Andrea Grillo: „Für Traditionalisten ist ‚katholisch‘ nur ein idealisiertes Etikett“

Der Frontalangriff des erklärten Gegners des überlieferten Ritus


Laut dem "Hausliturgiker" von Papst Franziskus folgen Gemeinschaften und Gläubige reinem Blendwerk, weil sie einem Denkfehler unterliegen.
Laut dem "Hausliturgiker" von Papst Franziskus folgen Gemeinschaften und Gläubige reinem Blendwerk, weil sie einem Denkfehler unterliegen.

Am Ran­de einer Tagung über den Prie­ster Don Pri­mo Maz­zo­la­ri, die am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de im nord­ita­lie­ni­schen Boz­zo­lo statt­fand, wur­de ein Inter­view der tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Inter­net­sei­te Mes­sa in lati­no mit dem Lit­ur­gi­ker Andrea Gril­lo, einem erklär­ten Feind des über­lie­fer­ten Ritus, mög­lich. Man sei zwar in lit­ur­gi­schen Fra­gen in „fast allem“ ande­rer Mei­nung als Gril­lo, habe aber des­sen „bru­ta­le Offen­heit“ immer zu schät­zen gewußt: „Er spricht zumin­dest Klar­text“, so Mes­sa in lati­no. Das Inter­view fällt in einen Moment erhöh­ter Unru­he, da Gerüch­te von einer wei­te­ren, nun­mehr „defi­ni­ti­ven“ Dau­men­schrau­be gegen den über­lie­fer­ten Ritus in Umlauf sind. Dazu sagt Gril­lo nichts. Das Inter­view lie­fert einen inter­es­san­ten und sehr direk­ten Ein­blick in die Denk­welt eines der mas­siv­sten Geg­ner der Tra­di­ti­on. Gril­lo, Pro­fes­sor der Sakra­men­ten­theo­lo­gie und der Reli­gi­ons­phi­lo­so­phie am Päpst­li­chen Athe­nae­um San­t’An­sel­mo in Rom und der Lit­ur­gie am Lit­ur­gi­schen Insti­tut der Abtei San­ta Giu­sti­na in Padua, befin­det sich seit Jah­ren regel­recht im Krieg gegen den über­lie­fer­ten Ritus und die die­sem anhang­en­den Gemein­schaf­ten und Gläu­bi­gen in der Kir­che. Vor allem das Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum von Bene­dikt XVI. von 2007 brach­te Gril­lo auf die Pal­me. Des­sen Bekämp­fung mit dem Ziel sei­ner Abschaf­fung schrieb er sich von da an auf sei­ne Fah­ne. Er ver­fügt im der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kat über Zugang zu San­ta Mar­ta und gilt als „Haus­lit­ur­gi­ker“ von Papst Fran­zis­kus. Gril­lo hat­te bereits 2019 gefor­dert, was mit dem Motu pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des zwei Jah­re spä­ter Wirk­lich­keit wur­de, den Zugang zum über­lie­fer­ten Ritus „ein­zu­schrän­ken“. Hier der voll­stän­di­ge Wort­laut des Interviews:

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Mes­sa in lati­no: War­um, so scheint es uns zumin­dest, will man den rom­treu­en Tra­di­tio­na­li­sten (wie so vie­len ande­ren Lai­en­be­we­gun­gen) um kei­nen Preis Frei­raum in der katho­li­schen Kir­che geben, und daß sie nur umzu­er­zie­hen­de Gläu­bi­ge sind?

