(Rom) Seit dem 20. Januar ist das posthum veröffentlichte Buch mit Texten von Benedikt XVI. im Buchhandel erhältlich. Es sammelt fünfzehn Texte, die dieser in den letzten zehn Jahren seines Lebens nach seinem Amtsverzicht verfaßt hatte. Die Drucklegung wurde noch zu seinen Lebzeiten und mit seinem Einverständnis vorbereitet. Darin enthalten ist auch ein 17 Seiten umfassender Text über die Bedeutung der heiligen Kommunion, den Benedikt am 28. Juni 2018, am Vorabend zum Fest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, vollendete, an dem traditionell auf der ganzen Welt die Priesterweihen gespendet werden, ein Fest also, das besonders eng mit dem Priestertum, dem Weihesakrament und mit dem heiligen Meßopfer verbunden ist. Damals, im Jahr 2018, standen die Zeichen in der Kirche in Deutschland gerade wieder einmal auf Sturm.
Einige Bischöfe unternahmen den selbstherrlichen Vorstoß, für die Interkommunion eine Bresche zu schlagen. Den evangelisch-lutherischen Ehegatten von Katholiken sollte der gemeinsame Kommunionempfang erlaubt werden. Rom sagte unter Papst Franziskus zwar nein, halbherzig, und ließ „die Deutschen“ faktisch machen. Die vorgebrachte Begründung für diesen ersten Schritt zur Interkommunion war platt und oberflächlich: Der Wunsch von Ehepaaren „gemeinsam“ zur Kommunion gehen zu können, gerade so, als wäre der Kommunionempfang ein kollektiver Akt und nicht immer an den individuellen Gnadenstand gekoppelt. Das ließ Zweifel am Eucharistieverständnis der Promotoren aufkommen.
Darauf reagierte Benedikt XVI., der die Entwicklung aufmerksam und besorgt beobachtete, mit seinem Text, der in Auszügen veröffentlicht wird. Da der Sammelband „Was das Christentum ist. Fast ein geistliches Testament“ („Che cos’è il cristianesimo. Quasi un testamento spirituale“) auf italienisch im Verlag Mondadori erschienen ist und eine deutsche Ausgabe noch nicht vorliegt, handelt es sich um eine Rückübersetzung ins Deutsche, die natürlich nicht an die Schönheit und Feinheit der Sprache Benedikts XVI. heranreichen kann. Bis zum Erscheinen der deutschen Ausgabe soll sie jedoch seinen Text über die Bedeutung der Kommunion zugänglich machen, bei dem es auch um das sakramentale Priestertum und den priesterlichen Zölibat geht.
Die Bedeutung der Kommunion
Von Benedikt XVI.
In den vergangenen Jahrhunderten hat die Mahlfeier keineswegs einen zentralen Platz im kirchlichen Leben der protestantischen Kirchen eingenommen. In nicht wenigen Gemeinschaften wurde das Heilige Abendmahl nur einmal im Jahr, am Karfreitag, gefeiert. […] Es liegt auf der Hand, daß die Frage der Interkommunion in bezug auf eine solche Praxis keine Bedeutung hat. Nur eine sensible Anpassung an die heutige Form des katholischen Gemeinschaftslebens kann die Frage menschlich dringlich machen.
In der frühen Kirche wurde, erstaunlicherweise, die tägliche Feier der Heiligen Messe schon sehr früh als selbstverständlich angesehen. Soweit ich weiß, gab es keine Diskussion über diese Praxis, die sich friedlich durchsetzte. Nur so kann man verstehen, warum [im „Pater noster“] das rätselhafte Adjektiv „epiousion“ fast offensichtlich mit „quotidianus“ übersetzt wurde. Für den Christen ist das „Übernatürliche“ das täglich Notwendige. Die tägliche Eucharistiefeier erwies sich als notwendig besonders für Presbyter und Bischöfe als „Priester“ des Neuen Bundes. Dabei spielte die zölibatäre Lebensform eine wichtige Rolle. Der direkte, „leibliche“ Kontakt mit den Geheimnissen Gottes hatte schon zur Zeit des Alten Testaments eine bedeutende Rolle gespielt beim Ausschluß des ehelichen Vollzugs in den Tagen, an denen der zuständige Priester den Tempeldienst verrichtete. Da der christliche Priester nun aber nicht mehr nur vorübergehend mit den heiligen Geheimnissen zu tun hatte, sondern für immer für den Leib des Herrn verantwortlich war, für das „tägliche“ Brot, wurde es notwendig, sich ihm ganz hinzugeben. […]
Die Praxis des Kommunionempfangs für die Laien hat sich jedoch erheblich weiterentwickelt. Gewiß, das Sonntagsgebot verlangte, daß jeder Katholik am Tag des Herrn an der Zelebration der Geheimnisse teilnimmt, aber das katholische Eucharistieverständnis schloß nicht unbedingt den wöchentlichen Empfang der Kommunion ein.
Ich erinnere mich, daß es in der Zeit nach den 20er Jahren für die verschiedenen Lebensstände in der Kirche Kommuniontage gab, die als solche immer auch Beichttage waren und damit auch im Leben der Familien eine herausragende Stellung eingenommen haben. Es war ein Gebot, mindestens einmal im Jahr zur Beichte zu gehen und in der Osterzeit die Kommunion zu empfangen. […] Wenn der Bauer, das Familienoberhaupt, zur Beichte gegangen war, herrschte auf dem Hof eine besondere Atmosphäre: Jeder vermied alles, was ihn aufregen und so seine Reinheit im Hinblick auf die heiligen Geheimnisse gefährden konnte. In diesen Jahrhunderten wurde die Heilige Kommunion nicht während der Heiligen Messe ausgeteilt, sondern separat, vor oder nach der Eucharistiefeier. […]
Es gab aber immer auch schon Strömungen, die sich an einer häufigeren, stärker mit der Liturgie verbundenen Kommunion orientierten und die mit dem Beginn der liturgischen Bewegung an Stärke gewannen. […) Das Zweite Vatikanische Konzil hat die guten Gründe dafür anerkannt und versucht, die innere Einheit zwischen der gemeinsamen Feier der Eucharistie und dem persönlichen Empfang der Kommunion zu betonen.
Gleichzeitig kam es im Dritten Reich, vor allem in den Kriegsjahren, im evangelischen Bereich zu einer Spaltung zwischen den sogenannten „deutschen Christen“ auf der einen Seite und der „bekennenden Kirche“ auf der anderen Seite. Diese Spaltung führte zu einer neuen Vereinbarung zwischen den „bekennenden Christen“ und der katholischen Kirche. Daraus folgte ein Vorstoß für eine gemeinsame eucharistische Kommunion zwischen den Konfessionen. In dieser Situation wuchs die Sehnsucht nach einem einheitlichen Leib des Herrn, die heute jedoch Gefahr läuft, ihr starkes religiöses Fundament zu verlieren, und in einer externalisierten Kirche mehr von politischen und sozialen Kräften als von der inneren Suche nach dem Herrn bestimmt wird.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Bild eines katholischen Bundeskanzlers, der vor den Augen der Kamera und damit auch vor den Augen religiös gleichgültiger Menschen aus dem eucharistischen Kelch trank. Diese Geste, kurz nach der Wiedervereinigung, erschien als ein im wesentlichen politischer Akt, in dem die Einheit aller Deutschen zum Ausdruck kam. Wenn ich daran zurückdenke, spüre ich erneut mit großem Nachdruck die Entfremdung des Glaubens, die daraus resultierte. Und wenn Bundespräsidenten, die zugleich Präsides der Synoden ihrer Kirche waren, regelmäßig für eine interkonfessionelle Abendmahlsgemeinschaft plädieren, dann sehe ich, daß die Forderung nach einem gemeinsamen Brot und Kelch anderen Zwecken dient.
Zur aktuellen Situation des eucharistischen Lebens in der katholischen Kirche mögen einige Bemerkungen genügen. Ein Prozeß von großer Bedeutung ist das fast vollständige Verschwinden des Bußsakraments, das infolge des Streits über die Sakramentalität oder Nicht-Sakramentalität der kollektiven Lossprechung in weiten Teilen der Kirche praktisch abhanden gekommen ist und nur noch in Wallfahrtskirchen eine gewisse Zuflucht findet. […] Mit dem Verschwinden des Bußsakramentes hat sich ein funktionales Verständnis der Eucharistie verbreitet. […] Wer bei der rein als Mahl verstandenen Eucharistie anwesend ist, empfängt natürlich auch die Gabe der Eucharistie. In einer solchen Situation der weit fortgeschrittenen Protestantisierung des Eucharistieverständnisses erscheint die Interkommunion selbstverständlich. Andererseits ist das katholische Verständnis der Eucharistie nicht völlig verschwunden, und insbesondere die Weltjugendtage haben zu einer Wiederentdeckung der eucharistischen Anbetung und damit auch der Gegenwart des Herrn im Sakrament geführt.
Ausgehend von der protestantischen Exegese hat sich immer mehr die Auffassung durchgesetzt, daß das Letzte Abendmahl Jesu durch die sogenannten „Sündermahlzeiten“ des Meisters vorbereitet wurde und nur auf dieser Grundlage verstanden werden kann. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Darbringung des Leibes und Blutes Jesu Christi steht in keinem direkten Zusammenhang mit den Mahlzeiten mit Sündern. Unabhängig von der Frage, ob das Letzte Abendmahl Jesu ein Pessachmahl war oder nicht, ist es Teil der theologischen und rechtlichen Tradition des Pessachfestes. Er ist daher eng mit der Familie, der Heimat und der Zugehörigkeit zum Volk Israel verbunden. Gemäß dieser Vorschrift feierte Jesus das Pessachfest mit seiner Familie, d. h. mit den Aposteln, die seine neue Familie geworden waren. Damit erfüllte er ein Gebot, wofür sich Pilger auf dem Weg nach Jerusalem in Gefährtengruppen zusammenschließen konnten, den sogenannten „Chaburot“.
Die Christen setzten diese Tradition fort. Sie sind seine „Chaburah“, seine Familie, die er aus seiner Pilgergruppe gebildet hat, die mit ihm den Weg des Evangeliums beschreiten auf dem Boden der Geschichte. So war die Feier der Eucharistie in der frühen Kirche von Anfang an an die Gemeinschaft der Gläubigen und damit an strenge Zugangsbedingungen gebunden, wie aus den ältesten Quellen hervorgeht: „Didache“, Justin der Märtyrer usw. Das hat nichts mit Slogans wie „offene Kirche“ oder „geschlossene Kirche“ zu tun. Vielmehr ist das tiefe Einswerden der Kirche als ein Leib mit dem Herrn eine Voraussetzung dafür, daß sie ihr Leben und ihr Licht kraftvoll in die Welt bringen kann.
In den Kirchengemeinden, die aus der Reformation hervorgegangen sind, wird die Feier des Sakraments „Abendmahl“ genannt. In der katholischen Kirche wird die Feier des Sakraments des Leibes und Blutes Christi „Eucharistie“ genannt. Das ist keine beiläufige, rein sprachliche Unterscheidung. Vielmehr zeigt sich in der Unterscheidung der Konfessionen ein tiefgreifender Unterschied, der mit dem Verständnis des Sakraments selbst zusammenhängt. Der bekannte protestantische Theologe Edmund Schlink erklärte in einer vielbeachteten Rede während des Konzils, er könne die Einsetzung des Herrn in der katholischen Eucharistiefeier nicht anerkennen. […] Er war offensichtlich überzeugt, daß Luther durch die Rückkehr zur reinen Struktur des Abendmahls die katholische Verfälschung überwunden und die Treue zum Gebot des Herrn „Tut dies …“ sichtbar wiederhergestellt hatte.
Es ist nicht nötig, an dieser Stelle zu erörtern, was inzwischen feststeht, nämlich daß das Abendmahl Jesu auch aus rein historischer Sicht völlig anders war als eine lutherische Abendmahlsfeier. Richtig ist vielmehr die Feststellung, daß schon die frühe Kirche das Abendmahl nicht phänomenologisch wiederholte, sondern anstelle des Mahles am Abend bewußt die Begegnung mit dem Herrn am Morgen zelebrierte, die schon in frühester Zeit nicht mehr Abendmahl, sondern Eucharistie genannt wurde. Erst in der Begegnung mit dem Auferstandenen am Morgen des ersten Tages ist die Einsetzung der Eucharistie vollständig, denn nur mit dem lebendigen Christus können die heiligen Geheimnisse gefeiert werden.
Was ist hier passiert? Warum handelte die junge Kirche auf diese Weise? Kehren wir für einen Moment zum Abendmahl und der Einsetzung der Eucharistie durch Jesus während des Abendmahls zurück. Als der Herr sagte: „Tut dies“, hatte er nicht die Absicht, seine Jünger aufzufordern, das Letzte Abendmahl als solches zu wiederholen. Wenn es sich um ein Pessachfest handelte, ist es klar, daß Pessach nach den Vorschriften des Exodus einmal im Jahr gefeiert wurde und nicht mehrmals im Jahr wiederholt werden durfte. Aber auch unabhängig davon ist klar, daß kein Auftrag erteilt wurde, das gesamte Abendmahl zu wiederholen, sondern nur das neue Opfer Jesu, indem gemäß den Einsetzungsworten die Tradition des Sinai mit der Verkündigung des Neuen Bundes verbunden wird, die insbesondere von Jeremia bezeugt wird. Die Kirche, die sich an die Worte „Tut dies“ gebunden wußte, wußte zugleich, daß sie das Abendmahl nicht als Ganzes wiederholen sollte, sondern daß das wesentlich Neue extrapoliert und eine neue Gesamtform dafür gefunden werden mußte. […]
Schon der früheste Bericht über die Feier der Eucharistie, den wir haben – jener, der uns um 155 von Justin dem Märtyrer überliefert wurde – zeigt, daß sich eine neue Einheit gebildet hatte, die aus zwei grundlegenden Komponenten bestand: der Begegnung mit dem Wort Gottes in einer Liturgie des Wortes und dann der „Eucharistie“ als „logiké latréia“. „Eucharistie“ ist die Übersetzung des hebräischen Wortes „berakah“, Danksagung, und bezeichnet den Kern des jüdischen Glaubens und Gebets zur Zeit Jesu. In den Texten über das Letzte Abendmahl heißt es ausführlich, daß Jesus „mit dem Segensgebet Dank sagte“, und so ist die Eucharistie zusammen mit den Gaben von Brot und Wein als Kern der Form seines Letzten Abendmahls zu betrachten. Es waren vor allem J. A. Jungmann und Louis Bouyer, die die Bedeutung der „Eucharistia“ als konstitutives Element hervorhoben.
Wenn die Zelebration der Einsetzung Jesu beim Letzten Abendmahl als Eucharistie bezeichnet wird, so wird damit sowohl der Gehorsam gegenüber der Einsetzung Jesu als auch die neue Form des Sakraments, die in der Begegnung mit dem Auferstandenen entsteht, gültig ausgedrückt. Es handelt sich nicht um eine Reproduktion des Letzten Abendmahls Jesu, sondern um das neue Ereignis der Begegnung mit dem Auferstandenen: Neuheit und Treue gehen Hand in Hand. Der Unterschied zwischen den Bezeichnungen „Abendmahl“ und „Eucharistie“ ist nicht oberflächlich und zufällig, sondern weist auf einen grundlegenden Unterschied im Verständnis des Auftrags Jesu hin.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Dirk Bouts der Ältere: Das Letzte Abendmahl, Sint-Pieterskerk in Löwen (1464–1468)
Großartiger Text. Danke für diese deutsche Vorabpublikation.