(Astana) Bischof Athanasius Schneider veröffentlichte einen Text, in dem er der Frage nach dem Wesen und den Grenzen des Gehorsams gegenüber dem Papst nachgeht. Eine Frage von brennender Aktualität. Er gibt damit den Gläubigen Leitlinien in die Hand über ihre Gehorsamspflicht gegenüber dem Papst und den Bischöfen, deren Grenzen und auch eine mögliche Pflicht zum Ungehorsam.
Der Papst wurde von Christus selbst mit einer großen Autorität ausgestattet. Diese dürfe aber „die Integrität des katholischen Glaubens nicht schwächen“. Daher habe jede Autorität und jeder Gehorsam Grenzen, auch die Autorität des Papstes und der Gehorsam ihm gegenüber. „Gehorsam“, so Bischof Schneider, „ist nicht blind oder bedingungslos, sondern hat Grenzen. Wo es eine Sünde gibt, sei es eine Todsünde oder eine andere, haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, den Gehorsam zu verweigern“. Der Text von Msgr. Schneider, dem Weihbischof von Astana in Kasachstan, der seit Jahren zu den profiliertesten Vertretern des Weltepiskopats gehört, wurde heute von LifeSiteNews veröffentlicht und von der deutschamerikanischen Historikerin und Publizistin Maike Hickson dort vorgestellt. Bischof Schneider bietet allen Katholiken „Leitlinien für die richtige Antwort auf die irrigen Lehren und Gesten, die in diesen Tagen aus Rom kommen, wie die Ernennung von Abtreibungsbefürwortern in die Päpstliche Akademie für das Leben und die offene Förderung der LGBT-Agenda“, so Hickson.
Der Papst sei als Stellvertreter Christi verpflichtet, der katholischen Wahrheit zu dienen und sie nicht zu verändern. Daher „muß man dem Papst sicherlich gehorchen, wenn er unfehlbar die Wahrheit Christi verkündet [und] wenn er ex cathedra spricht, was sehr selten ist. Wir müssen dem Papst gehorchen, wenn er uns befiehlt, die Gesetze und Gebote Gottes zu befolgen, [und] wenn er administrative und gerichtliche Entscheidungen trifft (Ernennungen, Ablässe usw.)“.
Wenn jedoch „ein Papst Verwirrung und Unklarheit in bezug auf die Integrität des katholischen Glaubens und der heiligen Liturgie stiftet, dann darf man ihm nicht gehorchen, sondern muß der Kirche aller Zeiten und den Päpsten gehorchen, die während zwei Jahrtausenden ständig und klar alle katholischen Wahrheiten im gleichen Sinne gelehrt haben“.
In Krisenzeiten, in denen die Kirchenführer ihren Pflichten als Hirten, die die Herde zu Christus führen, nicht nachkommen, seien daher andere Glieder des mystischen Leibes Christi aufgerufen, zu helfen und den Glauben zu verteidigen:
„Wenn die Verantwortlichen in der Kirche (Papst, Bischöfe), wie es in unserer Zeit der Fall ist, ihre Pflicht, die Integrität und die Klarheit des katholischen Glaubens und der Liturgie zu bewahren und zu verteidigen, nicht treu erfüllen, ruft Gott die Untergebenen, oft die Kleinen und Einfachen in der Kirche, dazu auf, die Fehler der Oberen auszugleichen, durch Appelle, Korrekturvorschläge und, am stärksten, durch stellvertretende Opfer und Gebete.“
Erst vor kurzem hatte auch Kardinal Gerhard Müller, bis 2017 Präfekt der Glaubenskongregation, klargestellt, daß Prälaten, die irrige Lehren verbreiten, nicht gehorcht werden sollte. Einem „offensichtlich häretischen Bischof“ sei nicht zu folgen, nur weil es formale Gründe vorschreiben würden, „sonst wäre der religiöse Gehorsam ein blinder Gehorsam, der nicht nur der Vernunft, sondern auch dem Glauben widerspricht. Das Recht, sich zu widersetzen, ist natürlich streng an die geoffenbarten Wahrheiten gebunden“, so Kardinal Müller. Das gelte auch für den Papst, der nicht über dem Gesetz Gottes stehe und keine „unbegrenzte Macht“ habe, was hingegen ein enger Mitarbeiter von Papst Franziskus im jüngsten Kardinalskollegium angedeutet zu haben scheint, wie Hickson ergänzt. In diesem Zusammenhang bezeichnete Kardinal Müller die derzeit in Rom stattfindende Bischofssynode über die Synodalität, die vor kurzem um ein weiteres Jahr verlängert wurde, als „feindliche Übernahme der Kirche“.
Angesichts dieser Kirchenkrise könnte der Ungehorsam sogar zur Pflicht werden, so Hickson, wenn man sich an die Regel erinnert, daß man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen. Bischof Schneider schreibt dazu:
„Gegen die Autorität eines Papstes oder eines Bischofs, die die Grenzen des göttlichen Gesetzes der Integrität und der Klarheit des katholischen Glaubens überschreitet, muß man entschiedenen Widerstand leisten, der auch öffentlich werden kann. Dies ist das Heldentum unserer Zeit, der schwerste Weg zur Heiligkeit heute. Heilig zu werden bedeutet, den Willen Gottes zu tun; den Willen Gottes zu tun bedeutet, Seinem Gesetz immer zu gehorchen, insbesondere, wenn dies schwierig ist oder uns in Konflikt mit Menschen bringt, die, obwohl sie legitime Vertreter Seiner Autorität auf Erden sind (Papst, Bischof), leider Irrtümer verbreiten oder die Integrität und Klarheit des katholischen Glaubens schwächen.“
Hickson dazu: „Wir sind Seiner Exzellenz zutiefst dankbar für seine klare Lehre und für seine Ermutigung derjenigen Katholiken, die über die Demontage des katholischen Glaubens aller Zeiten vor unseren eigenen Augen bestürzt sind, die aber nichts tun wollen, was unserem Herrn mißfallen würde.“
*
Die korrekte Bedeutung des Gehorsams gegenüber dem Papst
Von Msgr. Athanasius Schneider ORC
Die heilige Kirche ist erstens und zutiefst eine göttliche Einrichtung, und sie ist in ihrer übernatürlichen Bedeutung ein Geheimnis. Zweitens hat sie auch die menschliche und sichtbare Realität, die sichtbaren Glieder und die Hierarchie (Papst, Bischof, Priester).
Wenn Mutter Kirche eine der tiefsten Krisen ihrer Geschichte durchmacht, wie es in unserer Zeit der Fall ist, wo die Krise alle Ebenen des kirchlichen Lebens in erschreckendem Ausmaß berührt, ruft uns die göttliche Vorsehung auf, unsere Mutter Kirche zu lieben, die nicht in erster Linie von ihren Feinden gedemütigt und verhöhnt wird, sondern von innen heraus von ihren Hirten. Wir sind aufgerufen, unserer Mutter Kirche zu helfen, ein jeder an seinem Platz, ihr zu einer wahren Erneuerung zu verhelfen durch unsere eigene Treue zur unveränderlichen Integrität des katholischen Glaubens, durch unsere Treue zur beständigen Schönheit und Heiligkeit ihrer Liturgie, der Liturgie aller Zeiten, durch unser intensives geistliches Leben in der Einheit mit Christus und durch Taten der Liebe und der Nächstenliebe.
Das Geheimnis der Kirche ist größer als nur der Papst oder der Bischof. Manchmal haben Päpste und Bischöfe der Kirche Schaden zugefügt, aber gleichzeitig hat Gott andere Werkzeuge benutzt, oft die einfachen Gläubigen, einfache Priester oder einige Bischöfe, um die Heiligkeit des Glaubens und des Lebens in der Kirche wiederherzustellen.
Der Kirche treu zu sein, bedeutet nicht, allen Worten und Taten eines Papstes oder eines Bischofs innerlich zu gehorchen, da der Papst oder ein Bischof nicht mit der gesamten Kirche identisch ist. Und wenn ein Papst oder ein Bischof einen Weg unterstützt, der die Integrität des Glaubens und der Liturgie beschädigt, dann ist man in keiner Weise verpflichtet, ihm innerlich zu folgen, denn wir müssen dem Glauben und den Normen der Kirche aller Zeiten, der Apostel und der Heiligen folgen.
Die katholische Kirche ist die eine und einzige Kirche, die Christus gegründet hat, und es ist der ausdrückliche Wille Gottes, daß alle Menschen Glieder Seiner einen Kirche, Glieder des mystischen Leibes Christi werden sollen. Die Kirche ist nicht das Privateigentum eines Papstes, sondern er ist nur der Vikar, der Diener Christi. Deshalb kann man die Fülle der Katholizität nicht von dem Verhalten eines bestimmten Papstes abhängig machen. Man muß dem Papst sicherlich gehorchen, wenn er unfehlbar die Wahrheit Christi verkündet, wenn er ex cathedra spricht, was sehr selten ist. Man muß dem Papst gehorchen, wenn er uns befiehlt, die Gesetze und Gebote Gottes zu befolgen, [und] wenn er Verwaltungs- und Rechtsprechungsentscheidungen trifft (Ernennungen, Ablässe, usw.). Wenn jedoch ein Papst Verwirrung und Zweideutigkeit in bezug auf die Integrität des katholischen Glaubens und der heiligen Liturgie stiftet, dann darf man ihm nicht gehorchen, sondern muß der Kirche aller Zeiten und den Päpsten gehorchen, die über zwei Jahrtausende hinweg alle katholischen Wahrheiten in demselben Sinne ständig und klar gelehrt haben. Und diese katholischen Wahrheiten finden wir im Katechismus ausgedrückt. Man muß dem Katechismus und der Liturgie aller Zeiten gehorchen, denen die Heiligen und unsere Vorfahren gefolgt sind.
Neben anderen Überlegungen wird in den folgenden Zeilen eine kurze Zusammenfassung des meisterhaften Vortrags von Prof. Roberto de Mattei, „Gehorsam und Widerstand in der Geschichte der Kirche“, gehalten beim Rome Life Forum am 18. Mai 2018, präsentiert.
Es ist ein falscher Gehorsam, wenn eine Person Männer vergöttert, die in der Kirche Autorität repräsentieren (Papst oder Bischof), wenn diese Person Befehle annimmt und Bestätigungen ihrer Vorgesetzten zustimmt, die die Klarheit und Integrität des katholischen Glaubens offensichtlich schädigen und schwächen.
Der Gehorsam hat eine Grundlage, ein Ziel, Bedingungen und Grenzen. Nur Gott hat keine Grenzen: Er ist unermeßlich, unendlich, ewig. Jedes Geschöpf ist begrenzt, und diese Grenze definiert sein Wesen. Deshalb gibt es auf Erden weder unbegrenzte Autorität noch unbegrenzten Gehorsam. Die Autorität ist durch ihre Grenzen definiert, und der Gehorsam ist ebenfalls durch seine Grenzen definiert. Das Bewußtsein dieser Grenzen führt zur Vollkommenheit in der Ausübung der Autorität und zur Vollkommenheit in der Ausübung des Gehorsams. Die unüberwindliche Grenze der Autorität ist die Achtung vor dem göttlichen Gesetz der Integrität und Klarheit des katholischen Glaubens, und die Achtung vor diesem göttlichen Gesetz der Integrität und Klarheit des katholischen Glaubens ist auch die unüberwindliche Grenze des Gehorsams.
Der heilige Thomas stellt die Frage: „Sind die Untertanen verpflichtet, ihren Vorgesetzten in allen Dingen zu gehorchen?“ (Summa theologica, II-IIae, q. 104, a. 5); seine Antwort ist negativ. Wie er erklärt, gibt es zwei Gründe, warum ein Untertan nicht verpflichtet sein kann, seinem Vorgesetzten in allen Dingen zu gehorchen. Erstens wegen eines Befehls einer höheren Autorität, da die Hierarchie der Autoritäten respektiert werden muß. Zweitens, wenn ein Vorgesetzter einem Untergebenen etwas Unrechtes befiehlt, zum Beispiel, wenn Kinder nicht verpflichtet sind, ihren Eltern zu gehorchen, wenn es darum geht, eine Ehe zu schließen, die Jungfräulichkeit zu bewahren oder Ähnliches. Der heilige Thomas schließt daraus:
„Der Mensch ist Gott absolut und in allen Dingen, innerlich und äußerlich, unterworfen; er ist daher verpflichtet, Gott in allen Dingen zu gehorchen. Die Untergebenen sind jedoch nicht verpflichtet, ihren Vorgesetzten in allen Dingen zu gehorchen, sondern nur in bestimmten Dingen. (…) Man kann daher drei Arten des Gehorsams unterscheiden: der erste, der zum Heil genügt, gehorcht nur in den verbindlichen Dingen; der zweite, der vollkommen ist, gehorcht in allen erlaubten Dingen; der dritte, der ungeordnet ist, gehorcht auch in den unerlaubten Dingen“ (Summa theologica, II-IIae, q. 104, a. 3).
Der Gehorsam ist nicht blind und bedingungslos, sondern hat Grenzen. Wenn eine Sünde vorliegt, sei es eine Todsünde oder eine andere, haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, den Gehorsam zu verweigern. Dies gilt auch für Fälle, in denen man aufgefordert wird, etwas zu tun, was der Integrität des katholischen Glaubens oder der Heiligkeit der Liturgie schadet. Die Geschichte hat gezeigt, daß ein Bischof, eine Bischofskonferenz, ein Konzil und sogar ein Papst in ihrem nicht unfehlbaren Lehramt Irrtümer verkündet haben. Was sollten die Gläubigen unter solchen Umständen tun? In seinen verschiedenen Werken lehrt der heilige Thomas von Aquin, daß es in Fällen, in denen der Glaube gefährdet ist, rechtmäßig, ja sogar angemessen ist, sich einer päpstlichen Entscheidung öffentlich zu widersetzen, wie es der heilige Paulus gegenüber dem heiligen Petrus, dem ersten Papst, tat. Der heilige Paulus, der dem heiligen Petrus unterstellt war, wies ihn öffentlich zurecht, weil die Gefahr eines Skandals in einer Glaubensangelegenheit drohte. Und der heilige Augustinus bemerkte:
„Auch der heilige Petrus hat ein Beispiel gegeben, damit diejenigen, die regieren, aber gelegentlich vom rechten Weg abkommen, eine Zurechtweisung, auch wenn sie von ihren Untergebenen kommt, nicht als unangemessen zurückweisen“ (ad Galater 2, 14)“ (Summa theologica, II-II, q. 33, a. 4, ad 2).
Der Widerstand des heiligen Paulus äußerte sich in einer öffentlichen Zurechtweisung des heiligen Petrus, des ersten Papstes. Der heilige Thomas widmet der brüderlichen Zurechtweisung in der Summa eine ganze Frage. Die brüderliche Zurechtweisung kann auch von den Untergebenen gegenüber ihren Vorgesetzten und von den Laien gegenüber den Prälaten ausgesprochen werden. „Da aber eine tugendhafte Handlung durch die richtigen Umstände gemildert werden muß, folgt daraus, daß ein Untergebener, wenn er seinen Vorgesetzten korrigiert, dies nicht mit Unverschämtheit und Härte, sondern mit Sanftmut und Respekt tun soll“ (Summa theologica, II-II, q. 33, a. 4, ad 3). Wenn eine Gefahr für den Glauben besteht, sind die Untergebenen verpflichtet, ihre Prälaten, einschließlich des Papstes, zu tadeln, auch öffentlich:
„Wegen der Gefahr eines Skandals im Glauben tadelte Paulus, der ja dem Petrus unterstellt war, diesen öffentlich“ (ibidem).
Die Person und das Amt des Papstes haben ihren Sinn darin, nur der Stellvertreter Christi zu sein, ein Instrument und nicht der Zweck, und als solches muß dieser Sinn genutzt werden, wenn wir das Verhältnis zwischen Mittel und Zweck nicht auf den Kopf stellen wollen. Es ist wichtig, dies in einer Zeit zu betonen, in der es vor allem unter den gläubigsten Katholiken viel Verwirrung in dieser Hinsicht gibt. Außerdem ist der Gehorsam gegenüber dem Papst oder dem Bischof ein Mittel, nicht der Zweck.
Der Papst hat die volle und unmittelbare Autorität über alle Gläubigen, und es gibt keine Autorität auf Erden, die ihm übergeordnet ist, aber er kann weder durch falsche noch durch zweideutige Aussagen die Integrität des katholischen Glaubens, die göttliche Verfassung der Kirche oder die beständige Tradition der Heiligkeit und des Opfercharakters der Liturgie der Heiligen Messe verändern und schwächen. Wenn dies geschieht, besteht die legitime Möglichkeit und Pflicht der Bischöfe und sogar der Laien, nicht nur private und öffentliche Appelle und Vorschläge für Lehrkorrekturen vorzubringen, sondern auch in „Ungehorsam“ gegenüber einer päpstlichen Anordnung zu handeln, die die Integrität des Glaubens, der göttlichen Verfassung der Kirche und der Liturgie verändert oder schwächt. Dies ist ein sehr seltener, aber möglicher Umstand, der die Regel der Verehrung und des Gehorsams gegenüber dem Papst, der berufen ist, den Glauben seiner Brüder zu bestätigen, nicht verletzt, sondern bestätigt. Solche Gebete, Appelle, Vorschläge für Lehrkorrekturen und ein sogenannter „Ungehorsam“ sind im Gegenteil ein Ausdruck der Liebe zum Papst, um ihm zu helfen, sich von seinem gefährlichen Verhalten zu bekehren, indem er seine primäre Pflicht vernachlässigt, die ganze Kirche eindeutig und mit Nachdruck im Glauben zu bestätigen.