Andrea Gril­lo: Die erste Fra­ge ent­hält zahl­rei­che Unge­nau­ig­kei­ten, die den eigent­li­chen Sinn der Fra­ge unter­gra­ben. Ich wer­de ver­su­chen, sie der Rei­he nach zu erläu­tern. Die­je­ni­gen, die Sie als „rom­treue Tra­di­tio­na­li­sten“ bezeich­nen, sind in Wirk­lich­keit Men­schen, die aus ver­schie­de­nen Grün­den nicht in einer Loya­li­täts­be­zie­hung, son­dern im Gegen­satz zu Rom ste­hen. Das Ele­ment des Gegen­sat­zes betrifft nicht ein­fach eine „ritu­el­le Form“, son­dern eine Art, die Bezie­hun­gen inner­halb und außer­halb der Kir­che zu ver­ste­hen. Alles beginnt mit dem Miß­ver­ständ­nis, das (in gutem Glau­ben, aber mit einem völ­lig fal­schen Urteil) durch das Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum her­vor­ge­ru­fen wur­de, das einen „ritu­el­len Par­al­le­lis­mus“ (zwi­schen Novus Ordo und Vetus Ordo) ein­ge­führt hat, der weder syste­ma­tisch noch prak­tisch begrün­det ist: Er ist theo­lo­gisch nicht fun­diert und führt zu grö­ße­ren Spal­tun­gen als zuvor schon vor­han­den. Die Idee der „Treue zu Rom“ muß hin­ter­fragt wer­den: Um Rom treu zu sein, muß man sich eine „ritu­el­le Spra­che“ aneig­nen, die dem ent­spricht, was Rom gemein­schaft­lich fest­ge­legt hat. Man ist nicht treu, wenn man einen Fuß in zwei Schu­hen hat. Die­sen Wider­spruch auf­ge­zeigt zu haben, ist das Ver­dienst von Tra­di­tio­nis cus­to­dis, das die eine, gel­ten­de Lex oran­di für die gan­ze katho­li­sche Kir­che wie­der­her­stellt. Wenn mir jemand sagt, er sei gleich­zei­tig dem Novus Ordo und dem Vetus Ordo treu, ant­wor­te ich, daß er nicht ver­stan­den hat, was Tra­di­ti­on bedeu­tet, in der es einen legi­ti­men und über­wind­ba­ren Fort­schritt gibt, der unum­kehr­bar ist.

Mes­sa in lati­no: Sind Sie der Ansicht, daß die Kir­che nach der Wall­fahrt von Paris–Chartres 2024 (18.000 Men­schen, Durch­schnitts­al­ter 25 Jah­re, Diö­ze­san­bi­schö­fe, ein Kar­di­nal der Hei­li­gen Römi­schen Kir­che, umfang­rei­che Medi­en­be­richt­erstat­tung) nun auch über die Seel­sor­ge für das „tra­di­tio­nel­le“ Cha­ris­ma nach­den­ken soll­te (wie ande­re Bewe­gun­gen, die seit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil ent­stan­den sind) oder kann sie wei­ter­hin die mas­si­ve Vita­li­tät der alten Lit­ur­gie leugnen?

Andrea Gril­lo: Was sind 18.000 Men­schen im Ver­gleich zur gro­ßen Mas­se der katho­li­schen Kir­che? Wenig mehr als eine Sek­te, die die Untreue als Erlö­sung emp­fin­det, oft ver­bun­den mit mora­li­schen, poli­ti­schen und gewohn­heits­recht­li­chen Posi­tio­nen, die völ­lig bedenk­lich sind. Die Din­ge wer­den nicht dadurch bes­ser, daß man die Wor­te ändert. Tra­di­ti­on und Tra­di­tio­na­lis­mus dür­fen nicht gleich­ge­setzt wer­den. Der Tra­di­tio­na­lis­mus ist nicht „eine von vie­len Bewe­gun­gen“ (auch wenn er zum Teil ähn­li­che Merk­ma­le wie eini­ge der fun­da­men­ta­li­sti­sche­ren Bewe­gun­gen auf­weist, die in den ver­gan­ge­nen 40 Jah­ren unan­ge­mes­sen begün­stigt wur­den), son­dern eine Form der „Ver­leug­nung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils“, die inner­halb der kirch­li­chen Erfah­rung nur stark behin­dert wer­den kann. Die Kir­che ist kein „Club von Nota­ren oder Juri­sten“, die ihre ästhe­ti­schen Lei­den­schaf­ten kul­ti­vie­ren oder die Instru­men­ta­li­sie­rung der Kir­che als „das berühm­te­ste Muse­um“ planen.

