Vom Zerfall des Priestertums (Teil II)

Der sacerdotale Zölibat


Priester auf ewig
Priester auf ewig

Im zwei­ten Teil der Arti­kel­se­rie über das Prie­ster­tum befasst sich unser Autor Vigi­li­us mit der Zöli­bats­fra­ge. Er ent­tarnt das ver­bor­ge­ne Res­sen­ti­ment der Zöli­bats­geg­ner und begrün­det den Zöli­bat als Funk­ti­on am prie­ster­li­chen Amt – und das heißt am Amt Chri­sti, der selbst den über­na­tür­li­chen Lebens­zu­sam­men­hang von Gott und mensch­li­cher Krea­tur hervorbringt.

Von Vigi­li­us*

Der Zölibat Christi

In sei­ner „Ein­füh­rung in das Chri­sten­tum“ bemerkt der jun­ge Josef Ratz­in­ger zum Satz des Glau­bens­be­kennt­nis­ses „emp­fan­gen vom Hei­li­gen Geist, gebo­ren aus Maria der Jung­frau“: „Die Got­tes­sohn­schaft Jesu beruht … nicht dar­auf, dass Jesus kei­nen mensch­li­chen Vater hat­te; die Leh­re vom Gott­sein Jesu wür­de nicht ange­ta­stet, wenn Jesus aus einer nor­ma­len mensch­li­chen Ehe her­vor­ge­gan­gen wäre. Denn die Got­tes­sohn­schaft … ist kein bio­lo­gi­sches, son­dern ein onto­lo­gi­sches Fak­tum; kein Vor­gang in der Zeit, son­dern in Got­tes Ewig­keit: Gott ist immer Vater, Sohn und Geist; die Emp­fäng­nis Jesu bedeu­tet nicht, dass ein neu­er Gott-Sohn ent­steht, son­dern dass Gott als Sohn … sel­ber Mensch ist.“1 Die­se Aus­sa­ge Ratz­in­gers ist eben­so unspek­ta­ku­lär wie irri­tie­rend. Unspek­ta­ku­lär ist sie, weil die Per­son des gött­li­chen Logos natür­lich nur durch die erste Per­son der Gott­heit kon­sti­tu­iert wer­den kann; die gött­li­chen Per­so­nen sind ja nichts ande­res als „rela­tio­nes sub­si­sten­tes“ (Tho­mas von Aquin), also ihr ewi­ges wech­sel­sei­ti­ges Bezo­gen­sein. Wäre Josef der Vater des Men­schen Jesus, wür­de das am Logos-Sein Jesu nichts ändern kön­nen. Irri­tie­rend ist das Her­vor­he­ben die­ser Selbst­ver­ständ­lich­keit aber des­we­gen, weil man dies in Ratz­in­gers the­ma­ti­schem Kon­text als die Insi­nua­ti­on ver­ste­hen kann, dass es kei­ne theo­lo­gi­sche Rele­vanz der Rede von der bio­lo­gi­schen Jung­fräu­lich­keit Mari­ens gebe, die getrost als blo­ße Meta­pher für den Neu­an­fang des Hei­les durch Got­tes Han­deln dechif­friert wer­den dür­fe. Genau so wird die frag­li­che Rede in der moder­nen Theo­lo­gie gewöhn­li­cher­wei­se inter­pre­tiert, und man wird nicht fehl­ge­hen, wenn man Ratz­in­ger zu die­sem Zeit­punkt als deren Par­tei­gän­ger betrachtet.

Die Schluss­fol­ge­rung, die bio­lo­gi­sche Jung­fräu­lich­keit Mari­ens sei auf­grund des onto­lo­gi­schen Datums theo­lo­gisch über­haupt irrele­vant, wäre jedoch falsch. Deren Rele­vanz liegt nur auf einer ande­ren Ebe­ne als der tri­ni­täts­theo­lo­gi­sche Satz und kann des­we­gen durch die­sen Satz auch unmit­tel­bar über­haupt nicht dis­qua­li­fi­ziert wer­den. Es ist viel­mehr umge­kehrt: Die Aus­sa­ge über die bio­lo­gi­sche Jung­fräu­lich­keit bezieht sich prä­zi­se auf den tri­ni­täts­theo­lo­gi­schen Sach­ver­halt, und zwar inso­fern, als sie ihn gera­de zur Gel­tung brin­gen will. Die­se Bezie­hung ist eine der Ent­spre­chung, die schon von Pla­ton als das „schön­ste aller Bän­der“ bezeich­net wur­de. Dass der allei­ni­ge Vater der Per­son des Logos Gott sel­ber ist, bringt die auf die Mensch­wer­dung des Logos bezo­ge­ne irdi­sche Vater­lo­sig­keit Jesu näm­lich ange­mes­sener­wei­se zur Gel­tung. In Jesus Chri­stus gibt es ja kei­ne zwei Per­so­nen, eine gött­li­che und eine mensch­li­che. Chri­stus ist viel­mehr die vom ewi­gen Vater immer­fort aus­ge­hen­de gött­li­che Per­son, die ihrer gött­li­chen Natur nun auch noch „unver­mischt und unge­trennt“ die mensch­li­che hin­zu­fügt. Ein irdi­scher Vater Jesu wür­de die­ses Gefü­ge zwar onto­lo­gisch nicht zer­stö­ren, es aber doch auf der Offen­ba­rungs­ebe­ne, das heißt: dem Erschei­nen des gött­li­chen Vaters im Mensch­sein der Per­son sei­nes ewi­gen Logos, ver­dun­keln. Dem­ge­gen­über ist die für die Mensch­heit stell­ver­tre­ten­de freie Gabe des Mensch­seins an den Logos durch die Got­tes­mut­ter für das Ereig­nis schlech­ter­dings kon­sti­tu­tiv. In ihr emp­fängt die Schöp­fung ihren Herrn und lässt ihn Mensch sein.

Ich habe die­se Fra­ge des­we­gen kurz erör­tert, weil die Struk­tur der Argu­men­ta­ti­on Ratz­in­gers in der Zöli­bats­dis­kus­si­on wie­der auf­taucht. Es gehört zum festen rhe­to­ri­schen Reper­toire der Zöli­bats­geg­ner, an die­ser einen Stel­le mal wie­der die meta­phy­si­sche Sub­stan­zon­to­lo­gie zu bemü­hen und dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Zöli­bat für das sakra­men­ta­le Prie­ster­sein onto­lo­gisch nicht kon­sti­tu­tiv sei. Das stimmt. Wie im obi­gen Fal­le folgt aus der onto­lo­gi­schen Indif­fe­renz aber kei­nes­wegs die kom­plet­te Belie­big­keit des Zöli­ba­tes. Viel­mehr haben wir es hier wie­der­um mit zwei unter­schied­li­chen Satz­ebe­nen zu tun, und zwar in prä­zi­ser Ana­lo­gie zur Fra­ge des Vaters Jesu. Denn erneut ist das Argu­ment eines der Ange­mes­sen­heit, das heißt der exi­sten­ti­el­len Ent­spre­chung zur onto­lo­gi­schen Bestim­mung des Priestertums.

Nun liegt es in der Natur der Bestim­mung von Ange­mes­sen­hei­ten, dass sol­che Ver­hält­nis­se nicht a prio­ri trenn­scharf zu machen sind. Aus­weis­bar ist indes, dass der Zöli­bat als Ver­zicht auf Ehe und Fami­li­en­grün­dung für den Prie­ster gera­de­zu die exi­sten­ti­el­le Ent­spre­chung zur theo­lo­gi­schen Bestim­mung sei­nes Amtes schlecht­hin ist. Unter der Ent­spre­chungs­rück­sicht wür­de das Wei­he­amt sub­stan­ti­ell Scha­den neh­men, wenn der Zöli­bat mit dem Amt nicht ver­bind­lich ver­knüpft wäre. Um dies zu plau­si­bi­li­sie­ren, spie­len die von Ratz­in­ger erwähn­ten tri­ni­täts­theo­lo­gi­schen und chri­sto­lo­gi­schen Moti­ve die ent­schei­den­de Rol­le. Schau­en wir sie zunächst noch ein­mal an.

Die onto­lo­gi­sche Grund­be­stim­mung Jesu Chri­sti besteht dar­in, dass er als Per­son der ewi­ge Logos des gött­li­chen Vaters ist. Der Vater spricht sei­ne Gott­heit in die­sem Wort aus, so dass der Logos die voll­stän­di­ge Selbst­mit­tei­lung des Vaters ist. Und weil zur Voll­kom­men­heit des Vaters das Per­son­sein, also sei­ne ein­ma­li­ge Habe der gött­li­chen Natur gehört, muss der Logos, in dem sich der Vater in sei­ner Voll­kom­men­heit aus­sagt, sel­ber wie­der eine Per­son sein. Der Logos könn­te nicht das wesens­glei­che Abbild des Vaters sein, wenn er nicht die Selbst­mit­tei­lung des Vaters wie­der­um per­so­nal zu eigen haben wür­de, um die emp­fan­ge­ne gött­li­che Natur dem Vater zurück­schen­ken zu kön­nen. Dar­um nen­nen wir den Logos auch den ewi­gen „Sohn“ – wie wir über­haupt die erste, sich aus­sa­gen­de Per­son der Gott­heit auch nur im Blick auf den Sohn als „Vater“ bezeichnen.

Wenn nun der ewi­ge Sohn Mensch wird, besitzt er die mensch­li­che Natur, um sie in sei­ne ewi­ge Bezie­hung zum Vater auf­zu­neh­men. Zugleich wird der Vater für uns aller­erst in Chri­stus zugäng­lich, sofern der Sohn, dar­in den Vater ver­herr­li­chend, um unse­rer Ret­tung wil­len zum Sühnop­fer wird. Dies ist das „Chri­stus­amt“, von dem der schon zitier­te Karl Barth spricht. Es gibt, wie Barth rich­tig sagt, „kei­ne neu­tra­le Mensch­lich­keit Jesu“. Jesus ist der Chri­stus, der kei­ne ande­re Sen­dung besitzt als in sich sel­ber den gott­ver­herr­li­chen­den über­na­tür­li­chen Lebens­zu­sam­men­hang von Gott und Krea­tur her­vor­zu­brin­gen. Genau um die­ser Her­vor­brin­gung wil­len sen­det der Vater sei­nen Logos in die Welt. Die­sem Wil­len ist der Sohn gehor­sam; er lässt sich als Fort­füh­rung sei­nes ewi­gen Ver­hält­nis­ses zum Vater von die­sem in den Opfer­tod geben. Es gibt für Jesus kei­ne ande­re zugleich onto­lo­gi­sche und exi­sten­ti­el­le Dimen­si­on neben die­ser Sen­dung: „Mei­ne Spei­se ist es, dass ich den Wil­len des­sen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk voll­brin­ge.“ (Joh 4, 34)

Vor die­sem Hin­ter­grund wird es ein­sich­tig, dass Jesus als der Chri­stus kei­ne Ehe ein­ge­gan­gen ist und kei­ne leib­li­chen Kin­der hat­te. Wie­der­um wird man zunächst mit Ratz­in­ger kon­sta­tie­ren dür­fen, dass eine Ehe weder das ewi­ge Logos­sein der Per­son Chri­sti onto­lo­gisch tan­giert noch Kin­der pro­du­ziert hät­te, die Göt­ter wären. Auch geht es hier nicht um sitt­li­che Fra­gen, denn Ehe und Fami­lie sind Güter, in denen sich der gött­li­che Schöp­fungs­wil­le sel­ber mani­fe­stiert. Das wird von Jesus aus­drück­lich affir­miert. Der Grund für den Zöli­bat Chri­sti liegt also weder auf der Ebe­ne onto­lo­gi­scher noch mora­li­scher Prin­zi­pi­en, son­dern allein auf der­je­ni­gen der Ange­mes­sen­heit, die mit sei­nem spe­zi­fi­schen Amt zusammenhängt.

Es ist die­ses Amt der Begrün­dung eines nicht mehr aus der Kraft der Natur, son­dern nur in der Gna­de ent­ste­hen­den Ver­wandt­schafts­ver­hält­nis­ses, das den Grund sowohl für die bio­lo­gi­sche Jung­fräu­lich­keit der Got­tes­mut­ter, deren Kind „nicht aus dem Blut, nicht aus dem Wil­len des Flei­sches, nicht aus dem Wil­len des Man­nes, son­dern aus Gott gebo­ren“ ist (Joh 1, 13), als auch für die Ehe­lo­sig­keit und sexu­el­le Ent­halt­sam­keit Chri­sti sel­ber bil­det. Anders als die ein­gangs erwähn­te ver­wäs­sern­de Reduk­ti­on auf die Ebe­ne blo­ßer Meta­pho­rik, die die moder­ne Theo­lo­gie aus Feig­heit vor dem natur­wis­sen­schaft­li­chen Welt­bild liebt, bringt gera­de die bio­lo­gi­sche Dimen­si­on den gei­sti­gen Sach­ver­halt am ent­schie­den­sten zur Gel­tung. Wie der mensch­ge­wor­de­ne Logos kei­nen mensch­li­chen Vater besitzt, wird er auch sel­ber kein Ehe­mann und Vater, denn er wird für uns in der Wei­se zum Erzeu­ger, dass wir in ihm als dem Sohn schlecht­hin auf ana­lo­ge Wei­se eben­so zu Söh­nen Got­tes wer­den. Für ihn, der als Mensch mit die­sem Werk iden­tisch ist, ist es sinn­wid­rig, auch noch leib­li­che Kin­der zu zeu­gen. Dass es heils­theo­lo­gisch aus­schließ­lich auf die­sen unab­leit­ba­ren Gna­den­zu­sam­men­hang ankommt, wird allein durch den Zöli­bat des Herrn auf eine exi­sten­ti­ell adäqua­te Wei­se reflektiert.

Indienstnahme

Ein ent­schie­de­ner Befür­wor­ter des zöli­ba­t­ä­ren Lebens war Papst Johan­nes Paul II. In viel­zäh­li­gen Tex­ten hat sich der Papst zu die­ser Fra­ge geäu­ßert und hät­te Jor­ge Berg­o­gli­os – prak­tisch zunächst miss­glück­tes – Ansin­nen sicher vehe­ment zurück­ge­wie­sen, den ver­pflich­ten­den Zöli­bat abzu­schaf­fen. Woj­ty­las Begriff des Zöli­ba­tes wirft mei­nes Erach­tens aber eine Schwie­rig­keit auf, die sich bei genaue­rer Betrach­tung als ein Anwen­dungs­fall der viel­leicht sogar zen­tra­len Pro­ble­ma­tik des gesam­ten Woj­ty­la-Pon­ti­fi­ka­tes dar­stellt. Karol Woj­ty­la denkt näm­lich von sei­ner phi­lo­so­phi­schen, das heißt: per­so­na­li­sti­schen Her­kunft her sub­jekt­phi­lo­so­phisch und anthro­po­lo­gisch. Und das wirkt sich wie auf alle ande­ren reli­gi­ös-kirch­li­chen Dimen­sio­nen (etwa die Lit­ur­gie) auch auf das Ver­ständ­nis des prie­ster­li­chen Zöli­ba­tes aus. Die Vor­be­hal­te, die tra­di­tio­nel­le Katho­li­ken nahe­zu instantan gegen Woj­ty­la hegen, hän­gen mit die­sem anthro­po­lo­gi­schen Ansatz zusammen.

Es gibt eine instruk­ti­ve Stu­die von Mar­tin May­er zu Woj­ty­las Zöli­bats­ver­ständ­nis, deren Titel bereits erhel­lend ist: „Zöli­bat als Weg per­so­na­ler Selbst­ver­wirk­li­chung. Die Sicht des Zöli­ba­tes bei Johan­nes Paul II. /​ Karol Woj­ty­ła und des­sen anthro­po­lo­gisch-spi­ri­tu­el­len Grund­la­gen“.2 Der Autor arbei­tet hier her­aus, dass Woj­ty­la den Zöli­bat als eine Funk­ti­on an der Rei­fung und Bezie­hungs­fä­hig­keit der Per­son kon­zi­piert. Der Zöli­bat ist ein Mit­tel, das die Per­son befä­hi­gen soll, die ursprüng­li­che Sinn­rich­tung der Sexua­li­tät zu rea­li­sie­ren, näm­lich die Hin­ga­be an eine ande­re Per­son. Mit die­ser Begrün­dungs­ar­chi­tek­tur erhofft sich Woj­ty­la, dem moder­nen Men­schen wie­der den Sinn des Zöli­ba­tes ver­mit­teln zu können.

Das Pro­blem die­ser moral­psy­cho­lo­gi­schen Wesens­be­stim­mung des zöli­ba­t­ä­ren Lebens besteht mei­nes Erach­tens nicht dar­in, dass sie den phä­no­me­no­lo­gisch mög­li­cher­wei­se kon­sta­tier­ba­ren anthro­po­lo­gi­schen und sub­jek­tiv-spi­ri­tu­el­len Effekt falsch beschrei­ben wür­de. Die Schwie­rig­keit ist viel­mehr, dass Woi­ty­la die­sen Effekt zum Motiv des Zöli­ba­tes macht. Damit wird die Beschrei­bung zu einer anthro­po­zen­tri­schen, und das heißt: zu einer sub­jekt­theo­re­tisch ein­ge­fass­ten Begrün­dung. Das ent­spricht der moder­nen Sub­jek­ti­vi­tät in der Tat. Denn es ist die­se Sub­jek­ti­vi­tät, die, um mit Mar­tin Heid­eg­ger zu spre­chen, alles von sich her und auf sich hin-stellt und damit den nor­ma­ti­ven Bezirk umreißt, in dem sich die Din­ge über­haupt nur zei­gen dür­fen und als sei­end gel­ten kön­nen. Wahr­heits­theo­re­tisch heißt das, dass nur noch sol­che Posi­tio­nen den Sta­tus ratio­na­ler und affek­ti­ver Plau­si­bi­li­tät erlan­gen kön­nen, die in die­sem Bezirk situ­ier­bar sind.

Ich möch­te an die­ser Stel­le die inne­re Pro­ble­ma­tik der neu­zeit­li­chen Wen­de zum Sub­jekt, die sich auch bei Karol Woj­ty­la kon­sta­tie­ren lässt, phi­lo­so­phisch nicht näher erör­tern. Erwähnt habe ich den Woj­ty­la-Ansatz nur des­we­gen, weil er der letz­te pro­mi­nen­te Ver­such ist, den Zöli­bat zu begrün­den, ohne dass es mei­nes Erach­tens die­ser Begrün­dung gelin­gen kann, die prie­ster­li­che Ehe­lo­sig­keit ange­mes­sen zu for­mu­lie­ren. Genau betrach­tet muss die per­so­na­li­sti­sche Per­spek­ti­ve den Sinn des Zöli­ba­tes sogar syste­ma­tisch ver­feh­len. Und als sol­che ist sie eine heu­ri­stisch nütz­li­che Kon­trast­fo­lie, um die Poin­te des Zöli­ba­tes sicht­bar wer­den zu lassen.

Der Begrün­dungs­an­satz des Zöli­ba­tes ist näm­lich gera­de kein anthro­po­lo­gi­scher und daher auch kein per­sön­lich-spi­ri­tu­el­ler, weil die Ehe- und Kin­der­lo­sig­keit des Prie­sters ein Erfor­der­nis des Amtes dar­stellt. Der Prie­ster steht nicht unter der Ver­pflich­tung der zöli­ba­t­ä­ren Lebens­form, um so zu sei­ner mensch­li­chen Fül­le zu gelan­gen, son­dern des­we­gen, weil die­se Lebens­form die exi­sten­ti­el­le Sicht­bar­wer­dung des objek­ti­ven Gehal­tes des Prie­ster­tums als der sakra­men­ta­len Selbst­ver­ge­gen­wär­ti­gung Chri­sti und sei­nes Opfers ist. Poin­tier­ter aus­ge­drückt: Der prie­ster­li­che Zöli­bat ist kei­ne anthro­po­lo­gi­sche, son­dern eine ritu­el­le Funk­ti­on. Er ist wesen­haft ein Moment an der Mess­lit­ur­gie, und von hier­her eben­so eine Funk­ti­on am Hir­te- und Leh­rer­sein des Prie­sters. Der zöli­ba­t­ä­re Ver­zicht ist ein dem Opfer geschul­de­tes Opfer. Dass Woj­ty­la gera­de dafür kein Ver­ständ­nis hat­te, kommt eben aus sei­nem Per­so­na­lis­mus, der zu jener Sphä­re kei­nen Zugang fin­det, die Hegel den „objek­ti­ven Geist“ nennt.

Genau die genann­te Bestim­mung des Zöli­ba­tes ergibt sich jedoch aus den vor­he­ri­gen Beschrei­bun­gen der Wesens­be­stim­mun­gen des vom Opfer her defi­nier­ten „Chri­stus­am­tes“, der Mes­se, des Prie­ster­tums und der Kir­che im gan­zen. Denn der Prie­ster ist als Sacer­dos der sich durch den Hei­li­gen Geist sakra­men­tal sel­ber ver­mit­teln­de Chri­stus, der sein Opfer, das in der gött­li­chen Ewig­keit im ver­klär­ten Modus immer­wäh­ren­de Aktua­li­tät besitzt, im kirch­li­chen Kul­tus ver­ge­gen­wär­tigt. Er ver­ge­gen­wär­tigt sich und sein Opfer, um dar­in sei­nen mysti­schen Leib, die über­na­tür­li­che Gemein­schaft der Gläu­bi­gen mit ihm zu rea­li­sie­ren. Die rea­le Wei­se unse­res Ein­be­zugs in die­ses durch das Kreu­zes­op­fer ermög­lich­te neue „Ver­wandt­schafts­ver­hält­nis“ ist die durch die Tau­fe eröff­ne­te Teil­nah­me an der Lit­ur­gie des Lam­mes, das bereits unter irdi­schen Bedin­gun­gen zu unse­rem Leben in Gott wer­den will. Weil sich aber die­ser Ver­mitt­lungs­vor­gang durch den Prie­ster voll­zieht, der, wie es im klas­si­schen Sprach­ge­brauch hieß, kraft sei­ner sakra­men­ta­len Rol­le zum geist­li­chen Vater der Gläu­bi­gen wird, ent­spricht es dem Sein des Prie­sters zuhöchst, prä­zi­se aus eben dem Grund zöli­ba­t­är zu leben, aus dem Chri­stus selbst zöli­ba­t­är leb­te. Auch der prie­ster­li­che Zöli­bat bezeugt, dass das Heil des Men­schen aus­schließ­lich das Sohn­wer­den im ewi­gen Sohn ist, und dass dies aus dem Opfer des Soh­nes und „nicht aus dem Wil­len des Flei­sches“ her­vor­ge­bracht wird. Zer­fällt die­ser sich aus dem Prin­zip des Opfers Chri­sti und des­sen kirch­li­cher Selbst­ver­ge­gen­wär­ti­gung begrün­den­de Zusam­men­hang, zer­fällt unum­gäng­lich der katho­li­sche Begriff des Prie­ster­tums. Und ohne die­sen Begriff ist der prie­ster­li­che Zöli­bat in der Tat völ­lig unplau­si­bel, eben­so unplau­si­bel, wie es der ver­pflich­ten­de Zöli­bat des pro­te­stan­ti­schen Pfar­rers wäre.

Mit der Bestim­mung des Zöli­ba­tes als einer Funk­ti­on am Ritus stel­le ich nicht in Abre­de, dass der Zöli­bat vom Prie­ster in des­sen per­sön­li­cher Spi­ri­tua­li­tät ein­ge­holt wer­den muss und kann. Er holt ihn aber nur dadurch ein, dass er sei­nen Zöli­bat als ein Erfor­der­nis sei­nes Amtes bejaht. Das kann ihm nur gelin­gen, wenn er sei­nem Amt die­nen will, und das wird ihm nur gelin­gen, wenn er die­ses Amt liebt. Das unter­schei­det die Struk­tur des geist­li­chen Lebens eines Prie­sters von der Spi­ri­tua­li­tät der Ordens­leu­te. Für Mön­che ist es prin­zi­pi­ell gleich­gül­tig, ob sie Prie­ster sind oder nicht, und die Fra­ge ihrer Ehe­lo­sig­keit wird von der Amts­di­men­si­on über­haupt nicht berührt. Der Prie­ster ist hin­ge­gen nicht eigens zum Zöli­bat, son­dern zum Prie­ster­tum beru­fen. Ähn­lich wie die Levi­ten wird er zu einem unver­gleich­lich hei­li­gen Dienst aus­er­wählt, den er aus­üben kann, weil er mit dem „cha­rac­ter inde­le­bi­lis“ der hohe­prie­ster­li­chen Gewalt Chri­sti sel­ber gezeich­net wird. Durch den Prie­ster wird das Opfer­lamm auf den Altä­ren der Kir­che gegen­wär­tig und erschließt sich den Gläu­bi­gen die Gemein­schaft mit dem tri­ni­ta­ri­schen Gott, und des­we­gen muss der Prie­ster – wie Chri­stus sel­ber – sei­ne Mensch­lich­keit die­sem Amt kom­plett zur Ver­fü­gung stel­len. Soll es also Prie­ster geben, die den Zöli­bat auf­rich­tig beja­hen, müss­te die Kir­che zum Ver­ständ­nis der Mes­se als Opfer­hand­lung und zu einem Ritus zurück­keh­ren, in dem das Wesen der Mes­se unver­stellt sicht­bar wird.

Die Erwäh­lung zum Prie­ster­tum ist eine Art von gött­li­chem Ver­häng­nis. Was kann die oft ver­nehm­ba­re Kla­ge hier schon bedeu­ten, dass der mit dem Amt gege­be­ne Ehe- und Fami­li­en­ver­zicht „unzu­mut­bar“ sei? Wenn die Gott­heit kommt und über uns ver­fügt, fragt sie nicht, ob wir ihre Zumu­tun­gen für zumut­bar hal­ten. Wir sind Got­tes Besitz: „Ist nicht der Töp­fer Herr über den Ton?“ (Röm 9, 21) Dass der sich in die Ver­fü­gung fügen­de Prie­ster in Woj­ty­las Sin­ne per­so­nal „selbst ver­wirk­licht“, wird man ver­mu­ten dür­fen. Das wird für ihn jedoch nur ein nicht-inten­dier­ter Neben­ef­fekt sein: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befoh­len ist, so sprecht: Wir sind unnüt­ze Knech­te; wir haben nur getan, was wir zu tun schul­dig waren.“ (Lk 17, 10) Und nur der, der spricht wie gehei­ßen, wird dann hören: „Komm, nimm teil an der Freu­de dei­nes Herrn.“ (Mt 25, 21)

Der Zölibat und der spätmoderne Sexualitätsdiskurs

Auf­grund des eman­zi­pa­to­ri­schen Cha­rak­ters der moder­nen Sub­jek­ti­vi­tät müs­sen insti­tu­tio­nell auf­er­leg­te, mitt­ler­wei­le aber selbst bio­lo­gisch beding­te Limi­ta­tio­nen der sexu­el­len Selbst­be­stim­mung als über­win­dungs­be­dürf­ti­ge Repres­sio­nen erschei­nen. Zu die­sem for­ma­len Aspekt kommt der inhalt­li­che hin­zu, dass nun gera­de die Sphä­re der Sexua­li­tät, und zwar jen­seits des Repro­duk­ti­ons­zu­sam­men­han­ges, als ein vor­züg­li­cher Raum der indi­vi­du­el­len Selbst­ver­wirk­li­chung und Sinn­erfül­lung betrach­tet wird. In die­sem Raum ist die vor­geb­li­che Selbst­be­stim­mung zwar weit­ge­hend durch die hin­ter­grün­di­gen System­im­pe­ra­ti­ve des moder­nen Welt­un­ter­wer­fungs­be­triebs kolo­nia­li­siert, aber es gehört zu den system­funk­tio­nal offen­bar beson­ders bedeu­ten­den Illu­si­ons­bil­dun­gen, dass der Mensch ohne sexu­el­le Betä­ti­gun­gen kein gutes Leben füh­ren kön­ne. Es ist tief in die spät­mo­der­nen Sub­jek­te ein­ge­drun­gen, dass sie ihre Auto­no­mie gera­de ent­lang der System­im­pe­ra­ti­ve fin­den, die sich durch einen gigan­ti­schen Mani­pu­la­ti­ons­ap­pa­rat in die Gehir­ne ein­ge­fres­sen haben.

