Die Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) bekräftigte zum 50. Jahrestag, daß die Erklärung von Erzbischof Marcel Lefebvre vom 21. November 1974 auch heute noch gilt. Diese Grundsatzerklärung wurde „zum Leitbild“ der Piusbruderschaft, wie ihr Generaloberer Pater Davide Pagliarani betont. „Daher kann die Bruderschaft nicht ein Jota von ihrem Inhalt und Geist abweichen, die auch nach fünfzig Jahren noch vollkommen angemessen für die gegenwärtige Zeit sind.“ Es gehe um eine „prinzipielle Position“, wie Erzbischof Lefebvre es am 2. Dezember 1974 in einem Vortrag an die Seminaristen in Écône sagte.
Die Mitteilung trägt die Überschrift „Semper idem“ und kann gelesen werden als Selbstbekenntnis der Priesterbruderschaft, daß sie immer die gleiche ist, weil die Situation in der Kirche noch immer die gleiche ist.
Erzbischof Lefebvre wollte eine traditionelle Priesterausbildung sicherstellen, die vor den von ihm erkannten Fehlentwicklungen durch das Zweite Vatikanische Konzil und der Leugnung unveränderlicher Wahrheiten bewahren sollte. Die durch Papst Paul VI. Ende 1969 eingeführte radikale Liturgiereform zog jedoch eine unüberwindliche Trennlinie. Die Anerkennung der neuen Meßordnung wurde zum Gehorsamstest. Lefebvre war es gelungen, für die Seminaristen, die sich um ihn gesammelt hatten, um weiterhin in der Tradition ausgebildet zu werden, Aufnahme beim Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg zu finden. Dieser approbierte 1970 die Statuten der soeben gegründeten Piusbruderschaft. Als Lefebvre öffentlich erklärte, die soeben erlassene „vergiftete“ Liturgiereform nicht anerkennen zu können, sondern strikt an der überlieferten Form des Römischen Ritus festhalten zu wollen, wurde dies von Rom als Akt des Ungehorsams ausgelegt.
So wurden von Rom formalrechtliche Aspekte gegen die Piusbruderschaft in Stellung gebracht. Die Neugründung habe keine ausreichende kanonische Anerkennung, weshalb Lefebvre zwar gültige, aber keine rechtmäßigen Priesterweihen spenden und die Bruderschaft niemand inkardinieren könne. Da nur Rom den geforderten Rechtsstatus verleihen konnte, dies aber verweigerte, wollte man die Piusbruderschaft gegen die Wand rennen lassen, bis sie sich unterwirft oder auflöst. Die Spannungen nahmen zu. 1972 hatte Papst Paul VI. Lefebvre nicht mehr als Consultor der römischen Glaubenskongregation bestätigt.
Druck kam vor allem aus Frankreich, „wo die Bischöfe wütend waren über das ‚wilde Seminar‘, das bald einen traditionellen Klerus hervorbringen sollte.“ Im November 1974 entsandte Rom zwei Apostolische Visitatoren, um das von Erzbischof Lefebvre gegründete und inzwischen nach Ecône ins Wallis verlegte Priesterseminar zu visitieren. Sie handelten im Auftrag von gleich drei römischen Kongregationen. Während der Tage ihres Aufenthalts machten die Visitatoren „abweichende und skandalöse theologische Aussagen“, so Pater Christian Bouchacourt, derzeitiger zweiter Assistent des Generaloberen der Piusbruderschaft, in einem Interview von Maike Hickson für LifeSiteNews. „Sie hielten die Ordination verheirateter Männer für unausweichlich. Sie erkannten keine unveränderliche Wahrheit an und stellten sogar die physische Realität der Auferstehung Christi in Frage. Sie zogen sich schließlich zurück, ohne jedoch dem Oberen der Gesellschaft ein Protokoll oder einen Bericht über ihren Besuch vorzulegen.“ Das „verärgerte“ Erzbischof Lefebvre so sehr, wie Pater Franz Schmidberger in einem Vortrag am 14. November sagte, daß er nach Rom reiste, um dagegen zu protestieren. Schmidberger, der die Visitation als Seminarist persönlich miterlebte, war von 1982 bis 1994 zweiter Generaloberer der Piusbruderschaft. Zuletzt war er bis 2000 Regens des Priesterseminars der Bruderschaft in Zaitzkofen.