Prof. Andrea Gril­lo, radi­ka­ler Aus­druck der Lit­ur­gie­re­form und eine Speer­spit­ze in dem von ihm selbst erklär­ten Krieg gegen den über­lie­fer­ten Ritus

Mes­sa in lati­no: Wie kommt es, daß Ihrer Mei­nung nach vor allem im anglo­pho­nen und fran­ko­pho­nen Raum die Zahl der Gläu­bi­gen, der Semi­na­ri­sten, der Kon­ver­sio­nen, der finan­zi­el­len Unter­stüt­zung und der kin­der­rei­chen Fami­li­en im tra­di­tio­na­li­sti­schen Bereich erheb­lich zunimmt ange­sichts einer offen­sicht­li­chen und schwe­ren qua­li­ta­ti­ven und quan­ti­ta­ti­ven Kri­se der Novus-Ordo-Gemein­den, zumin­dest in der west­li­chen Welt?

Andrea Gril­lo: Wir haben es mit einer Ver­zer­rung der Sicht­wei­se zu tun. Der Glau­be befin­det sich, ins­be­son­de­re in der west­li­chen Welt, in einer Kri­se, die vor mehr als einem Jahr­hun­dert begann und sich in den ver­gan­ge­nen 50 Jah­ren dra­ma­tisch beschleu­nigt hat. Aber die Kri­se wird nicht durch die Wie­der­her­stel­lung der Lebens­wei­se der „Gesell­schaft der Ehre“ bewäl­tigt. Es sind nicht die „Cape Magne“ oder die „toten Spra­chen“, die dem Glau­ben Kraft ver­lei­hen. Sie ver­stär­ken nur Iden­ti­täts­bin­dun­gen, For­men des Fun­da­men­ta­lis­mus und der Unnach­gie­big­keit, die nicht mehr die von vor 100 Jah­ren sind, son­dern nie dage­we­se­ne Erschei­nun­gen anneh­men, in denen man sich mit dem Maxi­mum des post­mo­der­nen Lebens eine „katho­li­schen“ Iden­ti­tät zu eigen macht, die an „Katho­li­schem“ nur das idea­li­sier­te Eti­kett an sich hat. Es han­delt sich dabei nicht um ein kirch­li­ches oder geist­li­ches Phä­no­men, son­dern um ein Phä­no­men der Sit­ten und Lebens­for­men, das mit der authen­ti­schen Tra­di­ti­on der katho­li­schen Kir­che wenig zu tun hat.

Mes­sa in lati­no: War­um sieht der Hei­li­ge Vater Fran­zis­kus in die­ser Situa­ti­on des Man­gels an Semi­na­ri­sten und jun­gen Gläu­bi­gen Ihrer Mei­nung nach – zumin­dest schein­bar – nur die tra­di­tio­na­li­sti­schen Gläu­bi­gen (die „cum Papa nostro Fran­cis­co“ beten und immer mehr wer­den) als Fein­de an?

Andrea Gril­lo: Zunächst ein­mal ist der „Man­gel an Semi­na­ri­sten“ und die „Flucht der Jun­gen“ nicht nur eine nega­ti­ve Tat­sa­che: Sie ist das Zei­chen einer Prü­fung, die für die gesam­te Kir­che not­wen­dig ist. Die „ein­fa­chen“ Lösun­gen (fül­len wir die tra­di­tio­na­li­sti­schen Prie­ster­se­mi­na­re mit mili­ta­ri­sier­ten jun­gen Män­nern nach dem Vor­bild der Pres­by­ter des 17. oder 18. Jahr­hun­derts) sind nur Blend­werk, deren Spe­sen in erster Linie die Betrof­fe­nen tra­gen müs­sen. Sie füh­ren nicht zu einem Leben im Glau­ben, son­dern oft zu gro­ßen Res­sen­ti­ments und per­sön­li­cher Ver­här­tung. Ich wür­de mich nicht sor­gen, daß Papst Fran­zis­kus dies als Gefahr emp­fin­det. Mich hat viel­mehr besorgt, daß sei­ne Vor­gän­ger dies als Vor­teil betrach­tet haben. Nost­al­gie ist nie ein Vor­teil, auch dann nicht, wenn sie einem vor­gau­kelt, daß die Kir­che nichts zu refor­mie­ren hat, son­dern alle Ant­wor­ten nur in der Ver­gan­gen­heit fin­det. Wenn man ‚una cum papa‘ betet, kann man das nicht nur als Geschwätz tun, son­dern muß mit der Kir­che und dem Papst vor allem den einen gel­ten­den Ordo tei­len. Sonst schwatzt man nur, lebt aber im Gegen­satz zur Tradition.

Mes­sa in lati­no: Ist es mög­lich, daß eine ritu­el­le Form, die für sehr lan­ge Zeit die „nor­ma­ti­ve“ der katho­li­schen Kir­che war, nun kei­nen Platz mehr hat, neben so vie­len ande­ren Riten der katho­li­schen Kir­che, u. a. dem moza­ra­bi­schen, ambro­sia­ni­schen, chaldäi­schen, des hl. Johan­nes Chry­so­sto­mus, arme­ni­schen usw.? War­um soll das tra­di­tio­nel­le Cha­ris­ma nicht in der gro­ßen Viel­falt der kirch­li­chen Cha­ris­men koexi­stie­ren? „Wir dür­fen kei­ne Angst vor der Viel­falt der Cha­ris­men in der Kir­che haben. Im Gegen­teil soll­ten wir uns freu­en, die­se Viel­falt zu leben“, sag­te Fran­zis­kus 2024.

Andrea Gril­lo: Auch hier zeigt sich ein ziem­lich schwe­res Miß­ver­ständ­nis in der Fra­ge. Ande­rer­seits erken­ne ich, daß in Ihrer Fra­ge eine der stärk­sten (und am wenig­sten zu recht­fer­ti­gen­den) Moti­va­tio­nen mit­schwingt, die die Zeit (von Sum­morum Pon­ti­fi­cum) geprägt haben, der Sie so ver­bun­den sind, daß Sie sie fast zu Ihrem Ban­ner gemacht haben. Im Zen­trum die­ses Doku­ments stand näm­lich ein Argu­ment, das lau­te­te: „Was für die ver­gan­ge­nen Gene­ra­tio­nen hei­lig war, kann nicht anders als auch für die heu­ti­gen Gene­ra­tio­nen hei­lig sein“. Woher stammt die­ser Grund­satz? Nicht aus der Theo­lo­gie, son­dern aus nost­al­gi­schen Gefüh­len gegen­über der Ver­gan­gen­heit. Ein sol­cher Grund­satz neigt dazu, die Kir­che auf ihre Ver­gan­gen­heit zu fixie­ren. Nicht auf das ‚depo­si­tum fidei‘, son­dern auf den Anstrich, den die­ses in einer bestimm­ten Zeit ange­nom­men hat, als ob die­ser end­gül­tig wäre. Daß es im Lau­fe der Geschich­te ritu­el­le For­men gege­ben hat, die in ihrer „Anders­ar­tig­keit“ aner­kannt wur­den, hängt von der „spe­zi­fi­schen“ Tra­di­ti­on der Orte oder der Orden ab. Nie­mand hät­te aber jemals den­ken kön­nen, daß es auf uni­ver­sel­ler Ebe­ne jeman­dem frei­ge­stellt sei, in einer Ver­si­on des römi­schen Ritus oder in der durch eine all­ge­mei­ne Reform über­wun­de­nen Ver­si­on zu blei­ben. Und man kann die gro­ßen pau­li­ni­schen Ideen nicht so scham­los „von rechts“ ver­wen­den: Die Frei­heit der Cha­ris­men kann nicht als Nähr­bo­den für eine „Anar­chie von oben“ ver­stan­den wer­den, wie es die Umset­zung des Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum in unver­ant­wort­li­cher Wei­se tat. Viel bes­ser wäre es gewe­sen, „an einem Tisch“ zu arbei­ten, sodaß alle zur Berei­che­rung „der ein­zi­gen exi­stie­ren­den ritu­el­len Form“ bei­tra­gen könn­ten. Auf eine gegen­sei­ti­ge Ver­bes­se­rung zwi­schen Novus Ordo und Vetus Ordo zu set­zen, war eine völ­lig unzu­rei­chen­de Stra­te­gie und Theo­lo­gie, die durch ideo­lo­gi­sche Abstrakt­heit genährt wurde.

