
Der Haus- und Hofgeistliche von Nicaraguas sandinistischem Diktator Daniel Ortega erklärte, daß es in dem zentralamerikanischen Land „keine religiöse Verfolgung“ gebe. Derselbe Priester hatte im vergangenen Juni bereits ein Enkelkind des Diktators getauft.
Der nicaraguanische Priester Rafael Rios Gadea sagte am vergangenen Freitag, daß es in Nicaragua keine religiöse Verfolgung gebe. „Wenn ein Verbrechen begangen wird, bezahlt derjenige, der das Verbrechen begeht, aber es ist nicht die katholische Kirche“, so der Priester, der Pfarrer der Pfarrei San Maximiliano María Kolbe in der Diözese Jinotega ist.
Don Rios Gadea erklärte damit implizit, daß die zahlreichen Priester und mehrere Bischöfe, die in den vergangenen sechs Jahren verhaftet wurden, im Gefängnis sitzen oder des Landes verwiesen wurden, „Verbrecher“ sind. Deshalb wurden sie verurteilt und nicht, weil sie Kirchenmänner sind.
Bischof Rolando José Álvarez Lagos ist das extremste Beispiel. Er wurde im Sommer 2022 verhaftet und in einer Nacht-und-Nebelaktion zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Nebulös waren auch die Anschuldigungen, die gegen den Kirchenmann erhoben wurden. Angeblich habe er sich des „Hochverrats“ und der Verbreitung von „Falschmeldungen“ schuldig gemacht. Beweise dafür legte das Ortega-Regime keine vor.
Diktaturen neigen zur totalen Kontrolle. Jede Konkurrenz, ob als eigenständige Meinung oder als unabhängige Organisation, ist ihnen suspekt und wird als Bedrohung wahrgenommen. Das gilt auch für die katholische Kirche, deren Einfluß die Machthaber fürchten. Dem Sozialisten Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo, die Vizepräsidentin von Nicaragua ist – Ortega traut niemandem, weshalb er Schlüsselpositionen bevorzugt mit Familienmitgliedern besetzt –, wird Paranoia nachgesagt. Seit es 2018 zu Protesten gegen das sandinistische Regime kam, beschuldigt Ortega die katholische Kirche, ihn stürzen zu wollen und Drahtzieher hinter den regierungskritischen Bestrebungen zu sein. Seither werden Priester verhaftet oder ausgebürgert und des Landes verwiesen. Katholische Einrichtungen, vor allem im Bildungs‑, Medien- und Sozialbereich, werden geschlossen und ihr Eigentum vom Staat enteignet. Doch für den Priester Don Rios Gadea ist alles in bester Ordnung, denn die verfolgten Priester seien selber schuld, denn sie werden sich schon etwas zuschulden kommen haben lassen.
Die Argumentation erinnert frappierend an jene regimehörigen Priester im einstigen Ostblock. Auch dort gab es jene Kirchenmänner, die mit den Kommunisten gemeinsame Sache machten, dafür Posten und Ämter erhielten, weil sie dem Regime als Aushängeschilder und Feigenblätter dienten. Während ihre Mitbrüder und Bischöfe in Schauprozessen, die alle rechtsstaatlichen Maßstäbe verhöhnten, abgeurteilt und in die Gefängnisse geworfen wurden oder in Bergwerken und Arbeitslagern schuften mußten, sonnten sich andere im Schatten der neuen Machthaber. Einige dieser „sozialistischen“ Priester saßen sogar in den Regierungen. Und es gab sie auch im freien Westen, wie den Schweizer Kapuziner Pater Walbert Bühlmann, der die Kirchenverfolgung in sozialistischen „Paradiesen“ leugnete und meinte, die Christen könnten gar nicht verfolgt werden, denn die wahren Christen stünden auf der Seite der Revolution. Wenn jemand verfolgt werde, dann reaktionäre Kräfte, deren Verfolgung notwendig und legitim sei.
Ähnlich äußerte sich am 4. Oktober der nicaraguanische Priester Don Rios Gadea bei einer Sondersitzung der nicaraguanischen Nationalversammlung (Parlament) in La Concordia in der Provinz Jinotega, wo General Benjamin Zeledón geehrt wurde, dessen 112. Todestag sich jährte. Zeledón war bei einer „Militärintervention“ US-amerikanischer Truppen, die Nicaragua besetzt hatten, getötet worden. Seit 1984, als Daniel Ortega erstmals Präsident war, wird Zeledón als Nationalheld der Unabhängigkeit Nicaraguas gefeiert. In seiner Rede sagte Don Rios Gadea:
„Wir sollten uns aus dem Kopf schlagen, was viele behaupten, nämlich, daß es in Nicaragua religiöse Verfolgung gibt. Religiöse Verfolgung ist dann gegeben, wenn sie auf Haß gegen den Glauben und die Verfolgung von Menschen, die Kinder Gottes sind, zurückzuführen ist. Wenn ein Verbrechen begangen wird, und ein Verbrechen wird begangen, zahlt derjenige, der das Verbrechen begeht, aber es ist nicht die Kirche. Wir sind alle Kirche und heute müssen wir Gott danken, denn dank der Helden wie Benjamín (Zeledón) haben wir heute (in Nicaragua) Frieden. Heute können wir zu Gott beten und spüren, daß wir Kinder Gottes sind.“
Don Rios Gadea ist jener Priester, der im vergangenen Juni in Managua auch das Enkelkind von Daniel Ortega und Rosario Murillo taufte. Er unterhält ein offensichtlich sehr enges Verhältnis zum Präsidentenpaar.
Laut der nicaraguanischen Menschenrechtsanwältin Martha Patricia Molina, die selbst im Exil leben muß, wurden seit dem Ausbruch der sozialen und politischen Krise im April 2018 insgesamt allein 245 Priester ins Exil gezwungen.
Am 26. August beschuldigte Präsident Ortega den Vatikan, Teil eines „Konglomerats des Faschismus“ zu sein. Er sprach den Heiligen Stuhl als „Staat“ an, der „eindeutig das Imperium unterstützt“, womit er die USA meinte. Diese hatten zweimal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert militärisch in Nicaragua interveniert, um ihnen genehme Regierungen zu installieren, zuletzt die von 1936 bis 1979 herrschende Familie Somoza, um die US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen im Land zu sichern.
Ortega ist bei seinen Anschuldigungen wenig zimperlich. So beschuldigte er den Heiligen Stuhl, im vorigen Jahrhundert auch „Komplize der Nazis“ gewesen zu sein. Im August 2023 ordnete Ortega die Auflösung des Jesuitenordens im Land an, dem nicht nur Papst Franziskus angehört, sondern der in der ersten Diktatur Ortegas 1979–1990 auch führende Unterstützer des sandinistischen Regimes gestellt hatte wie den Jesuiten Fernando Cardenal, der Anfang der 70er Jahre die Christlich-Revolutionäre Bewegung MCR gegründet hatte und nach der Revolution bis 1990 sandinistischer Bildungsminister war.
Papst Franziskus hatte lange mit dem Ortega-Regime geliebäugelt. Ortega nannte, während er in Nicaragua Priester und Bischöfe inhaftierte, Franziskus seinen „Freund“. Als der Papst nach der Verurteilung von Bischof Álvarez die Regierung Ortega spät, aber doch als „grobe Diktatur“ geißelte, fielen bei dem Sandinisten die letzten Hemmungen. Er setzte die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl aus.
Hinter den Kulissen wird jedoch weiterhin verhandelt, zumindest auf humanitärer Ebene, um die inhaftierten Priester und Bischöfe freizubekommen. So konnte Bischof Álvarez im vergangenen Januar, nach anderthalb Jahren Haft, Nicaragua verlassen. Auch ihm wurde die Staatsbürgerschaft aberkannt, um eine Rückkehr unmöglich zu machen.
Als Ergebnis der Verhandlungen auf diplomatischer Ebene, vermittelt durch Brasilien, kamen im August neun inhaftierte Priester frei. Auch sie mußten im Gegenzug das Land verlassen und ins Exil gehen.
Aufgrund von Korruptionsskandalen und der Zerstrittenheit der anderen politischen Gruppen war Ortega 2006 ein überraschendes Kunststück gelungen. Obwohl seine gewaltsam errungene Diktatur bei den ersten demokratischen Wahlen 1990 hinweggefegt worden war, gelang es ihm 16 Jahre später, mit 38 Prozent der Stimmen erneut und dieses Mal legal Präsident von Nicaragua zu werden. Seither führte er das Land schrittweise in eine neue Diktatur, indem er seine Macht immer aggressiver absicherte. Ortega, der im November 79 Jahre alt wird, scheint fest entschlossen, sich kein zweites Mal von der Macht verdrängen zu lassen. Seine jüngste Wiederwahl im Herbst 2021 war nur mehr eine Farce. Ortega hatte seine profilierten Gegenkandidaten, sofern ihnen nicht rechtzeitig die Flucht ins Exil gelang, inhaftieren lassen. Einige ungefährliche Kandidaten, von Kritikern als „Ortega-Kandidaten“ bezeichnet, ließ er antreten, um den Anschein einer regulären Wahl zu wahren.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Canal 4 Nicaragua (Screenshot)
Zustände wie in Deutschland …