
Eine Buchbesprechung von Hubert Hecker
Die Grundannahme bürgerlicher Kreuzzugskritik besteht in der Behauptung, dass Papst Urban II. im Jahre 1095 den mitteleuropäischen Adel zu einem ersten kolonialen Eroberungsfeldzug in eine überseeische Region gerufen habe. Mit dieser Hypothese korrespondiert stillschweigend die zweite Annahme, dass der Islam seit seinem Bestehen allein in friedlicher Mission seine milde Herrschaft über ein riesiges Gebiet vom Atlantik bis zum Indus ausgebreitet hätte. Methodisch zeigt sich diese einseitige Herangehensweise im vollständigen Ausblenden des Dschihad als zentrale Triebkraft des politischen Islam: Mohammed hat im Koran allen muslimischen Herrschern und Heeren unmissverständlich aufgetragen, mit kriegerischen Mitteln alle christlichen und heidnischen Länder in Ost und West unter die Gottesherrschaft Allahs zu zwingen. 450 Jahre nach Mohammeds Tod waren die gesamte Levante (heute Naher und Mittlerer Osten), die christlichen Länder Nordafrikas sowie Spanien, Sizilien und Süditalien, Zypern und fast ganz Kleinasien islamisch besetzt. Erst um die Jahrtausendwende begann, von Spanien ausgehend, die Reconquista. Die Kreuzzüge waren Teil der Abwehr und Rückeroberung gegenüber den primären Eroberungskriegen des Islam sowie dessen Beherrschungspolitik.
Der im Juli 2022 verstorbene amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark gehörte zu den wenigen Historikern, die Kreuzzüge wissenschaftlich, d. h. von beiden Seiten der Kriegsparteien, behandelten. Nach kritischer Sichtung der Literatur kam er zu dem Ergebnis: So war es nicht – wie es vielfach dargestellt wird. In Form eines virtuellen Interviews sollen die ersten sieben Kapitel seines Buches: Gottes Krieger. Die Kreuzzüge im neuen Licht vorgestellt und mit einem kritischen Resümee versehen werden:
▪ Warum lassen Sie die Kreuzzüge im 7. Jahrhundert beginnen, wo doch erst 1095 Papst Urban II. zum ersten Kreuzzug aufrief?
Es ist eine der vielen fehlerhaften Herangehensweisen, die Vorgeschichte der Kreuzzüge auszublenden und damit diese Kriegszüge als primäre Aggression hinzustellen. In Wirklichkeit wurden die Kreuzzüge durch islamische Provokationen ausgelöst: durch jahrhundertelange blutige Versuche, das Abendland zu kolonisieren, und immer wieder durch Überfälle auf christliche Pilger und heilige Stätten.
Schon durch Mohammed begannen die islamischen Eroberungen christlicher Städte und Länder, als er im Jahre 630 mit einer großen Streitmacht einen Feldzug gegen die Christenstadt Tabuk anführte. Achtzig Jahre nach Mohammeds Tod hatten muslimische Heere die meisten christlichen Länder im Nahen Osten unterworfen, alle christlichen Reiche in Nordafrika usurpiert sowie Zypern und weite Teile Spaniens. In einem weiteren Jahrhundert gerieten auch Sizilien, Sardinien, Korsika, Kreta und Süditalien unter muslimische Herrschaft. Von diesen Basen aus überfielen islamische Krieger regelmäßig südfranzösische und italienische Städte und versklavten ihre Bewohner. Rom wurde im neunten Jahrhundert zweimal von Muslimen geplündert.
Aus der Ideologie und Praxis der IS-Muslime kann man das Vorgehen des Islam in den Jahrhunderten bis zu den Kreuzzügen ablesen: Wenn sich „Ungläubige“ (Christen) gegen muslimische Aggressionen wehrten und in Gefangenschaft gerieten, wurden sie vor die Wahl gestellt: entweder Übertritt zum Islam oder Tod oder Versklavung. Die Bevölkerungen der eroberten Länder, Juden und Christen, wurden von den islamischen Herrschern zwar geduldet, aber als Bürger zweiter Klasse unter solche repressiven religiösen, sozialen und ökonomischen Bedingungen gestellt, dass sie durch diese strukturelle Gewalt zur Konversion zum Islam genötigt wurden. Eine Konversion zum Christentum dagegen bestraften die Muslime mit dem Tode.
