(Jerusalem) Ein jüdischer Extremist aus den USA beschädigte am Donnerstag eine Christusstatue in der katholischen Geißelungskapelle in der Jerusalemer Altstadt. Der Angriff wurde von der Franziskanerkustodie des Heiligen Landes, die die heiligen Stätten verwaltet, scharf verurteilt.
Auf einem in sozialen Netzwerken verbreiteten Video ist ein Mann zu sehen, der am Donnerstagmorgen die „Flagellatio“ (Geißelungskapelle) betritt, das ist die erste Station an der Via Dolorosa, und eine Jesus-Statue umstößt und deren Gesicht entstellt. Der Mann wurde an weiteren Taten gehindert und bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten.
Die Tat sorgte umgehend für politische Implikationen. Eine erste Kurzmeldung der palästinensischen Wafa News Agency lautete:
„Der Jerusalemer Bürger Majed al-Rasheq wehrt sich gegen einen israelischen Siedler, der versucht hat, die Kirche der Geißelung in der besetzten Altstadt von Jerusalem zu zerstören und in Brand zu setzen.“
Bei dem Angreifer handelt es sich aber nicht um einen Siedler, sondern offenbar um einen US-amerikanischen Touristen, der verhaftet und zur Befragung mitgenommen wurde. Die israelische Polizei, um Beruhigung bemüht, teilte über einen Polizeisprecher mit, daß der Mann „möglicherweise geistig behindert“ ist.
Es ist bereits der fünfte Vorfall gegen christliche Stätten in Jerusalem seit Weihnachten 2022. Eine Häufung, die bei den christlichen Gemeinschaften in der Stadt Besorgnis auslöst.
„Wir verurteilen aufs Schärfste diese wachsende Dynamik von schweren Haßdelikten und Gewalttaten gegen die christliche Gemeinschaft“, erklärte die Kustodie des Heiligen Landes.
Die meisten der jüngsten Übergriffe und Vandalenakte wurden von jüdischen Extremisten verübt.
Nach Ansicht der Kustodie, die von „Vandalismus“ und „Schändung“ spricht, könnte eine wachsende Legitimierung von „Diskriminierung und Gewalt in der öffentlichen Meinung“ in der aktuellen politischen Landschaft Israels zu dieser Entwicklung beitragen. Seit dem 29. Dezember wird Israel von der rechtesten Regierung seiner Geschichte geführt. Der 1948 ausgerufene Staat Israel war in den ersten Jahrzehnten nach seiner Gründung durchgehend von Linksregierungen gelenkt worden. Erst 1977 setzte eine schrittweise Achsenverschiebung ein, zunächst mit wechselnden Regierungen. Ein radikaler Einschnitt in diesem Umbruch war 1995 die Ermordung des linken Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin. Seit der Jahrtausendwende gab es nur mehr Regierungen rechts der Mitte.
„Wir erwarten und fordern, daß die israelische Regierung und die Strafverfolgungsbehörden entschlossen handeln, um die Sicherheit aller Gemeinschaften zu gewährleisten, den Schutz religiöser Minderheiten zu garantieren und religiösen Fanatismus auszurotten“, so die Franziskanerkustodie in ihrer Stellungnahme.
Neben anderen Vorfällen zerstörten Anfang Januar zwei Personen Dutzende von Grabsteinen auf einem protestantischen Friedhof in Jerusalem mit Gräbern aus der Zeit der britischen Mandatsherrschaft für den Völkerbund (1922–1948).
Vor einer Woche verurteilten die christlichen Kirchen in Jerusalem einen Angriff jüdischer Siedler auf ein Restaurant im christlichen Viertel der Altstadt. Mit jüdischen Siedlern sind Personen gemeint, die sich im Zuge einer jüdischen Siedlungspolitik in den 1967 von Israel besetzten Palästinensergebieten ansiedeln, um das Land für Israel in Besitz zu nehmen.
Jerusalem sollte laut dem Teilungsplan der UNO einen internationalen Status erhalten, wurde aber im Zuge des sogenannten israelischen Unabhängigkeitskrieges nach der Ausrufung des Staates Israel hart umkämpft und geteilt. Westjerusalem wurde von Israel besetzt und Ostjerusalem mit der Altstadt von Jordanien. Im Sechstagekrieg von 1967 besetzte Israel auch den Ostteil der Stadt und annektierte ihn 1980. Der Vatikan unterstützt bis heute den UNO-Plan, daß Jerusalem einen internationalen Status erhalten soll, um den freien Zugang zu den heiligen Stätten zu garantieren. Allerdings zeichnet sich unter Papst Franziskus möglicherweise eine Kursänderung ab.
Die Geißelungskapelle wurde im 12. Jahrhundert von den Kreuzrittern dort errichtet, wo laut Überlieferung die Flagellatio (Geißelung) Jesu Christi durch die römischen Soldaten stattgefunden hatte. Nach der islamischen Eroberung Jerusalems wurde sie in einen Pferdestall umgewandelt und stürzte irgendwann ein.
1836 wurde die Ruine an die Franziskanerkustodie des Heiligen Landes zurückgegeben. Herzog Max Joseph in Bayern, der Vater von Kaiserin Sissi (Elisabeth) von Österreich, finanzierte die Instandsetzung der Kirche. Der Herzog hatte 1838 eine Reise ins Heilige Land unternommen und war dabei vom Kustos in den Orden der Ritter vom Heiligen Grab aufgenommen worden. Bei dieser Gelegenheit wurde er auf den trostlosen Zustand der Geißelungskapelle aufmerksam.
1929 wurde die Kapelle nach den Plänen des italienischen Architekten Antonio Barluzzi durch Abtragung der Max-Josephs-Kapelle auf den Fundamenten des hochmittelalterlichen Baus im Stil der Kreuzfahrerzeit wieder aufgebaut. Barluzzi entstammte einer Familie, die über mehrere Generationen als Baumeister der Päpste diente.
Bei der Geißelungskapelle befindet sich der Sitz des Studium Biblicum Franciscanum.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons