Abtreibung laut Papst Franziskus und König Balduin von Belgien

Das alles entscheidende Ringen zwischen der Kultur des Lebens und der Kultur des Todes


Papst Franziskus und König Balduin der Belgier
Papst Franziskus und König Balduin der Belgier

Von Cri­sti­na Siccardi*

Anzei­ge

Eine Abtrei­bung ist Mord, man tötet einen Men­schen“, erklär­te der Papst bei der Rück­kehr von sei­ner jüng­sten Apo­sto­li­schen Rei­se nach Bel­gi­en, sei­ner 46. Rei­se, die am 29. Sep­tem­ber zu Ende ging. Wir hat­ten also die Gele­gen­heit, kla­re Wor­te der Wahr­heit über einen abso­lut unum­stöß­li­chen Grund­satz zu hören, und der Papst benutz­te dabei Wor­te ohne jede Zwei­deu­tig­keit: „Die Ärz­te, die sich dazu her­ge­ben, sind, erlau­ben Sie mir das Wort, Mör­der. Dar­über kann man nicht strei­ten“, denn „die Wis­sen­schaft sagt Ihnen, daß im Monat der Emp­fäng­nis bereits alle Orga­ne vor­han­den sind… Sie töten einen Men­schen“.

Wir sind lei­der nicht mehr an die Wahr­heit der Kon­zep­te gewöhnt, selbst wenn sie so offen­sicht­lich sind wie die Kultur/​Politik für das Leben und die Kultur/​Politik für den Tod.

Seit den letz­ten Jahr­zehn­ten des 20. Jahr­hun­derts liegt die Tötung eines unge­bo­re­nen Kin­des, eines Men­schen, in vie­len Län­dern der Welt, vor allem im Westen, im Ermes­sen der Frau und ist wäh­rend der ersten Schwan­ger­schafts­mo­na­te eine gesetz­lich erlaub­te Pra­xis. Trotz der wei­ten Ver­brei­tung die­ser Pra­xis sind die Debat­ten und Zwei­fel über die Zuläs­sig­keit der Abtrei­bung und trotz der Tabui­sie­rungs­ver­su­che nach wie vor fester Bestand­teil unse­rer Gesell­schaf­ten. Mit dem beschö­ni­gen­den sprach­li­chen Aus­druck „frei­wil­li­ger Schwan­ger­schafts­ab­bruch“ wird die­ses tra­gi­sche Pro­blem, das das Gewis­sen bela­stet, so lan­ge in Umlauf gebracht, bis die hei­li­ge Wahr­heit, die der Papst am ver­gan­ge­nen Sonn­tag ver­kün­det hat, allen klar ist: „Eine Abtrei­bung ist Mord, man tötet einen Men­schen“, dem die eben­so wah­ren Wor­te hin­zu­ge­fügt wer­den: „Die Frau hat ein Recht auf Leben, auf ihr eige­nes Leben und auf das Leben ihrer Kin­der“. Die Tötung von Kin­dern ist eine Abscheu­lich­keit, unab­hän­gig davon, wie vie­le Mona­te das für das Leben bestimm­te Geschöpf alt ist und wel­che Pro­ble­me die Mut­ter auch haben mag. Hat nicht das grau­sa­me Ende der namen­lo­sen Säug­lin­ge, die Chia­ra Petro­li­ni in ihrem Gar­ten in Par­ma ver­gra­ben hat, die gesam­te öffent­li­che Mei­nung empört?1 Und was ist der Unter­schied zu den klei­nen, namen­lo­sen Kin­dern, die im Mut­ter­leib ermor­det wurden?

Die apo­sto­li­sche Rei­se nach Bel­gi­en war für den Papst auch eine Gele­gen­heit, eine wich­ti­ge Initia­ti­ve anzu­kün­di­gen: Am Ende des Besuchs gab er bekannt, daß er den Selig­spre­chungs­pro­zeß für Bal­du­in (1930–1993), von 1951 bis 1993 König der Bel­gi­er, ein­lei­ten wer­de, der, nach­dem er den Thron in einer Pha­se der poli­ti­schen Kri­se bestie­gen hat­te – von Kri­sen wur­de sei­ne gan­ze lan­ge Regie­rungs­zeit beglei­tet –, sich auch der Abtrei­bungs­fra­ge stell­te und dabei sei­nen katho­li­schen Glau­ben bezeug­te. Er behan­del­te die­sen nicht als eine pri­va­te reli­giö­se Ange­le­gen­heit, son­dern als eine öffent­li­che Rea­li­tät, die sei­ne Ent­schei­dun­gen auf natio­na­ler Ebe­ne beein­fluß­te. Das ist eine ganz ande­re Hal­tung als die von Macht­ha­bern, die sich zwar als katho­lisch bezeich­nen, aber dann so ver­hal­ten, als ob sie es nicht wären – man den­ke nur an vie­le Christ­de­mo­kra­ten in der Ver­gan­gen­heit oder an heu­ti­ge Politiker.

