Vom Zerfall des Priestertums (Teil I)

Die Logik der Revolution


Von Vigi­li­us*

Die Logik der Revolution

„Es geht um eine neue Kul­tur in der katho­li­schen Kir­che, die ernst nimmt, dass die Tau­fe das Wich­tig­ste ist … Der hier­ar­chi­schen Grund­struk­tur der katho­li­schen Kir­che wird mit Syn­oda­li­tät ein Ele­ment der ent­schei­den­den Mit­ver­ant­wor­tung aller Gläu­bi­gen sozu­sa­gen als kom­ple­men­tär hin­zu­ge­fügt – auf allen Ebe­nen: von der Pfar­rei über die Bis­tü­mer, über die natio­na­len Kir­chen, kon­ti­nen­ta­le Kir­chen bis hin zur Welt­kir­che. Das ist etwas Neu­es!“1 So sprach Georg Bät­zing, Vor­sit­zen­der der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz und Teil­neh­mer an der römi­schen Synode.

In die­ser Aus­sa­ge wird die „hier­ar­chi­sche Grund­struk­tur der katho­li­schen Kir­che“ zunächst als selbst­ver­ständ­li­ches Datum zitiert. Mit ihr ist die prie­ster­li­che, resp. die bischöf­li­che Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz in dok­tri­nä­ren und kir­chen­recht­li­chen Fra­gen gemeint. Dass Bät­zing die kle­ri­ka­le Hier­ar­chie meint, geht dar­aus her­vor, dass es in sei­nem State­ment auch noch die Kate­go­rie „alle Gläu­bi­gen“ gibt, was aus­sa­ge­lo­gisch nur sinn­voll ist, wenn es im Unter­schied zur erst­ge­nann­ten Grup­pe bei „alle Gläu­bi­ge“ nicht nur um Wei­he­amts­trä­ger, son­dern eben­falls um sol­che geht, die nicht zur hier­ar­chi­schen Grund­struk­tur der Kir­che gehö­ren. Die­se nicht zur hier­ar­chi­schen Grund­struk­tur der Kir­che zäh­len­de Grup­pe besteht aus Men­schen, die gewöhn­lich „Lai­en“ genannt wer­den. Dass Lai­en im Unter­schied zu den Wei­he­amts­trä­gern nicht zur hier­ar­chi­schen Grund­struk­tur der Kir­che gehö­ren, bedeu­tet in der Logik des Begriffs, dass sie kei­ne Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz in den Fra­gen der Dok­trin und der Kir­chen­lei­tung besitzen.

Auf der ande­ren Sei­te wird nach Bät­zings Aus­kunft der hier­ar­chi­schen Grund­struk­tur der Kir­che kraft der neu­en Syn­oda­li­tät jedoch „ein Ele­ment der ent­schei­den­den Mit­ver­ant­wor­tung aller Gläu­bi­gen sozu­sa­gen als kom­ple­men­tär hin­zu­ge­fügt“. Die ent­schei­den­de Fra­ge lau­tet hier, was eine „ent­schei­den­de Mit­ver­ant­wor­tung“ aller Gläu­bi­gen, will sagen: eine ent­schei­den­de Mit­ver­ant­wor­tung der Lai­en bedeu­tet, von der zudem gesagt wird, dass sie sich – „sozu­sa­gen“ – zur hier­ar­chi­schen Grund­struk­tur der Kir­che „kom­ple­men­tär“ ver­hal­te. Das ist nicht ein­deu­tig. Es könn­te bedeu­ten, dass die sel­ber zu kir­chen­lei­ten­den Akten nicht befug­ten Lai­en den Pro­zess der Ent­schei­dungs­fin­dung der Hier­ar­chie mit ihrem dazu not­wen­di­gen Gebet und ihren asze­ti­schen Übun­gen beglei­ten – was die Zen­tral­ko­mi­tee­vor­sit­zen­de Irme Stet­ter-Karp sowie die eben­so deutsch-syn­odal enga­gier­ten Laienfrauenempowermentexpert:innen Clau­dia Lücking-Michel und Julia Knop gewiss eif­rig prak­ti­zie­ren. Aber schon der Umstand, dass dies unwei­ger­lich wie Iro­nie klingt, zeigt, dass es bei der Voka­bel „ent­schei­dend“ nicht nur nicht um Gebets­be­glei­tung geht, son­dern dass das Gebet über­haupt nicht mehr als die ent­schei­den­de Dimen­si­on in der Kir­che betrach­tet wird. Das Sel­ber-Ent­schei­den-Kön­nen ist viel­mehr das Ent­schei­den­de gewor­den. Das heißt: Wir alle wis­sen, dass es bei Bät­zings Ver­wen­dung der Wör­ter „ent­schei­dend“ und „Mit­ver­ant­wor­tung“ dar­um geht, dass die emble­ma­tisch genann­ten Damen zu sol­chen Ent­schei­dun­gen ermäch­tigt wer­den, die vor­mals den Wei­he­amts­trä­gern vor­be­hal­ten waren.

Wenn jedoch die hier­ar­chi­sche Grund­struk­tur der Kir­che nun­mehr auf alle Gläu­bi­gen aus­ge­wei­tet wird, gibt es kei­ne hier­ar­chi­sche Grund­struk­tur der Kir­che mehr. Bät­zings Rede von der Hier­ar­chie wird über­flüs­sig, denn die Kir­che wird schlicht eine Demo­kra­tie. Damit wird auch die Rede sinn­los, dass die mit­ent­schei­den­den Lai­en der Hier­ar­chie „kom­ple­men­tär“ zuge­ord­net sei­en, weil es unter der Hier­ar­chie­rück­sicht kei­ne sich wech­sel­sei­tig ergän­zen­de Dua­li­tät von Hier­ar­chie und Lai­en mehr gibt. In der Bät­zing-Kon­struk­ti­on kann es nur noch das Modell reprä­sen­ta­ti­ver Hier­ar­chien geben, die den Mehr­heits­wil­len aller Gläu­bi­gen abbil­den – also „Syn­oda­li­tät“ als Kopie des poli­ti­schen Par­la­men­ta­ris­mus. Das heißt aber: Der Bät­zing-Satz stellt sich, wenn man nicht von einer defek­ten Intel­lek­tua­li­tät aus­geht, als Trick dar. Die Absicht der bei­be­hal­te­nen Rede von der hier­ar­chi­schen Grund­ver­fas­sung der Kir­che, der die Lai­en­ent­schei­dungs­kom­pe­tenz kom­ple­men­tär bei­gesellt wer­den soll, besteht dar­in, rhe­to­risch zu ver­schlei­ern, dass die Revo­lu­ti­on auf die Macht der Logik setzt, die über die imple­men­tier­te neue Syn­oda­li­tät unum­gäng­lich zur Abschaf­fung eben der hier­ar­chi­schen Grund­struk­tur der Kir­che führt, die durch einen demo­kra­ti­schen Par­la­men­ta­ris­mus ersetzt wird.

