Papst Franziskus kann sich die Berufungskrise nicht erklären

"Es formiert sich ein Widerstand gegen das Konzil"


Papst Franziskus gewährte der Zeitschrift Mundo Negro der Comboni-Missionare ein Interview. Anwesend war auch der Comboni-Kardinal Miguel Ángel Ayuso (rechts).
Papst Franziskus gewährte der Zeitschrift Mundo Negro der Comboni-Missionare ein Interview. Anwesend war auch der Comboni-Kardinal Miguel Ángel Ayuso (rechts).

(Rom) Die Zeit­schrift Mun­do Negro der Com­bo­ni-Mis­sio­na­re, mit Sitz in Madrid, ver­öf­fent­lich­te am 13. Janu­ar ein Inter­view mit Papst Fran­zis­kus. Es ist nicht das erste, das er die­ser Zeit­schrift gewähr­te. Dar­in pran­gert Fran­zis­kus erneut den Pro­se­ly­tis­mus als „schwe­re Sün­de“ an. Soweit so bekannt. Bemer­kens­wer­ter ist, daß Fran­zis­kus auch sagt, sich die Beru­fungs­kri­se „nicht erklä­ren“ zu kön­nen. Zudem bedau­ert er, daß die „lit­ur­gi­schen Gärun­gen“, die es nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil gab, ver­schwun­den seien.

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Das Inter­view, das bereits am 15. Dezem­ber geführt, aber erst jetzt ver­öf­fent­licht wur­de, dau­er­te 35 Minu­ten. Geführt wur­de es vom Schrift­lei­ter von Mun­do Negro, P. Jau­me Cal­ve­ra. Anwe­send war auch der Com­bo­ni-Kar­di­nal Miguel Ángel Ayu­so Gui­xot. Fran­zis­kus hat­te Kar­di­nal Ayu­so 2016 zum Titu­lar­bi­schof und 2019 zum Vor­sit­zen­den des Päpst­li­chen Rates für den inter­re­li­giö­sen Dia­log (heu­te Dik­aste­ri­um für den inter­re­li­giö­sen Dia­log) ernannt. Im sel­ben Jahr kre­ierte er ihn auch zum Kar­di­nal.

Der Auf­trag der Kir­che habe sich, so Fran­zis­kus, durch das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil „Gott sei Dank“ ver­än­dert. Dabei ver­weist er auf „zwei inter­es­san­te Zeichen“:

„Die ersten unvor­sich­ti­gen Gärun­gen des Kon­zils sind bereits ver­schwun­den. Ich den­ke an die lit­ur­gi­schen Gärun­gen, die fast nicht mehr vor­han­den sind. Und es for­miert sich ein anti­kon­zi­lia­rer Wider­stand, ein Wider­stand gegen das Kon­zil, den es vor­her nicht gab und der typisch für jeden Rei­fe­pro­zeß ist. Aber vie­le Din­ge haben sich ver­än­dert… Auf der mis­sio­na­ri­schen Sei­te ist der Respekt vor den Kul­tu­ren, die Inkul­tu­ra­ti­on des Evan­ge­li­ums, einer der Wer­te, die als indi­rek­te Fol­ge des Kon­zils ent­stan­den sind. Der Glau­be wird inkul­tur­iert und das Evan­ge­li­um nimmt die Kul­tur des Vol­kes an, es fin­det eine Evan­ge­li­sie­rung der Kul­tur statt. Inkul­tu­ra­ti­on des Glau­bens und Evan­ge­li­sie­rung der Kul­tur sind die­se bei­den Bewe­gun­gen, und wenn ich von der Evan­ge­li­sie­rung der Kul­tur spre­che, dann mei­ne ich nicht den Reduk­tio­nis­mus der Kul­tur oder die Ideo­lo­gi­sie­rung der Kul­tu­ren oder all das, was heut­zu­ta­ge eine ernst­haf­te Ver­su­chung ist, son­dern ich spre­che von Evan­ge­li­sie­rung, von Ver­kün­di­gung und nichts ande­rem, mit gro­ßem Respekt. Die schwer­ste Sün­de, die ein Mis­sio­nar bege­hen kann, ist daher der Pro­se­ly­tis­mus. Der Katho­li­zis­mus ist kein Proselytismus.“

Info­Va­ti­ca­na bezeich­net die häu­fi­ge Kri­tik von Fran­zis­kus am „Pro­se­ly­tis­mus“ als eine „Obses­si­on“ des Pap­stes, wobei er den Begriff bewußt vage hält, wie auch den „Kle­ri­ka­lis­mus“ oder die „Rigi­di­tät“, um zwei ande­re Schlag­wör­ter des päpst­li­chen Voka­bu­lars zu nen­nen. Sie unter­lie­gen kei­ner genau­en Defi­ni­ti­on, wer­den jedoch für har­te Ankla­gen ein­ge­setzt: „Die schwer­ste Sün­de, die ein Mis­sio­nar bege­hen kann, ist der Proselytismus.“

„Ich sehe keine Erklärung“

Auf die Fra­ge, ob der Westen heu­te „Mis­si­ons­ge­biet“ ist, zeigt sich Fran­zis­kus über­rascht, gera­de­zu rat­los. Dabei nann­te der Papst weni­ge Sät­ze vor­her das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil als gro­ße Errun­gen­schaft, das so viel ver­än­dert habe. Seit bald 60 Jah­ren gilt die offi­zi­el­le kirch­li­che Linie, daß das Kon­zil einen „neu­en Früh­ling“ gebracht habe. Von dem ist aller­dings nichts zu sehen und zu spü­ren. Mit der Rea­li­tät kon­fron­tiert, die die­sem Nar­ra­tiv wider­spricht, erklärt Fran­zis­kus, kei­ne Erklä­rung dafür zu haben.

„Fünf Län­der – Bel­gi­en, Hol­land, Spa­ni­en, Irland und Que­bec – haben die Welt mit Mis­sio­na­ren gefüllt. Heu­te gibt es in die­sen fünf Gegen­den kei­ne Beru­fun­gen mehr. Es ist ein Rät­sel. Und das in weni­ger als 100 Jah­ren. Wie kön­nen wir uns das erklä­ren? Ich sehe kei­ne Erklä­rung dafür.“

Schlaf­lo­se Näch­te scheint Fran­zis­kus das Uner­klär­li­che aber nicht zu berei­ten, denn auf die gleich anschlie­ßen­de Fra­ge, ob ihn die­se Ent­wick­lung besor­ge, sag­te er:

„Nein, sie beun­ru­higt mich nicht, in dem Sin­ne, daß wir dahin­schmel­zen, das ist ein Zei­chen der Zeit, das Welt­lich­keit signa­li­siert, das ein Ent­wick­lungs­ni­veau signa­li­siert, das Wer­te anders­wo setzt. Sie signa­li­siert eine Kri­se. Es gibt Kri­sen, und Kri­sen müs­sen durch­lebt und über­wun­den werden.“

Text/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Info­Va­ti­ca­na

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