Ein Großteil der europäischen Christen kamen im 11. Jahrhunderts zu der Überzeugung, dass es Zeit und Gründe gab zurückzuschlagen – einerseits wegen der muslimischen Usurpation der christlichen Länder und zum andern wegen der Schikanierung, Plünderungen und Versklavung der Christen unter islamischer Herrschaft.
Diese Einschätzung, den Aggressionen des Islam gegen Christen und christliche Reiche Einhalt zu gebieten, teilte auch Papst Urban II., wenn er in einem Kreuzzugsaufruf schrieb: Die Muslime haben immer mehr Länder der (oströmischen) Christen besetzt und diese in sieben Kriegen besiegt. Sie haben viele von ihnen getötet und gefangen genommen, die Kirchen zerstört und das Kaiserreich von Byzanz verwüstet. Wenn man sie das weiter ungestraft tun lässt, werden die Gläubigen in einem noch weit größeren Ausmaß von ihnen angegriffen werden.
▪ Wann begann die Reconquista, die Rückeroberungskriege durch Christenheere?
Die ersten Siege gegen muslimische Heere hatten rein defensiven Charakter: Schon 672 ließ der Kalif von Bagdad 50.000 Soldaten gegen die oströmische Hauptstadt Byzanz aufmarschieren – und scheiterte mit seinem Aggressionskrieg. 732 mussten sich die Muslime in der Schlacht bei Tours und Poitiers dem fränkischen Heer unter Karl Martell geschlagen geben. Hundert Jahre später begann der europäische Pilgerstrom zum Apostelgrab nach Compostela. Mehrfache muslimische Überfälle und Plünderungen der Pilgerstadt machten die Dringlichkeit der spanischen Reconquista in der ganzen Christenheit bekannt. Ab 1063 unterstützte der Reformpapst Alexander II. diejenigen, die nach Spanien gegen die Sarazenen zogen: Gegen diese zu kämpfen sei gerecht, weil sie Christen verfolgen. Ausdrücklich sollten sie aber den Juden Schutz angedeihen lassen. Toledo, die ehemalige Hauptstadt des westgotischen Reichs, fiel 1085 wieder in christliche Hand. Zehn Jahre später schlug El Cid mit seinem Heer die maurische Armee mehrfach bei Valencia. Das war ein Jahrzehnt vor dem Aufbruch zum ersten Kreuzzug.
Die Rückeroberung von Sizilien und Süditalien begann ab 873 durch die Byzantiner, dann erneut 1038. Ab 1059 übernahmen normannische Truppen die Initiative. Unter Führung von Robert Guiscard und seinem Bruder Roger vertrieben die Normannen und Langobarden bis 1071 die letzten muslimischen Herrscher aus Sizilien. Als Fortsetzung dieser normannischen Reconquista besetzte Roberts Sohn Bohemund an der Spitze eines Kreuzfahrerheeres 1098 die Stadt Antiochia und wurde Regent des gleichnamigen Fürstentums.
▪ Warum konnten die Christenheere die muslimischen Eroberer in Spanien und Süditalien erfolgreich und dauerhaft zurückdrängen, in Palästina immerhin für 200 Jahre?
Die Erklärung ist vor allem für die Historiker ein Problem, die von der überragenden Kultur und Wissenschaft der Muslime in jener Zeit ausgehen. Diese These beruht auf zwei fehlerhaften Annahmen: Zum einen überschätzt man die arabisch-muslimische Kultur. Deren Spitzenleistungen wurden zum größten Teil von nicht-arabischen Dhimmi-Kulturen erbracht: Die Übersetzungen der altgriechischen Schriften besorgten syrische Christen. Nestorianer waren führend auf dem Gebiet der Medizin und Philosophie, Juden in der Astronomie und ebenfalls in der ärztlichen Kunst. Der Philosoph Avicenna war Perser, die mathematischen Neuerungen kamen aus Indien. In der Architektur stützte man sich auf persische und byzantinische Baumeister, beim Schiffbau auf koptische Schiffshandwerker. Muslimischen Herrschern kommt das Verdienst zu, Wissenschaft und Kultur gefördert zu haben. Jedoch haben sie ebenso oft Gelehrte verbannt und Forschung unterdrückt. Saladin z. B., der hochgerühmte Held des 12. Jahrhunderts, ließ die Fatimiden-Bibliothek in Kairo schließen und die Bücher verscherbeln.
Auf der anderen Seite wird von Historikern mit einem ideologischen grauen Star das christliche Mittelalter als dumpf-barbarisch angeschwärzt. Dabei war es eine Epoche mit großer Dichte an Erfindungen schon seit dem Frühmittelalter: Dreifelderwirtschaft, Kummetgeschirr und Scharpflug erhöhten signifikant die landwirtschaftliche Produktivität, was seit dem 11. Jahrhundert zu einer Bevölkerungsexplosion führte. Hufeisen, Schwenkachsen und Bremsen verbesserten das Transportwesen. Kettenhemden, Armbrust und Stegreif-Sättel sorgten für militärische Überlegenheit, die Schiffe und Flotten waren es sowieso. Das europäische Schul- und Universitätswesen wurde bald dem Bildungswesen des Morgenlandes überlegen.

▪ War das christliche Pilgerwesen ins Heilige Land so bedeutsam, dass deren Störung den 1. Kreuzzug auslösen konnte?
Bis zum 10. Jahrhundert kam es immer wieder zu Misshandlungen und Gräueltaten an Pilgern. Nach der Jahrtausendwende schwoll der Strom der Pilger aus Mitteleuropa an. Neben dem Motiv, die Stätten von Jesu Leben, Sterben und Grablege zu besuchen, trat zunehmend die Pilgerschaft als Sühneleistung. Was heute an Gefängnisstrafen für Mord, Körperverletzung und Diebstahl verhängt wird, waren damals gesetzliche und priesterliche Bußauflagen von Wallfahrten. Ab der Jahrtausendwende regierte über Ägypten und Palästina ein grausamer Kalif, der die Christen schikanierte und dreißigtausend Kirchen niederreißen ließ, darunter die Jerusalemer Grabeskirche. Sie durften erst Jahrzehnte später wieder vereinzelt aufgebaut werden. Aber die Klagen über Misshandlungen, Ausplünderungen und Ermordungen von Pilgergruppen blieben bestehen. Als die türkischen Seldschuken den Großteil von Kleinasien besetzten, wurde auch diese Pilgerroute gefährlich. In den 1070er Jahren führten die Türken Krieg um Palästina und Damaskus. In dieser Zeit machten lokale Herrscher und Banden das Pilgern so unsicher, dass praktisch nur bewaffnete Ritter-Pilger ins Heilige Land und heil zurückkamen. Diese bewaffneten Pilgerfahrten sollten das Muster für den ersten Kreuzzug werden. In der Chronik von Montecassino heißt es für das Jahr 1050:
Vierzig Normannen im Pilgergewand gingen auf der Rückreise von Jerusalem in Salerno an Land. Damals war die Stadt von Sarazenen belagert. Die Pilger ließen sich sofort in die Kriegspflicht nehmen und vertrieben die muslimischen Belagerer bald, wobei sie zahlreiche Gegner töteten und gefangen nahmen. Nach ihrem Sieg mit Gottes Hilfe beteuerten sie, den Kampf allein aus ihrer Liebe zu Gott getan zu haben, ohne Belohnung erhalten zu wollen.
▪ Wie fanden die Vorbereitungen für den 1. Kreuzzug statt?
Papst Urban II. stammte aus dem französischen Adel. Bevor er seinen berühmten Kreuzzugsaufruf in Clermont erließ, hatte er in Frankreich neun Monate lang bei zahlreichen Kontaktbesuchen auf Adelssitzen und Städten Stimmung und Verhältnisse sondiert und seine Idee von einem bewaffneten Pilgerzug verbreitet. Nach dem Kreuzzugsaufruf warb er brieflich und persönlich weitere Kreuzzugsprediger an.
Die Kirche hatte seit der Bekehrung Chlodwigs ihre liebe Not damit, die kampfbereiten und aggressiven germanischen Völker zu den Friedlichkeitsidealen des Christentums zu erziehen. Mit dem Aufkommen des Ritterwesens und Burgenbaus im 11. Jahrhundert grassierten die Fehdekriege der Ritterschaft untereinander. Die Kirche suchte dieses aggressive Klima mit der Gottesfriedensbewegung einzudämmen, also mit kirchlich sanktionierten Zeiten von Gewaltabstinenz. Gleichzeitig förderte die Kirche die Bestrebungen, für Ritter ein Tugendideal zu entwickeln. Unter Ritterlichkeit sollte der Schutz von Frauen, Klerikern, Pilgern und anderen unbewaffneten Schwachen subsumiert werden. Typisch dafür war die Legende von Ritter Georg, der eine Stadt von der menschenfressenden Gewalt eines Ungeheuers befreite.
In diese Richtung gingen auch die Überlegungen von Papst Urban: Wer sich auf den Weg zur Befreiung der Kirche aus frommer Absicht machte und nicht um des Reichtums und des Ruhmes willen, kann damit Buße tun für alle seine Sünden. Oder: Die Ritter können der besonderen Gnade Gottes teilhaftig werden, wenn sie nur um des Seelenheiles und der Freiheit der Kirche willen die Fahrt nach Jerusalem machen.
Papst Urban stellte jedenfalls die religiös-tugendhafte Absicht in den Vordergrund und lehnte Beute- und Ruhmbestrebungen ab – damals sehr reale Versuchungen für Ritter. Damit unterscheidet sich der Papst deutlich von den Kriegsaufrufen Mohammeds, der seinen Kriegern entweder reiche irdische Beute oder im Todesfall himmlischen Paradieslohn versprach.
Viele Selbstzeugnisse von Kreuzrittern bestätigen die religiösen Motivationen. Auch die finanziellen Opfer für die Ausrüstung, die manche Adelsfamilie ruinierten, das Wissen um die Beschwerlichkeit der Fahrt sowie die Testamentsbestimmungen für den Todesfall gehen in die gleiche Richtung. Jedenfalls sind die vielen sozio-ökonomischen Theorien zu den Triebkräften der Kreuzzüge durch die Quellen kaum zu belegen: Entlastung des Adels von jüngeren, nicht erbberechtigten Söhnen oder kolonialistisches Land- und Beute-Bestreben. Eines aber wird man in Rechnung stellen müssen: die unbändige Kampflust der fränkischen und insbesondere normannischen Krieger.
▪ Wie verlief der Aufbruch der Kreuzritter und die Fahrt bis Konstantinopel?
Nur zehn Prozent der vermutlich 130.000 Kreuzfahrer waren adlige Ritter, etwa 50.000 Fußsoldaten sowie 20.000 nichtmilitärisches Personal. Dazu kamen bis zu 50.000 kreuzzugsbegeisterte Mitläufer. Der Kreuzzug war vom militärischen Standpunkt wohl der eigenartigste, wenn nicht verrücktestes Feldzug der Weltgeschichte. Der Papst hatte dazu aufgerufen, den Aufbruchtermin auf den 15. August 1096 festgelegt und das Ziel vor Augen geführt. Aber sonst gab es keine Gesamtplanung für die logistische Vorbereitung und Reise, keine Mindestbedingung der Teilnahme und keinen militärischen Oberbefehl. Aus diesen und anderen Gründen war die Verlustrate der Kreuzfahrer sehr hoch und das Erreichen des militärischen Ziels eigentlich ein kleines Wunder.
Der Volkskreuzzug brach schon im April 1096 von Köln aus auf. Peter der Einsiedler führte seinen nur teilbewaffneten Haufen von vielleicht 20.000 Leuten rheinaufwärts über Bayern, Österreich und Ungarn ins byzantinische Bulgarien bis nach Konstantinopel. Dort kam er mit einer stark dezimierten Truppe an. Als sie von ihrem Lager in Helenopolis von sich aus die Türken angriffen, wurden sie fast vollständig aufgerieben.