Die Lun­te die­ses system­ver­nich­ten­den Spreng­sat­zes ist von Sei­ten der – noch exi­stie­ren­den – Hier­ar­chie aller­dings schon viel frü­her ange­zün­det wor­den. Lan­ge schon tei­len auch vie­le Bischö­fe die luthe­ri­sche Auf­fas­sung, dass die katho­li­sche Kir­che die Defor­ma­ti­on der wah­ren Kir­che des Evan­ge­li­ums ist, die nun end­lich ver­nich­tet gehört. Sie geben das nur nicht unge­schminkt zu und framen wie Georg Bät­zing das inten­dier­te Ziel als „anders katho­lisch sein“.2 Ent­spre­chend die­ser Auf­fas­sung haben vie­le Diö­ze­sen in der west­li­chen, beson­ders der mit­tel­eu­ro­päi­schen Welt schon seit lan­ger Zeit begon­nen, die sakra­men­tal­on­to­lo­gi­sche Ver­knüp­fung von Wei­he und Lei­tungs­voll­macht prak­tisch zu miss­ach­ten und dabei auf die nor­ma­ti­ve Kraft des Fak­ti­schen zu ver­trau­en. In zuneh­men­dem Maße gilt näm­lich die Kir­chen­lei­tung durch Prie­ster als optio­nal. Zumin­dest unter die­ser Rück­sicht ist der Laie dem Prie­ster fak­tisch gleich­ge­stellt wor­den, sofern der Laie eben­so wie der Prie­ster Lei­tungs­äm­ter über­neh­men kann. Dass dies in der theo­lo­gi­schen Logik nicht auf die Pfar­rei­ebe­ne beschränkt blei­ben kann, son­dern – auf­grund der sub­stan­tia­len sakra­men­ta­len Ein­heit von Prie­ster und Bischof – unwei­ger­lich auf den epi­skopa­len Bereich über­grei­fen muss, sehen wir in der aktu­el­len Syn­oda­li­täts­pra­xis. In den diver­sen Ent­schei­dungs­gre­mi­en kön­nen frei­lich auch Bischö­fe sit­zen, aber selbst das ist unter der Vor­aus­set­zung der zum Prin­zip gewor­de­nen Miss­ach­tung der onto­lo­gi­schen Ver­knüp­fung von Wei­he und Lei­tung nicht mehr zwin­gend erfor­der­lich. Dass der vom deut­schen Syn­oda­len Weg geplan­te „Syn­oda­le Rat“ zur Hälf­te aus Bischö­fen bestehen soll, ist eine rein kon­tin­gen­te Bestim­mung, die kei­ner­lei höhe­re Not­wen­dig­kei­ten für sich bean­spru­chen kann. Der blo­ße Umstand, dass Kle­ri­ker als „stimm­be­rech­tig­te“ Mit­glie­der neben eben­so stimm­be­rech­tig­ten Lai­en in syn­oda­len Gre­mi­en sit­zen, ist als sol­ches schon eine Depoten­zie­rung des Amtes. Die Matrix, die der zunächst auf der Gemein­de­ebe­ne ein­set­zen­den Ope­ra­ti­on immer schon zugrun­de liegt, ist der pro­te­stan­ti­sche Kir­chen- und Amts­be­griff, der unum­gäng­lich dazu füh­ren muss, dass schließ­lich auch der Bischof sei­nen bis­he­ri­gen mon­ar­chi­schen Sta­tus verliert.

Bemer­kens­wert ist es jedoch, dass die­ser Vor­gang jene theo­lo­gi­schen Moti­ve zu sei­nem Aus­weis gar nicht mehr expli­zit benennt, die Luther dazu ver­an­lasst haben, die katho­li­sche Hier­ar­chie als einen Irr­weg des Chri­sten­tums abzu­leh­nen. Der poli­tisch-struk­tu­rel­le Effekt ist zwar iden­tisch, aber die Argu­men­ta­ti­ons­we­ge sind unter­schied­lich. Das hat mei­nes Erach­tens vor allem zwei Grün­de. Zum einen geht es den Syn­oda­li­täts­ak­ti­vi­sten im Wesent­li­chen um macht­po­li­ti­sche und auto­no­mie­theo­re­ti­sche Fra­gen im klas­si­schen neu­zeit­li­chen Sinn. Das trifft für Luther, der trotz der fak­ti­schen Modern­e­pro­duk­ti­vi­tät der refor­ma­to­ri­schen Ein­schnit­te sel­ber noch kein moder­nes Sub­jekt war, nicht zu. Die gegen­wär­ti­gen Ver­fech­ter des römi­schen und deut­schen Syn­oda­len Weges sind hin­ge­gen des­we­gen von einer ber­sten­den Wut dar­über erfüllt, dass Lai­en im Unter­schied zu Kle­ri­kern kei­ne kirch­li­che Lei­tungs­voll­macht besit­zen, weil die­ser Umstand für moder­ne Sub­jek­te eine nar­ziss­ti­sche Krän­kung gewal­ti­gen Aus­ma­ßes dar­stel­len muss. Denn die moder­ne Sub­jek­ti­vi­tät ist wesen­haft dadurch cha­rak­te­ri­siert, sich um der eige­nen Selbst­be­stim­mung wil­len aus allen nor­ma­tiv-auto­ri­tä­ren Bin­dun­gen zu befrei­en, die ihr natür­li­cher- oder tra­di­tio­nel­ler­wei­se als Limi­ta­tio­nen ihrer Auto­no­mie auf­er­legt wer­den. Selbst­be­stimmt zu sein heißt im moder­nen Begriff eman­zi­piert zu sein, und das heißt, um mit Tho­mas Hob­bes zu spre­chen, „sich auf mög­lichst vie­len Bah­nen bewe­gen zu kön­nen“. Die­ser Idee steht die „hier­ar­chi­sche Grund­ord­nung der Kir­che“ ent­ge­gen, die nicht nur die Ent­schei­dungs­macht der Lai­en ver­un­mög­licht, son­dern in ihrer Begren­zung auf zöli­ba­t­ä­re Män­ner auch noch die Frau­en und sämt­li­che Män­ner, die nicht auf eine Ehe zu ver­zich­ten bereit sind, von einer Teil­ha­be an der Hier­ar­chie prin­zi­pi­ell aus­schließt. Es han­delt sich um einen mul­ti­pel dis­kri­mi­nie­ren­den Kom­plex, in dem nicht alle prin­zi­pi­ell alles kön­nen und zu allem Zugang besitzen.

Sein und Werk Christi

Damit kom­me ich zum zwei­ten Aspekt, unter dem sich die heu­ti­gen Refor­ma­to­ren von Luther unter­schei­den. Die­ser Aspekt bezieht sich dar­auf, dass vie­le Grund­po­si­tio­nen der refor­ma­to­ri­schen Theo­lo­gie, die Luther noch müh­sam erkämp­fen und for­mu­lie­ren muss­te, bereits so selbst­ver­ständ­lich gewor­den sind, dass sie gar nicht mehr eigens erör­tert wer­den müs­sen. Das gilt in beson­de­rer Wei­se für jene dog­ma­ti­schen Bestim­mun­gen, die für das Prie­ster­tum ent­schei­dend sind. Hier hat sich die tra­di­tio­na­le Dok­trin der­art weit­flä­chig und radi­kal auf­ge­löst, dass sie von vie­len Kir­chen­mit­glie­dern kaum mehr erin­nert wird. Und es ist die­se auch den Kle­rus seit Jahr­zehn­ten prä­gen­de Ero­si­on der theo­lo­gi­schen Grund­la­gen des Wei­he­am­tes, die es heu­te ermög­licht, dass sich selbst Bischö­fe so umstands­los zu Pro­pa­gan­di­sten einer Revo­lu­ti­on machen kön­nen, die dar­auf abzielt, die Hier­ar­chie nun end­gül­tig zu ver­nich­ten. Und weil jetzt ein­fach nur noch die Fas­sa­de zusam­men­bricht, begrei­fen sich die­se Bischö­fe auch gar nicht mehr als Revo­lu­tio­nä­re, son­dern nur als Exe­ku­to­ren des Selbstverständlichen.

Es ist zum Ver­ständ­nis der Vor­aus­set­zun­gen und Kon­se­quen­zen des heu­ti­gen Syn­oda­lis­mus hilf­reich, sich zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, war­um bei Luther das kle­ri­ka­le Lei­tungs­amt ver­schwin­det. Es ver­schwin­det bei ihm, weil der Prie­ster über­haupt ver­schwin­det. Aber Luther lässt den Prie­ster nicht ver­schwin­den, um die kle­ri­ka­le Lei­tungs­ge­walt zu eli­mi­nie­ren, son­dern der Prie­ster ver­schwin­det in sei­ner Theo­lo­gie aus sehr viel tie­fer­lie­gen­de­ren Grün­den. Erst aus die­sen Erwä­gun­gen erge­ben sich dann bestimm­te kir­chen­struk­tu­rel­le Posi­tio­nen, was bedeu­tet, dass Luther genau wuss­te, dass an der Lei­tungs­ge­walt des Prie­sters nicht zu rüt­teln ist, solan­ge man nicht das Wei­he­amt als sol­ches preis­ge­ge­ben hat. Das heißt zugleich, dass die zum Prie­ster wesen­haft gehö­ren­de Lei­tungs­funk­ti­on in einem inne­ren Zusam­men­hang mit Bestim­mun­gen des Prie­ster­tums steht, die die Lei­tungs­ge­walt über­haupt erst begründen.

Dem­nach muss danach gefragt wer­den, wor­in die­se „sehr viel tie­fer­lie­gen­de­ren Grün­de“ bestehen, die Luther im Unter­schied zu den heu­ti­gen Syn­oda­li­sten noch so inten­siv beschäf­tig­ten. Die­se Grün­de bezie­hen sich im Kern auf die Mess­op­fer­fra­ge. War­um Luther die katho­li­sche Mess­op­fer­leh­re als „schlim­me Abgöt­te­rei“ bezeich­ne­te, wie er sein eige­nes Abend­mahls­ver­ständ­nis, das Ver­hält­nis von Wort und Sakra­ment und sei­nen Begriff des Pfar­rers begrün­de­te, kann an die­ser Stel­le nicht dar­ge­stellt wer­den. Das ist auch nicht nötig. Wich­tig ist nur der Umstand, dass Luther genau erkann­te, dass der Prie­ster und folg­lich auch des­sen Lei­tungs­voll­macht mit der Fra­ge, ob die Mes­se ein Opfer ist, steht und fällt. Im Übri­gen ver­dient es her­vor­ge­ho­ben zu wer­den, dass Luther den Sühnop­fer­cha­rak­ter des Kreu­zes Chri­sti nie bezwei­felt hat. Das unter­schei­det ihn von den heu­ti­gen Refor­ma­to­ren, die nicht nur das Mess­op­fer, son­dern auch das Kreuz als Opfer­ereig­nis preis­ge­ge­ben haben. Die Aus­sa­ge des Bät­zing-Vor­gän­gers, Erz­bi­schof Robert Zol­lit­sch, das Kreuz sei kein Gott dar­ge­brach­tes Opfer, son­dern nur Aus­druck der gött­li­chen Soli­da­ri­tät mit dem mensch­li­chen Lei­den, kann für das heu­ti­ge theo­lo­gi­sche Bewusst­sein als reprä­sen­ta­tiv gel­ten.3 Ob Zol­lit­sch klar war, wel­che Kon­se­quen­zen die­se Posi­ti­on für den Begriff des Prie­sters, ja der Kir­che im gan­zen haben muss, möch­te ich bezwei­feln. Gleich­wohl hängt deren Bestim­mung an der Fra­ge, ob das Kreuz Chri­sti ein Opfer war und wie sich die­ses Opfer und die Mes­se zuein­an­der ver­hal­ten. Da die­ser kom­ple­xe Pro­blem­zu­sam­men­hang in einem Essay nicht dif­fe­ren­ziert erör­ter­bar ist, kann ich ledig­lich eine kur­so­ri­sche Skiz­ze versuchen.

Die katho­li­sche Kir­che iden­ti­fi­ziert sich in ihrem tra­di­tio­na­len Selbst­be­griff als den sakra­men­ta­len Raum der Selbst­ver­ge­gen­wär­ti­gung Chri­sti als des ein­zi­gen Opfer­prie­sters, der sel­ber die end­gül­ti­ge und unüber­biet­ba­re Opfer­ga­be ist. Es ist die­se Selbst­ga­be Chri­sti, die in der Kir­che Gegen­wart wird und zu der die Kir­che – aus eben die­ser Selbst­ga­be – als der mysti­sche Leib Chri­sti in gewis­ser Wei­se sel­ber wird. Die­se Selbst­ga­be Chri­sti am Kreuz ist das Sühnop­fer für die „Sün­de der Welt“ und zugleich ein „latreu­ti­sches Opfer“ (Mat­thi­as Josef Sche­eben). Es ist bei­des in einem, weil der Sühnop­fer­cha­rak­ter aus der den Vater ver­herr­li­chen­den Selbst­ga­be des inkar­nier­ten Logos an den Vater unter der Bedin­gung der Sün­de folgt. Der Logos ist wesen­haft Selbst­ga­be an den Vater, und wenn der Logos Mensch wird, nimmt sei­ne den Vater ver­herr­li­chen­de Selbst­ga­be des­we­gen den Cha­rak­ter des Sühnop­fers an, weil er den Vater, der der Schöp­fer der Welt ist, durch die in die­sem Opfer sich ereig­nen­de Über­win­dung der sün­di­gen Abkehr der Krea­tur ver­herr­li­chen will. Die­ses süh­nend-erlö­sen­de und gott­ver­herr­li­chen­de Opfer ereig­net sich in der Geschich­te als blu­ti­ges Gesche­hen auf Golgotha.

Es ist von gro­ßer Bedeu­tung, sich klar zu machen, dass dem inkar­nier­ten Logos nicht ein­fach diver­se Bestim­mun­gen bei­gelegt wer­den kön­nen, die wie auf einer Schnur auf­ge­fä­delt neben­ein­an­der lie­gen. Schlech­te Theo­lo­gien nei­gen zu der­ar­ti­gen blo­ßen Auf­rei­hun­gen. Es ist jedoch genau so, wie es der evan­ge­li­sche Theo­lo­ge Karl Barth in sei­ner „Kirch­li­chen Dog­ma­tik“ for­mu­liert: „Jesus ist schlech­ter­dings Trä­ger eines Amtes. Er ist also nicht Mensch und dann auch noch Trä­ger die­ses Amtes … Es gibt kei­ne neu­tra­le Mensch­lich­keit Jesu … Sein Sein als Mensch ist sein Werk.“4 Die­ses Amt nennt Barth das „Chri­stus­amt“, und es besteht prä­zi­se in dem, was ich soeben beschrie­ben habe: Jesu Werk, mit dem er iden­tisch ist, ist als direk­te Ent­spre­chung zu sei­nem ewi­gen Logos-Sein der Selbst­zu­rück­ga­be an den Vater das den Vater ver­herr­li­chen­de Sühnop­fer für das Heil der Welt, dar­in Gott von der Krea­tur wie­der umfäng­lich die Ehre gege­ben wird. Das ist der Chri­stus. Wenn die theo­lo­gi­sche Tra­di­ti­on daher von den drei „mun­e­ra Chri­sti“ spricht und damit Chri­sti Propheten‑, König- und Prie­ster­tum meint, müs­sen die­se Ämter wie im Neu­en Testa­ment vom Prin­zip des Selbst­op­fers Chri­sti her dekli­niert wer­den. Das Kreuz ist im Johan­nes­evan­ge­li­um die Thron­be­stei­gung Chri­sti, der dadurch vom Vater sei­ne ewi­ge Macht und Herr­lich­keit emp­fängt, und die Hir­ten­rol­le Chri­sti bedeu­tet gera­de, den Men­schen durch das Kreu­zes­op­fer das ewi­ge Leben zu erschlie­ßen, auf das der Fokus der Pre­digt Jesu von Anfang an aus­ge­rich­tet ist.

