
Der US-amerikanische katholische Historiker William Thomas Walsh (1891–1949), ein Yale-Absolvent, wurde im deutschen Sprachraum kaum beachtet. Nur eines seiner Werke, „Isabella of Spain, the last crusader“, New York 1930, wurde unter dem Titel „Isabella. Die letzte Kreuzfahrerin“ in den 30er Jahren im Berliner Vorhut-Verlag in deutscher Übersetzung herausgegeben. 1947 veröffentlichte Walsh im New Yorker Verlag Doubleday das Buch „Our Lady of Fatima“, von dem soeben eine italienische Ausgabe vorgelegt wurde. Darin faßt der Autor die Ergebnisse seiner Forschungen über die erstaunlichen Ereignisse zusammen, die sich in dem portugiesischen Ort zugetragen hatten.
Als hervorragender Historiker erzählt er leidenschaftlich und dokumentiert die Erscheinungen der Jungfrau Maria an drei bescheidene Hirtenkinder, ihre Prophezeiung des Aufkommens des Kommunismus und des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, aber auch ihre Bitte an die Menschheit um Buße und ihr Versprechen, daß Frieden herrschen und Rußland sich bekehren werde, wenn ihre Botschaft angenommen wird. Hier ein Auszug aus dem achten Kapitel des Buches:
„An diesem besonderen 13. Juli 1917 war in allen Dörfern und auf den Feldern der Serra etwas Ungewöhnliches zu beobachten. Noch bevor die Kinder in Sichtweite der Cova da Iria kamen, müssen sie es bemerkt haben. Überall in der Bergregion und darüber hinaus hatten die Menschen mit geheimnisvoller Eile, mit der sich Nachrichten in den ländlichen Gegenden so schnell und weit verbreiten, von den Ereignissen am Fest des Heiligen Antonius [13. Juni] gehört. Eine überraschende Anzahl von Menschen hatte beschlossen, bei der nächsten Erscheinung dabei zu sein. Maria Carreira war aus Moita zurückgekehrt und hatte ihren verkrüppelten Sohn, ihren ungläubigen Mann und alle ihre Töchter mitgebracht. Zu den eifrigsten Gläubigen gehörte ein anderer Einwohner von Moita, José Alves, der dem Prior von Fatima ins Gesicht gesagt hatte, daß seine Theorie vom Eingreifen des Teufels Unsinn sei. Wer hatte denn je davon gehört, daß der Teufel die Menschen zum Beten anstiftet? (…)
Die Kinder, die inmitten der Menge standen, beteten den Rosenkranz und blickten zuversichtlich in Richtung Osten. Sie schenkten einer unhöflichen Frau keine Beachtung, die ihnen vorwarf, Hochstapler zu sein. Jacinta und Francisco sahen nicht einmal ihren Vater, der neben ihnen Platz genommen hatte, um ihnen notfalls zu helfen. Ti Marto sah Lucia an. Ihr Gesicht hatte eine totenähnliche Blässe. Er hörte sie sagen: ‚Nehmt die Hüte ab! Nehmt eure Hüte ab, denn ich kann die Muttergottes schon sehen!‘
Er sah, wie sich so etwas wie eine kleine Wolke auf die Steineiche senkte, und plötzlich, als das Sonnenlicht schwächer wurde, wehte eine kühle Brise über die Serra. Dann hörte er etwas, das ihm ‚wie eine Pferdefliege in einem leeren Wasserglas‘ vorkam; aber weder er noch Maria Carreira noch irgendjemand anderes, außer den Kindern, konnte irgendwelche Worte verstehen.
Inzwischen waren alle Reize der Sinneswelt – die Menschenmenge, die Sonne, der Wind, alle Banalitäten von Raum und Zeit – von den drei jungen Mystikern gewichen, als eine übernatürliche Kraft auf sie herabkam und sie in jene weiße Pracht hineinzog, wo sie mit unaussprechlicher Freude noch einmal die Frau über die Spitze des kleinen Baumes gleiten sahen.
‚Was wünschen Sie von mir?‘, fragte Lucia wie schon zuvor.
‚Ich möchte, daß Du am dreizehnten Tag des nächsten Monats hierher kommst und weiterhin jeden Tag fünf Gesätzchen des Rosenkranzes zu Ehren Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz betest, um den Weltfrieden und ein Ende des Krieges zu erreichen. Denn nur sie kann helfen.‘
Lucia sagte: ‚Ich möchte Sie bitten, uns zu sagen, wer Sie sind und ein Wunder zu vollbringen, damit alle glauben, daß Sie uns erschienen sind!‘
‚Komm weiterhin jeden Monat hierher‘, antwortete die Frau. ‚Im Oktober werde ich Euch sagen, wer ich bin und was ich will, und ich werde ein Wunder tun, an das alle glauben werden müssen.‘

Lucia dachte an einige Bitten, die verschiedene Menschen an sie gerichtet hatten. ‚Ich weiß nicht mehr genau, welche das waren‘, schrieb sie 1941. Aber es wird angenommen, daß eine davon die Heilung des verkrüppelten Sohnes von Maria Carreira war. Die Frau soll geantwortet haben, daß sie ihn nicht heilen würde, aber daß sie ihm einen Lebensunterhalt geben werde, wenn er jeden Tag den Rosenkranz beten würde. Was Lucia heute noch weiß, ist, daß sie darauf bestand, den Rosenkranz täglich zu beten, um das ganze Jahr über Gnaden zu erhalten.
‚Opfere Dich für die Sünder‘, wiederholte die Frau, ‚und sage oft, besonders wenn Du ein Opfer bringst: O Jesus, es ist aus Liebe zu Dir, für die Bekehrung der Sünder und zur Wiedergutmachung für die Sünden, die gegen das Unbefleckte Herz Mariens begangen wurden‘. Als die Frau ihre letzten Worte sprach, öffnete sie wie zuvor ihre schönen Hände, und von ihnen ging der offenbarende und durchdringende Strahl aus, der bei früheren Gelegenheiten die Herzen der Kinder erwärmt hatte. Doch dieses Mal schien er in die Erde einzudringen und enthüllte unter ihr – das sind Lucias Worte, die 1941 geschrieben wurden: ‚[Ein] Meer aus Feuer; und in dieses Feuer stürzten die Dämonen und Seelen, als wären sie Feuerkohlen, durchsichtig und schwarz oder bronzefarben, mit menschlichen Gestalten, die in der Feuersbrunst schwebten, getragen von den Flammen, die mit Rauchwolken herauskamen und nach allen Seiten fielen, wie Funken in großen Feuersbrünsten fallen – ohne Gewicht und Gleichgewicht, inmitten von Schreien und Stöhnen des Schmerzes und der Verzweiflung, die einen entsetzen und vor Angst erschaudern lassen‘. ‚Die Teufel zeichneten sich durch die abscheulichen und abstoßenden Formen furchterregender und unbekannter Tiere aus, waren aber durchsichtig wie glühende schwarze Kohlen.‘
Die Kinder waren so verängstigt, daß sie ihrer Meinung nach gestorben wären, hätte man ihnen nicht gesagt, daß sie alle in den Himmel kämen. Nachdem sie fasziniert auf das entsetzliche Schauspiel gestarrt hatten, das nicht einmal die heilige Teresa erschreckender beschrieben hatte, hoben sie ihre Augen wie in einem verzweifelten Appell an die Frau, die sie mit tiefer Zärtlichkeit ansah.
‚Ihr seht die Hölle, wohin die Seelen der armen Sünder gehen‘, sagte sie. ‚Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Verehrung meines Unbefleckten Herzens verbreiten. Wenn sie tun, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet werden und es wird Frieden herrschen. Der Krieg wird enden.‘
‚Aber wenn sie nicht aufhören, Gott zu beleidigen, wird unter Pius XI. ein anderer und schlimmerer beginnen.
Wenn Ihr eine Nacht seht, die von einem unbekannten Licht erhellt wird, dann wißt, daß dies das große Zeichen ist, das Gott Euch gibt, um die Welt für ihre Verbrechen durch Krieg, Hungersnot und Verfolgung der Kirche und des Heiligen Vaters zu bestrafen.
Um dies zu verhindern, bin ich gekommen, um die Weihe Rußlands an mein Unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen zu erbitten. Wenn sie auf meine Bitten hören, wird sich Rußland bekehren und es wird Frieden herrschen. Wenn nicht, wird es seine Irrtümer in der ganzen Welt verbreiten und Kriege und Verfolgung für die Kirche verursachen. Die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben, verschiedene Nationen werden vernichtet werden.
Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren. Der Heilige Vater wird mir Rußland weihen, das sich bekehren und der Welt eine gewisse Zeit des Friedens schenken wird.
In Portugal wird das Dogma des Glaubens immer aufrechterhalten werden.
Sagt es niemandem. Francisco kannst Du es sagen.‘
Wenn Ihr den Rosenkranz betet, sagt nach jedem Geheimnis: ‚O mein Jesus, vergib uns und befreie uns von den Feuern der Hölle, nimm alle Seelen auf in den Himmel, und hilf besonders denen, die es am meisten brauchen.‘1
Dann enthüllte die Frau den Kindern ein letztes Geheimnis, das nie enthüllt wurde und das Lucia erst enthüllen wird, wenn die Königin des Himmels selbst es anordnet. Sie hat es nicht einmal ihren Beichtvätern enthüllt.2
In dem langen Moment der Stille, der folgte, schien die Menge die apokalyptische Feierlichkeit und Spannung einer Mitteilung zu spüren, von der vielleicht das Schicksal der gesamten Menschheit abhing. Nirgendwo war ein Laut zu hören. Die Kinder, die Menge, der Wind, alles war still wie der Tod. Schließlich wagte Lucia, bleich wie ein Leichnam, mit ihrer hohen, dünnen Stimme zu fragen: ‚Wünschen Sie nichts mehr von mir?‘ ‚Nein, ich wünsche heute nichts mehr von Dir.‘ Mit einem letzten liebevollen, aber bestimmenden Blick entfernte sich die Frau wie immer Richtung Osten ‚und verschwand in der unermeßlichen Weite des Firmaments’, so schließt Lucia die erschütternde Erzählung von der dritten Erscheinung.
Während die Kinder fassungslos und erschüttert nach Osten blickten, drängten sich die Menschen um sie herum, erstickten sie fast und trampelten sie in ihrem Eifer, alle möglichen Fragen zu stellen, fast nieder.
‚Wie hat sie ausgesehen?‘ ‚Was hat sie gesagt?‘ ‚Warum bist du so traurig?‘ ‚Ist es die Jungfrau?‘ ‚Wird sie wiederkommen?‘
‚Es ist ein Geheimnis‘, sagte Lucia. ‚Es ist ein Geheimnis.‘
‚Gut oder schlecht?‘
‚Gut für die einen, schlecht für die anderen.‘
‚Und du wirst es uns nicht verraten?‘
‚Nein, mein Herr. Es ist ein Geheimnis, und die Dame hat uns angewiesen, es nicht zu verraten.‘
Ti Marto nahm seine Tochter Jacinta auf den Arm und drängte sich mit dem Kind im Nacken an den Rand der Menge. Die Nachzügler folgten ihnen und bedrängten sie weiterhin mit Fragen. Und Lucia und Francisco wiederholten immer wieder: ‚Es ist ein Geheimnis. Es ist ein Geheimnis.‘
Jemand bot ihnen an, sie nach Hause zu fahren. Ti Marto willigte ein, und die Kinder stiegen zum ersten Mal in eines dieser seltsamen pferdelosen Ungetüme, die sie von Zeit zu Zeit auf der Straße von Ourem nach Leiria hatten rasen sehen. Sie waren nicht in der Stimmung, eine neue Erfahrung zu machen. Aber sie waren dankbar für die Reise, denn alle drei waren erschöpft.“
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
1 Walsh gibt das portugiesische Original wieder: „O meu Jesús, perdoai-nos e livrai nos do fogo do inferno; levai as alminhas todas para o Céu, principalmente aquetas que mais precisarem“, und vermerkt dazu, daß ihm Sr. Lucia in einem Gespräch versicherte, daß dies die korrekte Fassung ist.
2 Zur Erinnerung: Walsh veröffentlichte sein Buch 1947, 30 Jahre nach den geschilderten Ereignissen von 1917.