
(Jerusalem) In Jerusalem begegnen einander die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam wie an keinem anderen Ort der Welt. Dabei handelt es sich mehr um ein erzwungenes Zusammenleben. Die kleinste Gruppe dabei sind die Christen. Die zweitausendjährige Präsenz der einheimischen Christen wird zwischen den beiden anderen Religionen aufgerieben.
Die Zahlen
In den vergangenen 2000 Jahren war Jerusalem das erste Jahrhundert jüdisch, dann die meiste Zeit christlich, gefolgt von einer langen islamischen Phase seit dem Hochmittelalter und wieder einer verhältnismäßig kurzen jüdischen Zeit seit hundert Jahren.
Mehrheitlich christlich blieb Jerusalem auch unter islamischer Herrschaft bis zur Zerstörung der Grabeskirche. Durch die darauf folgenden Kreuzzüge konnte die christliche Mehrheit in der Stadt wiederhergestellt werden. Erst Saladin setzte dem 1187 ein Ende. Jerusalem wurde im 13. Jahrhundert islamisiert. Die Präsenz orthodoxer und orientalischer Christen blieb jedoch aufrecht. Daneben gab es bis auf eine kurze Periode in der römischen Antike auch immer eine jüdische Bevölkerung in der Stadt.
Als die Türken die Herrschaft übernahmen, waren 1526 laut Steuerlisten 66 Prozent der Einwohner Muslime, 21 Prozent Juden und 13 Prozent Christen.
Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm der Anteil von Juden und Christen wieder zu, da die Stadt für die Muslime eine geringe Rolle spielte. Für diese Zeit gibt es allerdings nur Berichte von europäischen Forschern, Pilgern und Reisenden. Da die Angaben nahe beieinander liegen, bieten sie dennoch einen guten Anhaltspunkt, der im gewichteten Durchschnitt wiedergeben wird. Demnach hatte sich die Zahl der Juden auf 25 Prozent erhöht und die der Christen auf etwa 20 Prozent. Für sie hatte Jerusalem auch eine weit größere Bedeutung.
Ein zuverlässigeres Bild bietet die osmanische Volkszählung von 1905. Sie spiegelt die jüdische Einwanderung wider, die ab 1850 eingesetzt hatte und sich immer stärker im zionistischen Fahrwasser bewegte. Durch die in der Endphase von den Osmanen gewährten Möglichkeiten wuchs auch das Interesse der lateinischen Christen an einer dauerhaften Niederlassung in Jerusalem. Die Juden machten nun 41 Prozent aus, die Muslime nur mehr 34 Prozent und die Christen immerhin wieder 25 Prozent.
Der Erste Weltkrieg brachte das Ende der osmanischen Herrschaft, die im Namen des Völkerbundes von der britischen Herrschaft abgelöst wurde. Unter den Briten beschleunigte sich die jüdische Zuwanderung. Laut der britischen Volkszählung von 1931 waren von den Einwohnern Jerusalems 57 Prozent Juden, 22 Prozent Muslime und 21 Prozent Christen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Staat Israel ausgerufen. Um Jerusalem begann ein bis heute andauernder Kampf, der teilweise militärisch, heute politisch und demographisch ausgetragen wird. Die Stadt wurde entgegen den ursprünglichen Plänen und auch gegen die Wünsche und Empfehlungen des Heiligen Stuhls geteilt. Die Altstadt liegt im palästinensischen Ostjerusalem. Dort halten die Muslime noch heute eine knappe Mehrheit von etwa 53 Prozent. Von jüdischer Seite wird mit legaler und illegaler Siedlungspolitik versucht, eine jüdische Mehrheit herzustellen. Allerdings konnten in den vergangenen 20 Jahren kaum mehr nennenswerte Erfolge erzielt werden, da die Muslime den jüdischen Zuzug durch eine höhere Geburtenrate ausgleichen.
Der Anteil der Christen ist hingegen auf ein historisches Allzeittief gefallen und liegt in ganz Jerusalem nur mehr bei 1,8 Prozent. Durch den Nahost-Konflikt schrumpfte ihre Präsenz in der heiligen Stadt in den vergangenen 75 Jahren stärker als in den 750 Jahren davor.
Immobilien für die Siedlungspolitik
Im Juli 2020 schlugen dreizehn Patriarchen und Oberhäupter der christlichen Kirchen der Stadt Alarm, unter ihnen auch der Lateinische Patriarch, mit der Botschaft: „Radikale jüdische Gruppen versuchen die pluralistische Identität der Heiligen Stadt zu sabotieren“. Im christlichen Viertel der Jerusalemer Altstadt sind jüdisch-radikale Kreise bestrebt, kirchliches Eigentum zu erwerben und dadurch die christliche Präsenz in der Stadt zu schwächen und die jüdische zu stärken. Doch nicht nur in Jerusalem sorgen Immobilienverkäufe für Unruhe unter den Christen, sondern auch in Nazareth.
