondern sich als bescheidene Pilger auf dem Weg der Reifung zu größerer Beziehungs- und Lustfähigkeit zu begreifen. Wir sind doch alle gleich.
Die alten Schlachtschiffe für einen unverkrampften Umgang mit den heilenden Mächten der „Berührung, Sinnlichkeit, Sexualität“3 wie Claudia Lücking-Michel vom sogenannten Zentralkomitee der deutschen Katholiken erfreuen sich mittlerweile einer immer unverkrampfteren öffentlichen Assistenz von Seiten des Episkopates. Nachdem es vor einigen Jahren einen Unverkrampftheitsdurchbruch gab, als der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff bei einem Treffen mit den deutschen Bischöfen den Alleinstehenden die Masturbation als eine eigenständige Variante des Selbstgenusses anempfohlen hatte4, meldeten sich in der Folgezeit immer wieder an ihrer Unverkrampftheit arbeitende Bischöfe in lustaffirmativer Absicht zu Wort. So jüngst auch der aus dem Opus Dei stammende Churer Bischof Joseph Bonnemain in einem Interview mit der Schweizer Online-Plattform „Blick“.5 In diesem Interview „Joseph Bonnemain offen wie nie“ bekannte der 76jährige: „Sex ist das größte Geschenk Gottes an uns Menschen.“ Für den Herrn Bischof ist also das größte göttliche Geschenk an uns nicht, durch die Gnade Christi die übernatürliche Lebenseinheit mit Gott selber zu erhalten, sondern dass wir Sex miteinander haben können. Die Plattform kündigte übrigens an, dass Bischof Bonnemain telefonisch einen „heissen Draht“ anbieten würde; was Sie immer schon fragen wollten, aber nicht zu fragen wagten, kann jetzt tabulos erörtert werden. Einen solchen heißen Draht könnte man sich mit dem sympathischen Bischof von Limburg, Georg Bätzing, auch gut vorstellen. Oder mit Reinhard Marx, dem sympathischen Kardinal aus München. Schließlich können Bischof Bonnemains begeisterte Einlassungen zum Sex auch für diese beiden Herren als repräsentativ gelten. Denkt man in diesem Zusammenhang auch noch an die Forschungen Kardinal Tuchos zur Orgasmusmystik, darf man mit Fug und Recht behaupten, dass Michel Foucaults Apotheose der Lüste nunmehr im katholischen Episkopat ganz zu sich selbst kommt.6
Gilt Sex jetzt als die größte aller Gaben, kann die sexuelle Enthaltsamkeit logisch bestenfalls ein Präludium darstellen. Deshalb ist es nur konsequent, dass diese Praxis dann verschwindet, wenn sie als dysfunktional empfunden wird oder im Blick auf ihre Effekte durch plausiblere funktionale Äquivalente ersetzt werden kann. Wenn es jemandem irgendwann plausibler erscheint, durch intime Beziehungen „zu reifen“, oder er sich als ein anderes Kunstwerk besser gefällt und meint, als Vorbereitung des Genusses der größten aller Gaben jetzt genug gehungert zu haben, wird er seine Lebensstile entsprechend modifizieren und die Veränderungen möglicherwiese sogar damit begründen, dass der menschenfreundliche Gott ihn nun einen anderen Weg zur persönlichen Selbstverwirklichung führe.
Der Gleiche darf nicht ungleich sein
Einer vorbehaltlichen Duldung erfreut sich der Zölibat allerdings nicht. Denn der Zölibat ist die Lebensform von Menschen, die als amtliche Repräsentanten der Kirche ehelos sind. Dass dieses Modell in seinem Ansatz nicht einmal mit hermeneutischer Gewalt als individuelle Lebensentwurfvariante interpretierbar ist, verstehen die Zölibatsgegner sogar besser als Wojtyla. Der priesterliche Zölibat impliziert nämlich zweierlei. Erstens bildet die Verknüpfung von Zölibat und Amt offensichtlich eine ganz andere Dimension der Segregation als das Ordensleben, denn wir haben es hier mit einem institutionell diskriminierenden Komplex zu tun, der zudem erhebliche machtpolitische Folgen hat. Zweitens verleiht die Verknüpfung des Zölibates mit dem Amt nicht nur der sexuellen Enthaltsamkeit eine Prominenz, die der als Privatvergnügen rekonstruierte mönchische Lebensentwurf nicht produzieren kann, sondern das Amt muss, wenn es mit der sexuellen Enthaltsamkeit verbindlich verküpft wird, etwas Großes sein. Hier liegt, so scheint mir, der sogar entscheidende Grund für den Hass auf den Zölibat. Dieser Grund ist komplementär zur geschilderten Diskreditierung durch den heutigen Sexualitätsdiskurs und besitzt ebenfalls Ressentimentcharakter.
