Kardinal Müller: Der Papst sollte die Verteidigung der Menschheit koordinieren, denn die totalitären Transhumanisten sind sehr organisiert

Interview zu zehn Jahren Papst Franziskus


(Rom) Zu sei­nem zehn­ten Thron­ju­bi­lä­um gab Papst Fran­zis­kus so zahl­reich Inter­views, daß es schwer­fällt, den Über­blick zu bewah­ren. Aus die­sem Grund ver­öf­fent­li­chen wir das hoch­bri­san­te Inter­view, das La Croix, die Tages­zei­tung der Fran­zö­si­schen Bischofs­kon­fe­renz, mit Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler, dem von Papst Bene­dikt XVI. beru­fe­nen und von Papst Fran­zis­kus ent­las­se­nen Prä­fek­ten der römi­schen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, führ­te. Der Kar­di­nal fin­det dar­in nicht nur kri­ti­sche, son­dern viel­mehr ver­nich­ten­de Wor­te für die zurück­lie­gen­den zehn Jah­re des der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kats. Man beach­te, was Kar­di­nal Mül­ler vor allem nicht sagt und wie er auf Fra­gen zu Papst Fran­zis­kus ant­wor­tet, indem er statt­des­sen die Auf­ga­be und Bedeu­tung des Papst­tums her­aus­streicht. Das Augen­merk lenkt der Kar­di­nal viel­mehr auf ein The­ma, in dem er eine neue gro­ße Her­aus­for­de­run­ge sieht: den Trans­hu­ma­nis­mus. Hin­ter die­sem sieht er einen gefähr­li­chen ideo­lo­gi­schen Tota­li­ta­ris­mus am Werk, eine neue Men­schen­feind­lich­keit im Namen eines bloß rhe­to­ri­schen, aber fik­ti­ven Huma­nis­mus, gegen den es die Mensch­heit zu ver­tei­di­gen gelte.

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La Croix: Wie sehen Sie die­ses Pon­ti­fi­kat, zehn Jah­re nach sei­nem Beginn?

Kar­di­nal Mül­ler: Ich bin Theo­lo­ge und mei­ne Kate­go­rien sind theo­lo­gisch und ekkle­sio­lo­gisch. Des­halb hal­te ich es für das Wich­tig­ste, daß die Kir­che das Evan­ge­li­um vom uni­ver­sa­len Wil­len Got­tes zur Befrei­ung aller Men­schen von Sün­de und Tod ver­kün­det. In die­sen Zei­ten der Säku­la­ri­sie­rung scheint mir die Ver­kün­di­gung der grund­le­gen­den Bedeu­tung Jesu Chri­sti als Ver­mitt­ler zwi­schen Gott und allen Men­schen am wich­tig­sten zu sein.
Die Auf­ga­be eines Pap­stes als prin­zi­pi­el­le und sicht­ba­re Grund­la­ge der Ein­heit der Kir­che im Glau­ben an Chri­stus, das fleisch­ge­wor­de­ne Wort Got­tes, wie es in der Kon­sti­tu­ti­on Lumen gen­ti­um des Zwei­ten Vati­ca­num heißt, ist daher eher theo­lo­gisch als sozio­lo­gisch oder sozi­al.
Jesus ist weder ein Pro­phet noch der Grün­der einer Reli­gi­on. Er ist der Sohn Got­tes. Das bedeu­tet, daß wir alle Wahr­hei­ten des christ­li­chen Glau­bens ver­kün­den müs­sen: die Drei­fal­tig­keit, das Heil für alle Gläu­bi­gen. Das ist der Maß­stab, an dem jedes Pon­ti­fi­kat gemes­sen wird.
Papst Fran­zis­kus ist ein Pre­di­ger, der ein­fa­che Wor­te benutzt, und er hat die­se Fähig­keit, ein­fa­che Men­schen anzu­spre­chen, nicht nur Theo­lo­gen und Intel­lek­tu­el­le. Aber es wäre auch sehr not­wen­dig, auf unse­re moder­ne Welt, die post­christ­li­che und anti­christ­li­che Welt, in der wir leben, vor allem im Westen, mit der Ver­kün­di­gung von Jesus Chri­stus zu ant­wor­ten. Die Öko­lo­gie ist ein wich­ti­ges The­ma, eben­so wie das Kli­ma und die Migra­ti­on. Aber die­se The­men soll­ten uns nicht ver­ges­sen las­sen, daß die Lie­be zum Näch­sten auf der Lie­be zu Gott beruht. Die­se tran­szen­den­te, gött­li­che Dimen­si­on gilt es zu beto­nen und weiterzuentwickeln.

La Croix: In Ihrem Buch wer­fen Sie Papst Fran­zis­kus vor, daß es ihm an theo­lo­gi­scher Fun­die­rung fehlt. Warum?

Kar­di­nal Mül­ler: Die Rol­le des Pap­stes besteht nicht unbe­dingt dar­in, Theo­lo­gie im aka­de­mi­schen Sin­ne zu betrei­ben. Aber die theo­lo­gi­sche Dimen­si­on und die Erin­ne­rung an die Tran­szen­denz der mensch­li­chen Exi­stenz müs­sen im Dis­kurs prä­sent sein. Wir leben in einer von Natu­ra­lis­mus und Säku­la­ris­mus gepräg­ten Welt, die die Tran­szen­denz ver­ges­sen hat. Wir sind mit einem Kör­per geschaf­fen, in einer bestimm­ten Situa­ti­on, in einer bestimm­ten Zeit, mit einer sozio­lo­gi­schen Dimen­si­on.
Aber wir hal­ten uns nicht mit die­sen Aspek­ten auf. Die Auf­ga­be des Pap­stes, aber auch der Bischö­fe und Prie­ster, besteht dar­in, die­se Imma­nenz zu tran­szen­die­ren. In die­sem Sin­ne spricht das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil von der uni­ver­sa­len tran­szen­den­ten Aus­rich­tung des Men­schen. Die­se besteht in der Ver­mensch­li­chung des Men­schen durch die über­na­tür­li­che Gna­de. Dies ist die Auf­ga­be der Kir­che heu­te. Die christ­li­che Ori­gi­na­li­tät besteht gera­de in der Ver­bin­dung von Natur und Gna­de, Ver­nunft und Glau­ben.
Der Auf­trag der Kir­che besteht dar­in, kon­kre­te Ant­wor­ten auf die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen unse­rer heu­ti­gen Welt zu geben, wie den Trans­hu­ma­nis­mus oder die Auf­he­bung des grund­le­gen­den und struk­tu­rie­ren­den Unter­schieds zwi­schen Mann und Frau. Wir haben es heu­te mit einem neu­en ideo­lo­gi­schen Tota­li­ta­ris­mus zu tun.

La Croix: Den­noch pran­gert der Papst regel­mä­ßig die Weg­werf­kul­tur an und spricht über die­se The­men. Ist das nicht genug?

Kar­di­nal Mül­ler: Der Papst spricht sich zum Bei­spiel gegen die Abtrei­bung aus, aber es gibt kei­ne groß ange­leg­ten Initia­ti­ven zu die­sem The­ma. Der Vati­kan soll­te eine Ver­tei­di­gung der christ­li­chen Anthro­po­lo­gie koor­di­nie­ren, denn umge­kehrt sind jene, die den Trans­hu­ma­nis­mus und die Redu­zie­rung des Men­schen auf sei­ne öko­no­mi­sche Dimen­si­on för­dern, sehr orga­ni­siert. Sie befas­sen sich nicht mit der phi­lo­so­phi­schen und anthro­po­lo­gi­schen Dimen­si­on des Men­schen.
Wir brauch­ten heu­te eine neue gro­ße Enzy­kli­ka, die eine star­ke mora­li­sche Visi­on ent­wickelt, nicht um den moder­nen Ent­wick­lun­gen zu wider­spre­chen, son­dern um sie zu inte­grie­ren. Wir sind nicht gegen Medi­zin und Kom­mu­ni­ka­ti­on, aber unse­re Auf­ga­be ist es, die­se tech­ni­schen Mit­tel zu huma­ni­sie­ren. Die Tech­nik ist für den Men­schen gemacht, nicht der Mensch für die Technik.

La Croix: Wie reagie­ren Sie auf jene, die Sie als Geg­ner des Pap­stes bezeichnen?

Kar­di­nal Mül­ler: Ein Bischof kann sich nicht gegen den Papst stel­len. Das wider­spricht sei­nem Auf­trag. Es gibt kei­nen Theo­lo­gen oder Kar­di­nal, der das Papst­tum mehr befür­wor­tet als ich. Ich habe Bücher über die sakra­men­ta­le Struk­tur der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­num geschrie­ben. Aber in der Geschich­te muß man aner­ken­nen, daß eini­ge Päp­ste auch Feh­ler gemacht haben. Das war zum Bei­spiel im Mit­tel­al­ter der Fall. Eini­ge Päp­ste haben auch mehr Zeit der Poli­tik gewid­met, zum Bei­spiel der Ver­tei­di­gung des Kir­chen­staa­tes, als der Sor­ge um die Kir­che Chri­sti. Zu sei­ner Zeit kri­ti­sier­te Kar­di­nal Robert Bell­ar­min die Päp­ste, nicht um das Papst­tum zu desta­bi­li­sie­ren, son­dern um sei­ne Auf­ga­be zu beleuch­ten.
Es ist sehr wich­tig, daß alle Päp­ste gute Bera­ter haben. Schließ­lich ist ein Papst nur ein Mensch, mit all sei­nen Mög­lich­kei­ten und Gren­zen als Per­son. Des­halb ist es die Auf­ga­be des Kar­di­nals­kol­le­gi­ums, Ent­schei­dun­gen vor­zu­be­rei­ten und die Päp­ste zu bera­ten. Und dazu darf sich der Papst nicht nur mit sei­nen Freun­den umge­ben, die alles gut­hei­ßen und dafür eine Gegen­lei­stung erwarten.

La Croix: Ist das heu­te noch der Fall?

Kar­di­nal Mül­ler: Sie alle wur­den von Fran­zis­kus nach sei­ner per­sön­li­chen Mei­nung ernannt, nicht nach ihrer theo­lo­gi­schen und pasto­ra­len Kom­pe­tenz. Das ist die Kri­tik, die über­all zu hören ist.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: La Croix (Screen­shot)

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