
Kurienerzbischof Vincenzo Paglia, ein enger Papstvertrauter, ist für „seltsame“ Ausführungen bekannt, um es euphemistisch zu sagen. In Rom nennt man diese, in Anspielung an seinen Familiennamen, „Pagliacciate“, was soviel wie „Blödsinn“ oder „Narrenposse“ meint. Die jüngste Pagliacciata, ein Interview im Corriere della Sera vom 27. August, ist für die Weltkirche immerhin denkbar harmlos ausgefallen, wirft jedoch ein bezeichnendes Licht auf die Persönlichkeit des ersten geistlichen Generalassistenten der Gemeinschaft von Sant’Egidio.
Erster Generalassistent der Gemeinschaft von Sant’Egidio
Obwohl die 1968 in Rom gegründete Gemeinschaft von Sant’Egidio ziemlich anders gewickelt ist, achtete sie stets auf ein Naheverhältnis zum jeweils regierenden Papst, was ihr auch in der in progressiven Kreisen verpönten „restaurativen Phase“ von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Aufstiegs- und Ausbreitungsmöglichkeiten sicherte. Konkret bedeutete das vor allem die Etablierung einer Paralleldiplomatie auf internationalem Feld.
Paglia, 1970 zum Priester geweiht und erster geistlicher Assistent dieser Gemeinschaft, hatte als Initiator und Promotor erheblichen Einfluß auf deren höchst umstrittenes erstes Weltgebetstreffen für den Frieden in Assisi im Jahr 1986. Die damit verbundenen Kirchenschändungen und Synkretismus-Vorwürfe hatten zu einer gewissen Abkühlung zwischen dem Heiligen Stuhl und der Gemeinschaft geführt, wie es allgemein heißt. Paglia selbst sieht das ganz anders, wie er in dem neuen Interview enthüllte.
Dennoch wurde schließlich spät, aber doch auch die Gemeinschaft von Sant’Egidio im Heiligen Jahr 2000 mit einer Bischofsernennung belohnt. Die Wahl fiel auf ihren höchsten geistlichen Exponenten Vincenzo Paglia, der die Bischofswürde der eher unbedeutenden umbrischen Diözese Terni erhielt. Das war keine „große“ Auszeichnung, aber doch das von der Gemeinschaft erhoffte Zeichen des Wohlwollens.
Der Schuldenberg und das Jüngste (Homo-) Gericht
In Terni hinterließ Msgr. Paglia nicht nur ein ziemliches Durcheinander in den Finanzen und einen veritablen Schuldenberg, sondern in der Kathedrale auch die riesige Wandmalerei eines homoerotischen Jüngsten Gerichts. Mit der Ausführung hatte Paglia interessanterweise den argentinischen Künstler Ricardo Cinalli beauftragt, der, selbst homosexuell, in einem Video zu seinem „Jüngsten Gericht“ von Terni erklärte, daß es zum Ausdruck bringe, daß „Schwule und Transsexuelle gerettet werden“. Cinalli und sein Auftraggeber Paglia nahmen im Jahr 2007, dem Entstehungsjahr der Wandmalerei, die Homo-Agenda von Papst Franziskus vorweg.
In dem am Dienstag veröffentlichten Interview sagt Paglia, daß seine erste Begegnung mit Jorge Mario Bergoglio bereits „lange bevor er Papst wurde, in Valencia“ stattgefunden habe.
„Zudem wußte ich von ihm durch die Treffen mit der Gemeinschaft von Sant’Egidio in Buenos Aires, wohin sich auch Don Matteo Zuppi oft begab. Bereits damals sahen wir in ihm den Ausdruck einer neuen Vision der Kirche. Eine arme Kirche mit den Armen.“
Don Matteo Zuppi folgte 2000 Paglia als Generalassistent der Gemeinschaft von Sant’Egidio nach und ist heute durch Papst Franziskus Kardinal und Erzbischof von Bologna.
2012 wurde Paglia, als es eng wurde, als Bischof von Terni abgezogen und dank seiner guten Kontakte als Vorsitzender des Päpstlichen Familienrats an die Römische Kurie berufen. Mit dieser Rettungsaktion und dem Ortswechsel war auch die Beförderung zum Erzbischof verbunden. Kurzum: Paglia, der drauf und dran war, zu stürzen, fiel rechtzeitig nach oben. Wie es dazu kommen konnte, darüber wird bis heute gerätselt. Paglia wurde der katholischen Kirche und Benedikt XVI. wenige Monate vor dessen überraschendem Amtsverzicht wie ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Für die 35 Millionen Terni-Schulden mußten die Italienische Bischofskonferenz und die Vatikanbank IOR aufkommen.
