Buchbesprechung von Wolfram Schrems*
Der den Lesern dieser Seite schon wohlbekannte Dr. Heinz-Lothar Barth, emeritierter Dozent für Klassische Philologie und produktiver Schriftsteller, legte im März eine neue Publikation vor. Sie beruht auf einem Konzept für einen Vortrag am CIVITAS-Kongreß 2020, der dann wegen der Corona-Inszenierung nicht durchgeführt werden konnte. Barth legte den Stoff darauf in mehreren Artikeln in der Monatszeitschrift Kirchliche Umschau dar. Diese wurden für die vorliegende Publikation noch einmal überarbeitet.
In vier Kapiteln, die sich an den vier Grundvollzügen der Kirche, nämlich Zeugnis und Glaubenslehre, Liturgie, Gemeinschaft und tätiger Nächstenliebe (nach Apg 2,42), ausrichten, werden viele Einzelthemen abgehandelt. In einem fünften Kapitel werden „die katholische Soziallehre und ihre Gegner“ behandelt. Im Anhang geht es um aktuelle Katastrophen in Kirche und Welt. Eine „Perspektive der Hoffnung“ und eine „Schlußüberlegung – Maria, Hilfe der Christenheit“ runden das Buch ab.
Prägung der kulturellen Identität durch die Kirche
Programmatisch schreibt Barth:
„Wenn man also zielführend vorgehen will, muß man sich erst seiner eigenen Identität und aller bzw. mindestens möglichst vieler Elemente, die dazu gehören, vergewissern, um dann auch im Austausch mit anderen Identitäten vernünftig handeln und vielleicht sogar das eine oder andere bisher Fremde selbst übernehmen zu können, in der Hoffnung und Erwartung, daß auch das Gegenüber lernwillig und lernfähig ist. Daher dürfte es sich lohnen, einmal danach zu fragen, was denn eigentlich die christliche, vorzüglich die katholische, Identität ausmacht. Und warum sollte man nicht ein Modewort im Titel eines Buches wählen, das den Leuten heute gut vertraut ist, wofern es nicht in sich falsch oder schlecht ist?“
„Modewort“ ist „Identität“ möglicherweise durch die sogenannte „Identitätspolitik“ der Linken (in den USA also der Demokraten) als auch durch die teilweise erfolgreiche, aber politisch schlimm bekämpfte „Identitäre Bewegung“ in einigen europäischen Ländern geworden.
Barth beklagt den symbolträchtigen Akt, als der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx sein Brustkreuz ablegte und damit das „allgegenwärtige Zeichen unserer christlichen Identität“.
Der „Geist des christlichen Abendlandes“ wurde von dem bekannten thomistischen Philosophen und produktiven Autor Josef Pieper so charakterisiert (und vom Geist des östlichen Christentums abgesetzt):
„Das unterscheidend Abendländische ist … die innere Verknüpfung von Weltlichkeit und Religiosität: theologisch gegründete Weltlichkeit, weltbejahende und weltformende Theologie … Unabendländisch wären demnach vor allem zwei Haltungen – und beide sind nicht eine bloß irreale Konstruktion; sie sind vielmehr die höchst reale Gefährdung, welche die ganze abendländische Geistesgeschichte begleitet. Unabendländisch wäre sowohl eine von keiner Weltverpflichtung beunruhigte Religiosität als auch eine von keinem überweltlichen Anruf beunruhigte Weltlichkeit (in letzterer Entwicklung liegt heute die weitaus größere Gefahr, so darf man wohl sagen; H‑L B).“
Solide Wissenschaft und authentischer katholischer Glaube machen die katholische Identität des Abendlandes aus. Die modernistische Theologie (u. a. auf dem Immanentismus aufbauend) legt „die philosophische Basis für die Aufwertung der falschen Religionen im Zusammenhang mit dem II. Vatikanum.“
Kritische Worte gibt es zum regierenden Papst, und Barth fordert dann:
„Unser katholisches Selbstverständnis wird nur dann gewahrt bleiben, wenn wir weitgehend zur Theologie der Pius-Päpste zurückkehren. An führender Stelle gehört dazu die Enzyklika ‚Humani generis‘ Pius’ XII. aus dem Jahre 1950. Nicht ohne Grund forderte der Papst dort, die gegen innerkatholische neomodernistische Strömungen mit ihren Tendenzen zum Historizismus, (philosophischen) Idealismus, Immanentismus und Existentialismus bis hin zur Aufgabe des Satzes vom verbotenen Widerspruch gerichtet war, eine Rückbesinnung vor allem auf den hl. Thomas von Aquin.“
Vorbereitung auf das Evangelium
Das Beste der antiken Philosophie gehört zum Logos und ist „Vorbereitung für das Evangelium“. Barth zitiert hier den bekannten Patrologen Michael Fiedrowicz, der den Lesern dieser Seite ebenfalls schon lange bekannt ist (Die Überlieferte Messe):
„Nicht die antike Religion bildete also die praeparatio evangelica [Vorbereitung für das Evangelium, H‑LB], sondern die Wahrheitssuche der Philosophie, die durchaus religionskritische Züge besaß. Mit der Selbstbezeichnung als ‚wahre Philosophie’ (vera philosophia) machte sich das Christentum die philosophische Option für den Logos gegen den Mythos zu eigen, beanspruchte zugleich aber auch, die Grenzen menschlicher Wahrheitssuche aufzusprengen. Indem es nicht mehr nur der bloße Verstand (ratio) war, der Einsicht in den letzten Grund der Welt zu gewinnen suchte, sondern die vom Glauben geweitete und erhellte geistige Sehkraft (intellectus), erreichte der philosophische Erkenntnisimpuls einen neuen Zugang zu seinem Ziel.“
Barth zitiert Kardinal Jean Daniélou SJ, der treffend formuliert hat:
„Ebenso wie die bekehrten Juden mit Recht im Christentum nicht etwa die Vernichtung, sondern die Erfüllung ihres Glaubens sahen, waren sich nun auch die Heiden bewußt, daß sie als Anhänger Christi das Beste, was sie mitbrachten, nicht zu verleugnen brauchten, sondern im Gegenteil dessen Vollendung fanden.“
Daß die Offenbarung Jesu Christi die Vollendung des Alten Testaments und des Besten der heidnischen Bemühungen um ein richtiges Leben ist, ist ein sehr wichtiger Punkt. –
Für das katholische Denken und Leben ist nach Barth auch der Gedanke der göttlichen und weltlichen Ordnung zentral. Der hl. Augustinus hat programmatisch in De ordine darüber gehandelt. In einer Welt der Unordnung, ja, da die Unordnung gefordert und geradezu zelebriert wird, wird das anstößig klingen. Wir sind als Gesellschaft eben sehr weit weg vom Plan Gottes.
Aktuelle Fragen in Kirche und Welt
Barth kommt auf die völlig unnötige Neuordnung der Sakramente nach dem II. Vaticanum zu sprechen (wiewohl er bestreitet, „daß sie prinzipiell ungültig sind, wenn nicht eine öffentlich bekundete Gegenintention des Spenders bekannt wird“).
Breiten Raum nehmen seine Ausführungen über die hl. Messe ein, wobei auch die Musik, die lateinische Sprache und katholische Festkultur allgemein thematisiert werden. Im Zusammenhang mit letzterem wird eine „falsche säkulare Askese“ im Zusammenhang mit Bevormundung der Menschen, verordnetem Veganismus und Miesmacherei kritisiert.
Die Perversionen der Corona-Tyrannei (worüber Dr. Barth schon zwei Bücher vorgelegt hat) werden genau analysiert und mit einem gesunden, katholischen Sinn für Gesundheitspflege kontrastiert („Der Glaube besiegt die Angst“):
„Übrigens läßt eine solche Relativierung aller irdischen Güter überhaupt erst einen sorgenfreien, entspannten und fröhlichen Umgang mit ihnen zu. Wer nur dem Genuß dieser Welt nachjagt, weil er nichts Höheres kennt oder kennen will, kann sie gar nicht wirklich genießen, sondern sucht verkrampft immer neuen Sinnenkitzel – ähnlich wie die meisten Superreichen ständige Angst um den Verlust oder eine Beschränkung ihres riesigen Vermögens umtreibt.“
Naturgemäß nimmt das Thema der Gottes- und Nächstenliebe einen wichtigen Platz ein, sowie die Liebe zur Wahrheit, deren Verachtung nach 2 Thess 2,10–12 zum Verlust des Heils führt.
Die Kirche förderte die „aufopfernde Gottes- und Nächstenliebe in Zeiten von Seuchen“:
„Aus ihrer Liebe zu Gott und den Menschen taten die Christen sogar etwas, was man bei den Heiden in großem Stil nirgends fand: In Epidemiezeiten, die immer wieder auftraten, kümmerten sie sich rührend um die Kranken (und auch um die Toten) und setzten wie selbstverständlich keine Gottesdienste aus, beteten vielmehr, auch öffentlich, um so eifriger. Das aber führte nicht nur zu einer höheren Überlebensrate der beispielsweise von einer Pest Befallenen, sondern war auch mit für die rasche Ausbreitung der Liebesbotschaft Jesu Christi unter den Menschen verantwortlich.“
Die Corona-Politik von Papst Franziskus wird folgerichtig massiv kritisiert. –
Weitere Themen sind Krieg und Frieden, Wohlstand, der Vorrang des kontemplativen vor dem aktiven Leben, richtige Ausübung von menschlicher Macht, die Beschädigung der Demokratie „durch international einflußreiche Kräfte“ („Ziel ist eine totalitäre, atheistische und sozialistische Weltregierung, die schon Papst Benedikt XV. in seinem Motu proprio ‚Bonum sane‘ 1920 gebrandmarkt hat.“) und dem Umgang mit dem Leben:
„So wird für aktive Lebensschützer in vielen Ländern, auch in der Bundesrepublik Deutschland, die Luft immer dünner.“
Resümee
Heinz-Lothar Barth legte wiederum, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, ein materialreiches und interessantes Buch vor. Da er umfassend belesen ist, kann er – wie man so sagt – „aus dem vollen schöpfen“. Glaubenssinn, Wissenschaftlichkeit und gesunder Menschenverstand sind bei Barth in reichem Maß zu finden. Das Buch setzt einiges an Kenntnissen und Problembewußtsein voraus und richtet sich daher hauptsächlich an theologisch vorgebildete Katholiken und an Studenten und Akademiker einschlägiger Fächer. –
Die Stärke Barths ist in gewisser Hinsicht allerdings auch seine Schwäche: An vielen Stellen wird es einfach zu dicht, dort sind oft zu viele Zitate und bibliographische Hinweise auf einmal. Das macht die Lektüre manchmal etwas mühsam.
Da viele Themen bearbeitet werden, gibt es manchmal Sprünge: Auf S. 286 wird der Personalismus erwähnt (zu dem wir gerne eine ausführliche Darstellung hätten, wie schon in der Besprechung des Traktates Über den Primat des Gemeinwohls von Charles De Koninck erwähnt), aber dann wird abrupt zum Klimawahn übergeleitet und nur zwei Seiten weiter sind wir in der Renaissance-Kunst und bei den Griechisch-Kenntnissen des Abendlandes. Dann kommt noch einmal der Personalismus, aber wieder zu knapp (291). Das sollte überarbeitet werden. Sehr gerne würden wir eine umfassende Darstellung des Personalismus, seiner Anliegen, möglicher Verdienste und Probleme aus der Feder von Dr. Barth lesen. –
Kritisch könnte man zum Inhalt anmerken, daß die von Barth ohne weitere Qualifikation genannte Hore der Prim (102, 103) ja offiziell vom II. Vaticanum (Sacrosanctum Concilium IV, § 89 d) abgeschafft wurde.
Der Psalm Iudica ist nicht der 25. Psalm (186).
Barth schreibt auf S. 239: „[Eine] solche Einsicht in die ‚Auferstehung des Fleisches‘ fördert auch die Erkenntnis, daß im Christentum Leib und Seele keine zwei getrennten Entitäten sind, sondern daß sie eng zusammengehören. Nicht ist, wie bei Platon, der Leib das Grab der Seele (sōma sēma), sondern, um mit der Scholastik zu sprechen, die Seele die forma des Leibes, der die materia darstellt.“
Das stimmt zwar. Der Vollständigkeit halber wäre aber gegebenenfalls die Ergänzung gut gewesen, daß Platon hier eine allgemeine, schmerzliche Menschheitserfahrung beschreibt. Platon wird ja für diese Aussage immer wieder kritisiert, aber auch die Kirche weiß, daß nach dem Sündenfall zwischen Leib und Seele kein Frieden herrscht.
Die Formulierung „islamischer Geistlicher“ (250) ist eine Übertragung einer katholischen Kategorie auf ein völlig anderes Gebilde, d. h. es gibt keine „islamischen Geistlichen“.
Barth stützt sich in der Frage der Gehorsamspflicht gegenüber dem Staat in der Coronakrise auf den Traktat von Prof. Josef Spindelböck Die Problematik der sittlichen Legitimität von Gewalt in der Auseinandersetzung mit ungerechter staatlicher Macht aus dem Jahr 1994 (305). Der Vollständigkeit halber hätte man ergänzen müssen, daß Hochwürden Spindelböck in genau dieser Krise dann selbst die Haltung des Regimes, besonders bei der „Impfung“, weitgehend zu der seinen gemacht und damit verstärkt hat. –
Diese kritischen Punkte sind im Gesamtkontext natürlich von untergeordneter Bedeutung. Denn selbstverständlich sind die Publikationen von Heinz-Lothar Barth immer lesenswert.
Heinz-Lothar Barth, Der Katholik – Seine religiöse und kulturelle Identität und deren Gefährdung, Editiones scholasticae, Neunkirchen-Seelscheid, 2024, 365 S.
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro-Lifer, hofft, daß die Vorstellung guter katholischer Literatur Glauben und Einsicht im Volk vermehrt.
Bild: Editiones Scholasticae
„Ebenso wie die bekehrten Juden mit Recht im Christentum nicht etwa die Vernichtung, sondern die Erfüllung ihres Glaubens sahen, waren sich nun auch die Heiden bewußt, daß sie als Anhänger Christi das Beste, was sie mitbrachten, nicht zu verleugnen brauchten, sondern im Gegenteil dessen Vollendung fanden.“ (Zitat von Kardinal Jean Daniélou SJ aus dem obigen Artikel)
Im Prinzip ist dies eine Zusammenfassung von dem, was David Harold Stern in seinem „Kommentar zum Jüdischen Neuen Testament“ in aller Ausführlichkeit dargelegt hat. Nur brauchte er dafür über 1.300 Seiten [sic!]. Stern (geb. 31. Oktober 1935, gest. am 8. Oktober 2022) war ein in Amerika geborener messianisch-jüdischer Theologe [= getaufter, Christusgläubiger Jude], der in Israel lebte.
Sein Jüdisches Neues Testament ist extrem anspruchsvoll übersetzt, aber trotzdem (oder gerade deswegen) sehr empfehlenswert. (https://www.scm-shop.de/das-juedische-neue-testament-7522455.html)