Ein Jahrzehnt der Spaltung und des größten Wirbelsturms

Kolumnist der New York Times über die zehn Jahre des Pontifikats von Papst Franziskus


Kirche blickt nach zehn Jahren Papst Franziskus auf ein Jahrzehnt der Spaltung und des Wirbelsturms ohne erkennbare Ergebnisse zurück.
Kirche blickt nach zehn Jahren Papst Franziskus auf ein Jahrzehnt der Spaltung und des Wirbelsturms ohne erkennbare Ergebnisse zurück.

(Rom) Anläß­lich des zehn­ten Jah­res­ta­ges der Thron­be­stei­gung durch Papst Fran­zis­kus ließ die New York Times, das Flagg­schiff des glo­ba­li­sti­schen Estab­lish­ments, auch eine kon­ser­va­ti­ve Stim­me zu Wort kom­men. Ross Douthats Kolum­ne „Papst Fran­zis­kus’ Jahr­zehnt der Spal­tung“ wur­de von der New Yor­ker Tages­zei­tung am Mitt­woch, dem 15. März, ver­öf­fent­licht. Der Kolum­nist atte­stiert Fran­zis­kus, daß des­sen Pon­ti­fi­kat „Tage der Drang­sal“ erle­be, sich die­se der Papst jedoch selbst zuzu­schrei­ben habe, denn er sei es gewe­sen, der bestrebt war, „auf Schritt und Tritt den größ­ten Wir­bel­sturm“ auszulösen.

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„Da ist der Zwei­fron­ten­krieg, den Rom über Leh­re und Lit­ur­gie führt, indem es ver­sucht, die Tra­di­tio­na­li­sten der latei­ni­schen Mes­se in der Kir­che aus­zu­rot­ten, wäh­rend es die libe­ra­len deut­schen Bischö­fe diplo­ma­tisch davon abhält, ein Schis­ma auf der lin­ken Flan­ke des Katho­li­zis­mus zu provozieren.“

Dann nennt der Kolum­nist bereits den Fall des Jesui­ten Mar­ko Rup­nik als Bei­spiel „für gut ver­netz­te Kle­ri­ker, die des sexu­el­len Miß­brauchs beschul­digt wer­den und gegen die Regeln und Refor­men immun zu sein schei­nen“, mit denen ihrem Wir­ken Gren­zen gesetzt wer­den sollen.

Drit­tens „sind da noch die düste­ren Zah­len für die Kir­che der Ära Fran­zis­kus, wie der sich beschleu­ni­gen­de Rück­gang der Zahl der Män­ner, die welt­weit für das Prie­ster­amt stu­die­ren“. Die Zahl der Semi­na­ri­sten, so Dout­hat, sind seit Beginn des der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kats nur rückläufig.

Und schließ­lich sei die Finanz­la­ge „so deso­lat“, daß der Vati­kan von den Kar­di­nä­len „höhe­re Mie­ten ver­langt, um die jah­re­lan­gen Defi­zi­te auszugleichen“.

In einer Kolum­ne der New York Times wird das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus als „Jahr­zehnt der Spal­tung“ bezeichnet

Die säku­la­re Pres­se habe gleich mit sei­ner Wahl „das Nar­ra­tiv von Fran­zis­kus als gro­ßem Refor­mer“ eta­bliert. „Als gegen­tei­li­ge Bewei­se auf­tauch­ten“, reagier­ten die­sel­ben Medi­en mit eiser­nem Schwei­gen. „Es blieb meist sei­nen kon­ser­va­ti­ven Kri­ti­kern über­las­sen, Listen von Kle­ri­kern zu erstel­len, die des Miß­brauchs beschul­digt wer­den und von die­sem Pon­ti­fex begün­stigt wur­den, oder auf das Schei­tern der Finanz­re­form“ und auf das Feh­len einer ech­ten Erneue­rung hin­zu­wei­sen, wie sich in den Kir­chen­bän­ken zeige.

Fran­zis­kus habe ver­spro­chen „die Kir­che weni­ger selbst­be­zo­gen, weni­ger ego­zen­trisch zu machen, statt­des­sen hat er ein Jahr­zehnt erbit­ter­ter inter­ner Debat­ten und wach­sen­der theo­lo­gi­scher Spal­tun­gen her­vor­ge­bracht, wäh­rend das offi­zi­el­le Gere­de des Katho­li­zis­mus vom Rest der Welt mit erstaun­li­cher Gleich­gül­tig­keit auf­ge­nom­men wird“.