Der Philosoph Max Scheler hat in seinem bedeutenden Aufsatz „Das Ressentiment im Aufbau der Moralen“ darauf hingewiesen, dass „die ungeheure Explosion von Ressentiment in der Französischen Revolution gegen den Adel und alles, was mit ihm an Lebensstil zusammenhing … undenkbar gewesen (wäre), wenn nicht dieser Adel selbst … mit bürgerlicher Rotüre, die sich mit dem Kaufe der adeligen Güter auch der Titel und Namen ihrer Besitzer bemächtigte, durchsetzt und durch Geldheiraten blutsmäßig zersetzt gewesen wäre. Erst das neue Gleichgefühl der Empörer gegen die herrschende Schicht gab auch diesem Ressentiment seine Schärfe.“7 Das heißt: Nur weil sich die bürgerliche Schicht den Adel ohnehin schon einverleibt und der Adel seine vormalige Distinguität faktisch verloren hatte, konnte sich nun die Empörung darüber entwickeln, dass es innerhalb dieser bereits errungenen Gleichheit noch eine nun nicht mehr ausweisbare politische Privilegierung des Adels gab. Diese Sonderstellung firmierte jetzt als sachlich ungerechter Dünkel einer Klasse von Menschen, die objektiv eigentlich gar nicht mehr existierte und lediglich an der Illusion ihres spezifischen Seins anmaßenderweise festhielt.
Bei der spätmodernen Revolte gegen das zölibatäre Priestertum können wir einen vergleichbaren Mechanismus feststellen. Das Weiheamt ist faktisch seiner einstmaligen spezifischen Prädikate seit geraumer Zeit schon gründlich beraubt worden: Weder gibt es für das moderne theologische Bewusstsein, das die metaphysische Ontologie längst hinter sich gelassen hat, einen durch einen Weiheakt konstituierten „character indelebilis“ noch existiert das Kreuz als Opferhandlung und die Messe als Vergegenwärtigungsereignis dieses Opfers. Weil dieser gesamte Kosmos zusammengebrochen ist, kann es auch den Priester in seinem klassischen dogmatischen Verständnis als der von mir skizzierte Sacerdos nicht mehr geben. Die Revolte richtet sich also nicht gegen eine Sache, die man zwar auslöschen will, von der man jedoch annimmt, dass sie – noch – tatsächlich gemäß ihres Selbstbegriffs existiert. Das Revolutionsverständnis ist hier vielmehr das lutherische, also eines der Re-form: Die Sache existiert gar nicht so, wie sie sich selber versteht, sondern sie ist nur in der eigentümlichen Form einer allerdings sehr wirksamen Illusion. Reformation heißt darum, diese Illusion durch Aufklärungsarbeit und, wenn nötig, mit gewissen praktischen Mitteln zum Verschwinden zu bringen und der Wahrheit erneut die Ehre zu geben. Und die Wahrheit ist: „Die Taufe ist das Wichtigste“, es gibt nur das „allgemeine Priestertum“, ein davon ontologisch unterschiedenes Weiheamt gibt es gar nicht, die Messopferlehre ist „schlimme Abgötterei“, der sogenannte „Priester“ ist möglicherweise ein Gemeindevorsteher, als welcher prinzipiell aber jeder Christ fungieren kann, Sakramente – selbst die Taufe – sind an sich selber keineswegs heilsunumgängliche „Zeichen“ des Heils und die Eucharistie ist ein Gemeindemahl mit der Erinnerung an das uns zugesagte bedingungslose Verständnis Gottes für alles Menschliche.
Und weil die praktische Implementierung dieser Theologie in der katholischen Kirche schon sehr weit fortgeschritten ist, so weit, dass es etwa den deutschen Synodalen Weg überhaupt geben kann, ist das auf einen langen Umgestaltungsprozess der Kirche hin angelegte Projekt des bergoglianischen Synodalismus, in dem nun auch der Papst selber die sacerdotale Hierarchie verschwinden lassen will, nichts anderes als die letzte Konsequenz. Die soziale Sonderstellung einer klerikalen Kaste ist im Differenzlosigkeitsparadigma – „alle, alle, alle“ – ebensowenig mehr legitimierbar, wie es unter den von Scheler beschriebenen Bedingungen die politischen Privilegien des französischen Adels noch waren. Und ebenso wie in der französischen Revolution richtet sich heute die geifernde Wut auf die politisch sehr folgenreiche Reklamation der Idee eines Priestertums, das sich in dieser Lesart seine sacerdotale Identität verblendeter- und arroganterweise nur einbildet. Tatsächlich: Sein oder Nicht-sein, das ist hier die Frage.
Die Konsequenzen für den Zölibatsbegriff sind bemerkenswert. Denn der Zölibat gilt nunmehr nicht einfach nur als unplausibel. Er gilt, gerade weil er der Idee des Weiheamtes als der sakramentalen Selbstvergegenwärtigung des Hohepriesters Christus und dessen Opfer zuinnerst angemessen ist, als ein illegitimes Adelsprädikat, das als ein solches abgeschafft gehört. Das bedeutet nicht, dass der Zölibat an sich selbst wertgeschätzt würde. Er wird aber als ein bedeutendes kirchenpolitisches Datum eingeschätzt, und das ist er ja in der Tat. Das intime Entsprechungsverhältnis zwischen dem Sacerdos und dem Zölibat kann man kaum in Zweifel ziehen, es wird auch gar nicht in Zweifel gezogen. Wenn aber der Priester gar nicht das ist, was er lange Zeit zu sein vermeinte, dann darf er sich auch nicht mehr das Recht herausnehmen, als Priester zölibatär zu sein. Dann muss für die Gruppe der „Priester“ Genannten jener Lebensvollzug als Standard gelten, der für alle anderen der Standard ist. Weil also der Zölibat die effizienteste Repräsentanz der Idee der göttlichen Würde des Priestertums ist, richtet sich die priestertumsfeindliche Forderung präzise darauf, die verbindliche Verknüpfung von Zölibat und Amt aufzulösen. Der Zölibat soll zu einer je persönlichen Entscheidung des Priesters werden. Das ist taktisch geschickt, weil es prima facie so aussieht, als würde der Wert des zölibatären Lebens gar nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Das Gegenteil ist aber wahr. Wird der Zölibat auf die Ebene der Ehelosigkeit der Ordensleute depotenziert, hat er seinen wesensentscheidenden institutionellen Charakter verloren und wird zu einer spirituellen Privatangelegenheit. Und wenn man diese Priester dann auch noch intensiv genug therapiert, werden irgendwann alle einsehen, dass der alleinig sinnvolle Selbstverwirklichungsweg doch die queeren sexuellen Praxen sind, die vom Synodalen Weg im harmonischen Konzert mit allen anderen Stimmen aus dem nihilistischen Orkus gepriesen werden.
Ich erinnere mich gut an ein kleines Gespräch, das ich vor langer Zeit mit einer der damals in den USA radikalsten und prominentesten Vertreterinnen der feministischen Theologie führte. Dass es überhaupt zu diesem Gespräch kam, war nicht selbstverständlich, denn eigentlich redete die fragliche Dame nicht mit Männern. Ich hatte also Glück und konnte etwas aus ihr herauslocken, das ich gern herauslocken wollte. Auf meine Frage, ob sie gegen den priesterlichen Zölibat sei, weil ihr die einsamen jungen Priester leidtäten, antwortete sie: „Sie glauben doch hoffentlich nicht ernsthaft, dass mir die Priester leidtun. Der Zölibat muss weg, damit endlich diese sakrale Herrschaftsclique verschwinden kann.“ Sprach‘s, und verschwand selber. Warum, so fragte schon Nietzsche, gab Luther „dem Priester den Geschlechtsverkehr mit dem Weibe zurück“? Weil ihm, so Nietzsche, „vor allem als Mann aus dem Volke alle Erbschaft einer herrschenden Kaste abging … ‘Jedermann sein eigener Priester’ – hinter solchen Formeln versteckte sich bei Luther der abgründliche Hass auf den ‘höheren Menschen’ und die Herrschaft des ‘höheren Menschen’, wie ihn die Kirche concipiert hatte: – er zerschlug ein Ideal, das er nicht zu erreichen wusste, während er die Entartung dieses Ideals zu bekämpfen und zu verabscheuen schien.“8 Diese Intuition Nietzsches lässt sich reformulieren: Auch die heutigen Revolutionäre wollen „dem Priester den Geschlechtsverkehr mit dem Weibe“, jedenfalls den Geschlechtsverkehr zurückgeben, weil sie seine sakramentale Auszeichnung sowie die aus der Sacerdotalität kommende Herrschaftsgewalt als Anmaßung interpretieren und ihn als einen Gleichen unter Gleichen betrachten.