Die neue Morallehre und ihre „Propheten“
Doch gleich die erste Pressekonferenz des neuen vatikanischen „Familienministers“ unter dem Pontifikat von Franziskus wurde zum Skandal, weil er sich für die Pläne der damaligen linksliberalen italienischen Regierung zur Einführung eingetragener Homo-Partnerschaften aussprach. Doch anstatt einer Ermahnung gab es für Paglia nun kein Halten mehr.

Nachdem Kardinal Walter Kasper im Februar 2014 vor dem versammelten Kardinalskollegium im Auftrag des neuen Papstes die Anerkennung von Scheidung und Zweitehe hatte propagieren können, legte Paglia eifrig nach, indem er im Umkehrschluß erklärte, die Kirche habe mit ihrer Ehe- und Morallehre zweitausend Jahre lang die Menschen drangsaliert.
Im Mai 2015 nahm Msgr. Paglia dann am Geheimtreffen der Kasperianer an der römischen Jesuitenuniversität Gregoriana teil, um die zweite Familiensynode vorzubereiten und den angestrebten Erfolg zu sichern, der in der umstrittenen nachsynodalen Erklärung Amoris laetitia zum Ausdruck kommt. Als Synodale fiel Paglia bei dieser Synode prompt mit homophilen Aussagen auf.
Die Sonderaufträge, die brachial ausgeführt wurden
Paglia war jedoch etwas zu freimütig mit den Medien, um wirklich die große Gunst von Franziskus zu erlangen. Dieser erkannte allerdings Paglias „Fähigkeiten“, bestimmte heikle Aufträge zu erledigen. Als neuen Stern der Gemeinschaft von Sant’Egidio zog Franziskus ihm jedoch Paglias Nachfolger als Generalassistent von Sant’Egidio Msgr. Matteo Zuppi vor, den er zum Erzbischof von Bologna ernannte, zum Kardinal kreierte und zum Vorsitzenden der Italienischen Bischofskonferenz beförderte.
Einen Sonderauftrag erhielt Paglia am 15. August 2016, als ihn Franziskus zum Präsidenten der Päpstlichen Akademie für das Leben und zum Großkanzler des Päpstlichen Instituts Johannes Paul II. für Studien über die Ehe und die Familie ernannte. Die Überraschung war nicht nur groß, sondern wurde schnell zum regelrechten Schock. Franziskus hatte ausgerechnet Paglia diese beiden zentralen Institutionen des Pontifikats von Johannes Paul II. zur Verteidigung des Lebens, der Ehe und der Familie überantwortet. Der Auftrag an Paglia lautete, diese Einrichtungen, die die neue Agenda störten, auf Bergoglio-Kurs zu bringen. Das tat Paglia ebenso wunschgemäß wie brachial.
Beide Institutionen wurden regelrecht eliminiert und als bergoglianisch gewandete Einrichtungen neu gegründet. Alle Akademiemitglieder, obwohl auf Lebenszeit ernannt, wurden von Paglia vor die Tür gesetzt und der Direktor des Päpstlichen Instituts von Paglia entlassen. Damit wurde der innerkuriale Widerstand gegen die Anpassung der Kirche an die Welt, wie er sich noch während der beiden Familiensynoden gezeigt hatte, im Bereich des Lebensrechts und von Ehe und Familie gebrochen. Schließlich hatte Franziskus gleich in seinem ersten Interview nach der Papstwahl erklärt, daß für ihn die „nicht verhandelbaren Werte“ nicht von Bedeutung seien.
Die Neomalthusianer im Vatikan und ein „ganz Großer“
Zu den sichtbarsten Folgen gehört, daß seither auch Neomalthusianer Zugang zum Vatikan haben, ob Abtreibungs- oder Euthanasiebefürworter oder Überbevölkerungsideologen. Als Franziskus die Schwere der Abtreibung als Sünde zurückstufte und die Absolution davon jedem Priester ermöglichte, fand Paglia, obwohl formal oberster Lebensschützer der Kirche, kein Wort des Widerspruchs. Im Gegenteil. Von einer italienischen Tageszeitung gefragt, ob Franziskus in naher Zukunft auch formal die mit der Abtreibung verbundene Tatstrafe der Exkommunikation aufheben werde, gab sich Paglia im November 2016 probabilistisch, denn es sei „nicht verwunderlich“, wenn „der Fortschritt des Lebens […] zu einem Aggiornamento des Kirchenrechts“ führen würde.
Am 17. Februar 2017 nahm Paglia als Kirchenvertreter an der posthumen Vorstellung der Autobiographie des homosexuellen, radikalen Kirchengegners und Abtreibungsbefürworters Marco Pannella teil. Dessen Radikale Partei mit besten Kontakten zu den Bilderbergern wurde von der Familie des Stuhlmeisters der ominösen Freimaurerloge P2 gesponsert, ebenso seit den 90er Jahren von George Soros. Anders gesagt: Pannella war ein Mann mit enger Verbindung zur Freimaurerei. Paglia rühmte ihn als „ganz Großen“. Auch darin folgte er Papst Franziskus (oder dieser ihm?), indem er sich diesem gänzlich unangemessenen Lob anschloß. Die darauf folgenden Rücktrittsforderungen an Paglia mußten daher zwangsläufig im Sand verlaufen.

Apropos Freimaurerei
Apropos Freimaurerei: Die Hinweise zu Querverbindungen sind zahlreich. Das beginnt bei den inhaltlichen Positionen und reicht über den erstaunlichen Handlungsspielraum dieses römischen Prälaten, als sei er „unantastbar“, bis zu besonderen Aufmerksamkeiten, die ihm zuteil wurden. Eine solche war eine mit außerordentlich viel Lob gesättigte Buchbesprechung, die kein Geringerer als Eugenio Scalfari, der Doyen des italienischen Linksjournalismus und Papstfreund, im Herbst 2017 dem damals veröffentlichten Buch Paglias widmete. Dabei wußte Scalfari Erstaunliches zu berichten:
„Papst Franziskus – ich wiederhole es – hat die Orte einer ewigen Wohnstatt der Seelen im Jenseits abgeschafft. Die von ihm vertretene These ist, daß die vom Bösen beherrschten und nicht reuigen Seelen aufhören zu existieren, während jene, die sich vom Bösen befreit haben, in die Seligkeit aufgenommen werden, wo sie Gott schauen.
Das ist die These von Franziskus und auch von Paglia. Hier füge ich eine Anmerkung ein: Das Jüngste Gericht, das zur Tradition der Kirche gehört, wird sinnlos. Die Seelen, die das Böse gewählt und praktiziert haben, verschwinden und das Jüngste Gericht bleibt eine bloße Vorlage für großartige Bilder der Kunstgeschichte.“
Oder für die Homo-Propaganda, wie sie Paglia in der Kathedrale von Terni den Gläubigen auf das Auge gedrückt hatte.
Der Papstfreund Eugenio Scalfari (1924–2022), der aus einer alten Freimaurerdynastie stammte und dies auch stolz betonte, erhob in seiner Buchbesprechung den Anspruch, den „Kern der Botschaft“ Paglias (und von Franziskus) herauszustreichen, so wie er ihn aus dem Buch erkannte. Scalfaris Ausführungen sollten daher im Wortlaut nachgelesen werden:
„Ich werde den Kern des Gedankens zitieren, den der Autor in den ersten Seiten des Buches zum Ausdruck bringt: ‚Wenn es einerseits stimmt, daß der Mensch des 21. Jahrhunderts sich freier fühlen kann, ist er heute aber sicher auch mehr allein, gekrümmt unter dem Gewicht einer unsichtbaren und dennoch sehr schweren Last. Da ist das Ich, erfüllt von seiner vorhandenen Kompetenz. Er fühlt sich einzigartig. Alles muß sich um ihn drehen. Das Individuum fühlt sich gezwungen, träumen, entscheiden, wollen und neu erfinden zu müssen‘. Und er schließt, indem er die Worte eines seiner Kollegen von höchstem intellektuellem Niveau zitiert, der inzwischen leider nicht mehr ist: Carlo Maria Martini. Diese Worte wurden von ihm 2003 gesprochen. Das sind sie: ‚Ihr modernen Humanisten, die ihr gegen die Transzendenz der höheren Dinge seid, müßt unseren neuen Humanismus anerkennen. Auch wir, wir mehr als alle, sind Förderer des Menschen. Wir wollen eine gemeinsame Sichtweise und einen gemeinsamen Einsatz zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen begünstigen, um gemeinsam den großen Herausforderungen unserer Zeit begegnen zu können.‘
Ich erlaube mir an dieser Stelle daran zu erinnern, was der Papst und ich uns zu diesem Thema bei einer unserer Begegnungen sagten, bei denen wir Freunde wurden. Wir betrachteten seinen Einsatz für eine moderne Kirche, die sich mit der laizistischen Moderne zu verständigen weiß. ‚Heiligkeit‘, sagte ich, ‚berücksichtigen Sie, daß wir nicht an die absolute Wahrheit glauben. Wir sind Relativisten, wie es die Kultur der Aufklärung uns gelehrt hat. Ihr Katholiken glaubt hingegen an das Absolute.‘ ‚Das stimmt‘, antwortete der Papst, ‚wir Gläubige glauben alle an das Absolute, was die von Gott ausgehende Wahrheit betrifft. Unser einziger Gott repräsentiert für uns das Absolute.‘
An dieser Stelle unseres Gesprächs fragte ich ihn, wie eine Begegnung mit der Moderne möglich sein könnte, und das war seine Antwort: ‚Wir Gläubige und natürlich vor allem wir Priester und wir Bischöfe glauben an das Absolute, aber jeder auf seine Weise, weil jeder seinen eigenen Kopf hat und sein eigenes Denken. Unsere absolute Wahrheit also, die wir alle teilen, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Wir vermeiden daher Diskussionen nicht, wenn wir unser unterschiedliches Denken vergleichen. Eine Art von Relativismus gibt es also auch unter uns.‘ Das war die Antwort von Papst Franziskus, die natürlich am häufigsten von Paglia in seinem Buch zitiert wird.
An dieser Stelle glaube ich die Themen auflisten zu sollen, die der Autor in seinem Buch behandelt. Es sind folgende: die Armen, die Ungleichheit, einer, du, wir, Papst Franziskus, Relativismus und Absolutes, Moderne, der einzige Gott, Gesellschaft, Jesus und der Samariter, die Familie, die Jugend, Gott und Liebe, die Brüderlichkeit, die Zahl der Widersprüche, der Humanismus, der Nächste, das Wort.
Diese Themen sind untereinander verwoben, und darin liegt der Wert des Buches. Zum Beispiel die Freiheit: Sie ist eine für alles und für alle notwendige Bedingung, aber verwirklicht zugleich auch den Triumph der Individualität. Paglia schreibt dazu: ‚Das Ich ist allein geblieben, vielmehr das einzige. Der Individualismus, der Egoismus, die Selbstverwirklichung und das Streben nach einem privaten Glück erinnern an den antiken Mythos des Narzisses. Das narzißtische Individuum hat die Szenerie übernommen.‘ Das ist ein Problem, das sich direkt mit jenem der Armen verknüpft. Der Narzißmus schließt faktisch die Beachtung des Nächsten aus, außer der Nächste ist vom Narziß bezaubert und stellt sich in dessen Dienst. Häufig ist es das, was von Montaignes Freund, Etienne de la Boétie, als ‚freiwillige Dienstbarkeit‘ beschreibt, das autoritäre Regime oder sogar tyrannische Diktaturen hervorbringt. Die antike und moderne Geschichte ist leider voll von solchen Fällen: Freiheit, Narzißmus, Gebrauch des souveränen Volkes als wertvolles Instrument, das diese Souveränität in eine freiwillige Unterwürfigkeit verwandelt, die durch die Demagogie erreicht wird und die Diktatur zur Folge hat. Das sind Mechanismen, die sehr häufig funktioniert haben und nicht nur Egoismus, sondern Haß und Krieg hervorgebracht haben. Der Wille zur Macht wird zum charakteristischen Zug der Geschichte. Die Abhilfe wäre, die beiden großen Werte der Freiheit und der Gerechtigkeit zusammenzuhalten. Freiheit und Gleichheit. Erinnert Ihr Euch an die ursprünglichen Werte der französischen Revolution von 1789? Erinnert Euch an die dreifarbige Fahne und an die Bedeutung dieses Symbols des liberalen Europas: ‚Liberté, Egalité, Fraternité‘. Nicht zufällig wurden sie vom Faschismus getötet. Dazu zitiert Paglia einen Text von Aristoteles, der von höchster Bedeutung ist: ‚Wer nicht Teil einer Gemeinschaft sein kann oder nichts braucht, weil er sich selbst genügt, der ist nicht Teil einer Stadt, sondern ein wildes Tier oder ein Gott‘.
Im Buch, über das wir sprechen, widmet der Autor viele Seiten der Bibel des Alten Testaments und besonders dem Teil, der Genesis heißt und die Schöpfung schildert und dann die Vertreibung von Adam und Eva aus dem irdischen Paradies, weil sie vom verbotenen Baum gegessen hatten, indem sie auf die Schlange hörten, die nichts anderes als der Teufel ist. Hier tut sich aber ein nicht leicht zu lösendes Problem auf: Wem verdanken wir die Existenz des Teufels? Ist er eine Macht gegen Gott oder ist er Gott selbst in einem gewollt anderen Gewand als seinem natürlichen? Die katholisch-christliche Religion unterscheidet natürlich zwischen Gut und Böse, behandelt aber nicht den Ursprung des Bösen: Hat Gott selbst es erschaffen, als er seinen menschlichen Geschöpfen das Recht des freien Willens zuerkannte? Papst Franziskus hat, nachdem ihm darin Johannes XXIII. und Paul VI. vorausgegangen waren, aber mit mehr revolutionärer Kraft im Vergleich zur kirchlichen Theologie, die Orte abgeschafft, in die die Seelen nach dem Tod gehen sollten: Hölle, Fegefeuer, Paradies. Zweitausend Jahre der Theologie haben sich auf diese Art des Jenseits gestützt, die auch die Evangelien bestätigen. Mit einer besonderen Aufmerksamkeit aber, zum Teil auf die Briefe des heiligen Paulus (den an die Korinther und den an die Römer) und zum noch größeren Teil auf Augustinus von Hippo, für das Thema der Gnade. Alle Seelen verfügen über Gnade und werden daher völlig unschuldig geboren, und das bleiben sie auch, außer sie beschreiten den Weg des Bösen. Wenn sie sich dessen bewußt sind und es nicht einmal zum Zeitpunkt des Todes bereuen, sind sie verdammt.
Papst Franziskus – ich wiederhole es – hat die Orte einer ewigen Wohnstatt der Seelen im Jenseits abgeschafft. Die von ihm vertretene These ist, daß die vom Bösen beherrschten und nicht reuigen Seelen aufhören zu existieren, während jene, die sich vom Bösen befreit haben, in die Seligkeit aufgenommen werden, wo sie Gott schauen.
Das ist die These von Franziskus und auch von Paglia. Hier füge ich eine Anmerkung ein: Das Jüngste Gericht, das zur Tradition der Kirche gehört, wird sinnlos. Die Seelen, die das Böse gewählt und praktiziert haben, verschwinden und das Jüngste Gericht bleibt eine bloße Vorlage für großartige Werke der Kunstgeschichte. Nichts anderes, nur das.
Natürlich behauptet die Theologie, daß ein göttlicher Funke in allen Spezies vorhanden ist, also der Schöpfer in den Seelen von allen Lebewesen ist und besonders in der menschlichen Spezies, die er ‚nach seinem Ebenbild‘ erschaffen hat. Diese These, die bisher nie in Frage gestellt wurde, ist jene, die Spinoza gebrauchte, um zu behaupten, daß Gott in allen Geschöpfen gegenwärtig ist und nur in dieser Form existiere. Spinozas These verwandelte kurzum die Transzendenz in Immanenz, und deshalb wurde er aus der jüdischen Gemeinschaft exkommuniziert und seine Schriften von der Kirche auf den Index gesetzt. Jüngst habe ich über dieses Argument mit Papst Franziskus gesprochen. Ich habe ihn gefragt, ob die Verurteilung seiner Thesen rückgängig gemacht werden könnte. Seine Antwort war aber negativ: Die Transzendenz Gottes kann nicht in Frage gestellt werden. Ohne die Transzendenz würde das göttliche Wesen aufhören zu existieren, sobald unsere Spezies von der Erde verschwinden würde. Wenn Gott immanent wäre, würde auch er verschwinden. Deshalb kann jene Exkommunikation nicht aufgehoben werden. Für einen Nicht-Gläubigen ist eine solche These nicht akzeptabel, auch wenn die Gründe, die die Transzendenz bekräftigen, verständlich sind.