Seit 1949 waren die Dajani Pächter des Jerusalemer Hotels Imperial. Die Dajanis sind palästinensische Christen, einheimische Christen. Eigentümer des Hotels ist das griechisch-orthodoxe Patriarchat der Stadt. Abu Walid Dajani, das Familienoberhaupt, ist heute 78 Jahre alt. Er hat die ganze Zeit miterlebt, die seine Familie das Hotel führt. Heute ist er außer sich. Der frühere griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Ireneos I., hatte in einer undurchsichtigen Aktion den Pachtvertrag des Hotels an eine Firma mit Sitz auf den Jungferninseln weiterverkauft. Wie sich herausstellte, steht die Firma in Verbindung mit der zionistischen Siedlerorganisation Ateret Kohanim.
„Das ist ein Problem für das gesamte Christentum: Wie sollen wir das palästinensische Erbe, das christliche Erbe, in der Altstadt von Jerusalem bewahren?“, klagte Dajani gegenüber der Presseagentur EFE.
Von dem Verkauf hatte er damals aus der israelischen Tageszeitung Maariv erfahren, die auf der Titelseite darüber berichtete. Der 98jährige Pachtvertrag des Hotels war für 1,25 Millionen Dollar samt der Möglichkeit für eine zweimalige Verlängerung auf insgesamt 294 Jahre verkauft worden.
Unter ähnlichen Umständen übernahm Ateret Kohanim die Kontrolle über zwei weitere Immobilien des Griechischen Patriarchats in dem von Israel besetzten Ostjerusalem: Im nahegelegenen Gästehaus Petra zogen im März jüdische Familien ein. Die dritte Immobilie ist das Muzamiya House im christlichen Viertel. Seit 15 Jahren findet seither ein Rechtsstreit statt, mit dem die damaligen Verkäufe rückgängig gemacht werden sollen.
„Ich bete jeden Tag, daß alles gelöst wird, aber wir brauchen die Unterstützung der ganzen Welt, aller Kirchen, um Druck auf die israelische Regierung auszuüben, damit diese Besitztümer in den Händen des griechisch-orthodoxen Patriarchats bleiben.“
Dajani, der EFE ein Interview gab, führt seit 1963 das Hotel Imperial mit 44 Zimmern. Errichtet worden war es, um das Gefolge des deutschen Kaisers Wilhelm II. unterzubringen, als dieser 1898 im Rahmen seiner Heilig-Land-Reise auch Jerusalem besuchte. Daher auch der Name des Hotels.
Dajani richtete seine Bitten heute nicht mehr an den Kaiser, sondern an den US-Präsidenten. Joe Biden wird am 13./14. Juli Jerusalem besuchen.
„Biden, treffen Sie sich auch für zehn Minuten mit christlichen Führern!“
Zusammen mit den Dajanis leben zwölf christliche Familien von dem Betrieb des historischen Hotels, das in bester Lage im christlichen Viertel der Altstadt nahe dem Jaffa-Tor liegt.
Der jetzige griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Theophilos III., versuchte vergeblich die umstrittenen Verkäufe seines Vorgängers rückgängig zu machen und verwies dabei auch auf Korruption und fehlende Transparenz. Die entsprechenden Klagen wurden jedoch abgewiesen, so zuletzt Anfang Juni vom Obersten Gerichtshof von Israel auch jene der Familie Dajani. „Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug gegen die Vertreibung meiner Familie kämpfen“, sagt Dajani. Die Chancen stehen allerdings schlecht.
Ostjerusalem ist seit 1967 völkerrechtlich ein von Israel besetztes Gebiet. Laut internationalem Recht verfügt Israel daher über keine legitime Jurisdiktion. Israel annektierte aber 1980 Ostjerusalem einseitig und setzt seine Rechtsordnung durch. Die Macht des Faktischen liegt in der Hand Israels.
Dajani befürchtet, daß vergleichbare Vorgänge sich in anderen Teilen des Heiligen Landes wiederholen könnten. „Wenn dieses Gebäude in die Hände jüdischer Extremisten gelangt“, könnten „ernste Probleme“ und sogar „ethnische Gewalt“ die Folge sein.
Bei Ateret Kohanim unter ihrem Oberhaupt Rabbi Schlomo Aviner spricht man von einem normalen Immobiliengeschäft. Jeder habe das Recht „in der wiedervereinigten Hauptstadt Israels“ Eigentum zu erwerben. Der internationalen Presse wirft die zionistische Siedlerorganisation wegen ihrer Berichterstattung über die Käufe „Antisemitismus“ vor.
Zugleich ist man bei Ateret Kohanim stolz darauf, bereits mehr als tausend jüdische Familien in den christlichen und muslimischen Vierteln der Altstadt angesiedelt zu haben. Ziel der Organisation ist es, die „unbestreitbar jüdischen Wurzeln“ der Stadt zu stärken. Das Hotel Imperial sei heute „heruntergekommen“, während es von seiner Errichtung bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts ein „wunderschönes koscheres Hotel“ gewesen sei, das nacheinander von zwei jüdischen Familien geführt wurde, ehe es vom griechisch-orthodoxen Patriarchat erworben wurde.
Die jüdische Familie Amdursky hatte nach dem Erdbeben von 1927 und dem arabischen Aufstand von 1929 wegen wirtschaftlicher Probleme ihren Besitz verkaufen müssen. Seither hat sich in der Stadt viel verändert.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons