Johannes Paul I., ein Mordopfer im 33. Grad?

Zur Todesursache eines Papstes


Der junge Priester Charles Murr mit Papst Paul VI. Murr ist überzeugt, daß Papst Johannes Paul I. im Auftrag des 33. Freimaurergrades ermordet wurde.
Der junge Priester Charles Murr mit Papst Paul VI. Murr ist überzeugt, daß Papst Johannes Paul I. im Auftrag des 33. Freimaurergrades ermordet wurde.

(Rom) Am 4. Sep­tem­ber, gestern, wur­de Papst Johan­nes Paul I., der 1978 für nur 33 Tage regier­te, selig­ge­spro­chen. Die­se Kano­ni­sie­rung, von Papst Fran­zis­kus per­sön­lich auf dem Peters­platz voll­zo­gen, wird in man­chen Krei­sen mit einem Nase­rümp­fen quit­tiert. Es besteht der Ver­dacht, daß das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil hei­lig­ge­spro­chen wer­den soll. Mit Johan­nes Paul I. wur­de der letz­te Kon­zils­papst kano­ni­siert, nach­dem Johan­nes XXIII., Paul VI. und Johan­nes Paul II. bereits zu den Altä­ren erho­ben wor­den waren. Es gibt noch einen ande­ren Grund, wes­halb man­che der gest­ri­ge Selig­spre­chung miß­trau­en. Sie befürch­ten, daß damit die Fra­ge nach der Todes­ur­sa­che ein für alle­mal vom Tisch gewischt wer­den soll.

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Kar­di­nal Albi­no Lucia­ni, damals Patri­arch von Vene­dig, war am 26. August 1978 als Nach­fol­ger von Paul VI. zum Papst gewählt wor­den. Nur 33 Tage spä­ter wur­de die Kir­che von der Nach­richt von sei­nem plötz­li­chen Tod auf­ge­schreckt. Wer jung stirbt, hat „ein gro­ßes Begräb­nis“, weiß der Volks­mund zu sagen. Nicht sel­ten folgt eine gewis­se Ver­klä­rung. Ein plötz­li­cher und uner­war­te­ter Tod nährt Spe­ku­la­tio­nen. Die­se waren nach dem Tod von Johan­nes Paul I. auch zur Stel­le. Genährt wur­den sie vor allem durch das 1984 vor­ge­leg­te Buch „In Gods Name“, in der deut­schen Über­set­zung etwas zurück­hal­ten­der „Im Namen Got­tes?“, des bri­ti­schen Jour­na­li­sten und Dreh­buch­au­tors David Yal­lop. Dar­in ver­tritt Yal­lop die The­se, Johan­nes Paul I. sei ver­gif­tet wor­den, weil er mit Machen­schaf­ten zwi­schen der Vatik­an­bank und der ita­lie­ni­schen Frei­mau­rer­lo­ge Pro­pa­gan­da Due (P2) auf­räu­men habe wol­len. Außer vie­len Spe­ku­la­tio­nen, Anspie­lun­gen und Unter­stel­lun­gen blieb Yal­lop aller­dings den Beweis schul­dig. Über die Loge P2 von Licio Gel­li wur­de eine Viel­zahl von Büchern auf den Markt gebracht. Yal­lop ver­knüpf­te rät­sel­um­wo­be­ne Ereig­nis­se, wodurch eine Art von Superrät­sel ent­stand, das alle Ele­men­te einer fes­selnd-schau­ri­gen Geschich­te ent­hielt. Das Buch wur­de zum Ver­kaufs­schla­ger, ohne zur Wahr­heits­fin­dung beizutragen.

Die offi­zi­el­le Todes­ur­sa­che von Johan­nes Paul I. lau­tet auf Herz­in­farkt. Er habe ein schwa­ches Herz gehabt, das den Her­aus­for­de­run­gen des Pon­ti­fi­kats nicht lan­ge stand­hielt. Mit der Selig­spre­chung wur­de auch die Todes­ur­sa­che „kano­ni­siert“. Die Kir­che misch­te sich in die Pole­mi­ken um die Todes­ur­sa­che nicht ein. Zwei­fel dar­an sind aller­dings nicht erwünscht, denn in den Selig­spre­chungs­pro­zeß wur­den auch Arti­kel und Inter­views ein­be­zo­gen, vor allem jedoch das Buch des Vize-Postu­la­tors, die als Todes­ur­sa­che die offi­zi­el­le Ver­si­on Herz­in­farkt bestätigen.

Dage­gen oppo­niert seit Jah­res­be­ginn 2022 das Buch „Mur­der in the 33rd Degree“ („Mord im 33. Grad. Die Gagnon-Unter­su­chung über die Frei­mau­re­rei im Vati­kan“), das der US-ame­ri­ka­ni­sche Prie­ster Charles Theo­do­re Murr-Létour­neau vor­leg­te. Der 33. Grad ist der höch­ste Frei­mau­rer­grad der Hoch­grad­sy­ste­me, deren bekann­te­stes der Schot­ti­sche Ritus ist. Die Frei­mau­rer, die in den 33. Grad ein­ge­weiht wer­den, bil­den unter­ein­an­der, län­der­wei­se orga­ni­siert einen eige­nen Rat.

Die Frei­mau­rer­hand greift nach jener des Papstes.

Charles Murr aus St. Paul in Min­ne­so­ta, der 1977 zum Prie­ster der Erz­diö­ze­se New York geweiht wur­de, hat­te am Ange­li­cum (Päpst­li­che Uni­ver­si­tät hei­li­ger Tho­mas von Aquin) und an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na in Rom stu­diert, aber auch an der Uni­ver­si­tät Salz­burg, um sich in Psy­cho­lo­gie zu ver­tie­fen und die deut­sche Spra­che zu erler­nen. In Rom arbei­te­te er zunächst für Kar­di­nal Peri­c­le Feli­ci, anschlie­ßend ab 1974 für Kar­di­nal Edouard Gagnon. Kar­di­nal Feli­ci (1911–1982) war es, der als Pro­to­dia­kon 1978 der Welt die Wahl von Papst Johan­nes Paul I. ver­kün­de­te. Als Prä­fekt des Ober­sten Gerichts­hofs der Apo­sto­li­schen Signa­tur war er der ober­ste Rich­ter der Kir­che (nach dem Papst) und einer der weni­gen Kar­di­nä­le, die auch nach der Lit­ur­gie­re­form im über­lie­fer­ten Ritus zele­brier­ten. Er starb erst 70jährig im Amt.

Der fran­ko­ka­na­di­sche Sul­pi­zia­ner Edouard Gagnon (1918–2007) war wäh­rend der bei­den letz­ten Sit­zungs­ses­sio­nen des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils als Peri­tus nach Rom beru­fen wor­den. Dort blieb er und erhielt von den Päp­sten ver­schie­de­ne Auf­ga­ben zuge­wie­sen. 1983 ernann­te ihn Papst Johan­nes Paul II. zum ersten Vor­sit­zen­den des soeben errich­te­ten Päpst­li­chen Rats für die Fami­lie. Als sol­cher ver­tei­dig­te er die Enzy­kli­ka Hum­a­nae vitae gegen die Ableh­nung des Ver­bots künst­li­cher Ver­hü­tungs­mit­tel. Bis zu sei­nem Tod blieb er ein uner­schrocke­ner Ver­tei­di­ger der kirch­li­chen Ehe­leh­re gegen Bestre­bun­gen, in Kana­da die „Homo-Ehe“ einzuführen.

1985 kre­ierte Johan­nes Paul II. den dama­li­gen Titu­lar­erz­bi­schof zum Kar­di­nal. 1987 erhielt Gagnon von die­sem Papst den Spe­zi­al­auf­trag einer Visi­ta­ti­on der Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. (FSSPX), für die der kana­di­sche Kar­di­nal Sym­pa­thien heg­te. Sei­ne Mis­si­on schei­ter­te jedoch 1988 an den ohne Erlaub­nis des Pap­stes durch­ge­führ­ten Bischofsweihen.

Titel­sei­te von Murrs Buch: Mord im 33. Grad

Einen ande­ren, bis heu­te kaum bekann­ten Spe­zi­al­auf­trag hat­te Gagnon aber bereits in den 70er Jah­ren für Paul VI. durch­ge­führt, als die­ser ihn mit einer Visi­ta­ti­on der Römi­schen Kurie beauf­trag­te – eine beson­ders heik­le Mis­si­on. Das gilt umso mehr, wenn man den genau­en Auf­trag kennt: Erz­bi­schof Gagnon soll­te her­aus­fin­den, wie vie­le Frei­mau­rer es an der Kurie gab. Der jun­ge Charles Murr war dabei sein Assistent.

Drei Jah­re, von 1975 bis 1978, dau­er­te die Visi­ta­ti­on, da Erz­bi­schof Gagnon auf „gro­ße Schwie­rig­kei­ten“ stieß, bis er Paul VI. sei­nen Bericht vor­le­gen konn­te. Im Vor­wort zu sei­nem Buch schreibt Murr: Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, her­aus­zu­fin­den, wie vie­le Frei­mau­rer Gagnon bei sei­nen Ermitt­lun­gen in der Kurie gefun­den hat, ist die Ver­öf­fent­li­chung sei­nes Berichts. Seit die­ser dem Papst über­ge­ben wur­de, sind 44 Jah­re ver­gan­gen. Der Bericht liegt unter Ver­schluß und zei­tig­te unmit­tel­bar kei­ne Fol­gen, da Paul VI. noch im sel­ben Jahr ver­starb. Das glei­che Schick­sal traf auch sei­nen Nach­fol­ger Johan­nes Paul I.

Charles Murr wider­spricht in sei­nem Buch „Mord im 33. Grad“, der Herz­in­farkt-The­se als offi­zi­el­ler Todes­ur­sa­che von Johan­nes Paul I. Doch mit der Selig­spre­chung scheint das The­ma ein für alle­mal vom Tisch zu sein: Papa Lucia­ni starb an einen Herz­in­farkt, sein heroi­scher Tugend­grad ist erwie­sen, er leg­te Für­spra­che für ein Wun­der ein, ist nun selig­ge­spro­chen und wird in Zukunft zu den Hei­li­gen auf­stei­gen. Alle sind glücklich.

Alle?

Kar­di­nal Gagnon, wie Murr doku­men­tiert, sei über­zeugt gewe­sen, daß Johan­nes Paul I. ermor­det wur­de. Es gebe „vie­le Mög­lich­kei­ten einen Men­schen zu töten“, hat­te der Kana­di­er sei­nem frü­he­ren Assi­sten­ten gesagt, als die­ser ihn auf die Todes­ur­sa­che ansprach. Sein dama­li­ger Vor­ge­setz­ter habe kei­ne Zwei­fel gelas­sen, daß es sich im kon­kre­ten Fall um Mord han­del­te. Wie immer gilt es, gegen­über sol­chen The­sen die nöti­ge Zurück­hal­tung wal­ten zu las­sen, den­noch ist das Buch wesent­lich rele­van­ter als jenes von David Yal­lop. Auf alle Fäl­le gilt das für die inner­kirch­li­che Ent­wick­lung, die zur heu­ti­gen Kri­se führte.

Charles Murr mit Kar­di­nal Gagnon (rechts)

ABC, die füh­ren­de kon­ser­va­ti­ve Tages­zei­tung Spa­ni­ens, ver­öf­fent­lich­te am 30. Sep­tem­ber 1978 die offi­zi­el­le Erklä­rung des Hei­li­gen Stuhls vom Vor­tag zur Todes­ur­sa­che von Papst Johan­nes Paul I. Dane­ben druck­te sie jedoch eine aus­führ­li­che Stel­lung­nah­me eines Fach­arz­tes, daß die vati­ka­ni­sche Dia­gno­se, so wie sie der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert wur­de, ohne Aut­op­sie unmög­lich zu stel­len sei. Die offi­zi­el­le Ver­si­on zum Tod Lucia­nis wur­de vom ersten Tag an bezweifelt.

Charles Murr schreibt in sei­nem Buch, daß der letz­te Kir­chen­mann, der Johan­nes Paul I. lebend sah, ein Kar­di­nal war, den der Papst wegen sei­ner Logen­mit­glied­schaft aus dem Amt ent­fer­nen woll­te. Nur weni­ge Stun­den nach einer hit­zi­gen Begeg­nung mit dem Kar­di­nal im Apo­sto­li­schen Palast wur­de der Papst tot aufgefunden.

Tat­sa­che ist, daß Kuri­en­erz­bi­schof Anni­ba­le Bug­nini, der Bau­mei­ster der Lit­ur­gie­re­form, und Kar­di­nal Seba­stia­no Bag­gio, Prä­fekt der römi­schen Bischofs­kon­gre­ga­ti­on, im Fokus der Son­der­er­mitt­lun­gen von Erz­bi­schof Gagnon und sei­nes Assi­sten­ten Charles Murr stan­den. Auf Bag­gio ging die Initia­ti­ve zurück, eine Alters­be­gren­zung für die Bischö­fe ein­zu­füh­ren, um dadurch welt­weit eine neue Gene­ra­ti­on pro­gres­si­ver Bischö­fe instal­lie­ren zu kön­nen. Laut Murr ste­he die Logen­mit­glied­schaft der bei­den Kir­chen­män­ner fest. Wäh­rend Bug­nini noch von Paul VI. nach Tehe­ran abge­scho­ben wor­den war, hat­te sich der rang­hö­he­re Bag­gio noch in Rom hal­ten kön­nen. Sei­ne Ent­fer­nung sei Gegen­stand der ersten Begeg­nung von Erz­bi­schof Gagnon mit dem neu­ge­wähl­ten Johan­nes Paul II. am 25. Sep­tem­ber 1978 gewe­sen. Das war drei Tage vor sei­nem Tod.

Doch die Fra­ge nach der Todes­ur­sa­che scheint mit der Selig­spre­chung vom Tisch gewischt wor­den zu sein.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wikicommons/Charlesmurr.com (Screen­shots)

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