Menschenrechte in Katar? Doch niemand fragt nach der Religionsfreiheit

Viel Geschrei, doch was fehlt?


Seit 2006 entsteht am Stadtrand von Doha die "Church City". In diesem kontrollierten Bereich dürfen die Christen in Katar ihre Religion praktizieren.
Seit 2006 entsteht am Stadtrand von Doha die "Church City". In diesem kontrollierten Bereich dürfen die Christen in Katar ihre Religion praktizieren.

(Doha) Die Fuß­ball­welt­mei­ster­schaft in Katar wur­de am ver­gan­ge­nen Sonn­tag ange­pfif­fen. In ihrem Zusam­men­hang ist viel zu hören von Pro­te­sten, weil Frau­en in Katar weni­ger Rech­te haben als Män­ner, weil Wan­der­ar­beit­neh­mer trotz eini­ger von der Regie­rung ein­ge­führ­ter Refor­men immer noch ihren Arbeit­ge­bern aus­ge­lie­fert sind, weil homo­se­xu­el­les Ver­hal­ten mit Gefäng­nis bestraft wird, weil es kei­ne gewerk­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­ons­frei­heit für Migran­ten gibt, weil die Mei­nungs­frei­heit ein­ge­schränkt ist und weil – für Fuß­ball­fans beson­ders wich­tig – auch die Frei­heit, Bier zu trin­ken, stark ein­ge­schränkt ist. Nie­mand pro­te­stiert jedoch wegen der feh­len­den Religionsfreiheit.

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Ein Blick auf die Inter­net­sei­ten von Amne­sty Inter­na­tio­nal und Human Rights Watch, den bei­den größ­ten Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, bie­tet Ein­blick in den Ist­zu­stand. Als Schlag­zei­len über Katar fin­den sich Bei­trä­ge über Wan­der­ar­bei­ter, Sodo­mie-Häft­lin­ge und männ­li­che Vor­mün­der für Frau­en. Was sich nicht fin­det: auch nur eine Zei­le zur Fra­ge der Reli­gi­ons­frei­heit. Das trifft die Sache durch­aus auf den Punkt, denn in Katar gibt es kei­ne wirk­li­che Religionsfreiheit.

Katar ist eine abso­lu­te Mon­ar­chie, regiert von Emir Scheich Tamim bin Hamad Al Tha­ni. Der Islam ist Staats­re­li­gi­on und die Scha­ria die wich­tig­ste Rechts­quel­le. Im Ver­hält­nis zur Flä­che und Ein­woh­ner­zahl ist Katar das Land mit dem größ­ten Reich­tum der Welt. Zusam­men mit dem Iran ver­fügt es über die größ­ten bekann­ten Erd­gas­vor­kom­men der Erde. Das erlaubt es dem Herr­scher­haus auf der gan­zen Welt zu inve­stie­ren und Ein­fluß zu neh­men, wobei Frank­reich das bevor­zug­te Ziel der Geld­strö­me ist, wäh­rend die Ein­fluß­nah­me zusätz­lich auf Groß­bri­tan­ni­en und die USA abzielt. Der Fall Tariq Rama­dan ist ein Bei­spiel für die­se Ein­fluß­nah­me. Die Fami­lie al-Tha­ni regiert das Land seit der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts. Poli­tisch steht das Land in einem stän­di­gen Span­nungs­feld, einer­seits die Nähe zum grö­ße­ren waha­bi­ti­schen Bru­der Sau­di-Ara­bi­en zu suchen, ande­rer­seits sich jedoch die Unab­hän­gig­keit von die­sem zu bewah­ren. In die­sen Kon­text fällt auch, daß Katar als ein Haupt­fi­nan­cier der dschi­ha­di­sti­schen Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on Isla­mi­scher Staat (IS) galt, bis Donald Trump als US-Prä­si­dent das bru­ta­le Nah­ost-Pro­gramm sei­nes Vor­gän­gers Barack Oba­ma auf Eis legte.

Staats­bür­ger des Emi­rats sind aus­schließ­lich Mus­li­me, wobei der Groß­teil, ein­schließ­lich Herr­scher­haus, waha­bi­ti­sche Sun­ni­ten sind wie im angren­zen­den König­reich Sau­di-Ara­bi­en. Die Schii­ten bil­den auf der Halb­in­sel nur eine klei­ne Min­der­heit. Die Bevöl­ke­rungs­si­tua­ti­on ist jedoch pre­kär: Nur etwa zehn Pro­zent der Bevöl­ke­rung sind Ein­hei­mi­sche und besit­zen die Staats­bür­ger­schaft. Den gro­ßen Rest bil­den nach 30 Jah­ren mas­si­ver Ein­wan­de­rung die Gast­ar­bei­ter, durch die sich Gewich­te im inne­ren Gefü­ge ver­scho­ben haben und die vom Herr­scher­haus als Not­wen­dig­keit für Dienst­lei­stun­gen, aber auch als poten­ti­el­le Bedro­hung gese­hen werden.

Es kamen nicht nur Mus­li­me aus isla­mi­schen Län­dern mit ande­rem kul­tu­rel­lem und reli­giö­sem Hin­ter­grund, son­dern auch vie­le Chri­sten ins Land. Sie machen heu­te rund 15 Pro­zent der im Land anwe­sen­den Men­schen aus und stam­men vor­wie­gend aus ande­ren asia­ti­schen Staa­ten (Phil­ip­pi­nen, Indi­en, Liba­non). Wei­te­re 15 Pro­zent der Bevöl­ke­rung sind Hin­dus, etwa drei Pro­zent Bud­dhi­sten und wei­te­re zwei Pro­zent gehö­ren ande­ren Reli­gio­nen an.

Die erste christ­li­che Kir­che des Lan­des, die 2013 geweih­te katho­li­sche Kir­che Unse­rer Lie­ben Frau vom Rosenkranz.

Die christ­li­che Prä­senz in dem Gebiet reicht zumin­dest in die Zeit des Byzan­ti­ni­schen Reichs zurück. Auf der ara­bi­schen Halb­in­sel ent­stan­den Mönchs­klö­ster ent­lang der Küste zum Per­si­schen Golf, zwei davon konn­ten in den ver­gan­ge­nen Jah­ren von Archäo­lo­gen aus­ge­gra­ben wer­den. Obwohl die ara­bi­schen Stäm­me im 7. Jahr­hun­dert zum Islam kon­ver­tier­ten, läßt sich die christ­li­che Prä­senz noch bis zur Jahr­tau­send­wen­de nachweisen.

Obwohl es in Katar kei­ne freie Reli­gi­ons­aus­übung gibt, hält die Regie­rung seit gut zwei Jahr­zehn­ten inter­na­tio­na­le Kon­fe­ren­zen für den „inter­re­li­giö­sen Dia­log“ ab. Bis 1995 war Chri­sten die Reli­gi­ons­aus­übung kate­go­risch ver­bo­ten. Zur Begrün­dung nann­te die Regie­rung die schii­ti­sche Revo­lu­ti­on im Iran. Inzwi­schen geht die staat­li­che Reli­gi­ons­po­li­tik in Rich­tung jener von Abu Dha­bi, wenn auch etwas ver­hal­te­ner. Die Grund­rech­te auch in der Reli­gi­ons­aus­übung sol­len in kon­trol­lier­ter Form gewährt wer­den, aller­dings in sehr kon­trol­lier­ter Form. Die Sache ist der „Reli­gi­ons­frei­heit“ in Nord­ko­rea nicht ganz unähnlich.

2005 unter­zeich­ne­te die Regie­rung mit der katho­li­schen Kir­che und wei­te­ren christ­li­chen Kon­fes­sio­nen einen Lea­sing­ver­trag auf 50 Jah­re für ein Grund­stück, auf dem Kir­chen errich­tet wer­den konn­ten. Die katho­li­sche Kir­che bau­te dort die Kir­che Unse­rer Lie­ben Frau vom Rosen­kranz, die im Sep­tem­ber 2013 geweiht wur­de. Eben­so ent­stan­den Nie­der­las­sun­gen der mit Rom unier­ten syro-mal­an­ka­ri­schen katho­li­schen und der syro-mala­ba­ri­schen katho­li­schen Kir­che, die bei­de ihr Zen­trum in Indi­en haben.

Got­tes­häu­ser bzw. Nie­der­las­sun­gen errich­te­ten auch die grie­chisch-ortho­do­xe, die kop­tisch-ortho­do­xe Kir­che, die äthio­pisch-ortho­do­xe Kir­che, die mit den Angli­ka­nern unier­te Mar-Tho­mas-Kir­che aus Indi­en, die mal­an­ka­ri­sche ortho­dox-syri­sche Kir­che (indi­sche ortho­do­xe Kir­che) und ab 2015 auch die Evan­ge­li­ka­len und Pfingst­ler. Bis dahin konn­ten sich die Chri­sten nur infor­mell in klei­nen Grup­pen in Pri­vat­häu­sern ver­sam­meln. Nun ist den vom Staat regi­strier­ten Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten erlaubt, sich auf dem vom Staat auf Lea­sing-Basis zur Ver­fü­gung gestell­ten Grund­stück von Mesai­meer, am süd­li­chen Stadt­rand von Doha, in von ihnen errich­te­ten Gebäu­den zu ver­sam­meln. Das Grund­stück ist inzwi­schen als „Church City“ bekannt und ummau­ert. Die Zugän­ge wer­den von der Poli­zei überwacht. 

Das Al-Tuha­ma-Sta­di­on, eines der acht Sta­di­en, in denen die Spie­le der Fuß­ball-WM aus­ge­tra­gen wer­den, befin­det sich kaum zwei Kilo­me­ter von der „Church City“ entfernt.

Der Staat regi­striert nur Gemein­schaf­ten der „abra­ha­mi­ti­schen Reli­gio­nen“ Juden­tum, Chri­sten­tum und Islam. Er dul­det es aber, wenn Ange­hö­ri­ge ande­rer Reli­gio­nen in ihren Pri­vat­häu­sern beten. Eine öffent­li­che Prä­senz ist aber nur dem Waha­bis­mus erlaubt. 

Die kop­tisch-ortho­do­xe Kir­che in der ummau­er­ten „Church City“. Kreu­ze und ande­re christ­li­che Sym­bo­le dür­fen nach außen nicht sicht­bar sein.

Eine Kon­ver­si­on von Mus­li­men zum Chri­sten­tum ist nicht gestat­tet. Wer den­noch kon­ver­tiert, muß fak­tisch das Land ver­las­sen oder sei­nen Glau­ben ver­ber­gen. Kata­rer, die im Aus­land kon­ver­tie­ren, keh­ren meist nicht mehr in ihre Hei­mat zurück. Für vie­le wiegt die sozia­le Ver­fol­gung noch schwe­rer als die staat­li­che, indem Kon­ver­ti­ten von ihren eige­nen Fami­li­en und ihrem Umfeld aus­ge­schlos­sen wer­den und phy­si­sche Gewalt zu erwar­ten haben. Die Regie­rung bevor­zugt die Aus­wei­sung, um sich Gerichts­ver­fah­ren und inter­na­tio­na­le Auf­merk­sam­keit zu ersparen.

For­mal ist die Reli­gi­ons­frei­heit näm­lich in der Ver­fas­sung ver­an­kert, die im Arti­kel 35 die Gleich­heit aller Men­schen vor dem Gesetz betont und jede Dis­kri­mi­nie­rung, auch auf­grund der Reli­gi­on, aus­schließt. Laut Arti­kel 50 ist die Kul­tus­frei­heit garan­tiert. Die Ein­schrän­kung liegt im Zusatz, daß die­se Garan­tie in Über­ein­stim­mung mit den Geset­zen und dem not­wen­di­gen Schutz der öffent­li­chen Ord­nung und Moral steht. 2004 wur­den bei­spiels­wei­se mit Staats­ge­setz für eine Rei­he von Delik­ten die Stra­fen der Scha­ria ein­ge­führt. Auf Abfall vom Islam steht die Todes­stra­fe, obwohl Katar betont, die­se Stra­fe seit 1971 nicht mehr voll­streckt zu haben.

Mit zwei Jah­ren Gefäng­nis wird bestraft, bei wem Gegen­stän­de gefun­den wur­den, die auf ein mis­sio­na­ri­sches Wir­ken hin­wei­sen. Die Belei­di­gung des Islam kann mit bis zu sie­ben Jah­ren Gefäng­nis geahn­det wer­den. For­mal gilt die­se Bestim­mung sogar für alle drei „abra­ha­mi­ti­schen Reli­gio­nen“, wenn­gleich die Pra­xis eine ande­re ist.

Der Westen lie­fert ein intel­lek­tu­ell beschei­de­nes Bild, wenn er sich als Herold gro­ßer Wer­te auf­schwingt, in Wirk­lich­keit aber das clow­nes­ke Bild woker Irr­lich­ter abgibt, das außer­halb des Westens wenig beein­druckt, son­dern viel­mehr abstößt. 

Die gei­sti­gen Koor­di­na­ten befin­den sich im frei­en Fall, wo Homo-Arm­bin­den zum angeb­lich Wich­tig­sten wer­den, die freie Reli­gi­ons­aus­übung für Chri­sten aber nicht ein­mal eine Erwäh­nung findet.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Goog­le Maps (Screen­shots)

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2 Kommentare

  1. Das nen­ne ich Qua­li­tät. Vie­len Dank für die­se Infor­ma­tio­nen. Hier wer­den Mög­lich­kei­ten genutzt, die die stren­ge Reli­gi­on ein­deu­tig nicht vor­sieht. Qua­si exter­ri­to­ria­les Gebiet. Die dor­ti­gen Chri­sten sol­len ganz inten­siv für ihre >Näch­sten< beten.
    Der Westen lie­fert intel­lek­tu­ell ein beschei­de­nes Bild. Das ist sehr vor­nehm ausgedrückt.

  2. „die freie Reli­gi­ons­aus­übung für Chri­sten aber nicht ein­mal eine Erwäh­nung findet.“
    Ja wer soll das denn auch erwäh­nen – Die Bischöfe?

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