Selbstvergegenwärtigung

Jetzt stellt sich die Fra­ge, wie es denk­bar wer­den kann, dass die­ses zeit­li­che Ereig­nis zu spä­te­ren Zeit­punk­ten wie­der gegen­wär­tig wird, wobei sich die „Gegen­wär­tig­keit“ nicht ein­fach auf unse­re sub­jek­ti­ven Erin­ne­rungs­lei­stun­gen bezieht. Dass Ver­ge­gen­wär­ti­gung aber eben­so wenig bedeu­tet, das Gescheh­nis wür­de in sei­ner vor­ma­li­gen Gestalt prä­sent, ist evi­dent. Der Ver­ge­gen­wär­ti­gungs­mo­dus kann nur ein sym­bo­lisch-ritu­el­ler sein. Da das Gol­go­tha-Opfer abso­lut ein­ma­lig und end­gül­tig ist, kann der Ritus auch nicht wie bei wie­der­hol­ten Auf­füh­run­gen eines Thea­ter­stücks auf eine Art von Repro­duk­ti­on abzie­len. Auch das lehnt das Kon­zil von Tri­ent for­mell ab. Der Ver­ge­gen­wär­ti­gungs­mo­dus des Opfers muss also ein Voll­zug sein, in dem sich in stren­ger nume­ri­scher und sach­li­cher Iden­ti­tät genau das, was einst blu­tig geschah, nun in der Form einer unblu­ti­gen Sym­bol­hand­lung zu belie­big vie­len Zeit­punk­ten auf den Altä­ren der Kir­che ereignet.

Denk­bar wird eine sol­che Ver­ge­gen­wär­ti­gung erst dann, wenn das, was auf der Zeit­ach­se ein Mal pas­sier­te, in der gött­li­chen Ewig­keit immer­fort prä­sent ist, die sel­ber kei­ner Zeit­er­streckung unter­liegt und sich zu allen Punk­ten auf der Zeit­ach­se gleich-unmit­tel­bar ver­hält. Der hei­li­ge Tho­mas ver­deut­licht das durch das geo­me­tri­sche Bild eines Krei­ses, zu des­sen Zen­trum alle Punk­te auf dem Kreis­um­fang prä­zi­se den­sel­ben Abstand besit­zen. In Gott ist das zeit­li­che Ereig­nis von Gol­go­tha aber nur in der Wei­se als immer­fort aktu­ell denk­bar, dass es sei­ne par­ti­ku­la­re histo­ri­sche Gestalt in die Auf­er­ste­hungs­rea­li­tät Chri­sti hin­ein trans­for­miert hat. Dar­in ist es aber sei­ner meta­phy­si­schen Sub­stanz nach, die sich im histo­ri­schen Ereig­nis rea­li­siert hat, unver­lier­bar auf­be­wahrt. Um die­sen Zusam­men­hang zu ver­deut­li­chen, iden­ti­fi­ziert sich der Auf­er­stan­de­ne nach den neu­te­sta­ment­li­chen Schil­de­run­gen vor sei­nen Jün­gern mit sei­nen Wund­ma­len, die jetzt zwar „ver­klärt“, aber eben als Male des Opfers in der Ewig­keit Got­tes auf­ge­ho­ben sind. Sie gehö­ren blei­bend zur Iden­ti­tät Chri­sti. „Denn ein Mal geop­fert, stirbt er nicht wie­der, son­dern lebt auf ewig als das Lamm, das geschlach­tet ist“, so lau­tet die For­mu­lie­rung der Oster­prä­fa­ti­on. Chri­stus ist als das geop­fer­te Lamm das ewi­ge Leben der Gläu­bi­gen, und die Gläu­bi­gen bezie­hen sich auf das Lamm und des­sen ewi­ges Selbst­op­fer in der Wei­se der ver­herr­li­chen­den Anbe­tung. Das ist die „himm­li­sche Lit­ur­gie“, die in den groß­ar­ti­gen Bil­dern des 4. und 5. Kapi­tels der Gehei­men Offen­ba­rung ver­an­schau­licht wird.

Das, was in der Mes­se geschieht, ist sub­stan­ti­ell nun eben die­se ewi­ge Lit­ur­gie Chri­sti als des Lam­mes, das geschlach­tet ist. Das Kreu­zes­op­fer wird in sei­ner ewi­gen Daseins­wei­se in der Mes­se prä­sent, wes­halb die­se Prä­senz kei­ner­lei magi­sche Züge und im Blick auf die Kom­mu­ni­on nichts Kan­ni­ba­li­sti­sches an sich trägt. Es wird prä­sent, weil Chri­stus sei­nen im Kreuz rea­li­sier­ten Ver­herr­li­chungs­akt des Vaters um die Dimen­si­on erwei­tern will, dass sich die Krea­tur in das Sühnop­fer aktiv inte­grie­ren kann, um sich „im Blut des Lam­mes rein zu waschen“ (Off 7, 14) und nun zusam­men mit dem sich dem Vater immer­fort als der mensch­ge­wor­de­ne und gekreu­zig­te Sohn geben­den Chri­stus den Vater zu ver­herr­li­chen. Die Ermög­li­chungs­be­din­gung die­ser Präs­ent­wer­dung in der Zeit ist der Hei­li­ge Geist als die sel­ber kei­ner Ver­mitt­lung bedürf­ti­ge Ver­mitt­lung der Gegen­wart Chri­sti. Und der instru­men­tel­le Modus der durch den Hei­li­gen Geist ver­mit­tel­ten Präs­ent­wer­dung der ewi­gen Daseins­ver­fas­sung des Opfer­lam­mes ist ein zei­chen­haft-ritu­el­ler, weil die himm­li­sche Lit­ur­gie unter den beschei­de­nen Bedin­gun­gen unse­rer zeit­li­chen Exi­stenz gegen­wär­tig wird. Sei­ne Prä­fi­gu­ra­ti­on besitzt der Mess­ri­tus im histo­ri­schen Abend­mahl, in dem Jesus noch vor sei­nem phy­si­schen Opfer­tod die­ses Gesche­hen bereits lit­ur­gisch ver­ge­gen­wär­tigt: „Das ist mein Leib, der für euch hin­ge­ge­ben wird“. Auch die­se Hand­lung ist nur denk­bar, wenn das zukünf­ti­ge Opfer­ereig­nis in der Ewig­keit Got­tes, die kei­ne zeit­li­chen Erstreckun­gen kennt, immer schon in sei­ner ver­klär­ten Form exi­stiert und durch Chri­stus kraft der Ver­mitt­lungs­macht des Hei­li­gen Gei­stes im Abend­mahls­saal ver­ge­gen­wär­tigt wird.

Ich mache an die­ser Stel­le einen lit­ur­gie­theo­re­ti­schen Ein­schub. Es gehört zu den Lieb­lings­ge­pflo­gen­hei­ten der libe­ra­len Lit­ur­gie­pra­xen, in Anleh­nung an die Schlicht­heit des Abend­mah­les der Eucha­ri­stie­fei­er eine mög­lichst all­tags­na­he Gestalt zu geben. Bevor­zugt wird Ton­ge­schirr ver­wen­det. Es ist die­sen Akteu­ren nicht plau­si­bel, war­um sich die lit­ur­gi­sche Form der kirch­li­chen Mess­fei­er von der­je­ni­gen des Abend­mahls­saa­les unter­schei­den soll. Es gibt aber einen theo­lo­gi­schen Grund für die­se Unter­schei­dung. Das Sub­jekt des Abend­mahls ist noch nicht die Kir­che, die durch den irdi­schen Abend­mahls­akt Chri­sti und die fol­gen­de Opfe­rung am Kreuz sowie die dadurch ermög­lich­te Sen­dung des Hei­li­gen Gei­stes über­haupt erst begrün­det wird. Wenn sie aus die­sen Ereig­nis­sen her­vor­ge­gan­gen ist, wird sodann das­sel­be Opfer Chri­sti durch des­sen sakra­men­ta­le Selbst­re­prä­sen­ta­ti­on im Prie­ster dar­ge­bracht. Jetzt erst wird das Abend­mahl zur Fei­er der Kir­che, zur Mes­se, in der der auf­er­stan­de­ne und unsicht­ba­re Chri­stus nun im kirch­li­chen Ver­mitt­lungs­mo­dus han­delt. Und die­ser Ein­be­zug der Kir­che wirkt sich auf die ritu­el­le Fra­ge stark aus. Es ist näm­lich genau der kirch­li­che Ver­mitt­lungs­mo­dus, der die Imi­ta­ti­on des Abend­mah­les ver­bie­tet. Gera­de weil es um die Iden­ti­tät des Gesche­hens geht, bemüht sich der Ritus um eine arti­fi­zi­el­le Sti­li­sie­rung, die dem irdi­schen Akt Jesu sel­ber völ­lig unan­ge­mes­sen gewe­sen wäre. Die Imi­ta­ti­on erweckt nur den Anschein der Authen­ti­zi­tät, wäh­rend das Gegen­teil der Fall ist. Wenn wir auf Grup­pen tref­fen, die die Abend­mahls­sze­ne nach­spie­len, kön­nen wir sicher sein, dass dort der Glau­be an den Opfer­cha­rak­ter des Todes Chri­sti sowie die ewi­ge Lit­ur­gie des Opfer­lam­mes und damit die durch den Hei­li­gen Geist ver­mit­tel­te Iden­ti­tät des histo­ri­schen Opfers mit der kirch­li­chen Mess­fei­er ver­schwun­den ist. Des­we­gen wird die Mes­se zu einer blo­ßen Mahl­fei­er defla­tio­niert, in der alles an unse­ren eige­nen Erin­ne­rungs­lei­stun­gen hängt, die etwas Ver­gan­ge­nes sze­nisch aktua­li­sie­ren wol­len und unum­gäng­lich tri­vi­al wer­den. Das gilt für Eucha­ri­stie­fei­ern in Bade­ho­se auf Luft­ma­trat­zen eben­so wie für die Lit­ur­gien beim deut­schen Syn­oda­len Weg. Wer hin­ge­gen an die zwar form­dif­fe­ren­te, aber sub­stan­tia­le Iden­ti­tät von Abend­mahl, Kreu­zes­tod als Opfer­hand­lung, himm­li­scher Lit­ur­gie und Mes­se glaubt, wird sich bemü­hen, den Ritus so aus­zu­for­men, dass in ihm der theo­lo­gi­sche Gehalt des Ereig­nis­ses und die dem Opfer­lamm geschul­de­te Ver­eh­rung am adäqua­te­sten mani­fest wird.

Der Priester der Kirche

In den vor­an­ge­hen­den Erwä­gun­gen ist die Grund­di­men­si­on des kirch­li­chen Prie­sters immer schon ange­klun­gen. Ich möch­te das jetzt nur noch ein­mal expli­zit machen. Unter der Vor­aus­set­zung, dass Chri­stus auf ewig „als das Lamm, das geschlach­tet ist“, lebt und als sol­cher das Leben der Gläu­bi­gen ist, kann die Mes­se nicht als ein blo­ßes Moment in der Kir­che, son­dern muss als deren Wesens­be­stim­mung schlecht­hin betrach­tet wer­den. Die Kir­che ist die durch den Hei­li­gen Geist ver­mit­tel­te Prä­senz der himm­li­schen Lit­ur­gie als des ewi­gen Selbst­voll­zu­ges des geop­fer­ten Chri­stus in Raum und Zeit, dar­in der Mensch in und mit Chri­stus zum Vater gelangt. Das gesam­te Bezie­hungs­ge­fü­ge zwi­schen dem tri­ni­ta­ri­schen Gott und den Men­schen ver­mit­telt sich durch die Mes­se. Es ist ange­sichts die­ser Bedeu­tung der Mes­se nicht über­trie­ben zu behaup­ten, dass die Mes­se das Sein der Kir­che ist. Die katho­li­sche Kir­che ist ent­we­der die Kir­che der Mes­se oder sie ist über­haupt nicht.

Wenn aber die Mes­se das Sein der Kir­che ist, ist der Prie­ster die zen­tra­le heils­mit­t­le­ri­sche Instanz. Des­we­gen ist der Prie­ster grund­le­gend Sacer­dos. Dies ist eine alte Bezeich­nung, die sich aus „sacer“ (hei­lig) und „dare“ (geben) zusam­men­setzt und basal auf die kul­ti­sche Opfer­hand­lung bezieht. Die Kir­che benö­tigt die­se sacer­do­ta­le Funk­ti­on, weil es ohne sie die Gegen­wart des alle Opfer der Vor­zeit voll­enden­den Opfers Chri­sti nicht gäbe, die das Sein der Kir­che defi­niert. Der Satz, die Kir­che ist die Kir­che der Mes­se, oder sie ist über­haupt nicht, muss logisch um die Aus­sa­ge erwei­tert wer­den: Die Kir­che ist nur durch den Prie­ster das, was sie ist. Die­se Bestim­mung bil­det aber kei­nen chri­sto­lo­gi­schen Monis­mus, weil es eine blei­ben­de Dif­fe­renz zwi­schen dem kirch­li­chen Prie­ster und Chri­stus sel­ber gibt. Das ist ja gera­de die Poin­te des sakra­men­ta­len Gefü­ges. Aber im kirch­li­chen Prie­ster ist Chri­stus auf eine sin­gu­lär qua­li­fi­zier­te Wei­se doch sel­ber jenes han­deln­de Sub­jekt, das sich und sein eige­nes Opfer im Hei­li­gen Geist den Gläu­bi­gen ver­mit­telt und dar­in die ewi­ge Lebens­ein­heit des „mysti­schen Lei­bes“ konstituiert.

Gera­de weil der Prie­ster Sacer­dos ist, muss ihm exklu­siv auch die Hir­ten- bzw. Lei­tungs- und die Ver­kün­di­gungs­funk­ti­on in der Kir­che zukom­men. Die­se Zuord­nung ent­spricht prä­zi­se dem Gefü­ge der Ämter Chri­sti. Auch beim kirch­li­chen Sacer­dos kann es in allem immer nur dar­um gehen, die Gläu­bi­gen durch die Leh­re, die Seel­sor­ge und die ande­ren sakra­men­ta­len Voll­zü­ge zur Teil­nah­me am Mess­op­fer zu befä­hi­gen. Die­se Hin­ord­nung auf die Mes­se gilt auch für die Tau­fe. Es ist signi­fi­kant, dass Bät­zing davon spricht, die Tau­fe sei „das Wich­tig­ste“. Die­se For­mu­lie­rung ist abso­lut unter­kom­plex. Aber sie dient gera­de als eine sol­che zur Legi­ti­ma­ti­on der Lai­en­er­mäch­ti­gung, die die Dekon­struk­ti­on der Mes­se und somit des Prie­sters logisch schon vor­aus­setzt. In Wahr­heit sind die Tau­fe und die Mes­se orga­nisch ver­wo­ben, und zwar der­art, dass das inne­re Telos der Tau­fe die Inte­gra­ti­on des Men­schen in den mysti­schen Leib Chri­sti ist, des­sen Grund­voll­zug die in der Mes­se gegen­wär­ti­ge ewi­ge Lit­ur­gie Chri­sti ist.

Die Bät­zing­aus­sa­ge zur Tau­fe gehört weit­flä­chig zum rhe­to­ri­schen Reper­toire der heu­ti­gen Hier­ar­chie. Weil vie­len Bischö­fen der geschil­der­te Zusam­men­hang sel­ber nicht mehr klar ist, kann der Prie­ster nur­mehr als ein „Vor­ste­her“ der Eucha­ri­stie­fei­er bezeich­net und auf so etwas wie die Rol­le eines pro­te­stan­ti­schen Pfar­rers und eines spi­ri­tu­el­len Beglei­ters von Gemein­den redu­ziert wer­den, deren Lei­tung beim Lai­en lie­gen kann, der in immer umfäng­li­che­rem Maße auch schon sonn­tags die Mes­se durch eine soge­nann­te „Wort­got­tes­fei­er“ ersetzt. Es gibt dann aber kei­nen angeb­ba­ren Grund mehr, wes­halb der Prie­ster als ein sol­cher Vor­ste­her, als wel­cher auch der Laie bei sei­nen Offi­zi­en fun­giert, über­haupt zu sei­nem Vor­ste­her­amt geweiht bzw. die Wei­he als ein sakra­men­tal-onto­lo­gi­sches Ereig­nis ver­stan­den wer­den muss. Tat­säch­lich begreift die libe­ra­le Theo­lo­gie die Wei­he­hand­lung ein­fach als eine fei­er­li­che Form der insti­tu­tio­nel­len Beauf­tra­gung, die als „Aus­sendung“ spi­ri­tu­ell auf­ge­hübscht wird und sich sub­stan­ti­ell von der­je­ni­gen eines Lai­en zum Seel­sor­ger, Gemein­de­lei­ter und Lit­ur­gen nicht mehr unter­schei­det. Der geweih­te Prie­ster ist als sol­cher über­haupt nur dann eine eben­so unver­zicht­ba­re wie plau­si­ble Kate­go­rie, wenn er die real­sym­bo­li­sche Selbst­ver­ge­gen­wär­ti­gung des gott­mensch­li­chen Opfer­prie­sters ist, der sein den Vater ver­herr­li­chen­des Opfer wie­der­um in der Mess­fei­er ver­ge­gen­wär­ti­gen will: „Bis ans Ende der Zei­ten ver­sam­melst du dir ein Volk, damit dei­nem Namen das rei­ne Opfer dar­ge­bracht wer­de vom Auf­gang der Son­ne bis zu ihrem Nie­der­gang“, so for­mu­liert der Mess­ri­tus den Zweck der Kir­che. Ver­schwin­det die­se Über­zeu­gung, ver­schwin­det auch der Priester.

