
(Buenos Aires) Papst Franziskus liebt Speiseeis. Deshalb gewährte er 2020 einem Landsmann, der in der Nähe des Vatikans eine Eisdiele betreibt, zum Dank eine Audienz. Als Guillermo Marcó, sein damaliger Pressesprecher in Buenos Aires, 2006 die historische Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. als „anti-islamisch“ kritisierte, trennte sich Kardinal Bergoglio von ihm, um sein eigenes Gesicht zu wahren. Marcó fiel aber nicht in Ungnade, wie sich nun erneut zeigte – im Zusammenhang mit einem guten Eis.
Die berühmte Rede von Benedikt XVI. an der Universität Regensburg am 12. September 2006 sollte unter einer doppelten Lawine der Kritik erstickt werden. Einmal durch die teils wüsten Drohungen islamischer Kreise, zum anderen durch Angriffe einflußreicher politisch korrekter Kreise des Westens. Kritik kam damals überraschend auch von einem Kardinal namens Jorge Mario Bergoglio, dem Erzbischof von Buenos Aires. Dieser reihte sich in den gellenden Chor der Papstkritiker ein und ließ die Welt wissen:
„Ich identifiziere mich nicht mit den Worten des Papstes“
Newsweek wollte darauf ein Interview mit Kardinal Bergoglio führen, der aber stattdessen seinen Pressesprecher Guillermo Marcó schickte. Das Interview kam dennoch zustande und Marcó wiederholte Bergoglios Kritik an Benedikt XVI.:
„Er [Benedikt XVI.] hat in 20 Sekunden zerstört, was in 20 Jahren mit dem Islam aufgebaut worden war. Was er gesagt hat, vertritt mich nicht.“
Der Heilige Stuhl reagierte erstaunt auf die Kritik aus Buenos Aires und meinte damit nicht den Pressesprecher, sondern den Kardinal, denn es konnte kein Zweifel bestehen, daß Marcó nicht aus Eigeninitiative gehandelt, sondern die Meinung von Kardinal Bergoglio vertreten hatte. Der damalige Primas von Argentinien wurde vom Vatikan aufgefordert, sich entweder von den Aussagen seines Pressesprechers zu distanzieren oder sich von diesem zu trennen.
Bergoglio tat zunächst weder das eine noch das andere. Er wartete einfach zu, bis man in Rom ungeduldig wurde, denn die Kritik des Kardinals war von den politisch korrekten und islamophilen politischen Kreisen weidlich gegen Benedikt XVI. ausgenützt worden.
Schließlich ersetzte Bergoglio seinen Pressesprecher doch, tat dies allerdings ohne einen Hinweis auf das Ärgernis. Der Wechsel wurde „Umgruppierung im Pressebereich“ genannt und erfolgte im Windschatten eines innenpolitischen Konfliktes in Argentinien, sodaß schwerlich ein Zusammenhang mit der Papstkritik herstellt werden konnte.
Im Vatikan gab man sich damit zufrieden, obwohl nicht damit gerechnet werden konnte, daß Bergoglio seine Meinung geändert hatte. Vielmehr dürfte er bestimmten Kreisen einen Beleg geliefert haben, eine echte Alternative zum damaligen Pontifikat zu sein.
Guillermo Marcó, dem damaligen Erzbischof treu ergeben, nahm die Rolle des Sündenbocks stillschweigend auf sich und erhielt dafür neue führende Positionen im kirchlichen Medienbereich und in der argentinischen Hochschulseelsorge. Dort unterstützte er mit Nachdruck den interreligiösen Aktivismus des damaligen Erzbischofs von Buenos Aires.
„Don Marcó verschwand aber nicht von der Bühne“, wie der Vatikanist Sandro Magister bald nach der Wahl von Papst Franziskus anmerkte. Seine Entfernung als Pressesprecher tat der persönlichen Verbindung zu Bergoglio keinen Abbruch. So ist der Priester auch dem derzeitigen Papst treu ergeben, den er von Zeit zu Zeit in Santa Marta besucht.
Keine zehn Jahre nachdem Marcó als Kritiker von Benedikt XVI. internationale Aufmerksamkeit gefunden hatte, trat der argentinische Priester erneut ins Rampenlicht. Er war im Januar 2016 im ersten „Video vom Papst“ zu sehen, das nicht wenigen Katholiken zum Skandal wurde. Der Argentinier vertritt in dem Video, das dem „interreligiösen Dialog“ gewidmet ist, das Christentum, neben dem Judentum, Islam und Buddhismus als gleichwertig gezeigt werden. Papst Franziskus wurde deshalb der Vorwurf gemacht, den Synkretismus und Relativismus zu fördern.
Im Gefolge wurde Marcó etwas näher beleuchtet. Dabei kamen eine Reihe abstruser Ideen ans Licht. Sollte daraus wie 2006 auf die Ideenwelt von Franziskus geschlossen werden können, dann „vermittelt einiges an diesem Pontifikat den Eindruck, daß an der Richtung etwas nicht stimmt“, schrieb damals der Historiker, Wirtschaftsjournalist und katholische Blogger Francisco Fernandez de la Cigoña.
Später erzählte Marcó einer Zeitung in Guayaquil in Ecuador, daß er mit Papst Franziskus „zu Mittag gegessen“ habe.
Bei der jüngsten Begegnung zeichnete der Priester sein langes Gespräch mit Franziskus abschnittsweise auf und veröffentlichte es am 3. Juli als Podcast auf Spotify. Dabei sagt Marcó:
„Wir hatten ein sehr nettes Gespräch. Er [Franziskus] nahm sich anderthalb Stunden Zeit. Ich erzählte ihm, was ein Podcast ist und was wir machen. Und ich habe ihm gesagt, daß ich gerne ein bißchen von unserem Gespräch aufnehmen würde.“
Dabei sei es nicht um „die großen Dinge“ gegangen:
„Ich habe ihn lieber nach persönlicheren Dingen gefragt. Ich habe ihn lieber gefragt, was er im Herzen trägt, was er vermißt, wie er betet. Einfachste Dinge des Lebens … das sind Fragen, die ich mir stelle.“
Bei dieser Gelegenheit soll Marcó Franziskus ein umtriebiges argentinisches Unternehmen zur Speiseeisherstellung vorgestellt haben. Dieses Unternehmen erhielt dann einen Brief von Franziskus, mit dem es seither wie mit einem Gütesiegel wirbt. Hier das päpstliche Schreiben:
Vatikan, 25. Juni 2022
Liebe Brüder!
In den vergangenen Tagen konnte ich mich über das Projekt informieren, das Sie mit der Eröffnung von Heladerías Lucciano’s [Luccianos Eisdielen] in verschiedenen Teilen der Welt vorantreiben. Ich beglückwünsche Sie zu den Anstrengungen, die Sie unternehmen, und danke Ihnen für die Freundlichkeit, mit der Sie mir das von Ihnen hergestellte Eis geschickt haben, das beim Sonntagsessen mit allen Mitarbeitern von Santa Marta geteilt wurde. Es hat uns allen sehr gut gefallen, vielen Dank!
Ich habe einmal gesagt, daß Unternehmertum eine edle Berufung ist, die durch würdige Arbeit zur Verbesserung der Welt beitragen kann. Ich ermutige Sie, trotz der Schwierigkeiten, die in der heutigen Wirtschaft so häufig auftreten, durchzuhalten und sich in erster Linie auf das Gemeinwohl zu konzentrieren.
Ich versichere Sie meiner Gebete und spreche Ihnen und Ihren Familien sowie allen, die in den Heladerías Lucciano’s arbeiten, meinen Segen zu.
Ich bitte Sie, für mich zu beten. Möge Jesus Sie segnen und die Heilige Jungfrau über Sie wachen.
Mit brüderlichem Gruß,
Francisco
Zahlreiche Medien berichteten über das Papstschreiben an die Familie Otero. Die argentinische Zeitung El Cronista tat dies ausführlich am Samstag, dem 9. Juli – im Wirtschaftsteil. Die Überschrift lautete: „Dieses Unternehmen bekam den Segen des Papstes“.
Die Heladerías Lucciano’s des 2011 gegründeten Unternehmens Fami umfassen weltweit mehr als 60 Eisdielen, eine davon auch in Rom nahe dem berühmten Trevi-Brunnen. Jüngst kamen neue Eisdielen in Montevideo, Florida und New Jersey dazu.
Die Welt kennt nun die „Eisdiele des Papstes“. In den römischen Sommern ein nicht unbedeutender Hinweis.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL (Screenshots)