Aus die­sem Grun­de gilt das Insti­tut des Zöli­ba­tes als krank und krank­ma­chend, weil die sexu­el­le Ent­halt­sam­keit per se als selbst­ent­fal­tungs­feind­lich gilt. Genau die­se Ein­schät­zung ist von der System­pro­pa­gan­da inten­diert, und sie hat auch für die Per­spek­ti­ve, die die Prie­ster sel­ber auf ihren Zöli­bat ein­neh­men, effi­zi­en­te Arbeit gelei­stet. Die dis­zi­pli­nie­ren­de Zurich­tung der Kör­per und Ver­mach­tung der Ein­zel­nen, von denen Michel Fou­caults Ana­ly­ti­ken der moder­nen Gesell­schaf­ten han­deln, fei­ert ihre größ­ten Tri­um­phe gera­de dort, wo die Sug­ge­sti­on per­fekt gewor­den ist, es han­de­le sich um Rekla­ma­tio­nen unver­sehr­ter Indi­vi­dua­li­tät und Frei­heits­spiel­räu­me. Dies bedeu­tet, dass die für die Mas­sen mitt­ler­wei­le unhin­ter­fragt selbst­ver­ständ­li­che Posi­ti­on zur Sexua­li­tät gegen­tei­lig zur phil­an­thro­pi­schen Rhe­to­rik von der Herr­schafts­ra­tio­na­li­tät der ent­fal­te­ten Moder­ne als viel­leicht sogar zen­tra­les Stan­dar­di­sie­rungs­in­stru­ment benutzt wird.

Dass es in Wahr­heit im spät­mo­der­nen Sexua­li­täts­dis­kurs vor­ran­gig um die Erzeu­gung des all­seits mani­pu­lier­ba­ren Mas­sen­men­schen geht, sieht man beson­ders mar­kant bei der früh­kind­li­chen Sexua­li­sie­rung in den Medi­en und staat­li­chen Insti­tu­tio­nen. Eigent­li­ches Ziel ist hier die Ver­hin­de­rung der Ent­wick­lung des Scham­be­wusst­seins. Die Scham ist näm­lich eine Rekla­ma­ti­on unver­äu­ßer­li­cher Pri­vat­heit, sie bil­det das Arca­num der mora­li­schen Per­so­na­li­tät, und des­sen Auf­lö­sung beab­sich­tigt eine Reduk­ti­on des Men­schen auf die Ebe­ne bloß ani­ma­li­scher Voll­zü­ge eines sich selbst als Kol­lek­tiv­we­sen begrei­fen­den Indi­vi­du­ums. Die Ver­ses­sen­heit der Macht auf die tota­le sexu­el­le Frei­zü­gig­keit erklärt sich nur durch die Absicht, den Men­schen bedin­gungs­los zu ver­öf­fent­li­chen, ihm die Urim­pul­se des see­li­schen Selbst­schut­zes zu neh­men und so wider­stands­lo­se und aus­beut­ba­re Mas­sen­punk­te zu erzeu­gen. In der Sexua­li­tät geschieht genau das, was mit dem Men­schen im digi­ta­len Kos­mos pas­siert. Der „letz­te Mensch“ Nietz­sches, der über­all her­um­hüp­fen­de „Erd­floh“, ist der durch­di­gi­ta­li­sier­te und durch­sexua­li­sier­te, dadurch umfas­send kon­trol­lier­ba­re und nahe­zu belie­big model­lier­ba­re Pla­stik­mensch der spä­ten Moderne.

Der Zöli­bat ver­stößt also letzt­lich gegen das unter dem Schein sei­nes Gegen­teils auf­tre­ten­de Prin­zip des ver­mach­te­ten Mas­sen­men­schen, das kul­tu­rell und struk­tu­rell umfas­send imple­men­tiert wor­den ist. Es ist in die­sem Hori­zont nach­ge­ra­de unver­schämt, dass sich eine Klas­se von Men­schen das Recht her­aus­nimmt, sich nicht als Kol­lek­tiv­we­sen mit unum­gäng­li­chen Trieb­be­frie­di­gungs­pra­xen zu begrei­fen. Das heißt: Die­ses Wider­stands­mo­tiv gegen den Zöli­bat ist in Wahr­heit ein res­sen­ti­ment­haf­tes. Es beklagt den feh­len­den Wil­len zur Ega­li­ta­ri­sie­rung, zur Ver­wei­ge­rung, sich der Nor­ma­li­tät zu unter­wer­fen, und wer­tet die­se Ver­wei­ge­rung als eli­tä­ren Dün­kel, der aller­dings nicht als ein sol­cher benannt wer­den darf, son­dern mit­tels der mora­li­schen und bio­po­li­ti­schen Nor­ma­li­sie­rungs­ka­te­go­rien des spät­mo­der­nen Bewusst­seins ver­ächt­lich gemacht wird.

Was in die­sem Zusam­men­hang aller­dings erklärt wer­den muss, ist der auf­fäl­li­ge Umstand, dass der prie­ster­li­che Zöli­bat stär­ker ange­grif­fen wird als die ehe­lo­se Lebens­form der Ordens­leu­te. Davon darf man sich jedoch nicht blen­den las­sen. Denn die Ehe­lo­sig­keit der Mön­che ist nur inso­fern an das moder­ne Bewusst­sein anschluss­fä­hi­ger als der mit dem Amt ver­bun­de­ne Zöli­bat, als sie, wenn auch mit der Her­me­neu­tik der Gewalt, als eine rein indi­vi­du­ell begrün­de­te exo­ti­sche Lebens­stil­va­ri­an­te rekon­stru­ier­bar ist. Michel Fou­caults Refe­ren­zen auf die asze­ti­schen Pra­xen der phi­lo­so­phi­schen und reli­giö­sen Tra­di­tio­nen haben hier signi­fi­kan­ten Cha­rak­ter. Die­se Pra­xen wer­den von ihm näm­lich aus deren ursprüng­li­chem Selbst­ver­ständ­nis her­aus­ge­löst und als Funk­tio­nen an der Selbst­in­sze­nie­rung des Sub­jekts rekon­stru­iert. Das Sub­jek­ti­vi­täts­pa­ra­dig­ma taucht hier also wie­der auf, und es hat sich im Ver­gleich zur Wojtyla’schen „Selbst­ver­wirk­li­chung“ radi­ka­li­siert. Denn für die dekon­struk­ti­vi­sti­sche Per­spek­ti­ve, die kei­ne mensch­li­che „Natur“ mehr kennt, geht es in spät­mar­xi­sti­scher Manier um die kom­plet­te Selbst­er­fin­dung des Men­schen. Der Mensch ist als thea­tra­li­sches Sub­jekt eine spe­zi­fi­sche Wei­se eines sich selbst orga­ni­sie­ren­den mate­ri­el­len Agglo­me­ra­tes; es wird nicht etwas ver­wirk­licht, was vor­her unent­fal­tet schon vor­han­den war. Es gibt kei­ne Wahr­heit der Din­ge und also, wor­auf Fou­cault größ­ten Wert legt, auch kei­ne „Wahr­heit im Geschlecht“. Die Insze­nie­rung ist die Sache selbst. Und letzt­lich die­nen die asze­ti­schen Pra­xen als diä­te­ti­sche Klug­heits­mit­tel nur der Stei­ge­rung der Lüste inner­halb die­ses Agglomerates.