Mes­sa in lati­no: Sie haben hef­ti­ge Kri­tik an der über­lie­fer­ten Lit­ur­gie geäu­ßert. Sind Sie der Mei­nung, daß auch die Gläu­bi­gen, die sie bevor­zu­gen, das Recht haben, ähn­li­che Kri­tik an der Lit­ur­gie­re­form zu üben, oder mei­nen Sie, daß die kri­ti­sche Ana­ly­se der Lit­ur­gie nur im Sin­ne der theo­lo­gi­schen Strö­mung statt­fin­den kann, deren maß­geb­li­cher Ver­tre­ter Sie sind?

Andrea Gril­lo: Ich den­ke nicht in „Frak­tio­nen“ oder „Par­tei­en“. Ich ver­su­che nur, die Tra­di­ti­on zu lesen und zu ent­decken, was wir tun kön­nen und was uns nicht erlaubt ist. Jeder kann sich kri­tisch mit jeder Stel­le der Tra­di­ti­on aus­ein­an­der­set­zen. Mich inter­es­siert, daß die­se Aus­ein­an­der­set­zung mit Argu­men­ten erfolgt. Die Argu­men­te der Tra­di­tio­na­li­sten sind schwach, weil sie der Tra­di­ti­on das abspre­chen, was sie am besten qua­li­fi­ziert: näm­lich ihren Dienst an der Ver­än­de­rung. Jene, die die Lit­ur­gie­re­form in Fra­ge stel­len, haben jedes Recht, sich zu äußern, aber sie kön­nen nicht erwar­ten, daß ihre Argu­men­te sich selbst bestä­ti­gen. So kann man z. B. aus der Kri­tik an der „Reform der Kar­wo­che“ nicht das Recht ablei­ten, auf die Riten vor „jeder Reform“ des Tri­du­ums zurück­zu­grei­fen, d. h. die Riten vor den 50er Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts. Wer so han­delt, trägt nicht zur kirch­li­chen Debat­te bei, son­dern stellt sich objek­tiv außer­halb der katho­li­schen Tra­di­ti­on, und so sehr auch die „Treue zum Papst“ betont wird, wird die­se fak­tisch ver­leug­net. Es ist nicht so leicht zu ver­mei­den, „sedis­va­kan­ti­stisch“ zu wer­den, und zwar in der Tat noch vor der Erklärung.

Mes­sa in lati­no: Eine letz­te Fra­ge. Wir glau­ben, daß die Lit­ur­gie­re­form ins­ge­samt geschei­tert ist, wie man an den lee­ren Prie­ster­se­mi­na­ren und Kir­chen, zusam­men­ge­leg­ten Pfar­rei­en und Diö­ze­sen usw. sehen kann, und daß sie zur Kri­se der Kir­che bei­getra­gen hat. Wir den­ken auch, daß man, um sie zu ver­tei­di­gen, ver­sucht, das als erwar­te­te Ergeb­nis­se dar­zu­stel­len, was uns als nega­ti­ve Fol­gen erscheint. Wie wür­den Sie ver­su­chen, unse­re Mei­nung zu ändern?