Ich beende diese Rezension mit einem Satz, den der Autor schreibt, um damit den Kern seines Denkens aufzuzeigen: ‚Jene, die an Gott glauben (Religiöse), und jene, die an den Menschen glauben (Humanisten), finden in der Begegnung mit den Armen wieder zu einer kostbaren Allianz. Ich würde sagen, daß man von hier ausgehen sollte, um die in unserer Gesellschaft vorhandenen Risse zu flicken. Die Beteiligung an der Befreiung der Armen zeichnet eine Linie des erbaulichen Wandels. Für die Christen ist dieser Humanismus grundlegend: Wer den Armen begegnet, begegnet Gott selbst.‘
Meinerseits füge ich hinzu: Für die Nicht-Gläubigen ist es eine Begegnung mit den laizistischen Werten der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit.
Danke, lieber Vincenzo, für das Buch, das Du geschrieben hast.“
Scalfaris Betonung der „Freiheit“ gilt es im Hinterkopf zu behalten. Vorerst aber zurück zur Chronologie.
Die Förderung der Künstlichen Intelligenz und Big Tech
Msgr. Paglia gehört zu den wichtigsten kirchlichen Befürwortern der Künstlichen Intelligenz: als Promotor einer 2019 begonnenen Kooperation zwischen dem Heiligen Stuhl und Microsoft und der 2021 durch Franziskus errichteten Stiftung zu Fragen der Künstlichen Intelligenz, die den Namen renAIssance trägt. Durch die Künstliche Intelligenz könnten die Lebensbedingungen der Menschheit massiv verbessert werden, so Paglia in dem vor zwei Tagen veröffentlichten Interview.
Gelegentlich, wenn auch nur äußerst selten, kommt auch „modernen“ Prälaten wie Paglia ein Wort zur Ketzerei über die Lippen, so geschehen kurz vor Weihnachten 2019. Doch wenn dies geschieht, dann in der Regel auf eher verquere Art und Weise. So erklärte Paglia im Ton der Empörung: „Wer sagt, Judas ist in der Hölle, ist ein Ketzer.“ Das erinnert an Franziskus, der eigentlich nie über die Sünde spricht, und wenn doch, nur dazu, um „die Mafia“ zur Sünde zu erklären.

Schweigen als Paglias Auftrag?
Pünktlich wie zum Thema Abtreibung und Euthanasie versagte Paglias umgebaute Päpstliche Akademie für das Leben auch in der Corona-Pseudopandemie. Ihr Part bestand allein darin, im Interesse der Pharmaindustrie und des Narrativs von Bill Gates: „Impfstoff für alle“ zu fordern. Daher stand die Frage im Raum, ob sich die Kirche selbst überflüssig machen will. Im Ernst: Wer braucht Organisationen und Institutionen, die reden, wenn sie besser schweigen sollten, und schweigen, wenn sie reden sollten?
So verwunderte es nicht, daß Paglia im US-Wahlkampf 2020 dem Abtreibungsbefürworter Joe Biden gegen Donald Trump zu Hilfe eilte und die Abtreibungsfrage einfach deshalb für irrelevant erklärte, weil sie Biden an den Wahlurnen schaden konnte.
Als 2021 ein neuer Anlauf genommen wurde, um in Italien ein Euthanasiegesetz einzuführen, erwies sich Paglia als wendiger Winkeladvokat, um das Lebensrecht aufzuweichen, indem er – anstatt die Lehre der Kirche von der Heiligkeit des Lebens zu verteidigen – darüber sinnierte, was denn schon ein „gutes Gesetz“ sei.
Als im Juni 2022 der Oberste Gerichtshof der USA nach einem halben Jahrhundert das unsägliche Urteil Roe gegen Wade kippte, mit dem ohne gesetzliche Grundlage Millionen von ungeborenen Kindern getötet worden waren, fiel dem obersten Lebensschützer des Vatikans zu diesem Jahrhunderturteil nichts ein. Dieses Schweigen schrie geradezu in die Welt hinaus, auf wessen Seite die Schweiger stehen und daß die politischen Allianzen mit der US-Linken wichtiger sind, die sich durch das Urteil schwer gestört fühlte.
Doch was Paglia auch sagt oder unterläßt, er hat die unerschütterliche Unterstützung von Papst Franziskus. Als 2022 erneut der Rücktritt des Prälaten gefordert wurde, weil er die linke Abtreibungsverfechterin Mariana Mazzucato als ordentliches Mitglied in die Päpstliche Akademie für das Leben geholt hatte, war es wieder Franziskus, der sich schützend vor Paglia stellte, schließlich hatte der Papst das Ernennungsdekret für Mazzucato ja auch selbst unterzeichnet.
Obwohl Msgr. Paglia für eine „beschämende Unterwerfung der Kirche unter die kriminelle Politik der globalistischen Elite“ steht, wie der ehemalige Apostolische Nuntius in den USA Erzbischof Carlo Maria Viganò Anfang 2024 kritisierte, befindet sich der bald 80jährige Paglia weiterhin in seinen Ämtern, während Msgr. Viganò inzwischen für exkommuniziert erklärt wurde.
Das Denken von Msgr. Paglia – und von Franziskus
Der Sozialethiker und Philosoph Stefano Fontana tadelte Paglia vor kurzem – und auch Papst Franziskus, in dessen Namen Paglia gerne spricht. Der umtriebige Papstvertraute hatte in einem Interview die Erklärung Dignitas infinita über die menschliche Würde interpretiert und sich dabei auf Papst Franziskus berufen. Das Dokument war vom Glaubensdikasterium unter Kardinal Tucho Fernández mit Zustimmung von Franziskus veröffentlicht worden. Fontana nahm dies zum Anlaß seiner Kritik, weil er in Paglia, aufgrund seines Naheverhältnisses, einen „maßgeblichen“ Interpreten von Franziskus sieht. Paglia erklärte in dem Interview, wie Fontana herausarbeitete, daß das Denken von Franziskus weder Gegensätze noch „nicht verhandelbare Werte“ kenne, weil diese seine naturalistische Sicht der Existenz stören, die ganz ohne das Christentum auskomme, wie indirekt schon Eugenio Scalfari erfreut festgestellt hatte.
Am Dienstag, dem 27. August, veröffentlichte nun der liberale Corriere della Sera, Italiens führende Tageszeitung, ein ganzseitiges Interview mit Msgr. Vincenzo Paglia über dies und das, vor allem jedoch über seine Unterstützung der Künstlichen Intelligenz. Ein kleiner Ausschnitt, jener mit der eingangs erwähnten „Pagliacciata“, soll wörtlich wiedergegeben werden:
Corriere della Sera: Haben Sie die Ambition Kardinal zu werden, Don Vincenzo?
Vincenzo Paglia: Papst Wojtyla wollte mich schon zum Bischof ernennen, als ich 40 Jahre alt war. Ich bin es dann mit 55 geworden und glücklich damit, um meine Freiheit zu bewahren.
Corriere della Sera: Aber Kardinal zu werden würde Ihnen heute gefallen?
Vincenzo Paglia: Aber immer in Anbetracht meines Alters und der Überzeugung, daß kein Amt die Freiheit wert ist…
Der eitle Altershinweis ist interessant, denn Paglia sagt de facto, Johannes Paul II. habe ihn just in der Zeit des unsäglichen ersten Assisi-Treffens, offenbar als Zeichen der Zufriedenheit, zum Bischof ernennen wollen. Andere wußten das offensichtlich zu verhindern.
Zudem darf nun darüber sinniert werden, ob Msgr. Paglia, wie in der Vergangenheit schon öfter, einfach nur schwadronierte oder ernsthaft der „Überzeugung“ ist, daß die Kardinalswürde der heiligen Kirche die Unfreiheit bedeuten würde. Doch welche „Freiheit“ kann Paglia damit meinen, jene Scalfaris?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube/MiL/NBQ (Screenshots)
Ein Häretiker als Erzbischof, der vom Papst gedeckt und gefördert wird. – Wer all dies für katholisch hält, dem ist nicht zu helfen, und dies schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass dies inzwischen der Regelfall ist. Die Kirche hört von der Spitze her auf, katholisch zu sein! Dass das Gottes Werk ist, glaube ich kaum …
Die Kirche ist das Dilemma selber Schuld, gibt es doch seit dem Mittelalter eine reduzierte kirchliche Lehre über Körper Seele und Geist, die für das Endgericht keinen ausreichenden Schutz bietet. Die Protagonisten hier im Artikel nutzen den Spielraum aus. Ich möchte auf Aspekte hinweisen, die nicht falsch verstanden werden sollten und verwende bewußt nicht die Ausdrücke aus den Zitaten des Artikels.
