Kardinalstaatssekretär Parolin: Vatikan steht als Ort für Friedensgespräche zur Verfügung

Schwieriger Kontext, da weder Moskau noch Kiew und Washington an einem schnellen Kriegsende interessiert sind


Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin (r.) nahm gestern im italienischen Senat an einer Buchvorstellung teil; (v. l.) Andrea Riccardi und Romano Prodi. Der Kardinal betonte am Rande die Bereitschaft des Heiligen Stuhls, den Vatikan als Ort für Friedensverhandlungen im Ukraine-Konflikt anzubieten.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin (r.) nahm gestern im italienischen Senat an einer Buchvorstellung teil; (v. l.) Andrea Riccardi und Romano Prodi. Der Kardinal betonte am Rande die Bereitschaft des Heiligen Stuhls, den Vatikan als Ort für Friedensverhandlungen im Ukraine-Konflikt anzubieten.

(Rom) Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin bot erneut den Vati­kan als Ort für even­tu­el­le Waf­fen­still­stands- und Frie­dens­ver­hand­lun­gen im rus­sisch-ukrai­ni­schen Krieg an. Der Hei­li­ge Stuhl bemüht sich, trotz ver­schie­de­ner Stol­per­stei­ne, die Kon­flikt­par­tei­en an den Ver­hand­lungs­tisch zu brin­gen, um einen Dia­log zu begin­nen. Die Ant­wort aus Mos­kau ließ nicht lan­ge auf sich warten.

Haupthindernis sind die gegensätzlichen Kriegsziele Moskaus und Washingtons

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Haupt­hin­der­nis für Frie­dens­ge­sprä­che sind die kon­trä­ren Inter­es­sen der direk­ten und indi­rek­ten Kriegs­par­tei­en. Mos­kau nennt zwei Kriegs­zie­le, wobei es selbst nicht von einem Krieg, son­dern einer Mili­tär­ope­ra­ti­on spricht. Es will dem mehr­heit­lich rus­si­schen Don­baß, der sich 2014 von der Ukrai­ne trenn­te, von der Ukrai­ne los­lö­sen. Die Tren­nung erfolg­te, nach­dem vor acht Jah­ren mit west­li­cher Hil­fe die pro­rus­si­sche ukrai­ni­sche Regie­rung gestürzt wor­den war. Unklar ist, wie­viel vom Ter­ri­to­ri­um der Ukrai­ne sich Ruß­land ein­ver­lei­ben will.
Das zwei­te von Mos­kau genann­te Ziel ist die Säu­be­rung der Ukrai­ne von „Nazis“, eine irri­tie­rend unglaub­wür­di­ge Behaup­tung, wel­cher der Makel eines Vor­wan­des anhaf­tet. Mos­kau meint offen­sicht­lich vor­der­grün­dig damit einen anti­rus­si­schen ukrai­ni­schen Natio­na­lis­mus und will sagen, daß es kei­ne anti­rus­si­sche Regie­rung in Kiew dul­den will. 

Umge­kehrt will der Westen kei­ne anti­west­li­che Regie­rung dul­den, womit wir bei der Crux der Ukrai­ne-Fra­ge und den Kriegs­zie­len der Gegen­sei­te ange­langt wären – und damit ist nicht die ukrai­ni­sche Regie­rung gemeint. Die Regie­rung in Kiew spielt zwar an der Front eine zen­tra­le Rol­le, weil sie die kämp­fen­de Trup­pe stellt, aber nicht poli­tisch. Ent­schei­dend ist, wer hin­ter Kiew steht, und das ist Washing­ton und mit ihm die NATO. 

Die pro-west­li­chen Regie­run­gen der Ukrai­ne seit 2014 haben eine nicht nur unklu­ge, son­dern min­der­hei­ten­feind­li­che Poli­tik betrie­ben. Die­se ent­rech­te­te nicht nur die Rus­sen und rus­sisch­spra­chi­gen Ukrai­ner, immer­hin zusam­men gut 40 Pro­zent der Bevöl­ke­rung, son­dern auch klei­ne­re Min­der­hei­ten wie die Rumä­nen und Polen. Die­ser ukrai­ni­sche Natio­na­lis­mus, des­sen Wur­zeln in das spä­te 19. Jahr­hun­dert zurück­rei­chen und der aus histo­ri­schen Grün­den durch­aus ver­ständ­lich ist, lie­fert Mos­kau nicht nur das berech­tig­te Argu­ment, daß es zum Schutz der rus­si­schen Min­der­heit ein­schrei­ten habe müs­sen, son­dern auch einen Hauch von Legi­ti­ma­ti­on für sei­nen anson­sten wenig glaub­wür­di­gen „anti-natio­nal­so­zia­li­sti­schen“ Kampf.

Die west­li­chen Regie­run­gen ver­säum­ten es acht Jah­re lang, Kiew zur Mäßi­gung gegen­über sei­nen eth­ni­schen und sprach­li­chen Min­der­hei­ten und Ein­hal­tung inter­na­tio­na­ler Min­der­hei­ten­schutz­stan­dards zu drän­gen. Den wahr­schein­li­chen Grund dafür ent­hüll­te vor weni­gen Tagen die ehe­ma­li­ge Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel, denn offen­bar war der Westen – gemeint ist Washing­ton – an einer Dees­ka­la­ti­on gar nicht interessiert.

Die USA füh­ren in der Ukrai­ne einen Stell­ver­tre­ter­krieg gegen Ruß­land. Dahin­ter tre­ten alle objek­ti­ven oder sub­jek­ti­ven Aspek­te der ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung, ob west­lich oder rus­sisch gesinnt, zurück. Ruß­land, das sich unter Wla­di­mir Putin der US-Hege­mo­nie nicht unter­wor­fen hat, wird des­halb in Washing­ton als Feind­staat betrach­tet, der auf­grund sei­ner geo­po­li­ti­schen Lage, Grö­ße und Boden­schät­ze geschwächt wer­den soll. Dar­auf wur­de schon jah­re­lang hin­ge­ar­bei­tet. Der bereits 2014 begon­ne­ne Krieg eska­lier­te des­halb nicht eher – wie Mer­kel nun andeu­te­te –, weil 2016 uner­war­tet Donald Trump zum US-Prä­si­den­ten gewählt wor­den war, der sich in der Außen­po­li­tik grö­ße­re Zurück­hal­tung auf­er­leg­te. Für vier Jah­re muß­ten die Pla­nun­gen auf Eis gelegt wer­den. Joe Biden hin­ge­gen nahm sie nach sei­nem Amts­an­tritt 2021 gleich wie­der dort auf, wo er sie als Vize­prä­si­dent im Janu­ar 2017 unter­bre­chen hat­te müssen.

Die­se Inter­es­sen­la­ge von Mos­kau und Washing­ton bie­tet wenig Aus­sicht auf ein schnel­les Kriegs­en­de, sofern nicht eine Sei­te sich ent­schlie­ßen soll­te, den Kon­flikt zu ver­ta­gen. Mos­kau dürf­te das schwe­rer fal­len, da die Ukrai­ne aus histo­ri­schen Grün­den mehr als nur das Gebiet vor der direk­ten Haus­tür ist. Für die USA ist die Ukrai­ne dage­gen nur eines von vie­len weit ent­fern­ten Län­dern, in denen man inter­ve­niert. Washing­ton will Ruß­land schwä­chen und läßt dafür ande­re kämp­fen, die dafür groß­zü­gig mit Waf­fen und Geld aus­ge­stat­tet wer­den. Die Zer­stö­run­gen und die Toten muß aber Kiew tra­gen. Die Vor­ge­hens­wei­se der USA ist alt und viel­fach, wenn auch nicht immer erfolg­reich erprobt. Ähn­lich war Washing­ton mit anti­rus­si­scher Stoß­rich­tung bereits im Kau­ka­sus vor­ge­gan­gen und ver­sucht es der­zeit auch im zen­tral­asia­ti­schen Kasachstan.

Washing­ton wälzt dabei die Kosten soweit als mög­lich auf sei­ne alten NATO-Ver­bün­de­ten wie Deutsch­land ab. In der Sache stützt es sich hin­ge­gen vor allem auf die neu­en NATO-Mit­glie­der im öst­li­chen Mit­tel­eu­ro­pa, in denen star­ke Revan­che­ge­dan­ken für die jahr­zehn­te­lan­ge sowje­ti­sche Fremd­herr­schaft prä­sent sind. Nur Ungarn bil­det dabei eine Aus­nah­me. In eini­gen Staa­ten wie Polen, Finn­land und dem Bal­ti­kum ist das Ver­hält­nis zu Ruß­land aus noch älte­rer Zeit belastet.

Die EU spielt in dem gro­ßen Spiel fak­tisch kei­ne Rol­le. Sie und ihre Mit­glied­staa­ten sind direk­te oder indi­rek­te Zahl­mei­ster des Krie­ges. Viel­mehr hat die Regie­rung Biden der EU mit dem Infla­ti­on Reduc­tion Act fak­tisch den Wirt­schafts­krieg erklärt, der ab 1. Janu­ar 2023 in sei­ne akti­ve Pha­se ein­tritt. Die EU, ein­ge­hegt in einem trans­at­lan­ti­schen Sub­al­tern­sta­tus, scheint nicht in der Lage zu sein, dar­auf zu reagie­ren. Die USA geben den Euro­pä­ern gera­de sehr deut­lich zu ver­ste­hen, daß die US-Dampf­wal­ze im Zwei­fels­fall auch über sie hin­weg­rollt und die US-Regie­rung kei­ne Pro­ble­me damit hat, Euro­pa zum Kriegs­schau­platz zu machen.

Schwieriger Kontext für Vatikandiplomatie

In die­sem schwie­ri­gen Kon­text ver­sucht die vati­ka­ni­sche Diplo­ma­tie den Weg für direk­te Gesprä­che zu ebnen und bie­tet den Vati­kan als neu­tra­len Aus­tra­gungs­ort dafür an. Zugleich zeig­te sich der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär aber wenig optimistisch:

„Wir müs­sen hof­fen, aber im Moment sehe ich kei­ne posi­ti­ven Anzeichen.“

Das sag­te Kar­di­nal Paro­lin gestern im ita­lie­ni­schen Senat am Ran­de der Prä­sen­ta­ti­on des Buches „Gior­gio La Pira: i capi­to­li di una vita“ (Gior­gio La Pira. Kapi­tel eines Lebens) auf die Fra­gen von Jour­na­li­sten zum Krieg in der Ukraine.

„Ich glau­be, daß alle Men­schen guten Wil­lens nichts ande­res tun kön­nen, als sich den Dia­log und den Frie­den zu wün­schen. Aber im Moment glau­be ich nicht, daß es vie­le Vor­aus­set­zun­gen gibt. Wir müs­sen hof­fen wider alle Hoff­nung. Wir sehen der­zeit kei­ne Entwicklung.“

Was die diplo­ma­ti­sche Arbeit betrifft, so bekräf­tig­te Paro­lin, daß „der Hei­li­ge Stuhl von Anfang an alles getan und alle mög­li­chen Initia­ti­ven geför­dert hat“.

„Es gibt jedoch kein Patent­re­zept: Es hängt vom Wil­len der Par­tei­en ab, den Kon­flikt zu beenden.“

Bezüg­lich der Ver­mitt­lungs­ar­beit des Hei­li­gen Stuhls zwi­schen den Par­tei­en bekräf­tig­te der Kardinalstaatssekretär:

„Wir ste­hen zur Ver­fü­gung. Ich den­ke, der Vati­kan ist der rich­ti­ge Boden. Wir haben uns bemüht, Mög­lich­kei­ten für alle zu bie­ten, sich zu tref­fen und ein Gleich­ge­wicht zu wah­ren. Wir bie­ten einen Raum, in dem sich die Par­tei­en tref­fen und einen Dia­log füh­ren kön­nen. Es ist ihre Auf­ga­be, die Arbeits­me­tho­de und die Inhal­te festzulegen.“

Auf die Trä­nen von Papst Fran­zis­kus an der Spa­ni­schen Trep­pe ange­spro­chen, ant­wor­te­te Parolin:

„Es war sicher­lich eine sehr star­ke Geste, ich habe von vie­len Men­schen gehört, die sehr betrof­fen waren. Hof­fen wir, daß ein Durch­bruch erzielt wer­den kann: Trä­nen kön­nen selbst die här­te­sten Her­zen zum Schmel­zen bringen.“

Kar­di­nal Paro­lin hat aller­dings eini­ges aus­zu­bü­geln. Bemer­kens­wert schnell reagier­te Maria Sacha­rowa, die Spre­che­rin des rus­si­schen Außen­mi­ni­ste­ri­ums, auf die Aus­sa­gen des Kar­di­nal­staats­se­kre­tärs. Sie erin­ner­te an ihren jüng­sten Pro­test wegen der Äuße­run­gen von Papst Fran­zis­kus in sei­nem Inter­view mit der US-ame­ri­ka­ni­schen Jesui­ten­zeit­schrift Ame­ri­ca:

„Der vati­ka­ni­sche Staats­se­kre­tär Kar­di­nal Pie­tro Paro­lin ist der Ansicht, daß der Vati­kan ein geeig­ne­ter Ort sein könn­te, um ein Tref­fen der Par­tei­en für einen Dia­log über die Ukrai­ne zu orga­ni­sie­ren. Ich fürch­te, mei­ne tsche­tsche­ni­schen und bur­ja­ti­schen Brü­der wüß­ten das nicht zu schät­zen. Soweit ich mich erin­ne­re, kam kein Wort der Ent­schul­di­gung vom Vatikan.“

Sie­he dazu auch: Ukrai­ne-Kon­flikt: Hat Papst Fran­zis­kus sei­nen Kurs geändert?

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­News (Screen­shot)

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