Wie sehr die­se Per­spek­ti­ve auch inner­halb der Kir­che zum Ver­ständ­nis­prin­zip der tra­di­tio­nel­len asze­ti­schen Pra­xen gewor­den ist, ver­rät der voll­stän­di­ge Schwund der alten kirch­li­chen Posi­ti­on, das Ordens­le­ben bil­de den „Stand der Voll­kom­men­heit“. Eben­so wenig wie mit dem phi­lo­so­phi­schen Ansatz Fou­caults ist die­se objek­ti­vie­ren­de Auf­fas­sung mit der libe­ra­len Theo­lo­gie ver­ein­bar. Denn die For­mu­lie­rung ver­stößt sowohl gegen das Gesetz der Gleich­heit aller als auch gegen die Über­zeu­gung, dass die Lust in all ihren bun­ten Spiel­ar­ten die höch­ste mensch­li­che Erfül­lung sei, von der her auch der par­ti­el­le Ver­zicht aller­erst sei­nen guten Sinn erlan­ge. Hier scheint es bemer­kens­wer­ter­wei­se doch noch so etwas wie eine Ord­nung der Din­ge zu geben. Schließ­lich kämpft die libe­ra­le Front seit Lan­gem in der Nach­fol­ge Rous­se­aus und unter Refe­renz auf jeweils aller­neue­ste „human­wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se“ dafür, das kirch­li­che Sexua­li­täts­ver­ständ­nis aus sei­nem vor­geb­li­chen augu­sti­ni­schen Ghet­to zu befrei­en und in der Kir­che eine neue Kul­tur der „Unver­krampft­heit“ zu eta­blie­ren. Vor­läu­fi­ger Höhe­punkt die­ses Pro­jek­tes „unver­krampft wer­den!“ sind die ein­schlä­gi­gen Tex­te des deut­schen Syn­oda­len Weges. Aber die alte Voll­kom­men­heits­idee ist auch bei den heu­ti­gen Ordens­leu­ten sel­ber Schnee von gestern. Für gewöhn­lich legen sie gro­ßen Wert dar­auf, nicht mehr distin­gu­iert zu sein, son­dern sich als beschei­de­ne Pil­ger auf dem Weg der Rei­fung zu grö­ße­rer Bezie­hungs- und Lust­fä­hig­keit zu begrei­fen. Wir sind doch alle gleich.

Die alten Schlacht­schif­fe für einen unver­krampf­ten Umgang mit den hei­len­den Mäch­ten der „Berüh­rung, Sinn­lich­keit, Sexua­li­tät“3 wie Clau­dia Lücking-Michel vom soge­nann­ten Zen­tral­ko­mi­tee der deut­schen Katho­li­ken erfreu­en sich mitt­ler­wei­le einer immer unver­krampf­te­ren öffent­li­chen Assi­stenz von Sei­ten des Epi­sko­pa­tes. Nach­dem es vor eini­gen Jah­ren einen Unver­krampft­heits­durch­bruch gab, als der Moral­theo­lo­ge Eber­hard Schocken­hoff bei einem Tref­fen mit den deut­schen Bischö­fen den Allein­ste­hen­den die Mastur­ba­ti­on als eine eigen­stän­di­ge Vari­an­te des Selbst­ge­nus­ses anemp­foh­len hat­te4, mel­de­ten sich in der Fol­ge­zeit immer wie­der an ihrer Unver­krampft­heit arbei­ten­de Bischö­fe in lustaf­fir­ma­ti­ver Absicht zu Wort. So jüngst auch der aus dem Opus Dei stam­men­de Chu­rer Bischof Joseph Bonn­emain in einem Inter­view mit der Schwei­zer Online-Platt­form „Blick“.5 In die­sem Inter­view „Joseph Bonn­emain offen wie nie“ bekann­te der 76jährige: „Sex ist das größ­te Geschenk Got­tes an uns Men­schen.“ Für den Herrn Bischof ist also das größ­te gött­li­che Geschenk an uns nicht, durch die Gna­de Chri­sti die über­na­tür­li­che Lebens­ein­heit mit Gott sel­ber zu erhal­ten, son­dern dass wir Sex mit­ein­an­der haben kön­nen. Die Platt­form kün­dig­te übri­gens an, dass Bischof Bonn­emain tele­fo­nisch einen „hei­ssen Draht“ anbie­ten wür­de; was Sie immer schon fra­gen woll­ten, aber nicht zu fra­gen wag­ten, kann jetzt tabu­los erör­tert wer­den. Einen sol­chen hei­ßen Draht könn­te man sich mit dem sym­pa­thi­schen Bischof von Lim­burg, Georg Bät­zing, auch gut vor­stel­len. Oder mit Rein­hard Marx, dem sym­pa­thi­schen Kar­di­nal aus Mün­chen. Schließ­lich kön­nen Bischof Bonn­emains begei­ster­te Ein­las­sun­gen zum Sex auch für die­se bei­den Her­ren als reprä­sen­ta­tiv gel­ten. Denkt man in die­sem Zusam­men­hang auch noch an die For­schun­gen Kar­di­nal Tuchos zur Orgas­mus­my­stik, darf man mit Fug und Recht behaup­ten, dass Michel Fou­caults Apo­theo­se der Lüste nun­mehr im katho­li­schen Epi­sko­pat ganz zu sich selbst kommt.6

Gilt Sex jetzt als die größ­te aller Gaben, kann die sexu­el­le Ent­halt­sam­keit logisch besten­falls ein Prä­lu­di­um dar­stel­len. Des­halb ist es nur kon­se­quent, dass die­se Pra­xis dann ver­schwin­det, wenn sie als dys­funk­tio­nal emp­fun­den wird oder im Blick auf ihre Effek­te durch plau­si­ble­re funk­tio­na­le Äqui­va­len­te ersetzt wer­den kann. Wenn es jeman­dem irgend­wann plau­si­bler erscheint, durch inti­me Bezie­hun­gen „zu rei­fen“, oder er sich als ein ande­res Kunst­werk bes­ser gefällt und meint, als Vor­be­rei­tung des Genus­ses der größ­ten aller Gaben jetzt genug gehun­gert zu haben, wird er sei­ne Lebens­sti­le ent­spre­chend modi­fi­zie­ren und die Ver­än­de­run­gen mög­li­cher­wie­se sogar damit begrün­den, dass der men­schen­freund­li­che Gott ihn nun einen ande­ren Weg zur per­sön­li­chen Selbst­ver­wirk­li­chung führe.

Der Gleiche darf nicht ungleich sein

Einer vor­be­halt­li­chen Dul­dung erfreut sich der Zöli­bat aller­dings nicht. Denn der Zöli­bat ist die Lebens­form von Men­schen, die als amt­li­che Reprä­sen­tan­ten der Kir­che ehe­los sind. Dass die­ses Modell in sei­nem Ansatz nicht ein­mal mit her­me­neu­ti­scher Gewalt als indi­vi­du­el­le Lebens­ent­wurf­va­ri­an­te inter­pre­tier­bar ist, ver­ste­hen die Zöli­bats­geg­ner sogar bes­ser als Woj­ty­la. Der prie­ster­li­che Zöli­bat impli­ziert näm­lich zwei­er­lei. Erstens bil­det die Ver­knüp­fung von Zöli­bat und Amt offen­sicht­lich eine ganz ande­re Dimen­si­on der Segre­ga­ti­on als das Ordens­le­ben, denn wir haben es hier mit einem insti­tu­tio­nell dis­kri­mi­nie­ren­den Kom­plex zu tun, der zudem erheb­li­che macht­po­li­ti­sche Fol­gen hat. Zwei­tens ver­leiht die Ver­knüp­fung des Zöli­ba­tes mit dem Amt nicht nur der sexu­el­len Ent­halt­sam­keit eine Pro­mi­nenz, die der als Pri­vat­ver­gnü­gen rekon­stru­ier­te mön­chi­sche Lebens­ent­wurf nicht pro­du­zie­ren kann, son­dern das Amt muss, wenn es mit der sexu­el­len Ent­halt­sam­keit ver­bind­lich ver­küpft wird, etwas Gro­ßes sein. Hier liegt, so scheint mir, der sogar ent­schei­den­de Grund für den Hass auf den Zöli­bat. Die­ser Grund ist kom­ple­men­tär zur geschil­der­ten Dis­kre­di­tie­rung durch den heu­ti­gen Sexua­li­täts­dis­kurs und besitzt eben­falls Ressentimentcharakter.

Der Phi­lo­soph Max Sche­ler hat in sei­nem bedeu­ten­den Auf­satz „Das Res­sen­ti­ment im Auf­bau der Mora­len“ dar­auf hin­ge­wie­sen, dass „die unge­heu­re Explo­si­on von Res­sen­ti­ment in der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on gegen den Adel und alles, was mit ihm an Lebens­stil zusam­men­hing … undenk­bar gewe­sen (wäre), wenn nicht die­ser Adel selbst … mit bür­ger­li­cher Rotü­re, die sich mit dem Kau­fe der ade­li­gen Güter auch der Titel und Namen ihrer Besit­zer bemäch­tig­te, durch­setzt und durch Geld­hei­ra­ten bluts­mä­ßig zer­setzt gewe­sen wäre. Erst das neue Gleich­ge­fühl der Empö­rer gegen die herr­schen­de Schicht gab auch die­sem Res­sen­ti­ment sei­ne Schär­fe.“7 Das heißt: Nur weil sich die bür­ger­li­che Schicht den Adel ohne­hin schon ein­ver­leibt und der Adel sei­ne vor­ma­li­ge Distin­gui­tät fak­tisch ver­lo­ren hat­te, konn­te sich nun die Empö­rung dar­über ent­wickeln, dass es inner­halb die­ser bereits errun­ge­nen Gleich­heit noch eine nun nicht mehr aus­weis­ba­re poli­ti­sche Pri­vi­le­gie­rung des Adels gab. Die­se Son­der­stel­lung fir­mier­te jetzt als sach­lich unge­rech­ter Dün­kel einer Klas­se von Men­schen, die objek­tiv eigent­lich gar nicht mehr exi­stier­te und ledig­lich an der Illu­si­on ihres spe­zi­fi­schen Seins anma­ßen­der­wei­se festhielt.

