
Papst Franziskus reist derzeit durch Südostasien, doch die Augen sind bereits auf kommende Ereignisse gerichtet. Am 2. Oktober beginnt in Rom die zweite Sitzungsperiode der Synodalitätssynode. Dabei handelt es sich um die erste „Synode“ der Kirche, die keine Bischofssynode mehr ist, weil Papst Franziskus, weitgehend unbeachtet, die Spielregeln veränderte, um die von ihm angestrebte „synodale Kirche“ zu bauen. Diese zweite Synoden-Session wird bis zum 27. Oktober tagen. Das Ende der Synodalitätssynode, ursprünglich für dieses Datum geplant, wurde von Franziskus inzwischen bis Juni 2025 verlängert. Als Synodale – überraschend von Franziskus persönlich ernannt – wird auch Kardinal Gerhard Müller in Rom dabeisein. Der ehemalige Bischof von Regensburg, den Papst Benedikt XVI. als Glaubenspräfekt der Heiligen Kirche nach Rom berief, wurde von Papst Franziskus bei erstbester Gelegenheit, das war im Juni 2017, aus seinem Amt entfernt. Seither scheint Franziskus keinen wirklichen Bedarf mehr für den deutschen Hünen zu haben, der als Glaubenspräfekt versucht hatte gegenzusteuern, sobald das bergoglianische Pontifikat klarere Konturen bekam und dessen Richtung erkennbar wurde.
Kardinal Müller gehört zu den führenden Kritikern des „synodalen Weges“ bzw. „synodalen Prozesses“, den Franziskus der Kirche verordnet und dessen Wurzeln in Deutschland zu suchen sind. InfoVaticana führte ein Interview mit dem Kardinal über die aktuelle Entwicklung und die bevorstehende Synodalitätssynode, von der manche sagen, Franziskus habe sie als Point of no Return für die Kirche konzipiert, denn, so die Vorstellung von Santa Marta, der Weg in die „synodale“ Zukunft der Kirche solle unumkehrbar sein. Hier das vollständige Interview mit Kardinal Müller, das Javier Arias für InfoVaticana mit ihm führte.
InfoVaticana: In wenigen Wochen beginnt die Endphase der Synode, wie gehen Sie an diese letzte Sitzung heran?
Kardinal Müller: Zu meiner Überraschung hat mich der Papst zum Synodenmitglied ernannt. Als Grund wurde angegeben, daß es mehr theologische Erfahrung brauche. Als progressiv getarnte häretische Gruppen kritisierten diese Entscheidung als rein taktisches Manöver des Papstes, der den als konservativ oder gar traditionalistisch verschrienen orthodoxen Katholiken signalisieren wollte, daß die Teilnehmer ausgewogen seien.
Die hierarchisch-sakramentale Verfassung der Kirche besteht durch göttliches Recht
InfoVaticana: Mit welchen Gefühlen sind Sie aus der Synoden-Session im Oktober des vergangenen Jahres herausgegangen?
Kardinal Müller: Es hätte schlimmer kommen können. Aber viele der Teilnehmer an dieser Synode, die durch die Ernennung von Nicht-Bischöfen eher zu einem theologisch-pastoralen Symposium geworden ist, sind sich über Wesen, Auftrag und Verfassung der katholischen Kirche nicht im klaren. Es ist oft wiederholt worden, daß das Zweite Vatikanische Konzil die Verfassung der Kirche, wie eine Pyramide, umgekehrt habe. Die Basis, d. h. die Laien, stünden nun an der Spitze und der Papst und die Bischöfe an der Basis. Das Zweite Vatikanische Konzil bestätigte aber die apostolische Verfassung der Kirche, die Irenäus von Lyon, der von Papst Franziskus zum Kirchenlehrer ernannt wurde, so deutlich gegen die Gnostiker formuliert hatte.
Durch die Taufe und die Firmung haben alle Christen Anteil an der Sendung der Kirche, die von Christus, dem Hirten, Hohepriester und Propheten des Neuen Bundes, ausgeht. Aber im Gegensatz zur protestantischen Leugnung des Weihesakraments (Bischof, Priester, Diakon) besteht die hierarchisch-sakramentale Verfassung der Kirche durch göttliches Recht. Bischöfe und Priester handeln nicht als Vertreter (Delegierte, Bevollmächtigte) des priesterlichen und königlichen Volkes Gottes, sondern im Namen Gottes für das Volk Gottes. Sie sind nämlich vom Heiligen Geist bestellt, als Hirten die Herde Gottes zu weiden, die Er durch das Blut Seines eigenen Sohnes als das neue Volk Gottes erworben hat (vgl. Apg 20,28). Deshalb wird das Amt des Bischofs und des Priesters durch ein eigenes Sakrament verliehen, damit die so mit geistlicher Vollmacht ausgestatteten Diener Gottes im Namen und in der Sendung Christi, des Herrn und Hauptes seiner Kirche, in ihrem Lehr‑, Hirten- und Priesteramt handeln können (Vaticanum II, Lumen gentium 28; Presbyterorum ordinis 2).
Es besteht die Gefahr, daß die Agenda 2030 in die Kirche eingeführt wird
InfoVaticana: Gibt es Grund zur Sorge darüber, was nach der Synode passieren könnte?
Kardinal Müller: Es besteht immer die Gefahr, daß selbsternannte Progressive in Absprache mit antikatholischen Kräften in Politik und Medien die Agenda 2030 in die Kirche einführen, deren Kern eine woke Vision der Menschheit ist, die der göttlichen Würde jedes Menschen diametral entgegensteht [siehe dazu auch: Die Warnung der Kardinäle: „Es gibt Mächte, die Corona für den Griff nach der Weltherrschaft mißbrauchen wollen“]. Sie halten sich für fortschrittlich und glauben, der Kirche erfolgreich einen Dienst erwiesen haben, wenn die katholische Kirche von diesem falschen Lager dafür gelobt wird, daß sie unser Erstgeburtsrecht auf das Evangelium Christi für die Linsen des Applauses an die ökomarxistischen Ideologen der UNO und der EU verkauft hat.
InfoVaticana: Kardinal Víctor Manuel Fernández sagte vor einigen Monaten, daß Fiducia supplicans veröffentlicht wurde, damit die Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare nicht die Synode vereinnahmen. Was halten Sie von dieser Erklärung?
Kardinal Müller: Vielleicht klopfen sie sich für ihre taktischen Spiele selbst auf die Schultern. Aber es geht um die Wahrheit. Die seelsorgerische Betreuung von Menschen mit Orientierungsproblemen gegenüber dem anderen Geschlecht, die der Logos des Schöpfers selbst in unsere Natur eingeschrieben hat, darf der Wahrheit des Ehesakraments und des Segens, der das Versprechen der Gnade Gottes ist, das Gute zu tun und die Sünde zu meiden, nicht schaden.
Die Kirche ist keine politische Organisation
InfoVaticana: Andere wie Kardinal Zen haben das Format der Bischofssynode kritisiert, weil es die Teilnahme von Laien, Ordensleuten und Priestern ermöglicht.
Kardinal Müller: Ich habe bereits erklärt, daß es entweder eine Bischofssynode als Institut der Kollegialität aller Bischöfe mit und unter dem Papst gibt oder daß es sich um ein Symposium mit Teilnehmern aus dem ganzen Volk Gottes handelt, um sich über dringende aktuelle Fragen und Herausforderungen auszutauschen, zu beraten und auch Vorschläge zu machen. Keinesfalls darf diese Versammlung einem Parteitag in einem autoritären System ähneln, wo jeder sorgfältig überwacht und kontrolliert wird, um nach den Wünschen der Obrigkeit zu sprechen, und wo der einzig wahre Herrscher dann nach eigenem Gutdünken entscheidet. Die Kirche ist keine politische Organisation und ihre Verfassung hat nichts mit einer absoluten oder konstitutionellen Monarchie, einer aristokratischen Oligarchie oder einer freiheitlichen oder totalitären Volksregierung zu tun.
Die Kirche ist das Volk Gottes, und jeder einzelne Christ wendet sich in seinem Gewissen und Gebet direkt an Gott. Und die Bischöfe sind als Hirten eingesetzt, um das Volk Gottes nach dem Herzen Jesu zu lehren, zu leiten und zu heiligen. Die Kirche ist das Sakrament des Heils für die Welt in Christus. Sie trägt auch zum Gemeinwohl, zur sozialen Gerechtigkeit und zum Frieden in der Welt bei, indem sie die Mächtigen ermahnt und für sie betet. Sie hat aber keine unmittelbare politische Aufgabe und berücksichtigt die relative Autonomie der Sachbereiche (Vaticanum II, Gaudium et spes 36).
Wir können nicht eine legitime Meinung zum Klimawandel, zur Impfpflicht und zur Einwanderung zugunsten einer anderen mit geistlichen Strafen sanktionieren. So wie die kirchliche Autorität keine neuen Sakramente einführen kann, kann sie auch keine neuen Todsünden erfinden. Wer zum Klimawandel eine andere Meinung hat als die aktuelle politische Mehrheit, dem kann man sicherlich nicht ernsthaft mit Höllenstrafen drohen.