Man muß sich auch daran erinnern, was das Erste Vatikanische Konzil gelehrt hat:
„Denn den Nachfolgern Petri ist der Heilige Geist nicht dazu verheißen worden, daß sie durch seine Eingebung eine neue Lehre verkünden sollten, sondern damit sie unter seinem Beistand die durch die Apostel überlieferte Offenbarung oder Glaubenshinterlage heilig bewahren und treu auslegen“ (Erstes Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Pastor aeternus, Kap. 4).
In den vergangenen Jahrhunderten hat sich im Leben der Kirche ein Rechtspositivismus durchgesetzt, der mit einer Art von Papolatrie verbunden ist. Eine solche Haltung zielt darauf ab, die äußeren Ordnungen der Oberen und das Recht auf ein bloßes Instrument in den Händen der Machthaber zu reduzieren, wobei die metaphysische und moralische Grundlage des Rechts selbst vergessen wird. Von diesem legalistischen Standpunkt aus, der heute in der Kirche vorherrscht, ist das, was die Autorität verkündet, immer gerecht.
Die traditionellen geistlichen Traktate lehren uns, wie wir der Kirche und dem Papst oder dem Bischof gehorchen sollen. Diese beziehen sich jedoch auf die Zeiten der Normalität, als der Papst und die Bischöfe die Integrität des Glaubens und der Liturgie tapfer und unmißverständlich verteidigten und schützten. Jetzt leben wir offensichtlich in der außergewöhnlichen Zeit einer globalen Glaubenskrise auf allen Ebenen der Kirche. Ein katholischer Gläubiger muß die oberste Autorität des Papstes und seine universelle Leitung anerkennen. Wir wissen jedoch, daß der Papst bei der Ausübung seiner Autorität Autoritätsmißbrauch zum offensichtlichen Schaden des katholischen Glaubens und der Heiligkeit der Liturgie der Heiligen Messe begehen kann, wie es leider in der Geschichte geschehen ist. Wir wollen dem Papst gehorchen, allen Päpsten, auch dem gegenwärtigen Papst, aber wenn wir in der Lehre eines Papstes einen offensichtlichen Widerspruch finden, folgt unsere Urteilsregel der zwei Jahrtausende alten Tradition der Kirche, d. h. der konstanten Lehre der Päpste durch Jahrtausende und Jahrhunderte.
Nach Pater Enrico Zoffoli haben die schlimmsten Übel der Kirche ihren Ursprung nicht in der Bosheit der Welt, der Einmischung oder der Verfolgung der Laien durch andere Religionen, sondern vor allem in den menschlichen Elementen, aus denen der Mystische Leib besteht: den Laien und dem Klerus. „Es ist die Disharmonie, die durch den Ungehorsam der Laien gegenüber dem Werk des Klerus und des Klerus gegenüber dem Willen Christi entsteht“ (Potere e obbedienza nella Chiesa, Mailand 1996, S. 67):
„Gegen die Autorität eines Papstes oder eines Bischofs, die die Grenzen des göttlichen Gesetzes der Integrität und der Klarheit des katholischen Glaubens überschreitet, muß man entschlossenen Widerstand leisten, der öffentlich werden kann. Dies ist das Heldentum unserer Zeit, der schwerste Weg zur Heiligkeit heute. Heilig zu werden bedeutet, den Willen Gottes zu tun; den Willen Gottes zu tun bedeutet, Seinem Gesetz immer zu gehorchen, insbesondere dann, wenn dies schwierig ist oder uns in Konflikt mit Menschen bringt, die, obwohl sie legitime Vertreter Seiner Autorität auf Erden sind (Papst, Bischof), leider Irrtümer verbreiten oder die Integrität und Klarheit des katholischen Glaubens schwächen.“
Solche Momente sind in der Geschichte der Kirche sehr selten, aber sie haben sich, wie es für alle sichtbar ist, auch in unserer Zeit ereignet.