Bei der spät­mo­der­nen Revol­te gegen das zöli­ba­t­ä­re Prie­ster­tum kön­nen wir einen ver­gleich­ba­ren Mecha­nis­mus fest­stel­len. Das Wei­he­amt ist fak­tisch sei­ner einst­ma­li­gen spe­zi­fi­schen Prä­di­ka­te seit gerau­mer Zeit schon gründ­lich beraubt wor­den: Weder gibt es für das moder­ne theo­lo­gi­sche Bewusst­sein, das die meta­phy­si­sche Onto­lo­gie längst hin­ter sich gelas­sen hat, einen durch einen Wei­he­akt kon­sti­tu­ier­ten „cha­rac­ter inde­le­bi­lis“ noch exi­stiert das Kreuz als Opfer­hand­lung und die Mes­se als Ver­ge­gen­wär­ti­gung­s­er­eig­nis die­ses Opfers. Weil die­ser gesam­te Kos­mos zusam­men­ge­bro­chen ist, kann es auch den Prie­ster in sei­nem klas­si­schen dog­ma­ti­schen Ver­ständ­nis als der von mir skiz­zier­te Sacer­dos nicht mehr geben. Die Revol­te rich­tet sich also nicht gegen eine Sache, die man zwar aus­lö­schen will, von der man jedoch annimmt, dass sie – noch – tat­säch­lich gemäß ihres Selbst­be­griffs exi­stiert. Das Revo­lu­ti­ons­ver­ständ­nis ist hier viel­mehr das luthe­ri­sche, also eines der Re-form: Die Sache exi­stiert gar nicht so, wie sie sich sel­ber ver­steht, son­dern sie ist nur in der eigen­tüm­li­chen Form einer aller­dings sehr wirk­sa­men Illu­si­on. Refor­ma­ti­on heißt dar­um, die­se Illu­si­on durch Auf­klä­rungs­ar­beit und, wenn nötig, mit gewis­sen prak­ti­schen Mit­teln zum Ver­schwin­den zu brin­gen und der Wahr­heit erneut die Ehre zu geben. Und die Wahr­heit ist: „Die Tau­fe ist das Wich­tig­ste“, es gibt nur das „all­ge­mei­ne Prie­ster­tum“, ein davon onto­lo­gisch unter­schie­de­nes Wei­he­amt gibt es gar nicht, die Mess­op­fer­leh­re ist „schlim­me Abgöt­te­rei“, der soge­nann­te „Prie­ster“ ist mög­li­cher­wei­se ein Gemein­de­vor­ste­her, als wel­cher prin­zi­pi­ell aber jeder Christ fun­gie­ren kann, Sakra­men­te – selbst die Tau­fe – sind an sich sel­ber kei­nes­wegs heil­sun­um­gäng­li­che „Zei­chen“ des Heils und die Eucha­ri­stie ist ein Gemein­de­mahl mit der Erin­ne­rung an das uns zuge­sag­te bedin­gungs­lo­se Ver­ständ­nis Got­tes für alles Menschliche.

Und weil die prak­ti­sche Imple­men­tie­rung die­ser Theo­lo­gie in der katho­li­schen Kir­che schon sehr weit fort­ge­schrit­ten ist, so weit, dass es etwa den deut­schen Syn­oda­len Weg über­haupt geben kann, ist das auf einen lan­gen Umge­stal­tungs­pro­zess der Kir­che hin ange­leg­te Pro­jekt des berg­o­glia­ni­schen Syn­oda­lis­mus, in dem nun auch der Papst sel­ber die sacer­do­ta­le Hier­ar­chie ver­schwin­den las­sen will, nichts ande­res als die letz­te Kon­se­quenz. Die sozia­le Son­der­stel­lung einer kle­ri­ka­len Kaste ist im Dif­fe­renz­lo­sig­keits­pa­ra­dig­ma – „alle, alle, alle“ – eben­so­we­nig mehr legi­ti­mier­bar, wie es unter den von Sche­ler beschrie­be­nen Bedin­gun­gen die poli­ti­schen Pri­vi­le­gi­en des fran­zö­si­schen Adels noch waren. Und eben­so wie in der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on rich­tet sich heu­te die gei­fern­de Wut auf die poli­tisch sehr fol­gen­rei­che Rekla­ma­ti­on der Idee eines Prie­ster­tums, das sich in die­ser Les­art sei­ne sacer­do­ta­le Iden­ti­tät ver­blen­de­ter- und arro­gan­ter­wei­se nur ein­bil­det. Tat­säch­lich: Sein oder Nicht-sein, das ist hier die Frage.

Die Kon­se­quen­zen für den Zöli­bats­be­griff sind bemer­kens­wert. Denn der Zöli­bat gilt nun­mehr nicht ein­fach nur als unplau­si­bel. Er gilt, gera­de weil er der Idee des Wei­he­am­tes als der sakra­men­ta­len Selbst­ver­ge­gen­wär­ti­gung des Hohe­prie­sters Chri­stus und des­sen Opfer zuin­nerst ange­mes­sen ist, als ein ille­gi­ti­mes Adels­prä­di­kat, das als ein sol­ches abge­schafft gehört. Das bedeu­tet nicht, dass der Zöli­bat an sich selbst wert­ge­schätzt wür­de. Er wird aber als ein bedeu­ten­des kir­chen­po­li­ti­sches Datum ein­ge­schätzt, und das ist er ja in der Tat. Das inti­me Ent­spre­chungs­ver­hält­nis zwi­schen dem Sacer­dos und dem Zöli­bat kann man kaum in Zwei­fel zie­hen, es wird auch gar nicht in Zwei­fel gezo­gen. Wenn aber der Prie­ster gar nicht das ist, was er lan­ge Zeit zu sein ver­mein­te, dann darf er sich auch nicht mehr das Recht her­aus­neh­men, als Prie­ster zöli­ba­t­är zu sein. Dann muss für die Grup­pe der „Prie­ster“ Genann­ten jener Lebens­voll­zug als Stan­dard gel­ten, der für alle ande­ren der Stan­dard ist. Weil also der Zöli­bat die effi­zi­en­te­ste Reprä­sen­tanz der Idee der gött­li­chen Wür­de des Prie­ster­tums ist, rich­tet sich die prie­ster­tums­feind­li­che For­de­rung prä­zi­se dar­auf, die ver­bind­li­che Ver­knüp­fung von Zöli­bat und Amt auf­zu­lö­sen. Der Zöli­bat soll zu einer je per­sön­li­chen Ent­schei­dung des Prie­sters wer­den. Das ist tak­tisch geschickt, weil es pri­ma facie so aus­sieht, als wür­de der Wert des zöli­ba­t­ä­ren Lebens gar nicht grund­sätz­lich in Fra­ge gestellt. Das Gegen­teil ist aber wahr. Wird der Zöli­bat auf die Ebe­ne der Ehe­lo­sig­keit der Ordens­leu­te depoten­ziert, hat er sei­nen wesens­ent­schei­den­den insti­tu­tio­nel­len Cha­rak­ter ver­lo­ren und wird zu einer spi­ri­tu­el­len Pri­vat­an­ge­le­gen­heit. Und wenn man die­se Prie­ster dann auch noch inten­siv genug the­ra­piert, wer­den irgend­wann alle ein­se­hen, dass der allei­nig sinn­vol­le Selbst­ver­wirk­li­chungs­weg doch die quee­ren sexu­el­len Pra­xen sind, die vom Syn­oda­len Weg im har­mo­ni­schen Kon­zert mit allen ande­ren Stim­men aus dem nihi­li­sti­schen Orkus geprie­sen werden.

Ich erin­ne­re mich gut an ein klei­nes Gespräch, das ich vor lan­ger Zeit mit einer der damals in den USA radi­kal­sten und pro­mi­nen­te­sten Ver­tre­te­rin­nen der femi­ni­sti­schen Theo­lo­gie führ­te. Dass es über­haupt zu die­sem Gespräch kam, war nicht selbst­ver­ständ­lich, denn eigent­lich rede­te die frag­li­che Dame nicht mit Män­nern. Ich hat­te also Glück und konn­te etwas aus ihr her­aus­locken, das ich gern her­aus­locken woll­te. Auf mei­ne Fra­ge, ob sie gegen den prie­ster­li­chen Zöli­bat sei, weil ihr die ein­sa­men jun­gen Prie­ster leid­tä­ten, ant­wor­te­te sie: „Sie glau­ben doch hof­fent­lich nicht ernst­haft, dass mir die Prie­ster leid­tun. Der Zöli­bat muss weg, damit end­lich die­se sakra­le Herr­schafts­cli­que ver­schwin­den kann.“ Sprach‘s, und ver­schwand sel­ber. War­um, so frag­te schon Nietz­sche, gab Luther „dem Prie­ster den Geschlechts­ver­kehr mit dem Wei­be zurück“? Weil ihm, so Nietz­sche, „vor allem als Mann aus dem Vol­ke alle Erb­schaft einer herr­schen­den Kaste abging … ‘Jeder­mann sein eige­ner Prie­ster’ – hin­ter sol­chen For­meln ver­steck­te sich bei Luther der abgründ­li­che Hass auf den ‘höhe­ren Men­schen’ und die Herr­schaft des ‘höhe­ren Men­schen’, wie ihn die Kir­che con­ci­piert hat­te: – er zer­schlug ein Ide­al, das er nicht zu errei­chen wuss­te, wäh­rend er die Ent­ar­tung die­ses Ide­als zu bekämp­fen und zu ver­ab­scheu­en schien.“8 Die­se Intui­ti­on Nietz­sches lässt sich refor­mu­lie­ren: Auch die heu­ti­gen Revo­lu­tio­nä­re wol­len „dem Prie­ster den Geschlechts­ver­kehr mit dem Wei­be“, jeden­falls den Geschlechts­ver­kehr zurück­ge­ben, weil sie sei­ne sakra­men­ta­le Aus­zeich­nung sowie die aus der Sacer­do­ta­li­tät kom­men­de Herr­schafts­ge­walt als Anma­ßung inter­pre­tie­ren und ihn als einen Glei­chen unter Glei­chen betrachten.

Aber die Tra­di­ti­on ist alt, und weil kein Ele­fant an einem Tag ver­west, erwecken sie aus revo­lu­ti­ons­tak­ti­schen Grün­den oft­mals noch die Illu­si­on, als gin­ge es ihnen nur um die Besei­ti­gung der Ent­ar­tun­gen des Ide­als. Der „Syn­oda­le Weg“ ist dafür das per­fek­te Bei­spiel. Aber in Wahr­heit han­delt es sich nach wie vor um den von Nietz­sche soge­nann­ten „Bau­ern­auf­stand des Gei­stes“, der in sei­nem Res­sen­ti­ment den sacer­do­ta­len Stand, der sich der lebens­welt­li­chen Nor­ma­li­tät ent­zieht, nicht ertra­gen kann. Und der libe­ra­le Geist kann ihn nicht mehr ertra­gen, weil er bereits die Mess­op­fer­leh­re als den arti­cu­lus stan­tis et caden­tis eccle­siae, die die­sen Stand allein begrün­det, nicht ertra­gen kann. Die Sphä­re des Hei­li­gen ist ver-öffent­licht, man könn­te auch sagen: demo­kra­ti­siert wor­den, was sin­nen­fäl­lig dadurch zum Aus­druck kommt, dass der Altar­raum sei­ne räum­li­che Abgren­zung ver­lo­ren hat und der Altar sel­ber durch einen all­seits zugäng­li­chen Mahl­tisch ersetzt wur­de. „Aus unse­ren Kir­chen ist das Myste­ri­um ent­schwun­den“, klag­te der fran­zö­si­sche Dich­ter Juli­en Green im Blick auf die vom letz­ten Kon­zil ent­fes­sel­ten Ent­wick­lun­gen. Und, so füg­te er an, „es wird dort­hin nie wie­der zurückkehren“.

Hof­fent­lich wird Green mit die­ser Pro­gno­se nicht Recht behal­ten. Die inne­re Fäul­nis der Kir­che hat jedoch ein Aus­maß erreicht, das nicht ein­mal die Zeit­ge­nos­sen der Renais­sance für mög­lich gehal­ten haben wür­den. Des­we­gen wird unwei­ger­lich auch die Auf­he­bung des Zöli­ba­tes im Zei­chen des „neu­en Gleich­ge­fühls“ kom­men, wenn die Macht der Ordi­nä­ren nicht durch eine Kon­ter­re­vo­lu­ti­on recht­zei­tig gestoppt wer­den kann. Sie müss­te vor allem durch die jün­ge­ren Prie­ster­ge­ne­ra­tio­nen und jun­gen Chri­sten gelei­stet wer­den, die etwa nach Char­tres oder Vézelay pil­gern, und sie wird eine erheb­li­che Opfer­be­reit­schaft erfor­dern. Denn deren Kon­ser­va­ti­vi­tät berei­tet dem Estab­lish­ment zuneh­mend gro­ße Sor­gen. Noch haben die Funk­tio­nä­re der Revo­lu­ti­on alle Macht­po­sten – von den Bischofs­stüh­len bis zu den Aus­bil­dungs­in­sti­tu­ten – besetzt. Sie ver­tei­di­gen ihre Deu­tungs­ho­heit zäh und sin­nen auf immer bös­ar­ti­ge­re Mit­tel, sich die end­gül­ti­ge Herr­schaft zu sichern. Und wenn sie nicht sie­gen kön­nen, wer­den sie ver­su­chen, alles mit sich in den Unter­gang zu rei­ßen. Es ist genau so, wie David Engels es beschreibt: Lie­ber zer­bre­chen sie ihr Spiel­zeug, als es in sei­ner tra­di­tio­na­len Form wei­ter­zu­ge­ben.9 Immer­hin scheint der Krieg nun­mehr voll ent­brannt zu sein. Es ist ein Krieg, der dar­über ent­schei­det, ob der Bezirk des Hei­li­gen erneut auf­ge­spannt wer­den kann, in dem die Gott­heit viel­leicht wie­der ihre Wohn­statt neh­men wird. Und dann käme auch der Prie­ster nach Hause.

*Vigi­li­us, deut­scher Phi­lo­soph und Blog­ger: www​.ein​sprue​che​.com

Bild: MiL/​Ein­sprü­che


1 Josef Ratz­in­ger, Ein­füh­rung in das Chri­sten­tum, Mün­chen 1968, 225.

2 Erschie­nen in: Moral­theo­lo­gi­sche Stu­di­en. Neue Fol­ge, Bd. 7, St Otti­li­en 2011.

3 https://​www​.kath​.net/​n​e​w​s​/​4​1​086

4 https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2019/2019–038d-FVV-Lingen-Studientag-Vortrag-Prof.-Schockenhoff.pdf

5 https://​www​.blick​.ch/​n​e​w​s​/​j​o​s​e​p​h​-​b​o​n​n​e​m​a​i​n​-​o​f​f​e​n​-​w​i​e​-​n​i​e​-​w​a​s​-​i​s​t​-​a​u​s​-​i​h​r​e​r​-​j​u​g​e​n​d​l​i​e​b​e​-​g​e​w​o​r​d​e​n​-​h​e​r​r​-​b​i​s​c​h​o​f​-​i​d​2​0​3​9​4​8​3​7​.​h​tml

6 https://​cami​nan​te​-wan​de​rer​.blog​spot​.com/​2​0​2​4​/​0​1​/​s​e​-​d​e​s​c​u​b​r​e​-​u​n​-​n​u​e​v​o​-​l​i​b​r​o​-​o​c​u​l​t​o​-​d​e​l​.​h​tml

https://​katho​li​sches​.info/​2​0​2​4​/​0​1​/​3​1​/​e​r​o​t​i​s​c​h​e​-​s​c​h​r​i​f​t​e​n​-​d​e​s​-​p​o​r​n​o​p​r​a​e​f​e​k​t​e​n​-​s​i​n​d​-​k​e​i​n​e​-​j​u​g​e​n​d​s​u​e​n​d​e​-​s​o​n​d​e​r​n​-​d​a​u​e​r​z​u​s​t​a​nd/

7 Das Res­sen­ti­ment im Auf­bau der Mora­len, in: Vom Umsturz der Wer­te. Abhand­lun­gen und Auf­sät­ze, GW 3, Bern 1935, 34–147, 42 (Fuß­no­te 2)

8 Die fröh­li­che Wis­sen­schaft, Nr. 358.

9 https://​www​.tichys​e​inblick​.de/​k​o​l​u​m​n​e​n​/​a​u​s​-​a​l​l​e​r​-​w​e​l​t​/​d​i​e​-​w​i​e​d​e​r​e​r​o​e​f​f​n​u​n​g​-​v​o​n​-​n​o​t​r​e​-​d​a​m​e​-​a​l​s​-​k​a​l​e​i​d​o​s​k​o​p​-​d​e​s​-​2​1​-​j​a​h​r​h​u​n​d​e​r​ts/

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5 Kommentare

  1. Tat­sa­che ist, daß die Ost­kir­chen kei­nen Zöli­bat für Welt­geist­li­che kennen.ich glau­be nicht, daß dort das Prie­ster­tum des­we­gen irgend­wie „min­der­wer­tig“ ist.
    Aber: zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt, unter den jet­zi­gen wid­ri­gen Umstän­den wäre eine Auf­wei­chung des Zöli­ba­tes kei­ne Annä­he­rung an die Ost­kir­chen, son­dern ein wei­te­rer Schritt zur Pro­te­stan­ti­sie­rung der Konzilskirche.