Andrea Gril­lo: Es gibt Fäl­le in der theo­lo­gi­schen und lit­ur­gi­schen Debat­te, in denen die Ver­wen­dung von Argu­men­ten zum Schei­tern ver­ur­teilt ist. Ich gebe nie auf – ich wäre kein Theo­lo­ge, wenn ich kein Ver­trau­en in Argu­men­te hät­te –, aber ich ver­ste­he die Schwie­rig­keit. Ich ver­wen­de in die­sen Fäl­len Argu­men­te, die oft schwer zu ver­ste­hen sind. Selbst der bekann­te Jour­na­list Mess­o­ri ist oft in den­sel­ben Feh­ler ver­fal­len wie Sie. Sie sagen: „Die Lit­ur­gie­re­form ist geschei­tert“, und Sie argu­men­tie­ren in Zah­len. Sie den­ken so: Wenn etwas in der Geschich­te vor etwas ande­rem ist, dann ist das, was vor­her ist, die Ursa­che für das, was nach­her kommt. So fällt es nicht schwer zu glau­ben, daß die Ver­ant­wor­tung für die Miß­stän­de der 70er, 80er und 90er Jah­re bis 2024 beim Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil und ins­be­son­de­re bei der Lit­ur­gie­re­form liegt. Die­se Argu­men­ta­ti­on ist jedoch histo­risch nicht fun­diert. Die Kir­chen­kri­se geht dem Auf­kom­men der Lit­ur­gie­be­we­gung weit­ge­hend vor­aus: Gué­ran­ger und Ros­mi­ni spre­chen bereits 1830–40 von einer „lit­ur­gi­schen Kri­se“. Festu­giè­re sagt zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts: „Nie­mand weiß mehr, was Zele­brie­ren ist“… aber Sie igno­rie­ren nicht nur all das, son­dern nei­gen dazu, die Din­ge zu ver­ein­fa­chen und zu den­ken, daß, „wenn die Reform nicht statt­ge­fun­den hät­te“, wir noch in der Kir­che der 50er Jah­re wären. Hier liegt ein Denk­feh­ler vor, der aus einer zu ober­fläch­li­chen Ana­ly­se der Bezie­hung zwi­schen kirch­li­cher und ritu­el­ler Form resul­tiert. Um Ihre Mei­nung zu ändern, soll­ten wir zunächst über die Bezie­hung zwi­schen Lit­ur­gie und kirch­li­cher Erfah­rung nach­den­ken. Die Nach­fol­ge Chri­sti bedeu­tet nicht, einem High-Socie­ty-Club oder einem Ver­ein bei­zu­tre­ten, um eine frem­de Spra­che zu spre­chen oder sich mit der Ver­gan­gen­heit zu iden­ti­fi­zie­ren, indem man reak­tio­nä­re Idea­le pflegt. Die Tra­di­ti­on ist nicht Ver­gan­gen­heit, son­dern Zukunft. Da die Kir­che und der Glau­be eine ern­ste Ange­le­gen­heit sind, kön­nen sie nicht auf den Zusam­men­schluß jener redu­ziert wer­den, die eine Nost­al­gie für die Ver­gan­gen­heit pflegen.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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6 Kommentare

  1. Ich kann mich nur noch ange­wi­dert abwen­den. Mein Schwur „nie will ich von ihr wei­chen“ wird mal wie­der auf eine har­te Pro­be gestellt.

  2. Gril­lo ist schon inter­es­sant. Er ist voll­kom­men davon über­zeugt, daß er mit sei­nem Den­ken und Han­deln Recht hat. Solan­ge die Kano­nen um die Ohren schie­ßen, bleibt kei­ne Zeit, sich in den Geg­ner hin­ein­zu­ver­set­zen. Akti­vis­mus um sei­ner selbst wil­len. Der könn­te sogar Papst Fran­zis­kus in einer Iden­ti­täts­kri­se neu motivieren.

  3. Ich fin­de es beson­ders dreist, mit wel­cher Frech­heit er die Ent­schei­dun­gen Papst Bene­dikt XVI kri­ti­siert. Er bil­det sich tat­säch­lich ein, nur er habe recht. So eine Unver­fro­ren­heit liest man selten.

  4. „Die Tra­di­ti­on ist nicht Ver­gan­gen­heit, son­dern Zukunft.“
    Die­sem Satz kann ich voll­um­fäng­lich zustimmen.
    Viva Cri­sto Rey!

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