Was die „offen­sicht­li­che Pola­ri­sie­rung“ in der Kir­che ange­he, „haben zumin­dest die Bewun­de­rer des Pap­stes ihre eige­ne Erklä­rung: Das Pro­blem liegt im Wider­stand der kon­ser­va­ti­ven Katho­li­ken, ins­be­son­de­re der kon­ser­va­ti­ven ame­ri­ka­ni­schen Katho­li­ken, die sein Pon­ti­fi­kat blockiert, behin­dert und sabo­tiert haben und sich damit sowohl dem Hei­li­gen Geist als auch der legi­ti­men Auto­ri­tät Roms wider­set­zen. Die katho­li­sche Rech­te hat einen Bür­ger­krieg ange­zet­telt und den Papst zu Unrecht beschul­digt, und sein offen­sicht­li­ches Lei­tungs- und Füh­rungs­ver­sa­gen ist nur ein Beweis für die Schwie­rig­keit einer ech­ten und tief­grei­fen­den Reform.“

Die­ser Erklä­rung der Fran­zis­kus-Bewun­de­rer wider­spricht Douthat:

„Ich habe eini­ge per­sön­li­che Grün­de, die­ser Dar­stel­lung nicht zuzu­stim­men: Ich war einer der ersten, der an Papst Fran­zis­kus gezwei­felt hat, weil ich mehr oder weni­ger die Art von Zer­fall befürch­te­te, die wir gera­de erle­ben“. Seit­her sei­en vie­le sei­ner kon­ser­va­ti­ven katho­li­schen Mit­strei­ter in einer Art Oppo­si­ti­on gegen Rom (wohl mehr gegen San­ta Mar­ta) gelan­det, was Dout­hat mehr als Fol­ge der spe­zi­fi­schen Art und Wei­se sieht, „in der Fran­zis­kus sei­ne Libe­ra­li­sie­rung durch­ge­führt hat, als eine reflex­ar­ti­ge Oppo­si­ti­on gegen alles, was außer­halb der eige­nen Kom­fort­zo­ne liegt“.

Der Kolum­nist skiz­ziert ein „kon­tra­fak­ti­sches Sze­na­rio“: Man sol­le sich vor­stel­len, was gewe­sen wäre, wenn sein Pon­ti­fi­kat mit sei­nen „Gesten der Inte­gra­ti­on und des Will­kom­mens“ und das berühm­te „Wer bin ich, um zu urtei­len“ sich nicht nur in Rich­tung der „libe­ra­len Katho­li­ken“ gezeigt hät­te; wenn Fran­zis­kus sich nicht nur für Ände­run­gen ein­ge­setzt hät­te, die von den Pro­gres­si­ven gefor­dert wer­den, damit sie sich „leich­ter in die bestehen­de Leh­re ein­fü­gen las­sen, wie die Locke­rung der Zöli­bats­re­gel für Prie­ster oder sogar die Zulas­sung von Frau­en als Dia­ko­nen“; wenn er sich eben­so stark um die Ein­heit der Kir­che bemüht hät­te; wenn er sich gleich­zei­tig gro­ße Mühe gege­ben hät­te, „den Kon­ser­va­ti­ven zu ver­si­chern, daß die Kir­che nicht ein­fach von ihren Ver­pflich­tun­gen abrückt oder ihre Leh­re zu Ehe und Sexua­li­tät auflöst“.

Ein sol­cher Vor­stoß wäre bei den Kon­ser­va­ti­ven „auf Wider­stand gesto­ßen“ – Dout­hat selbst schreibt von sich, die Auf­he­bung der Zöli­bats­re­gel für einen Feh­ler zu hal­ten –, wäh­rend die Libe­ra­len, die sich einen viel radi­ka­le­ren Wan­del wün­schen wür­den, ent­täuscht gewe­sen wären. „Aber die Zie­le wären kon­kret und erreich­bar gewe­sen, die Ein­schrän­kun­gen und Gren­zen klar, und der Papst hät­te ver­sucht, so etwas wie die Rol­le des Vaters im Gleich­nis vom ver­lo­re­nen Sohn zu spie­len, mit sei­ner Eile, den jün­ge­ren Bru­der will­kom­men zu hei­ßen, aber auch mit sei­ner lie­be­vol­len Unter­stüt­zung für den älteren.“

„Statt­des­sen war Fran­zis­kus‘ erste Tak­tik eine Kon­tro­ver­se, die in einem viel offen­sicht­li­che­ren Kon­flikt mit der katho­li­schen Leh­re stand: die Fra­ge der Wie­der­ver­hei­ra­tung nach einer Schei­dung, bei der es um die Wor­te von Jesus selbst geht.“

Nicht nur das: 

Der gene­rel­le Ansatz von Fran­zis­kus sei es gewe­sen, „Kon­tro­ver­sen an mög­lichst vie­len Fron­ten aus­zu­lö­sen: manch­mal durch sei­ne Äuße­run­gen, manch­mal durch sei­ne Ernen­nun­gen und eine Zeit­lang durch die bizar­re Stra­te­gie, wie­der­hol­te Gesprä­che mit einem athe­isti­schen ita­lie­ni­schen Jour­na­li­sten zu füh­ren, der bekannt­lich kei­ne Noti­zen mach­te, sodaß sich gewöhn­li­che Katho­li­ken frag­ten, ob der Papst tat­säch­lich zum Bei­spiel die Leh­re von der Höl­le geleug­net hat­te oder ob er sich damit begnüg­te, daß die Leser von La Repubbli­ca dies dachten.“

Fran­zis­kus habe all das ergänzt „mit einer stän­di­gen Kri­tik an den Kon­ser­va­ti­ven und vor allem an den Tra­di­tio­na­li­sten“. Dout­hat erin­nert als Kon­tra­punkt noch ein­mal an das Ver­hal­ten des Vaters im Gleich­nis vom ver­lo­re­nen Sohn.

„Und als die tra­di­tio­na­li­sti­sche Frak­ti­on, vor­her­seh­bar, zu einem Brenn­punkt der Oppo­si­ti­on mit manch­mal para­no­iden Zügen wur­de, ent­schied sich der Papst, der Dezen­tra­li­sie­rung und Viel­falt pre­dig­te, für ein grau­sa­mes Mikro­ma­nage­ment, bei dem er ver­such­te, die Gemein­den der latei­ni­schen Mes­se durch so barm­her­zi­ge Gesten wie das Ver­bot, ihre Mes­sen in den Pfarr­blät­tern zu ver­öf­fent­li­chen, zu erwürgen.“

Und doch habe der Papst bei all­dem für den pro­gres­si­ven Flü­gel der Kir­che „nicht viel Kon­kre­tes bewirkt, son­dern immer wie­der Rück­zie­her gemacht: Rück­zie­her bei der Unklar­heit über die Kom­mu­ni­on für Geschie­de­ne und Wie­der­ver­hei­ra­te­te, Rück­zie­her, als es so aus­sah, als wür­de er neue Expe­ri­men­te mit ver­hei­ra­te­ten Prie­stern zulas­sen, indem er dem Glau­bens­dik­aste­ri­um erlaub­te, die Seg­nun­gen für gleich­ge­schlecht­li­che Paa­re, die vie­le euro­päi­sche Bischö­fe geneh­mi­gen wol­len, für unmög­lich zu erklären“.

Dies habe, wie eben­falls „vor­her­seh­bar“, sowohl zu „Ent­täu­schun­gen über uner­füll­te Erwar­tun­gen“ als auch zu einem „stän­di­gen Drang“ geführt, „so weit wie mög­lich zu gehen, sogar in Rich­tung des libe­ra­len Pro­te­stan­tis­mus, den vor allem die deut­sche Kir­che anzu­stre­ben scheint, in der Annah­me, daß Fran­zis­kus gezwun­gen wer­den muß, die Ver­än­de­run­gen zu akzep­tie­ren, die er immer wie­der ins Auge faßt, aber nie ganz verwirklicht“.

Aus dem Gesag­ten fol­gert Dout­hat abschließend:

„Mit Blick auf das zehn­jäh­ri­ge Jubi­lä­um ist die­ses Pon­ti­fi­kat nicht nur wegen sei­nes Reform­ei­fers auf unver­meid­li­che Wider­stän­de gesto­ßen. Es hat unnö­ti­ger­wei­se Kon­tro­ver­sen ver­viel­facht und Spal­tun­gen ver­schärft, um einer Agen­da wil­len, die noch immer vage erschei­nen mag, und sei­ne Ent­schei­dun­gen schie­nen auf Schritt und Tritt dar­auf aus­ge­rich­tet zu sein, die größt­mög­li­che Ent­frem­dung zwi­schen den kirch­li­chen Frak­tio­nen zu schaf­fen und den größ­ten Wir­bel­sturm zu erzeu­gen, den man sich vor­stel­len kann.“

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va/​New York Times (Screen­shot)


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1 Kommentar

  1. Viel­leicht ver­mag der Kon­ver­tit Gil­bert Keith Che­ster­ton, obwohl längst ver­stor­ben, auch heu­te noch sei­nen Bei­trag dazu zu lei­sten. In einer Ver­fil­mung sei­nes „Pater Brown“ kommt die­ser wie folgt zu Wort:

    „Ich wer­de den Baum schüt­teln – und sehen was herunterfällt!“

    Ein­fach ein­mal alles durch­ein­an­der­schüt­teln, die gan­ze Kir­che kräf­tig schüt­teln – und dann sehen, was dabei her­aus­kommt. Rom scheint so ver­zwei­felt, dass ein sol­ches Got­tes­ur­teil der ein­zi­ge noch mög­li­che Aus­weg erscheint. Viel­leicht ist gar nicht mehr dahin­ter? Wie so oft, wenn sich Men­schen Auf­ga­ben stel­len, denen sie gar nicht gerecht wer­den kön­nen. Sei die Auf­ga­be zu groß, der Mensch zu klein – oder bei­des. Auch das passt hier.

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