Häretische Positionen dürfen nicht mit der Gleichheit der Rechte anerkannt werden
InfoVaticana: Der Papst hat umstrittene und heterodoxe Persönlichkeiten wie James Martin oder Maurizio Chiodi zur Teilnahme an der Synode und den Arbeitsgruppen berufen.
Kardinal Müller: Sicherlich gibt es in der Kirche eine legitime Meinungsvielfalt in Fragen, die sich nicht auf die Offenbarungswahrheit beziehen, sondern auf konkrete Aussagen zur Seelsorge, zur Organisation der katholischen Universitäten usw. Es liegt auf der Hand, daß häretische Positionen aber nicht als gleichberechtigt anerkannt werden können, weil sie das Fundament der Kirche in ihrem Glaubensbekenntnis untergraben.
Der Trick besteht darin, die heterodoxe Position, die seelsorgerisch sensibler ist, der orthodoxen Position entgegenzusetzen. Der orthodoxe Glaube wird dabei nicht in Frage gestellt, aber die Vertreter des katholischen Glaubens werden als Pharisäer und Heuchler, als kaltherzige Buchstabenreiter, als vergangenheitsverliebte Traditionalisten oder als geistig verbohrte Indietristen psychologisiert. Auf dieser intellektuellen Ebene ist es leicht, ein enges Bündnis mit den kirchenkritischen Medien und den Ideologen des sozialistisch-kapitalistischen Globalismus zu organisieren.
InfoVaticana: Glauben Sie, daß andere Themen wie der priesterliche Zölibat, das Diakonat der Frau oder die Pro-LGBT-Seelsorge auf dieser letzten Sitzung auf den Tisch kommen werden?
Kardinal Müller: Die Protagonisten werden die ihnen gebotene Gelegenheit nutzen, um ihre Agenda voranzutreiben, aber das wird nur zu einem weiteren Niedergang der Kirche führen, weil diese Ziele dogmatisch widersprüchlich sind oder jede geistliche Tiefe vermissen lassen.
InfoVaticana: Diese Synode führt zu mehr Spaltungen und Konflikten innerhalb der Kirche?
Kardinal Müller: Die Spaltung existiert bereits. Diese Synode, die keine Bischofssynode mehr ist, also vielmehr dieses internationale katholische Symposium, muß die Gelegenheit bieten, die Einheit der Kirche sichtbar zu machen, die ein Prädikat der Kirche ist und die jenseits aller Politik und menschlicher Diplomatie ein Geschenk Gottes ist, und sie muß die Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes sichtbar machen, damit die Gläubigen glauben, daß Jesus der Sohn des Vaters ist, der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen (Lumen gentium 4).
InfoVaticana: Die Kirche in Deutschland verfolgt das Synodengeschehen in Rom sehr aufmerksam. Welche Folgen könnte es Ihrer Meinung nach in Deutschland haben, wenn die progressiven Forderungen der deutschen Kirche nicht umgesetzt werden?
Kardinal Müller: Die Kirche in Deutschland befindet sich, vor allem was ihre offiziellen Vertreter und die mit ihnen verschmolzenen Kreise katholischer Amtsträger betrifft, in einem Zustand des rapiden geistigen und geistlichen Verfalls. Im Gegenzug gibt es noch viele Priester, Ordensleute und Laien und sogar einige Bischöfe, die ohne Wenn und Aber katholisch sind und bleiben wollen. Diese werden jedoch von den „Synodalisten“ geächtet und ausgegrenzt.
InfoVaticana: Es ist schließlich der Vatikan, der darauf besteht, daß es bei dieser Synode um „Synodalität“ geht. Könnten Sie erklären, worin dieses neue Konzept besteht?
Kardinal Müller: Synodalität ist ein künstlich geschaffener abstrakter Begriff und ein Schlagwort, das auf der Konkretisierung der Synode, d. h. der regionalen oder allgemeinen Versammlung der katholischen Bischöfe, die ihr Lehr- und Hirtenamt mit dem Papst ausüben, beruht, aber paradoxerweise seine Anziehungskraft durch die Leugnung der hierarchisch-sakramentalen Verfassung erlangt. In einem weiteren Sinne kann die Synode auch als eine Methode der optimalen Zusammenarbeit zwischen allen Gliedern und Schichten der Kirche gesehen werden, die einmütig sein müssen, um Gott zu loben und dem Nächsten zu dienen (Apg 2,43–47).
Die Synode ist weder ein neues Attribut der Kirche noch das Schlüsselwort für eine andere Kirche, die der säkularisierten Phantasie der Protagonisten einer einheitlichen Weltreligion ohne Gott, ohne Christus, ohne Dogmen und ohne Sakramente des katholischen Glaubens entspringt.
Einleitung/Übersetzung/Verlinkungen: Giuseppe Nardi
Bild: InfoVaticana