Aber die Tradition ist alt, und weil kein Elefant an einem Tag verwest, erwecken sie aus revolutionstaktischen Gründen oftmals noch die Illusion, als ginge es ihnen nur um die Beseitigung der Entartungen des Ideals. Der „Synodale Weg“ ist dafür das perfekte Beispiel. Aber in Wahrheit handelt es sich nach wie vor um den von Nietzsche sogenannten „Bauernaufstand des Geistes“, der in seinem Ressentiment den sacerdotalen Stand, der sich der lebensweltlichen Normalität entzieht, nicht ertragen kann. Und der liberale Geist kann ihn nicht mehr ertragen, weil er bereits die Messopferlehre als den articulus stantis et cadentis ecclesiae, die diesen Stand allein begründet, nicht ertragen kann. Die Sphäre des Heiligen ist ver-öffentlicht, man könnte auch sagen: demokratisiert worden, was sinnenfällig dadurch zum Ausdruck kommt, dass der Altarraum seine räumliche Abgrenzung verloren hat und der Altar selber durch einen allseits zugänglichen Mahltisch ersetzt wurde. „Aus unseren Kirchen ist das Mysterium entschwunden“, klagte der französische Dichter Julien Green im Blick auf die vom letzten Konzil entfesselten Entwicklungen. Und, so fügte er an, „es wird dorthin nie wieder zurückkehren“.
Hoffentlich wird Green mit dieser Prognose nicht Recht behalten. Die innere Fäulnis der Kirche hat jedoch ein Ausmaß erreicht, das nicht einmal die Zeitgenossen der Renaissance für möglich gehalten haben würden. Deswegen wird unweigerlich auch die Aufhebung des Zölibates im Zeichen des „neuen Gleichgefühls“ kommen, wenn die Macht der Ordinären nicht durch eine Konterrevolution rechtzeitig gestoppt werden kann. Sie müsste vor allem durch die jüngeren Priestergenerationen und jungen Christen geleistet werden, die etwa nach Chartres oder Vézelay pilgern, und sie wird eine erhebliche Opferbereitschaft erfordern. Denn deren Konservativität bereitet dem Establishment zunehmend große Sorgen. Noch haben die Funktionäre der Revolution alle Machtposten – von den Bischofsstühlen bis zu den Ausbildungsinstituten – besetzt. Sie verteidigen ihre Deutungshoheit zäh und sinnen auf immer bösartigere Mittel, sich die endgültige Herrschaft zu sichern. Und wenn sie nicht siegen können, werden sie versuchen, alles mit sich in den Untergang zu reißen. Es ist genau so, wie David Engels es beschreibt: Lieber zerbrechen sie ihr Spielzeug, als es in seiner traditionalen Form weiterzugeben.9 Immerhin scheint der Krieg nunmehr voll entbrannt zu sein. Es ist ein Krieg, der darüber entscheidet, ob der Bezirk des Heiligen erneut aufgespannt werden kann, in dem die Gottheit vielleicht wieder ihre Wohnstatt nehmen wird. Und dann käme auch der Priester nach Hause.