  2. Die Ost­kir­che ist in punc­to prie­ster­li­chen Zöli­bats defi­zi­tär wie auch in ande­ren Berei­chen (etwa dem Ehe­sa­kra­ment). Sie weiß das, ist aber offen­bar nicht imstan­de, die­se zu kor­ri­gie­ren. Das Defi­zit und das Wis­sen zeigt sich dar­an, dass der Welt­kle­rus zwar ver­hei­ra­tet sein darf, aber nur, wer schon vor den Wei­hen ver­hei­ra­tet ist. Die Wei­hen schlie­ßen also eine Ehe­schlie­ßung aus, ver­lan­gen ergo eigent­lich den Zöli­bat. Daher wird der hohe Kle­rus aus­nahms­los nur aus den Rei­hen der zöli­ba­t­är leben­den Mön­che gewählt. Auch hier zeigt sich wie­der, dass man auch in der Ost­kir­che weiß, was eigent­lich gefor­dert wäre, es aber in den unte­ren Rän­gen nicht durch­ge­hal­ten hat.
    Und noch ein Indiz: Die Gläu­bi­gen gehen, wenn sie beich­ten wol­len, zu den zöli­ba­t­är leben­den Mönchs­vä­tern, nicht zum Weltklerus.
    Die Zei­chen sind alle da, man muss sie nur sehen.
    Dar­aus folgt eine wei­te­re Bestä­ti­gung, dass die römisch-katho­li­sche Kir­che eben die wah­re Kir­che Jesu Chri­sti ist, weil sie – trotz aller Wider­stän­de, Ver­lockun­gen und Ver­su­chun­gen – dem Anspruch ent­spricht und ihn durch die Geschich­te durch­ge­hal­ten hat. Die Ost­kir­che hat.

    • @Rodulfus:

      Die Bibel schreibt laut dem Apo­stel Pau­lus das Zöli­bat als Pflicht zur Ehe­lo­sig­keit für Prie­ster aus­drück­lich nicht vor.
      Zudem gibt es auch noch die alte syri­sche bzw. assy­ri­sche Kir­che von Antio­chia in der Nach­fol­ge u.a. des Apo­stels Petrus. Nicht nur die römisch-katho­li­sche Kir­che steht in apo­sto­li­scher und bischöf­li­cher Tra­di­ti­on bzw. Suk­zes­si­on und Nach­fol­ge nach Petrus.
      Mei­nes Wis­sens nach dür­fen sowohl in der Kir­che von Antio­chia (zweit­äl­te­ste christ­li­che Gemein­de im Urchri­sten­tum nach der ersten christ­li­chen Urge­mein­de von Jeru­sa­lem) als auch in der kop­tisch-äthio­pi­schen Tewa­he­do-Kir­che Äthio­pi­ens die Prie­ster heiraten.

  3. Der Zer­fall des Prie­ster­tums wird an der syn­oda­len Neo-Kir­che in Deutsch­land beson­ders sicht­bar: Das „Tauf­prie­ster­tum“ Luthers hat das sakra­men­ta­le und damit katho­li­sche Prie­ster­tum weit­ge­hend ver­drängt. Wer heu­te z.B. im Kran­ken­haus geist­li­chen Bei­stand wünscht, bekommt ihn von einer Lai­in, die sich „Seel­sor­ge­rin“ nennt. Dies aber nicht aus Grün­den des Prie­ster­man­gels, son­dern weil man uns Prie­ster gezielt außen vor lässt. Unser Wir­ken in Spi­tä­lern ist nicht mehr erwünscht. Und wenn Bischö­fe, wie der neue Bischof von Osna­brück, die Häre­sie ver­kün­den, dass „Wort­got­tes­fei­ern“ gleich­wer­tig mit der Hei­li­gen Mes­se sei­en, dann wun­dert einen gar nichts mehr. Die durch­schnitt­li­chen Gläu­bi­gen ken­nen noch nicht ein­mal mehr den Unter­schied und hal­ten alles, was man ihnen vor­setzt für „katho­lisch“. – Ja, es ist ein Zer­fall – und eine Auf­lö­sung des Prie­ster­tums wie des katho­li­schen Glau­bens. Aus die­sem Grun­de möch­te ich alle ermu­ti­gen: Bit­te, bit­te bezah­len Sie für die­sen Wahn­sinn kei­ne Kir­chen­steu­er mehr! Tre­ten Sie beim Stan­des­amt aus (es gibt kei­nen „Aus­tritt“ aus der Kir­che und das schon gar nicht vor einer welt­li­chen Behör­de!) und beken­nen Sie schrift­lich vor dem zustän­di­gen Pfar­rer ihren katho­li­schen Glau­ben, dann kann ihnen NIEMAND Glau­bens­ab­fall oder Schis­ma vor­wer­fen. Wir gehö­ren durch die Tau­fe zur Kir­che und nir­gend­wo steht geschrie­ben, dass wir Steu­ern zah­len und damit den Unglau­ben unter­stüt­zen müss­ten. – Jeder Insi­der weiß: Am Ende geht es in der Kir­che nur ums Geld. Und nur auf die­se Wei­se kann jeder wirk­sam sei­nen katho­li­schen Glau­ben bezeu­gen und dem eta­blier­ten Unglau­ben eine Absa­ge erteilen.

  4. Die Fra­ge der Ehe­lo­sig­keit läßt sich ohne Zwei­fel aus der Bibel her­lei­ten. Das Gesetz ist die gesam­te Tho­ra. Gene­sis 2,18: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hil­fe machen, die ihm ent­spricht.“ Die­se Hil­fe ist die Frau. Die Bewer­tung „nicht gut“ ist äußerst rele­vant. Got­tes eige­nes Kri­te­ri­um für die ursprüng­li­che Schöp­fung, Gene­sis Kapi­tel 1, ist: „Er (Gott) sah, daß es gut war“. Und dann Gene­sis 1,24: „Dar­um ver­läßt der Mann Vater und Mut­ter und bin­det sich an sei­ne Frau und sie wer­den ein Fleisch.“ 

    Die­ses ist die von Gott gege­be­ne Grund­la­ge mensch­li­chen Lebens. Sie steht schon vor dem Sün­den­fall, vor dem Geben der noach­idi­schen Geset­ze und vor den 10 Gebo­ten. Der Mensch ist voll­stän­dig, wenn er als Mann und Frau ver­bun­den ist. 

    Nun kommt Jesus und schenkt den neu­en Bund. Berg­pre­digt Mat­thä­us 5,17: „Denkt nicht, ich sei gekom­men, um das Gesetz und die Pro­phe­ten auf­zu­he­ben. Ich bin nicht gekom­men, um auf­zu­he­ben, son­dern um zu erfül­len.“ Jesus bezieht sich als Jude, wenn er vom Gesetz spricht, auf die gesam­te Thora. 

    Jesus hat als Heils­vor­aus­set­zung das gesam­te Gesetz makel­los erfüllt. Er ist der ein­zi­ge Mensch, der jemals das gesam­te Gesetz erfül­len konn­te. Also muß er auch erfüllt haben, daß der Mensch „nicht allein bleibt“. Falls die­se Grund­vor­aus­set­zung für ihn so nicht galt, hät­ten die Schrei­ber des neu­en Testa­men­tes es expli­zit erwäh­nen müs­sen. Sie haben es nicht getan. Wir müs­sen des­halb davon aus­ge­hen, Jesus hat auch die­sen Teil des Geset­zes erfüllt. Als wah­rer Mensch und wah­rer Gott. 

    So ist auch die Hoch­zeit zu Kana zu ver­ste­hen. Hier sagt Jesus „Mei­ne Zeit ist noch nicht gekom­men.“ Jesus wur­de getauft. Danach ging er für 40 Tage in die Wüste. Nach­dem er dort der Ver­su­chung des Teu­fels wider­stan­den hat­te, begann er sein öffent­li­ches Wir­ken. Die Hoch­zeit zu Kana lag offen­sicht­lich nach den 40 Tagen in der Wüß­te. Wie kann es sein, daß Jesus trotz­dem aus­ruft: „Mei­ne Zeit ist noch nicht gekom­men.“ Und dann ent­schei­det er sich um und wirkt sein erstes Wun­der. Die­se Geschich­te stellt also den Zeit­punkt dar, als sei­ne Zeit gekom­men war. Sie war gekom­men durch die Hochzeit. 

    Das Gerüst für den neu­en Bund bekom­men wir von Pau­lus. 1 Korin­ther 7,2: „Wegen der Gefahr von Unzucht soll jeder sei­ne Frau haben.“ In 1 Timo­theus 3 nimmt Pau­lus Stel­lung zu den Bischö­fen und Dia­ko­nen. Sie sol­len alle als Kri­te­ri­um ver­hei­ra­tet sein und sich als gute Fami­li­en­vä­ter zei­gen, um für ihr Amt geeig­net zu sein. 

    Damit ist die Fra­ge des Zöli­ba­tes von Anfang an festgelegt. 

    Die Geschich­te hat gezeigt, was pas­siert, wenn die Prie­ster ehe­los blei­ben. Pau­lus hat­te völ­lig Recht, als er von der Gefahr der Unzucht sprach. Das Kon­zil von Kon­stanz war die größ­te Anhäu­fung von Pro­sti­tu­ier­ten, die das Abend­land gese­hen hat. Rom die Stadt mit den mei­sten Pro­sti­tu­ier­ten. Heu­te regiert im Vati­kan die Homo-Lobby.

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