In dieser sich zuspitzenden Situation verfaßte Erzbischof Lefebvre in Rom, wo er offenbar wenig offene Ohren fand, die Grundsatzerklärung, da er zum Schluß gelangte, daß „im Moment“ aus Rom „nicht mehr viel zu erwarten war“, so Pater Bouchacourt. Der Erzbischof habe das Dokument in einem Moment der „Empörung in einem Guß, ohne Streichungen“ als Zusammenfassung seiner Position verfaßt. Darin bekräftigte er seine „unerschütterliche Haltung“ an der Tradition und dem überlieferten Ritus festzuhalten, denn: „Wir spüren, daß unser Glaube durch die nachkonziliaren Reformen und Orientierungen gefährdet ist“.
Zugleich gab er darin ein unerschütterliches Grundsatzbekenntnis ab:
„Wir hängen mit ganzem Herzen am ewigen Rom“.
Diese Erklärung wurde von Rom jedoch gegen ihn eingesetzt und als Handhabe gesehen, ein Untersuchungsverfahren gegen ihn einzuleiten. Zugleich wurde der neue Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg angewiesen, der Piusbruderschaft die kirchliche Anerkennung zu entziehen.
Der Generalobere der Piusbruderschaft, Pater Davide Pagliarani, hatte am 1. November in einem Interview mit Angelus Press die Situation analysiert und dabei auf den großen Anteil an der Entwicklung hingewiesen, den Paul VI. durch „eine Lawine von Dekreten“ (Pater Bouchacourt) zur Durchsetzung der Neuerungen auf sich geladen hatte:
„Papst Paul VI. selbst sprach bereits von der Selbstzerstörung der Kirche. Diese ist leider darauf zurückzuführen, daß die höchsten Autoritäten der Kirche die modernen Irrtümer ermutigten, die während des Zweiten Vatikanischen Konzils und der daraus resultierenden Reformen tief in die gesamte Kirche eingedrungen sind und unzählige Gläubige dazu gebracht haben, ihren Glauben aufzugeben. Anstatt das Glaubensgut für die Rettung der Seelen und das Gemeinwohl der gesamten Kirche zu bewahren, stellte der Papst seine Autorität in den Dienst der Zerstörung der Kirche. Zu seiner ewigen Ehre hat Erzbischof Lefebvre diese Selbstzerstörung abgelehnt und mutig die Tradition der Kirche bewahrt, indem er die zerstörerischen Neuerungen ablehnte und den Seelen weiterhin die übernatürlichen Güter der Lehre, der Messe und der Sakramente anbot. Genau aus diesem Grund entschieden sich die kirchlichen Autoritäten, ihn zu sanktionieren, sein Werk zu unterdrücken und ihm so die Anerkennung zu entziehen.“
Die Aussage über die „Selbstzerstörung der Kirche“ machte Paul VI. übrigens am 7. Dezember 1968, und damit einige Monate bevor er am 3. April 1969 mit dem Apostolischen Schreiben Missale Romanum die neue Meßordnung erließ, die am 29. November 1970, am ersten Adventssonntag, in Kraft trat.
Die Erklärung von 1974 enthält das Bekenntnis zur Tradition und die Aufforderung zur Verteidigung der Glaubenslehre und des Kultus „gegen einen eindeutig benannten Feind: nämlich die Reform durch das Konzil“. Die Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils wird in der Erklärung als „ein vergiftetes Ganzes gezeigt, das aus dem Irrtum fließt und zum Irrtum führt“, so der heutige Generalobere und seine Assistenten in ihrer Mitteilung zum 50. Jahrestag der Erklärung. Erzbischof Lefebvre sagte es vor einem halben Jahrhundert so:
„Diese Reform geht vom Liberalismus und vom Modernismus aus und ist völlig vergiftet. Sie stammt aus der Häresie und führt zur Häresie“.
Dabei „hat Erzbischof Lefebvre“, so Pater Bouchacourt, „nie behauptet, daß die Texte des Konzils eine ‚formale Häresie‘ enthalten würden. Allerdings, daß einige von ihnen mit schwerwiegenden Mängeln behaftet seien und zur Häresie führten, indem sie diese begünstigen“.
Dieser Entwicklung stellte der Gründer der Piusbruderschaft ein Postulat entgegen:
„Die einzige Haltung der Treue gegenüber der Kirche und der katholischen Lehre besteht, um unseres Heiles willen, in der kategorischen Weigerung der Annahme der Reform“.
Die Geschichte der vergangenen 50 Jahre habe „die Richtigkeit dieser Analyse ganz und gar bestätigt“, heißt es in der Mitteilung des heutigen Generaloberen und seiner Assistenten.
Da die Reform an sich „verdorben“ sei, könne daraus unmöglich eine Erneuerung der Kirche hervorgehen. Das zeige sich „offenkundig“. Ohne ihn namentlich zu nennen, betrachtet die Piusbruderschaft auch den Versuch von Benedikt XVI. einer Hermeneutik der Kontinuität als gescheitert, um „sowohl die Tradition als auch die Reform zu bewahren, sie zu vermählen oder sie gegenseitig zu bereichern“. Dieser Versuch sei „zwangsläufig gescheitert“.
Auch der derzeit regierende Papst wird nicht beim Namen genannt, doch heißt es weiter:
„Im selben Zuge haben jedoch Verachtung und der Haß auf die Tradition und die überlieferte Messe zugenommen. Dies ist ein greifbarer Beweis, daß zwei unvereinbare Lehren zwei unvereinbaren Kultformen entsprechen, zwei unversöhnliche Auffassungen von der Kirche und ihrer Mission zum Wohl der Seelen“.
Im Abstand von 50 Jahren bekräftigte die Piusbruderschaft, „nicht ein Jota“ von der „prinzipiellen Position“ abzurücken, die Erzbischof Lefebvre am 24. November 1974 formuliert hatte.
Erzbischof Lefebvre zeigte sich enttäuscht, wie die Erklärung als Waffe gegen ihn und vor allem gegen die Piusbruderschaft eingesetzt wurde, denn wenn etwas in der Erklärung nicht richtig sei, dann müsse er als Verfasser verurteilt werden, aber nicht die Piusbruderschaft. In Rom war jedoch die organisierte Form des Widerspruch der eigentliche Dorn im Auge. Pater Schmidberger faßte vor wenigen Tagen die Reaktion des Erzbischofs wie folgt zusammen:
„Wir werden verurteilt, weil wir an der überlieferten Messe festhalten, weil wir an der überlieferten Lehre festhalten. Deshalb werden wir verurteilt. Das ist aber eine unrechtmäßige Verurteilung. Deshalb mache ich weiter.“
Die Ereignisse überschlugen sich dann: 1975 wurde durch Rom auch die Anerkennung des Priesterseminars aufgehoben, der überlieferte römische Ritus für „verboten“ erklärt, Erzbischof Lefebvre suspendiert und die Piusbruderschaft als eine Art „Sekte“ gebrandmarkt. Auf diese Weise hofften die progressiven Kräfte in der Kirche den Erzbischof und seine Gründung zu zermürben und zu zertreten.
Mit der Wahl von Papst Johannes Paul II. begann sich Rom etwas versöhnlicher zu zeigen. Die Bemühungen um eine Aussöhnung scheiterten jedoch am fehlenden Vertrauen, sodaß Erzbischof Lefebvre, der seine Kräfte altersbedingt schwinden sah, 1988 vier Priester der Piusbruderschaft zu Bischöfen weihte, um den Fortbestand der Piusbruderschaft zu sichern.
„Das war aber nicht der Hauptgrund, sondern der Hauptgrund war, die überlieferte heilige Messse der Kirche zu erhalten. Es war also kein diplomatisches Spiel, das er betrieben hat. Es war die Sorge um die überlieferte heilige Messe und die überlieferte Lehre. Das war seine große Sorge.“
Die Bischofsweihen waren zwar gültig, aber unrechtmäßig, da der Papst die Anerkennung verweigerte. Damit kam es nicht zu einer erhofften Aussöhnung, sondern zum vollständigen Bruch, indem Rom die faktische Exkommunikation Lefebvres und der von ihm geweihten Bischöfe postulierte. Der Erzbischof starb 1991 im Stand der Exkommunikation, während die Wahl von Papst Benedikt XVI. am 21. Januar 2009 zur Aufhebung der Exkommunikation für die vier 1988 geweihten Bischöfe führte.
Erzbischof Lefebvre hatte die Notwendigkeit für vier Bischöfe gesehen, um das Werk der Piusbruderschaft weltweit fortführen zu können. Dabei kam es auch zu einer Aufteilung der Kontinente unter den vier Bischöfen, um die Reisetätigkeit einigermaßen überschaubar und zumutbar zu machen.
Am 4. Juli 2012 wurde einer von ihnen, Bischof Richard Williamson, wegen disziplinarischer Fragen aus der Piusbruderschaft ausgeschlossen. Nach 24 Jahren, in denen sie zu viert gewirkt hatten, standen nur mehr drei Bischöfe für dieselben Aufgaben zur Verfügung.
Am 8. Oktober 2024 verstarb nach längerer Krankheit Bischof Bernard Tissier de Mallerais. 36 Jahre nach ihrer Weihe – in denen sie entsprechend älter geworden sind – verfügt die Piusbruderschaft nur mehr über zwei Bischöfe, obwohl das Arbeitspensum seit 1988 größer geworden ist, da die Piusbruderschaft ihr Wachstum und ihre weltweite Ausbreitung fortsetzte.
Die Frage nach neuen Bischofsweihen beantwortet der Generalobere Pater Davide Pagliarani mit dem Hinweis, daß die Piusbruderschaft – sollte es dazu kommen – den gleichen Weg gehen werde, den Erzbischof Lefebvre gegangen ist, womit er sagen wollte, daß die Bruderschaft den Papst um die Genehmigung bitten werde, neue Bischöfe weihen zu können.
Weiter äußerte sich der Generalobere nicht. Implizit ließe sich daraus schließen, daß im Falle einer erneuten Ablehnung durch Rom, wie 1988, dennoch neue Bischöfe geweiht werden könnten. Die Mitteilung des Generaloberen und seiner Assistenten zum 50. Jahrestag der Erklärung von Erzbischof Lefebvre zeigt, daß die aktuelle Situation nicht anders eingeschätzt wird als 1988: Die „äußerste Not“, die „Notsituation“ besteht fort. Dann, so Pater Schmidberger in seinem Vortrag, bleibe nichts anderes übrig, als Bischöfe zu weihen:
„Wenn man weiter die überlieferte Messe erhalten wissen will, dann braucht man Priester, die diese feiern. Wenn man Priester haben will, die diese feiern, dann muß man Bischöfe haben, die solche Priester weihen.“
Um den Kontext zu verdeutlichen, ergänzte Schmidberger:
„Wenn der Erzbischof damals die Bischöfe nicht geweiht hätte, dann gäbe es keine Petrusbruderschaft, dann gäbe es die ganzen anderen Gemeinschaften nicht, die sich alle im Schatten der Piusbruderschaft da irgendwo bewegen. Die gäbe es alle nicht.“
Die Anerkennung hätten diese Gemeinschaften heute nur, weil es die Piusbruderschaft gibt. Als „Beweis dafür“, nannte Schmidberger, daß die 1988 neugegründete Petrusbruderschaft überall dort Niederlassungen gründen konnte, wo es die Piusbruderschaft gab, denn nur dort, so der ehemalige Generalobere, hätten die Diözesanbischöfe die Erlaubnis dazu erteilt mit dem Ziel, der Piusbruderschaft „die Leute wegzuziehen“.
Vor allem in Übersee gibt es vermehrt Stimmen, bald neue Weihen durchzuführen, um die beiden verbliebenen Bischöfe zu entlasten und die nächste Generation von Bischöfen zu formen, um das Werk von Erzbischof Lefebvre weiter ausbauen zu können.
In der Leitung der Bruderschaft scheint man den Zeitpunkt aber nicht für sehr günstig zu erachten, da der überlieferte Ritus in der Kirche seit dem Motu proprio Traditionis custodes wieder massiv unter Druck geraten ist. Einige scheinen daher mit dem Gedanken zu liebäugeln, die Wahl des nächsten Papstes abzuwarten, um durch diese Richtungsentscheidung klarer zu sehen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Fsspx.org/Youtube/fsspx.at (Screenshots)