*Vigilius, deutscher Philosoph und Blogger: www.einsprueche.com
Bild: MiL/Einsprüche
1 Josef Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968, 225.
2 Erschienen in: Moraltheologische Studien. Neue Folge, Bd. 7, St Ottilien 2011.
3 https://www.kath.net/news/41086
4 https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2019/2019–038d-FVV-Lingen-Studientag-Vortrag-Prof.-Schockenhoff.pdf
5 https://www.blick.ch/news/joseph-bonnemain-offen-wie-nie-was-ist-aus-ihrer-jugendliebe-geworden-herr-bischof-id20394837.html
6 https://caminante-wanderer.blogspot.com/2024/01/se-descubre-un-nuevo-libro-oculto-del.html
7 Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, in: Vom Umsturz der Werte. Abhandlungen und Aufsätze, GW 3, Bern 1935, 34–147, 42 (Fußnote 2)
8 Die fröhliche Wissenschaft, Nr. 358.
9 https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/aus-aller-welt/die-wiedereroeffnung-von-notre-dame-als-kaleidoskop-des-21-jahrhunderts/
Tatsache ist, daß die Ostkirchen keinen Zölibat für Weltgeistliche kennen.ich glaube nicht, daß dort das Priestertum deswegen irgendwie „minderwertig“ ist.
Aber: zum gegenwärtigen Zeitpunkt, unter den jetzigen widrigen Umständen wäre eine Aufweichung des Zölibates keine Annäherung an die Ostkirchen, sondern ein weiterer Schritt zur Protestantisierung der Konzilskirche.
Die Ostkirche ist in puncto priesterlichen Zölibats defizitär wie auch in anderen Bereichen (etwa dem Ehesakrament). Sie weiß das, ist aber offenbar nicht imstande, diese zu korrigieren. Das Defizit und das Wissen zeigt sich daran, dass der Weltklerus zwar verheiratet sein darf, aber nur, wer schon vor den Weihen verheiratet ist. Die Weihen schließen also eine Eheschließung aus, verlangen ergo eigentlich den Zölibat. Daher wird der hohe Klerus ausnahmslos nur aus den Reihen der zölibatär lebenden Mönche gewählt. Auch hier zeigt sich wieder, dass man auch in der Ostkirche weiß, was eigentlich gefordert wäre, es aber in den unteren Rängen nicht durchgehalten hat.
Und noch ein Indiz: Die Gläubigen gehen, wenn sie beichten wollen, zu den zölibatär lebenden Mönchsvätern, nicht zum Weltklerus.
Die Zeichen sind alle da, man muss sie nur sehen.
Daraus folgt eine weitere Bestätigung, dass die römisch-katholische Kirche eben die wahre Kirche Jesu Christi ist, weil sie – trotz aller Widerstände, Verlockungen und Versuchungen – dem Anspruch entspricht und ihn durch die Geschichte durchgehalten hat. Die Ostkirche hat.
@Rodulfus:
Die Bibel schreibt laut dem Apostel Paulus das Zölibat als Pflicht zur Ehelosigkeit für Priester ausdrücklich nicht vor.
Zudem gibt es auch noch die alte syrische bzw. assyrische Kirche von Antiochia in der Nachfolge u.a. des Apostels Petrus. Nicht nur die römisch-katholische Kirche steht in apostolischer und bischöflicher Tradition bzw. Sukzession und Nachfolge nach Petrus.
Meines Wissens nach dürfen sowohl in der Kirche von Antiochia (zweitälteste christliche Gemeinde im Urchristentum nach der ersten christlichen Urgemeinde von Jerusalem) als auch in der koptisch-äthiopischen Tewahedo-Kirche Äthiopiens die Priester heiraten.