Bal­du­in, der Sohn von König Leo­pold III. (1901–1983) und Köni­gin Astrid (1905–1935), ver­lor im Alter von fünf Jah­ren sei­ne Mut­ter, die bei einem Auto­un­fall ums Leben kam. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs wur­de die könig­li­che Fami­lie 1940–1944 im Schloß Lae­ken2 gefan­gen­ge­hal­ten. Anschlie­ßend wur­den die Mit­glie­der des Königs­hau­ses zunächst ins Drit­te Reich in ver­schie­de­ne Gefan­ge­nen­la­ger depor­tiert, zuletzt in Öster­reich, bevor sie im Mai 1945 von den Ame­ri­ka­nern befreit wurden.

Nach Kriegs­en­de leb­te die könig­li­che Fami­lie bis 1950 im Schwei­zer Exil, bis Leo­pold III. nach einer Volks­ab­stim­mung in sei­ne Hei­mat zurück­keh­ren konn­te. Die Volks­ab­stim­mung hat­te aller­dings erge­ben, daß Flan­dern für den König, aber Wal­lo­ni­en gegen ihn war. Um das Land nicht zu spal­ten, dank­te Leo­pold III. am 16. Juli 1951 zugun­sten sei­nes älte­sten Soh­nes Bal­du­in3 ab, der im Alter von 21 Jah­ren Sou­ve­rän und fünf­ter König der Bel­gi­er wur­de. Die­se Jah­re waren geprägt von der Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen den Ver­fech­tern der katho­li­schen Schu­le, die der Herr­scher aus Über­zeu­gung unter­stütz­te, und den Anhän­gern der staat­li­chen Schu­le, und sie waren auch die Jah­re der Grün­dung der Euro­päi­schen Gemein­schaft für Koh­le und Stahl (EGKS) 1951 und der Euro­päi­schen Wirt­schafts­ge­mein­schaft (EWG) 1957. In der Zwi­schen­zeit kommt es zu schwe­ren Auf­stän­den für die Unab­hän­gig­keit des Kon­go von Bel­gi­en. Am 30. Juni 1960 nahm Bal­du­in an der Unab­hän­gig­keits­ze­re­mo­nie in Leo­pold­ville4 teil, und in der gemein­sa­men Sit­zung des Par­la­ments lob­te der König nach einer uner­war­te­ten Ova­ti­on aller kon­go­le­si­schen Abge­ord­ne­ten die Kolo­ni­al­zeit und die zahl­rei­chen bel­gi­schen Pro­jek­te, die mit her­vor­ra­gen­den Ergeb­nis­sen für die Kon­go­le­sen in die­sem afri­ka­ni­schen Land durch­ge­führt wurden.

1960 hei­ra­te­te er in der Brüs­se­ler Kathe­dra­le die spa­ni­sche Grä­fin Fabio­la de Mora y Ara­gón (1928 –2014), die zur Köni­gin Fabio­la der Bel­gi­er wur­de, die fünf Schwan­ger­schaf­ten hat­te, die jedoch alle mit Fehl­ge­bur­ten ende­ten: ein schwe­res Kreuz, das das Königs­paar mit Glau­ben, Hoff­nung und Lie­be zu tra­gen hat­te. So ging die dyna­sti­sche Nach­fol­ge an den 1960 gebo­re­nen Prin­zen Phil­ipp über, den Sohn sei­nes 1934 gebo­re­nen Bru­ders Albert II.

1976 wur­de die König-Bal­du­in-Stif­tung mit den Gel­dern gegrün­det, die wäh­rend der Fei­er­lich­kei­ten zum 25. Thron­ju­bi­lä­um gesam­melt wur­den, mit dem Ziel, die Lebens­be­din­gun­gen der Bevöl­ke­rung auf wirt­schaft­li­cher, sozia­ler, kul­tu­rel­ler und wis­sen­schaft­li­cher Ebe­ne zu verbessern.

Obwohl Bel­gi­en eine par­la­men­ta­ri­sche Mon­ar­chie ist, in der der Mon­arch sei­ne Mei­nung nicht ohne die Zustim­mung des Par­la­ments öffent­lich äußern kann, hat­te der beim Volk belieb­te Bal­du­in stets einen gro­ßen Ein­fluß auf die Regie­run­gen wäh­rend sei­ner zwei­und­vier­zig­jäh­ri­gen Regie­rungs­zeit. Unter sei­ner Amts­zeit wur­de Bel­gi­en in einen Bun­des­staat umge­wan­delt, wobei sich der König ent­schie­den für die Ein­heit des Staa­tes ein­setz­te, trotz der anhal­ten­den Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten im Sprach­be­reich, ins­be­son­de­re bezüg­lich der bei­den Amts­spra­chen Nie­der­län­disch und Französisch.

Bal­du­in, nun Kan­di­dat für die Ehre der Altä­re, war ein zutiefst katho­li­scher Mann und sein gan­zes Leben war ein Zeug­nis sei­nes Glau­bens. Als er 1990 nicht bereit war, das vom Par­la­ment ver­ab­schie­de­te Abtrei­bungs­ge­setz zu unter­zeich­nen, erklär­te er sei­ne Grün­de in einem Brief an den dama­li­gen Mini­ster­prä­si­den­ten Wil­fried Mar­tens. So nahm das Par­la­ment in Anwen­dung einer beson­de­ren Aus­le­gung von Arti­kel 93 der Ver­fas­sung (Arti­kel 82 nach der frü­he­ren Nume­rie­rung) eine vor­über­ge­hen­de „Regie­rungs­un­fä­hig­keit“ Bal­du­ins zur Kennt­nis und ver­kün­de­te das Gesetz am 3. April ohne den König. Am dar­auf­fol­gen­den 5. April wur­de Bal­du­in unter erneu­ter Aner­ken­nung der Gesamt­heit der Funk­tio­nen und Rech­tes des Staats­ober­haup­tes vom Par­la­ment wie­der in sein Amt eingesetzt.

*Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, zu ihren jüng­sten Buch­pu­bli­ka­tio­nen gehö­ren „L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II“ (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, 2013); „San Pio X“ (Der hei­li­ge Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und erneu­ert hat, 2014) und vor allem ihr Buch „San Fran­ces­co“ (Hei­li­ger Fran­zis­kus. Eine der am mei­sten ver­zerr­ten Gestal­ten der Geschich­te, 2019).

Übersetzung/​Fußnoten: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana


1 Die 22jährige Chia­ra Petro­li­ni hat ihre bei­den neu­ge­bo­re­nen Kin­der getö­tet und im Gar­ten ihres Hau­ses in der Nähe der ober­ita­lie­ni­schen Stadt Par­ma ver­gra­ben. Der Ermitt­lungs­rich­ter, der den Fall behan­delt, sag­te, daß ihr Ver­hal­ten „eine kal­te und distan­zier­te Per­sön­lich­keit offen­ba­re“, die „Käl­te und Ver­ach­tung für das mensch­li­che Leben“ zei­ge, wie die Tages­zei­tung Il Mess­ag­ge­ro am sel­ben 29. Sep­tem­ber berich­te­te, an dem Papst Fran­zis­kus aus Bel­gi­en nach Rom zurück­kehr­te. Die Frau, die „sich weder schul­dig fühlt noch Reue zeigt“, bie­te ein „erschrecken­des Bild von Gleich­gül­tig­keit und Gefühllosigkeit“.

2 Schloß Lae­ken ist seit 1831 der pri­va­te Wohn­sitz des bel­gi­schen Königs­hau­ses. Das Schloß war 1782–1784 von Reichs­ge­ne­ral­feld­mar­schall Albrecht Kasi­mir von Sach­sen-Teschen, dem habs­bur­gi­schen Statt­hal­ter in den dama­li­gen Öster­rei­chi­schen Nie­der­lan­den, Schwie­ger­sohn von Kai­se­rin Maria The­re­sia und Schwa­ger von Kai­ser Joseph II., errich­tet worden.

3 Bel­gi­en hat drei Amts­spra­chen: Nie­der­län­disch, Fran­zö­sisch und Deutsch. Ent­spre­chend wird der Name des Königs in den jewei­li­gen Lan­des­tei­len in der dor­ti­gen Spra­che geführt. Der König hieß auf nie­der­län­disch Bou­de­wi­jn, auf fran­zö­sisch Bau­douin und auf deutsch eben Bal­du­in. Neben dem flä­mi­schen und dem wal­lo­ni­schen Sprach­ge­biet, gibt es näm­lich auch einen deut­schen Lan­des­teil, die soge­nann­te Deutsch­spra­chi­ge Gemein­schaft, einer der drei Glied­staa­ten, die den bel­gi­schen Bun­des­staat bil­den. Das sind die Gebie­te des Rhein­lan­des, die nach dem Ersten Welt­krieg auf­grund des Ver­sailler Ver­trags von Bel­gi­en annek­tiert wur­den. Die­se gehö­ren als selbst­ver­wal­te­tes Gebiet zur Regi­on Wal­lo­ni­en. Die deutsch­spra­chi­gen Gebie­te Wal­lo­ni­ens, die schon vor dem Ersten Welt­krieg zu Bel­gi­en gehör­ten (das Are­ler Land, Bochholz, fr. Beho, und die Platt­düt­schen Gemein­den), sind nicht Teil der Deutsch­spra­chi­gen Gemein­schaft.

4 Leo­pold­ville (nie­der­län­disch Leo­pold­stad) hieß die 1881 gegrün­de­te Haupt­stadt der Kolo­nie Kon­go, die nach König Leo­pold II. benannt war. Von 1885 bis 1908 war der Kon­go eine Pri­vat­ko­lo­nie die­ses Königs, 1908 wur­de er zur Kolo­nie des bel­gi­schen Staa­tes. 1966 wur­de Leo­pold­ville in Kin­sha­sa umbenannt.

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