Die drei Heerhaufen des Deutschen Kreuzzugs machten sich von April bis Juni 1096 auf den Weg. Alle drei Gruppen wurden von den Ungarn abgewiesen, bekämpft und aufgerieben, nur wenige kehrten zurück. Schon die Zeitgenossen deuteten Misserfolg und Niederlage dieser Gruppen als Strafe Gottes, da marodierende Gruppen des Heerhaufens an Rhein und Mosel Juden in ihren Quartieren überfallen und getötet hatten, was Papst und Bischöfe verurteilten.
In fünf Gruppen, angeführt von Fürsten, machte sich ab August 1096 der adlige Ritter-Kreuzzug auf verschiedenen Wegen nach Konstantinopel auf. Neben dem größeren Teil der fränkischen Ritter war ein bedeutender Anteil von normannischen Kämpfern aus England und der Normandie sowie die Normannen-Krieger aus Sizilien und Süditalien unterwegs. Zwischen Dezember 1096 und Mai 97 kamen die Kreuzritterzüge in Konstantinopel an.
Die Kreuzfahrer waren dem Hilferuf der byzantinischen Kaiser gefolgt. Der amtierende Kaiser verlangte den Treueid von den Kreuzritter-Anführern und war daher formal der Herrscher über alle Kreuzfahrer. Aber die Ziele der beiden Seiten waren völlig unterschiedlich: Der Kaiser setzte die Kreuzritter ein, um die Stadt Nicäa (40 km von Byzanz entfernt) von den Türken zurückzugewinnen. Danach machte er mit den Seldschuken Verträge und gemeinsame Sache. Das Kreuzfahrerheer fühlte sich verraten, zumal ihnen der Kaiser nur eine symbolische Abteilung von 2000 Mann mit auf den Weg gab, die auch noch bald umkehrte. Weitere verräterische Aktionen des Kaisers verstärkten das Misstrauen zwischen Franken und Byzantinern. Die Feindseligkeiten sollten schließlich im vierten Kreuzzug 1204 in der Plünderung Konstantinopels gipfeln.

▪ Warum dauerte es dann noch zwei Jahre, bis die Kreuzfahrer in Jerusalem ankamen?
Nach dem Kampf um Nicea zog das Kreuzfahrerheer weiter nach Südosten Richtung Antiochia, etwa in einer Diagonale durch Kleinasien. Dabei stellten sich den Kreuzrittern große türkische Heerhaufen entgegen, die sie aber in die Flucht schlugen. Schlimmer wirkte sich für den Heereszug aus, dass die Türken die Wegroute zu einer verbrannten Erde verwüstet hatten. Mehrmals standen Mensch und Tier kurz vor dem Verdursten und Verhungern. Im Spätsommer erreichte man Marasch. Von dort aus konnte eine Delegation durch Verhandlungen erreichen, dass der armenische Herrscher von Edessa seine Grafschaft an Balduin von Bologne übergab. Damit war der erste Kreuzfahrerstaat in der Levante entstanden.
Im Oktober erreichte das Heer Antiochia, die damalige Hauptstadt Syriens. Sie stand unter türkischer Oberherrschaft. Die Kreuzfahrer begannen mit der Belagerung, die aber wegen der Lückenhaftigkeit ziemlich aussichtslos war. Zudem traf im Februar 1098 ein türkisches Entlastungsheer ein. Darüber siegten die dezimierten fränkischen Ritter unter dem Oberbefehl des kriegserfahrenen Normannen-Herzogs Bohemund von Süditalien. Im Juni wurde die Stadt durch einen Verräter über ein offenes Ausfalltor erobert. Daraufhin zog Kaiser Alexios Komnenos mit seinem Heer in Richtung Antiochia, um seine Ansprüche geltend zu machen. Als er aber hörte, dass die Türken mit einem noch größeren Rückeroberungsheer anmarschierten, blieb er auf halbem Weg in Warteposition. Später distanzierte er sich in einem Brief an den Kairoer Kalifen ausdrücklich von den Zielen der Kreuzfahrer, Jerusalem einzunehmen.
Auch bei dem Kreuzfahrerheer fanden sich Deserteure. Der prominenteste war Stephan de Blois zusammen mit zahlreichen englischen Rittern. Doch wieder siegte die relativ kleine Christenstreitmacht über ein muslimisches Großheer. Wieder hielt die dichte Phalanx der Gepanzerten zu Fuß gegen die in Wellen anrennenden Türken stand und beim Gegenangriff ergriffen diese die Flucht. Dazu kam der Glaube, die Heilige Lanze gefunden zu haben. Jedenfalls wurde der Sieg als Zeichen vom Himmel gedeutet. Der Anführer Bohemund wurde später Herzog von Antiochia, dem zweiten Kreuzfahrerstaat.
Im Februar 1099 setzte sich das Kreuzfahrerheer wieder in Gang in Richtung Jerusalem. In den Küstenstädten bekamen sie Nachschub von Schiffen aus Genua und Pisa, aus England trafen weitere Kreuzfahrer ein. Am 7. Juni standen sie vor den Toren Jerusalems. Die Stadt war ein Jahr vorher von den ägyptischen Fatimiden-Herrschern den türkischen Besatzern entrissen worden. Die hatten alle Christen-Bewohner aus der Stadt verwiesen. Arabische und sudanesische Truppen bewachten die Mauern und Zinnen. Das Kreuzfahrerheer bestand aus etwa 1.300 Rittern und 10.000 Fußsoldaten.
Bei dem vierwöchigen Belagerungskampf hatten die Christen den Belagerten angeboten, die Bewohner zu verschonen, wenn sich die Stadt ergäbe. Dieses Verhandlungsangebot galt bis zur Vorbereitung des letzten Sturmangriffs. Aber die Stadtführung ging nicht darauf ein. Nach einem dreitägigen Fasten und einer Bußprozession gelang dann der Einbruch in die Stadt über einen Belagerungsturm. Nachdem die militärische Besatzung niedergekämpft war, begann die Plünderung der eroberten Stadt. Das war der Normalfall aller mittelalterlichen Kriegsführung: den Siegern die Beute. Dabei massakrierten die Kreuzfahrer einen Teil der verbliebenen Stadtbevölkerung. Ein anderer Teil wurde gefangen genommen und anschließend als Arbeitskräfte eingesetzt oder gegen Lösegeld freigegeben.
Inzwischen hatte der fatimidische Wesir von Kairo eine große Armee zusammengestellt, mit der er Jerusalem zurückerobern wollte. Keine drei Wochen nach dem Fall der Stadt sammelten sich 20.000 muslimische Soldaten 80 km vor Jerusalem bei der Hafenstadt Askalon. Das Kreuzfahrerheer marschierte ihnen entgegen und schlug sie bei einem Überraschungsangriff in die Flucht.
Resümee:
Der Aufruf von Papst Urban II., gegenüber der türkisch-muslimischen Invasion in der Levante den griechischen Christen im byzantinischen Reich zu Hilfe zu kommen sowie das Heilige Land und insbesondere Jerusalem von den Bedrückern zu befreien, um wieder ungestörte Pilgerzüge zu gewährleisten, war erfolgreich abgeschlossen worden. Im Verlauf des Feldzuges hatten sich Misstrauen und Spaltung gegenüber dem oströmischen Kaiserreich verstärkt.
Von Seiten der Kirche war dieser Feldzug gerechtfertigt worden als Bußkrieg der europäischen Ritterschaft für ihre Sündenschuld an Gewalttätigkeiten sowie als bewaffneter Pilgerzug. Dahinter steckte auch die Intention, die blinde Fehdegewalt der Ritter zu zivilisieren: nicht in Beute- und Ruhmsucht den Kampf zu suchen, sondern sich im Dienste der Kirche einzusetzen zum Schutz der Pilger und unterdrückter Christen, zur Hilfe von unbewaffneten Schwachen, Frauen und Klerikern. Dieses Anliegen realisierten später vorbildlich die im Heiligen Land gegründeten Ritterorden.
Der knapp vierjährige Kriegszug brachte viel an Entbehrungen, Resignation, Verrat, Not und Tod. Aus diesen Gründen, aber auch nach den vielen blutigen Siegen kamen vielfach die alten Untugenden der Adelsritter von Beutemachen, Totschlagen und Herrschen zum Vorschein: So zog der normannische Herzog Bohemund gar nicht mehr mit in Richtung Jerusalem, sondern sorgte sich allein darum, seine Grafschaft Antiochia zu sichern. Was den fürstlichen Rittern die Herrschaft, war den einfachen Kämpfern die Beute in Jerusalem. Man darf zwar die Erzählungen von knietiefem Blut in den Straßen als Legende ansehen, nicht aber das verbreitete Totschlagen bei den Beutezügen durch die Stadt. Das war zwar damals gewöhnliche Kriegspraxis, wie etwa auch Muslime 1244 bei der Rückeroberung Jerusalems die Christen hinschlachteten (Hans Eberhard Mayer), aber dem von Papst und Kirche propagierten Kreuzritterideal entsprach dieses Vorgehen nicht.
Eine andere Erklärung für die damaligen Vorgänge in Jerusalem ergibt sich aus einem altjüdischen Vorbild. Ein Chronist berichtet, dass Papst Urban II. bei seiner Kreuzzugspredigt auch auf den Psalm 79 verwiesen habe, in dem die Eroberung und Zerstörung des Tempels im Jahre 586 v. Chr. beklagt wird: Gott, die Heiden sind in dein Erbe eingedrungen, sie haben deinen heiligen Tempel entweiht, Jerusalem in Trümmer gelegt. Sie haben das Blut deiner Frommen vergossen und die Leichen deiner Diener den Vögeln des Himmels zum Fraß gegeben. (…) Ergieße deinen Zorn über die Völker, die dich nicht kennen. Vor unseren Augen sollen die Heiden die Rache erfahren für das vergossene Blut deiner Diener. Das Vorgehen der Kreuzritter bei der (Rück-)Eroberung Jerusalems oder auch nur die Beschreibung der Vorgänge könnte durch den Topos des Psalms 79 geprägt worden sein.
Weder Gotteskrieger noch kirchliche Bataillone
Noch in Antiochia hatten die Kreuzfahrer einen Brief an Papst Urban geschrieben, er möge doch kommen, um den Oberbefehl über die Streitkräfte im Marsch auf Jerusalem zu übernehmen. Allein die Vorstellung, dass der Papst und damit die Kirche Anführer und Herrscher von weltlicher Gewalt sein sollte, zeigte große Unklarheit und Verwirrung bezüglich des christlichen Auftrags und der Lehre der Kirche. Die Trennung von Sacerdotium und Imperium, von geistlicher und weltlicher Gewalt, die Zweipoligkeit der Gemeinwesen in Kirche und Staat war gerade das besondere Kennzeichen der weströmischen Kirche. Die Angebote oder auch Verlockungen, dass die Kirche über und mit weltlicher Macht und Gewalt einschließlich der militärischen herrscht, wurden allerdings durch den päpstlichen Kirchenstaat sowie die Bündnis- und Kriegspolitik der Päpste immer wieder gefördert. Unter dem Reformpapst Gregor VII. hatten Theologen die Idee vom miles christianus entworfen, also von christlichen Soldaten, die für die Kirche kämpften. Von da aus war der Gedanke einer militärisch agierenden Kirche auch nicht mehr weit. In diese Richtung geht auch Rodney Starks Buchtitel Gottes Krieger, im englischen Original God’s Battalions. Damit ist die biblisch-christliche Grundlinie verlassen, dass Jesus und die Apostel, Papst und Kirche nicht mit dem Schwert kämpfen wollen und dürfen. Im Gegensatz zum Islam: Mohammed und später die Kalifen kämpften mit Krummsäbel und Morgenstern an der Spitze ihrer Armeen den Dschihad-Angriffskrieg für Allahs Herrschaft über fremde Länder und Völker. Die ecclesia militans dagegen streitet allein mit geistigen Waffen. Und der Papst verfügt über keine Divisionen, wie später Stalin mit Recht bemerkte. Das schließt nicht aus, dass das Kirchenoberhaupt zu militärischen Bündnissen aufruft und sie unterstützt, wie es Papst Innozenz XI. 1683 gegen den Vormarsch des muslimischen Türkenheeres tat. In diesem Sinne blieb auch die Aufgabe Urbans II. bzw. der Kirche beschränkt: Der Papst war die legitime Autorität zur Ausrufung eines berechtigten Krieges (bellum iustum) – bei Vorliegen eines gerechten Kriegsgrundes, der rechten Absicht der Kriegführenden und der Verhältnismäßigkeit ihrer Reaktionen. Auf diese Kriegskonditionen wies Papst Urban mehrfach hin: Verteidigung der oströmischen Christenheit gegen den Ansturm der Türken und Rückeroberung der Heiligen Stätten, auch um den dauerhaften Schutz der Pilger zu gewährleisten. Die Kreuzzugsfahrer aber waren weder Gotteskrieger noch kirchliche Bataillone, sondern mitteleuropäische Fürsten, Adlige und Bürger, die als bewaffnete Pilger oder Bußkrieger einen Feldzug unternahmen, zu dem sie sich durch den Papst-Aufruf im Rahmen der oben genannten Konditionen legitimiert sahen.
Buch-Information: Rodney Stark: Gottes Krieger. Die Kreuzzüge in neuem Licht, englische Erstpublikation 2009, erste Auflage der deutschen Taschenbuchausgabe August 2014.
Bild: MiL/Wikicommons
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ein phantastischer Artikel! Ich habe die Bücher gelesen die diesem Artikel zugrunde liegen.
Wir müssen vehement gegen die atheistisch materialistische und islamische, geschichtsfãlschende Diktion argumentieren und die Geschichtsglitterung und Verfälschungen sowie die Diffamierung des Christentums einschreiten. Es ist leicht zu erkennen dass die Feinde Christis und seiner Kirche einen Vernichtungskampf führen.
Die Desinformation und die Lügen darüber sowie auch über andere Themen („Hexenverfolgungen“, usw.)
haben vor allem nach der französischen Revolution (allgemein als die Zeit der „Aufklärung“ bekannt)
stark zugenommen.
Das war auch immer das erklärte Ziel der Freimaurerei, welche ja letztlich hinter
der französischen Revolution stand.
Das geht also schon lange so und hat sich deswegen über Generationen in den Köpfen der Menschen festgesetzt.
Wenn man dann bei solchen verbalen Angriffen gegen die Kirche mit dem Argument der vorherigen
gewaltsamen muslimischen Eroberern dagegenhält wird man regelmäßig angegangen und im besten Fall
aufgefordert Beweise zu liefern.
Solche Artikel (wie der obige) könnte man dann liefern.
Diese werden dann (sofern sich die betreffenden Leute tatsächlich dazu bequemen diese auch zu lesen)
regelmäßig als nicht stichhaltig und voreingenommen bewertet.
Das tut man aber mit einer desinformierenden Fernsehsendung über das gleiche Thema nicht.
Mainstream ist halt Qualität.
Die „edlen“ Meinungsmacher werden in Jesaja 32 gerügt: 4 Das Herz der Unbesonnenen wird begreifen, was Erkenntnis ist, / und die Zunge der Stammelnden wird fließend und deutlich reden. 5 Der Dummkopf wird nicht mehr edel genannt / und der Schurke wird nicht mehr für vornehm gehalten. 6 Denn der Dummkopf redet Dummes / und sein Herz tut Unheil, um Ruchloses zu tun / und Lästerliches über den Herrn zu reden, er lässt die Kehle des Hungrigen leer ausgehen / und dem Durstigen versagt er den Trank. 7 Der Schurke, seine Waffen sind böse, / er plant Verbrechen, um die Schwachen durch Lügenworte zu schädigen, / während der Arme von Recht redet. 8 Der Edle aber plant Edles / und tritt für das Edle ein.