Der Zerfall des Priestertums wird an der synodalen Neo-Kirche in Deutschland besonders sichtbar: Das „Taufpriestertum“ Luthers hat das sakramentale und damit katholische Priestertum weitgehend verdrängt. Wer heute z.B. im Krankenhaus geistlichen Beistand wünscht, bekommt ihn von einer Laiin, die sich „Seelsorgerin“ nennt. Dies aber nicht aus Gründen des Priestermangels, sondern weil man uns Priester gezielt außen vor lässt. Unser Wirken in Spitälern ist nicht mehr erwünscht. Und wenn Bischöfe, wie der neue Bischof von Osnabrück, die Häresie verkünden, dass „Wortgottesfeiern“ gleichwertig mit der Heiligen Messe seien, dann wundert einen gar nichts mehr. Die durchschnittlichen Gläubigen kennen noch nicht einmal mehr den Unterschied und halten alles, was man ihnen vorsetzt für „katholisch“. – Ja, es ist ein Zerfall – und eine Auflösung des Priestertums wie des katholischen Glaubens. Aus diesem Grunde möchte ich alle ermutigen: Bitte, bitte bezahlen Sie für diesen Wahnsinn keine Kirchensteuer mehr! Treten Sie beim Standesamt aus (es gibt keinen „Austritt“ aus der Kirche und das schon gar nicht vor einer weltlichen Behörde!) und bekennen Sie schriftlich vor dem zuständigen Pfarrer ihren katholischen Glauben, dann kann ihnen NIEMAND Glaubensabfall oder Schisma vorwerfen. Wir gehören durch die Taufe zur Kirche und nirgendwo steht geschrieben, dass wir Steuern zahlen und damit den Unglauben unterstützen müssten. – Jeder Insider weiß: Am Ende geht es in der Kirche nur ums Geld. Und nur auf diese Weise kann jeder wirksam seinen katholischen Glauben bezeugen und dem etablierten Unglauben eine Absage erteilen.
Die Frage der Ehelosigkeit läßt sich ohne Zweifel aus der Bibel herleiten. Das Gesetz ist die gesamte Thora. Genesis 2,18: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ Diese Hilfe ist die Frau. Die Bewertung „nicht gut“ ist äußerst relevant. Gottes eigenes Kriterium für die ursprüngliche Schöpfung, Genesis Kapitel 1, ist: „Er (Gott) sah, daß es gut war“. Und dann Genesis 1,24: „Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch.“
Dieses ist die von Gott gegebene Grundlage menschlichen Lebens. Sie steht schon vor dem Sündenfall, vor dem Geben der noachidischen Gesetze und vor den 10 Geboten. Der Mensch ist vollständig, wenn er als Mann und Frau verbunden ist.
Nun kommt Jesus und schenkt den neuen Bund. Bergpredigt Matthäus 5,17: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.“ Jesus bezieht sich als Jude, wenn er vom Gesetz spricht, auf die gesamte Thora.
Jesus hat als Heilsvoraussetzung das gesamte Gesetz makellos erfüllt. Er ist der einzige Mensch, der jemals das gesamte Gesetz erfüllen konnte. Also muß er auch erfüllt haben, daß der Mensch „nicht allein bleibt“. Falls diese Grundvoraussetzung für ihn so nicht galt, hätten die Schreiber des neuen Testamentes es explizit erwähnen müssen. Sie haben es nicht getan. Wir müssen deshalb davon ausgehen, Jesus hat auch diesen Teil des Gesetzes erfüllt. Als wahrer Mensch und wahrer Gott.
So ist auch die Hochzeit zu Kana zu verstehen. Hier sagt Jesus „Meine Zeit ist noch nicht gekommen.“ Jesus wurde getauft. Danach ging er für 40 Tage in die Wüste. Nachdem er dort der Versuchung des Teufels widerstanden hatte, begann er sein öffentliches Wirken. Die Hochzeit zu Kana lag offensichtlich nach den 40 Tagen in der Wüßte. Wie kann es sein, daß Jesus trotzdem ausruft: „Meine Zeit ist noch nicht gekommen.“ Und dann entscheidet er sich um und wirkt sein erstes Wunder. Diese Geschichte stellt also den Zeitpunkt dar, als seine Zeit gekommen war. Sie war gekommen durch die Hochzeit.
Das Gerüst für den neuen Bund bekommen wir von Paulus. 1 Korinther 7,2: „Wegen der Gefahr von Unzucht soll jeder seine Frau haben.“ In 1 Timotheus 3 nimmt Paulus Stellung zu den Bischöfen und Diakonen. Sie sollen alle als Kriterium verheiratet sein und sich als gute Familienväter zeigen, um für ihr Amt geeignet zu sein.
Damit ist die Frage des Zölibates von Anfang an festgelegt.
Die Geschichte hat gezeigt, was passiert, wenn die Priester ehelos bleiben. Paulus hatte völlig Recht, als er von der Gefahr der Unzucht sprach. Das Konzil von Konstanz war die größte Anhäufung von Prostituierten, die das Abendland gesehen hat. Rom die Stadt mit den meisten Prostituierten. Heute regiert im Vatikan die Homo-Lobby.