Die Wut von Papst Franziskus gegen die „kirchliche Karriere“

Widersprüche eines Pontifikats


Papst Franziskus und die kirchliche Karriere
Papst Franziskus und die kirchliche Karriere

Der Chi­le­ne in Rom Luis Badil­la, Jour­na­list und ehe­ma­li­ger Poli­ti­ker der Ära Allen­de, betreu­te vie­le Jah­re einen offi­ziö­sen Pres­se­dienst, der irgend­wo zwi­schen den vati­ka­ni­schen Medi­en und dem vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at ange­sie­delt war, so genau wuß­te das nie­mand. Seit er aus Alters­grün­den die­sen Dienst ein­stell­te, äußert er sich erstaun­lich kri­tisch zum der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kat. Jüngst kom­men­tier­te er die „Wut“ von Papst Fran­zis­kus auf den kirch­li­chen „Kar­rie­ris­mus“. Doch Vor­sicht, mahnt Badil­la, Fran­zis­kus habe genau die­se ange­pran­ger­te „kirch­li­che Kar­rie­re“ gemacht.

Als Insi­der weiß Badil­la sehr genau, wo die zahl­rei­che Wider­sprü­che des argen­ti­ni­schen Pon­ti­fex lie­gen, die er nun, frei von Ver­bind­lich­kei­ten, genau ana­ly­siert. Sei­ner neu­en Ana­ly­se über den geplan­ten Kar­rie­ris­mus in der Kir­che stellt er eine pro­vo­kan­te Fra­ge voran:

„War­um mani­pu­liert Fran­zis­kus die Worte?“

Am ver­gan­ge­nen 8. Novem­ber emp­fing der Hei­li­ge Vater im Kon­si­sto­ri­ums­saal eine Grup­pe von Mit­glie­dern der Cala­s­an­zi­schen Fami­lie, die sich „im erzie­he­ri­schen Cha­ris­ma des uni­ver­sa­len Patrons aller christ­li­chen Volks­schu­len, des hei­li­gen Josef Cala­s­anz“, ver­sam­melt hat­ten. Papst Berg­o­glio erin­ner­te an den Hei­li­gen und sein Werk und sag­te: „Euer Grün­der, der aus einer wohl­ha­ben­den Fami­lie stamm­te und wahr­schein­lich für eine ‚kirch­li­che Lauf­bahn‘ bestimmt war ‒ein Begriff, den ich ver­ab­scheue und der abge­schafft wer­den soll­te ‒, der mit einer gewis­sen Stel­lung nach Rom kam, zöger­te nicht, die Plä­ne und Aus­sich­ten sei­nes Lebens umzu­wer­fen, um sich den Stra­ßen­kin­dern zu wid­men, denen er in der Stadt begegnete“.

Badil­la macht dar­auf auf­merk­sam, daß sich Papst Fran­zis­kus noch nie so geäu­ßert hat­te, geschwei­ge denn irgend­ein Papst vor ihm, näm­lich, daß ihm allein der Aus­druck „kirch­li­che Lauf­bahn“ schon „zuwi­der“ sei und er sich wün­sche, daß er „abge­schafft“, also aus­ge­tilgt werde.

Badil­la schreibt: „War­um die­se Spra­che und die­se Wut? Und dann die Auf­for­de­rung, daß eine nor­ma­le und kor­rek­te Zuwei­sung, abge­schafft wer­den soll, aber wor­aus? Aus dem Wör­ter­buch? Aus dem reli­giö­sen Voka­bu­lar? Aus den Tex­ten der Kir­che? Aus ihrer eige­nen Spra­che? Wenn es für den Papst ein so absto­ßen­der Aus­druck ist, war­um spricht er ihn dann aus?

Die „kirch­li­che Lauf­bahn“ ist also ein Aus­druck, so Badil­la, der nach dem Wil­len des Pap­stes abge­schafft und daher auch aus Dut­zen­den von Büchern ent­fernt wer­den soll­te, in denen die Bio­gra­phie des Pap­stes selbst und sei­ne „kirch­li­che Lauf­bahn“ nach­ge­zeich­net wird, ins­be­son­de­re von dem Zeit­punkt an, als Kar­di­nal Anto­nio Quar­ra­ci­no ihn 1992 zu sei­nem Weih­bi­schof in Bue­nos Aires ernann­te, bis zu sei­ner Wahl auf den Thron Petri. Badil­la weiter:

„Und wenn die­ser Aus­druck auf­grund eines seman­ti­schen Wun­ders abge­schafft wird, wie vie­le ande­re soll­ten dann das glei­che Schick­sal erlei­den, auch zum Woh­le der Kirche?“

Der Chi­le­ne spricht von einer neu­en „Berg­o­glia­ta“: „Was der Papst sag­te, ist sei­ne typi­sche Art, die Spra­che zu ver­schär­fen, um die übli­che Bot­schaft zu über­mit­teln; ein Modus, der seit mehr als elf Jah­ren bekannt und für einen gro­ßen Teil der Pres­se sehr attrak­tiv ist. Mit die­ser Art zu spre­chen ver­sucht Papst Fran­zis­kus, sei­nen gan­zen Groll, sei­ne Ableh­nung und sei­ne Bit­ter­keit gegen­über dem Wort ‚Kar­rie­re‘ zu ver­mit­teln, wenn es mit der prie­ster­li­chen Beru­fung in Ver­bin­dung gebracht wird. Mit ande­ren Wor­ten, er will zu Recht beto­nen, daß das Prie­ster­tum kein Beruf oder Gewer­be ist, aber um einen Medi­en­fall zu schaf­fen, ver­sucht er, die Rede von einer ‚kirch­li­chen Kar­rie­re‘ als etwas Schlech­tes auf­zu­bau­schen. Ihm stand das Wort ‚Kar­rie­ris­mus‘ zur Ver­fü­gung, aber er woll­te es nicht benut­zen. Anstatt mit Maß und Prä­zi­si­on zu spre­chen, wähl­te er wie­der ein­mal das fast skan­da­lö­se Geschrei im Mun­de des Papstes.“

Der Aus­druck „kirch­li­che Kar­rie­re“ habe an sich kei­ne bös­ar­ti­ge Bedeu­tung oder Wer­tig­keit, es sei denn, man wol­le ihn absicht­lich mit die­ser Qua­li­fi­ka­ti­on ver­se­hen, um das The­ma spek­ta­ku­lär zu machen.

„Der acht­zig­jäh­ri­ge Papst, Jor­ge Mario Berg­o­glio, ist Bischof von Rom, Papst, gera­de weil sei­ne prie­ster­li­che Beru­fung eine lan­ge und aus­ge­präg­te kirch­li­che Kar­rie­re war, ein in ver­schie­de­nen Etap­pen klug geplan­ter Weg inner­halb der katho­li­schen Rea­li­tät und jener der Jesui­ten. Hun­der­te und Aber­hun­der­te von Bio­gra­phien berich­ten davon.“ 

Badil­la führt das näher aus:

„Als er 27 Jah­re alt war und sich 1963 in Chi­le auf­hielt, gestand Berg­o­glio einer Grup­pe ver­blüff­ter Jesuitense­mi­na­ri­sten, daß er „Novi­zen­mei­ster“ wer­den wol­le, und zeig­te damit, daß er eine Per­spek­ti­ve, ein Ziel, einen Weg, eine Kar­rie­re in der Gesell­schaft Jesu vor Augen hat­te. Und ganz neben­bei sag­te er damit etwas Legi­ti­mes, wenn auch Unge­wöhn­li­ches. Über den kur­zen Auf­ent­halt des Semi­na­ri­sten Berg­o­glio in Chi­le gibt es direk­te Zeug­nis­se von zwei Jesui­ten, Jor­ge Del­pia­no und Luis Edu­ar­do Bre­scia­ni, und von dem ehe­ma­li­gen Jesui­ten­bru­der Raúl Ver­ga­ra, der 2021 im Alter von fast 80 Jah­ren ver­stor­ben ist, einem ange­se­he­nen, in Latein­ame­ri­ka bekann­ten Aka­de­mi­ker und Wirtschaftsexperten.“

Ver­ga­ra erzählt, so Badil­la, daß er damals Jor­ge Mario Berg­o­glio mehr­mals sagen hör­te, er wol­le Novi­zen­mei­ster wer­den. „Ich war ver­blüfft, als er das sag­te, denn es gibt eine impli­zi­te Norm des hei­li­gen Igna­ti­us in den Kon­sti­tu­tio­nen der Gesell­schaft, die besagt, daß nie­mand absicht­lich Füh­rungs­po­si­tio­nen anstre­ben darf“ (Quel­le: Uni­ver­si­dad Cató­li­ca de Chi­le, 2018).

Badil­la erin­nert dar­an, daß Pater Berg­o­glio eini­ge Jah­re spä­ter, im Alter von 34 Jah­ren, Novi­zen­mei­ster und spä­ter Pro­vin­zi­al des Jesui­ten­or­dens von Argen­ti­ni­en wur­de, um dann zu kommentieren:

„Kurz gesagt, die­se Pas­sa­ge des Pap­stes über die ‚kirch­li­che Kar­rie­re‘ ist ein wei­te­res klei­nes Bei­spiel für ein gro­ßes Talent des Hei­li­gen Vaters: die Fähig­keit, Wor­te zu mani­pu­lie­ren, in die­sem Fall über ‚Kar­rie­ris­mus‘ zu spre­chen, indem er ihn mit ‚Kar­rie­re‘ gleich­setzt, also sehr unter­schied­li­che Phä­no­me­ne auch aus ethi­scher Sicht. Was das The­ma Kar­rie­re und Kar­rie­ris­mus betrifft, so gibt es para­do­xer­wei­se wäh­rend des Pon­ti­fi­kats von Fran­zis­kus immer mehr Fäl­le von Pres­by­tern ohne Ver­dien­ste und Fähig­kei­ten, die ihre kirch­li­che Kar­rie­re vor­an­trei­ben, ohne daß dies gleich­be­deu­tend mit Vor­be­rei­tung, Eig­nung und Auto­ri­tät wäre.“

Badil­la äußer­te, daß es in der Fra­ge auch dar­um gehe, sich nicht ein­sei­tig auf etwas Nega­ti­ves zu ver­stei­fen, son­dern etwas Nor­ma­les und Natür­li­ches mit Ehr­lich­keit und Gelas­sen­heit anzu­er­ken­nen, daß es in der Hier­ar­chie des Hei­li­gen Stuhls Mecha­nis­men der Beför­de­rung und damit der Kar­rie­re brau­che, und die­se von Kar­rie­ris­mus zu unter­schei­den sind.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)

Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!