Des­we­gen ist es nur kon­se­quent, dass beim Syn­oda­len Weg die Fra­ge erör­tert wur­de, ob das Prie­ster­tum nicht for­mell abge­schafft gehö­re, oder, was effek­tiv auf das iden­ti­sche Resul­tat hin­aus­läuft, das sei­ner über­na­tür­li­chen Wür­de beraub­te prie­ster­li­che Amt in der sozio­lo­gi­schen Kate­go­rie eines „Berufs­pro­fils“ zu refor­mu­lie­ren, um die­ses Berufs­pro­fil – wie es etwa durch den Bochu­mer Pasto­ral­for­scher Mat­thi­as Sell­mann kürz­lich im Auf­trag der deut­schen Bischofs­kon­fe­renz gesche­hen ist – als „gemein­wohl­ori­en­tier­tes Enga­ge­ment“ zu bestim­men.5 Und wie es dann nur kon­se­quent ist, die „hier­ar­chi­sche Grund­ord­nung der Kir­che“ durch den von Bät­zing geprie­se­nen Syn­oda­lis­mus zu erset­zen, weil alles ande­re jetzt bloß noch eine will­kür­li­che Herr­schafts­struk­tur wäre, ist es auch die in Deutsch­land über­all antreff­ba­re Usance, dass der Prie­ster von Sei­ten der haupt­amt­li­chen Lai­en mit „lie­ber Kol­le­ge“ ange­spro­chen wird.

Der „lie­be Kol­le­ge“ klingt so har­mo­nisch, aber es ist eine ver­gif­te­te Har­mo­nie. Denn im ega­li­ta­ri­sti­schen Syn­oda­lis­mus wird zwar laut­stark eine dis­kri­mi­nie­rungs­freie Kir­che gefor­dert, die „kei­nen Raum für Men­schen­feind­lich­keit“ eröff­nen dür­fe. Wie in der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on muss jedoch auf dem Altar der „all­ge­mei­nen Men­schen­lie­be“ (Max Sche­ler) und uni­ver­sa­len Gleich­heit aller der Sacer­dos, in dem sich das König­tum Chri­sti mani­fe­stiert, geop­fert wer­den. Es ist ein per­ver­ses Opfer. Vom Wei­he­amt, das kei­ner demo­kra­ti­schen Legi­ti­ma­ti­on bedürf­tig ist, weil es sei­ne Auto­ri­tät direkt von Chri­stus bezieht, ging in der moder­ni­sier­ten Welt der letz­te Glanz ech­ter Sakra­li­tät und Mon­ar­chie aus. Es war nur eine Fra­ge der Zeit, bis der uner­sätt­li­che Mas­sen­mensch der Moder­ne auch die­ses Amt sei­ner Vul­ga­ri­tät ein­zu­ver­lei­ben ver­su­chen wür­de, und es war seit min­de­stens 60 Jah­ren eben­so erwart­bar, dass dies schließ­lich durch die nihi­li­stisch gewor­de­ne Hier­ar­chie der Kir­che sel­ber gesche­hen wür­de. Die­se Hier­ar­chie hat sich mitt­ler­wei­le der­art hart­näckig auf den bei­fall­träch­ti­gen Syn­oda­lis­mus ver­stän­digt, dass sie jetzt nur noch ein ein­zi­ges Ziel kennt: alle Bil­der aus­zu­lö­schen, die eine Erin­ne­rung an die Grö­ße des Prie­ster­tums und des Mess­op­fers und eine längst ver­welk­te Lie­be pro­vo­zie­ren könn­ten. Sie sind in ihrem eit­len Oppor­tu­nis­mus zu bemit­lei­dens­wer­ten Büro­kra­ten der Bana­li­tät geworden.

Der weit fort­ge­schrit­te­ne Ver­fall des Prie­ster­tums in der heu­ti­gen Kir­che zeigt sich nicht zuletzt in der radi­ka­len Infra­ge­stel­lung des Zöli­ba­tes und des Schrei­bens „Ordi­na­tio Sacer­do­ta­lis“ von Johan­nes Paul II., in dem der Papst fest­legt, dass der Zugang zum Wei­he­amt Män­nern vor­be­hal­ten ist. Bei­de Aspek­te ver­lie­ren ana­log zur Lei­tungs­fra­ge durch die Ero­si­on der Mess­op­fer­leh­re und der Bestim­mung des Prie­sters als Sacer­dos eben­falls ihre Plau­si­bi­li­tät. Weil sie aber mit dem sakra­men­ta­len Prie­ster­tum – auf aller­dings je unter­schied­li­che Wei­se – eng ver­knüpft sind, wer­de ich mich im näch­sten Schritt mit dem Zöli­bat und sodann mit der Fra­ge beschäf­ti­gen, war­um das Prie­ster­tum allein Män­nern vor­be­hal­ten ist. Im letz­ten und vier­ten Teil möch­te ich noch die Fra­ge auf­wer­fen, ob es mög­li­cher­wei­se in der hier­ar­chie- und wei­he­amts­theo­lo­gi­schen Tra­di­ti­on der latei­ni­schen Kir­che sel­ber unauf­ge­lö­ste Span­nun­gen gibt, die unin­ten­diert dem prie­ster­feind­li­chen Syn­oda­lis­mus unse­rer Tage in die Hän­de spielen.

*Vigi­li­us, deut­scher Phi­lo­soph und Blog­ger: www​.ein​sprue​che​.sub​stack​.com

Bild: Jan van Eyck: Die Anbe­tung des mysti­schen Lam­mes (Sint-Baafs­ka­the­dr­aal, Gent)


1 https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2024–10/deutschland-synode-bischoefe-baetzing-oster-frauen-kirche-genn.html

2 https://​de​.catho​lic​news​a​gen​cy​.com/​n​e​w​s​/​1​2​0​8​3​/​b​i​s​c​h​o​f​-​b​a​t​z​i​n​g​-​w​i​r​-​b​l​e​i​b​e​n​-​k​a​t​h​o​l​i​s​c​h​-​a​b​e​r​-​w​i​r​-​w​o​l​l​e​n​-​a​n​d​e​r​s​-​k​a​t​h​o​l​i​s​c​h​-​s​ein

3 www​.you​tube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​P​j​L​n​3​z​H​q​2es
http://​www​.kath​-info​.de/​s​u​e​h​n​o​p​f​e​r​.​h​tml

4 Karl Barth, Kirch­li­che Dog­ma­tik III,2, Zürich 1948, 66–69.

5 https://​ein​sprue​che​.sub​stack​.com/​p​/​m​a​t​t​h​i​a​s​-​s​e​l​l​m​a​n​n​-​u​n​d​-​d​i​e​-​p​r​i​e​s​ter

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