Viele haben im Laufe der Geschichte ein heldenhaftes Verhalten an den Tag gelegt und sich den ungerechten Gesetzen der politischen Autorität widersetzt. Noch größer ist das Heldentum derer, die sich gegen die Auferlegung von Lehren durch die kirchliche Autorität gewehrt haben, die von der beständigen Tradition des Glaubens und der Liturgie der Kirche abweichen. Der kindliche, fromme und respektvolle Widerstand führt nicht zum Austritt aus der Kirche, sondern vervielfältigt die Liebe zur Kirche, zu Gott und zu seiner Wahrheit, denn Gott ist die Grundlage jeder Autorität und jedes Gehorsams.
Aus Liebe zum päpstlichen Amt, zur Ehre des Apostolischen Stuhles und zur Person des Papstes scheuten sich einige Heilige, z. B. die heilige Birgitta von Schweden und die heilige Katharina von Siena, nicht, die Päpste zu ermahnen, manchmal sogar in etwas schärferen Worten, wie wir sehen können, wenn die heilige Birgitta die folgenden Worte des Herrn an Papst Gregor XI. berichtet:
„Fang an, die Kirche zu reformieren, die ich mit meinem eigenen Blut erkauft habe, damit sie reformiert und geistig in ihren ursprünglichen Zustand der Heiligkeit zurückgeführt werden kann. Wenn Du diesen meinen Willen nicht befolgst, dann kannst Du ganz sicher sein, daß Du von mir vor meinem ganzen himmlischen Gericht mit der gleichen Art von Urteil und geistlicher Gerechtigkeit verurteilt werden wirst, mit der man einen weltlichen Prälaten verurteilt und bestraft, der seines Ranges enthoben werden soll. Er wird öffentlich seines heiligen, päpstlichen Gewandes beraubt, besiegt und verflucht. Genau das werde ich mit Dir tun. Ich werde Dich von der Herrlichkeit des Himmels wegschicken. Aber, Gregor, mein Sohn, ich ermahne Dich erneut, Dich in Demut zu mir zu bekehren. Höre auf meinen Rat“ (Buch der Offenbarung, 4, 142).
Die heilige Katharina von Siena, eine Kirchenlehrerin, richtete folgende unverblümte Ermahnung an Papst Gregor XI. und forderte ihn auf, die Kirche energisch zu reformieren oder, sollte er dies nicht tun, auf das Papsttum zu verzichten:
„Heiligster und liebster Vater, Deine arme unwürdige Tochter Katharina in Christus, dem süßen Jesus, empfiehlt sich Dir in seinem kostbaren Blut. Die göttliche Wahrheit verlangt, daß Du Gerechtigkeit übst über die Fülle der vielen Ungerechtigkeiten, die von denen begangen werden, die im Garten der heiligen Kirche gefüttert und geweidet werden. Da Er Dir die Autorität gegeben hat und Du sie übernommen hast, solltest Du Deine Tugend und Macht gebrauchen; und wenn Du nicht gewillt bist, sie zu gebrauchen, wäre es besser für Dich, darauf zu verzichten, was Du übernommen hast; das wäre mehr Ehre für Gott und Gesundheit für Deine Seele.“
Wenn die Autoritätspersonen in der Kirche (Papst, Bischöfe), wie es in unserer Zeit der Fall ist, ihre Pflicht, die Integrität und die Klarheit des katholischen Glaubens und der Liturgie zu bewahren und zu verteidigen, nicht treu erfüllen, ruft Gott die Untergebenen, oft die Kleinen und Einfachen in der Kirche, dazu auf, die Fehler der Oberen auszugleichen, durch Appelle, Korrekturvorschläge und, am stärksten, durch stellvertretende Opfer und Gebete.
Während der tiefen Kirchenkrise im 15. Jahrhundert, in der der hohe Klerus oft ein schlechtes Beispiel gab und in seinen pastoralen Pflichten schwer versagte, wurde Nikolaus Kardinal von Kues (1401–1464) durch einen Traum tief bewegt, in dem ihm die geistige Realität der Macht der Selbsthingabe, des Gebets und des stellvertretenden Opfers gezeigt wurde. Er sah in einem Traum die folgende Szene: Mehr als tausend Nonnen beteten in der kleinen Kirche. Sie knieten nicht, sondern standen. Sie standen mit offenen Armen, die Handflächen nach oben gerichtet, in einer Geste der Hingabe. In den Händen einer schlanken, jungen, fast kindlichen Nonne sah Nikolaus den Papst. Man konnte ihr ansehen, wie schwer diese Last für sie war, aber ihr Gesicht strahlte vor Freude. Diese Haltung sollten wir uns zum Vorbild nehmen.
Erstveröffentlichung: LifeSiteNews
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Wikicommons