Es gibt die Geschichte über die Unzulänglichkeit des Menschen. Der Mensch fühlt sich immer unzulänglich wegen seines Fleisches (Begierden), wegen seines Gewissens (Thora) und wegen der höheren Zielsetzung, die ihm mit dem Funken Gottes in unserem Geist gegeben ist. Die Belastung, die das Christentum in kürzester Form mit Erbsünde bezeichnet, begleitet uns durch unser Leben. Die Momente, in denen wir uns frei und unbelastet fühlen, sind nur wenige. Uns ist die heilige Messe mit der Eucharistie geschenkt. Wer glaubt, ist nach der Kommunion frei von der Unzulänglichkeit. Auch die anderen Sakramente haben die Stärke, ähnliches zu bewirken. Vigano sagt darüber hinaus: „Ohne die Messe kann man leben, ohne den Glauben nicht“. Es kann sein, daß wir also auf uns selbst gestellt sind ohne Sakramente. Aber wir müssen auf Jesus ausgerichtet sein, der der Weg und das Ziel ist.
Nun findet die Konzilskirche einen anderen Ansatz. Richtig erkennt sie die akut gewordene Situation in der Endzeit. „Das Individuum fühlt sich gezwungen, träumen, entscheiden, wollen und neu erfinden zu müssen“. Ein innerer Druck, sozusagen.
Zuletzt gab es auf dieser Internetseite den in fünf Teilen veröffentlichten Artikel von Vigilus, der die Konzilskirche definiert: „Universale natürliche Brüderlichkeit jenseits sekundärer religiöser Traditionen.“ Ich hatte die Definition des Vigilus um „in der Sünde“ erweitert. Wenn die Konzilskirche mit der Unzulänglichkeit des Menschen hantiert, stellt die Definition des Vigilus ihre Antwort dar. Alle, alle, alle sollen einen Konsens finden, in dem sie akzeptiert sind. Weil religiöse Traditionen irrelevant sind, ist dabei auch Lüge erlaubt. Der Weg wird frei gemacht für den Meister der Lüge. Natürlich ist die Brüderlichkeit, weil die Gemeinsamkeit in der fleischlichen Natur zu finden ist (Gegensatz zu den Kindern Gottes). Das ganze wird in der Sünde verwirklicht, weil ein Überhandnehmen der Sünde in einer Person die Auslöschung des Gewissens bewirken kann. Es tut ihnen Dank der sündhaften Befriedigung und Dank der gegenseitigen Akzeptanz nicht mehr leid. Nun erfahren sie eine andere Art der Stärkung, die sie von der Gottheit nehmen, die mit den Seelen in Verbindung steht. Die Konzilskirche hat zu dieser Gottheit folgendes erkannt: „Ohne die Transzendenz würde das göttliche Wesen aufhören zu existieren, sobald unsere Spezies von der Erde verschwinden würde“. Es kann sich also nicht um den handeln, den wir Vater nennen, weil der Vater ewig und unendlich ist. ER ist nicht an seine Schöpfung gebunden.
Der brüderliche Mensch sieht hingegen dann so aus, wie ihn das homoerotische „Jüngste Gericht“ von Vincenzo Paglia darstellt. Ein völlig egoistisches Wesen, das sich stürmisch-stolpernd auf jedes Objekt seiner Begierde hinbewegt.
Was mit jenen passiert, schreibt uns Paulus in 2 Tessaloniker 2: „Sie gehen verloren, weil sie sich der Liebe zur Wahrheit verschlossen haben, durch die sie gerettet werden sollten. Darum lässt Gott sie der Macht des Irrtums verfallen, sodass sie der Lüge glauben; denn alle müssen gerichtet werden, die nicht der Wahrheit geglaubt, sondern die Ungerechtigkeit geliebt haben.“