(Jerusalem) Die Kreuzritter schufen in den gut 200 Jahren (1099–1291), die sie im Heiligen Land waren, großartige Bauwerke, die teilweise bis heute bewundert werden können. Bis hinein in das heutige Jordanien sind noch ihre Burgen zu sehen, die einen Verteidigungsgürtel für das Königreich Jerusalem bildeten, das sie als Kerngebiet von insgesamt vier Kreuzritterstaaten errichtet hatten. Es wurden, aus Angst vor Zerstörung, von den Kreuzrittern vor einer muslimischen Offensive Mitte des 13. Jahrhunderts dreizehn Bronzeglocken in der Nähe der Geburtskirche in Bethlehem vergraben. Sie wurden wiedergefunden und sollen mehr als 800 Jahre nachdem sie gegossen wurden, nachgegossen werden und neu erklingen. Sie lassen bereits jetzt ein eindrucksvolles Hörerlebnis aus der Kreuzritterzeit lebendig werden.
Glocken und Orgelpfeifen in der Geburtskirche zu Bethlehem aus der Kreuzritterzeit haben Forscher angeregt, die Musik, wie sie zur Zeit der Kreuzzüge im Heiligen Land erklang, zu rekonstruieren.
Glocken sind ein typisch christliches Wesensmerkmal, während sie im Islam verpönt sind. Sie lassen über das weite Land das Lob Gottes erklingen und sind Mahner und Rufer. Sie rufen die Gläubigen zum Gottesdienst und zum Gebet und bannen das Böse. Das war der Grund, weshalb gegen Mitte des 13. Jahrhunderts, als 1244 muslimische Söldner Jerusalem endgültig zurückeroberten und die Kreuzritter aus der heiligen Stadt vertrieben, im nahen Bethlehem nahe der Geburtskirche dreizehn Bronzeglocken vergraben wurden. Um sie vor Rost zu schützen, schmierte man sie dabei sorgfältig mit Tierfett ein, wie der spanische Musikwissenschaftler David Catalunya, spezialisiert auf mittelalterliche Musik, erklärt. Catalunya, der an den Universitäten Oxford und Würzburg forscht, startete ein Projekt, um Repliken der gut 800 Jahre alten Glocken anzufertigen und den Glockenklang der Kreuzritterzeit im Heiligen Land wieder hörbar zu machen.
Der einzigartige Glockenschatz wird in der Franziskanerkustodie des Heiligen Landes aufbewahrt. Die Glocken waren Teil eines Glockenspiels, das den Gesang in der Kirche begleitete, so Pater Stéphane Milovitch OFM, der Liturgiebeauftragte und Direktor des Büros für das Kulturerbe der Franziskanerkustodie. Er ist für das Museum verantwortlich, das im Salvatorkloster in Jerusalem, dem Hauptkloster der Kustodie, entsteht. Gegenüber der Presseagentur Reuters erklärte Catalunya:
„Es ist ein sehr langer Prozeß, nicht nur in bezug auf das Material der Instrumente, sondern auch in bezug auf ihren kulturellen und geistigen Kontext.“
Nach Abschluß der Forschungsphase schätzt Catalunya, daß weitere fünf Jahre notwendig sein werden, bis voll funktionsfähige Kopien gegossen sein werden. „In der Zwischenzeit genügt ein Klopfen mit den Fingerknöcheln, um den Originalen, deren Klöppel längst verrottet sind, ein klares, hohes Timbre zu entlocken“, wie sich der Reuters-Korrespondent Rinat Harash selbst vergewisserte.
„Es ist nur die Hälfte des ursprünglichen Klangs, der viel voller und lauter und ein bißchen tiefer war“, wie Catalunya erläutert.
Die dreizehn Glocken wurden im 20. Jahrhundert zusammen mit 222 Kupferpfeifen der einstigen Orgel der Geburtskirche entdeckt, die ebenfalls aus der Kreuzritterzeit stammen. Gefunden wurden auch der Hirtenstab des Bischofs von Bethlehem und Kerzenständer aus dem 12. Jahrhundert. Catalunya geht davon aus, daß alle Funde aus jener Zeit stammen, in Frankreich gefertigt und von dort ins Heilige Land gebracht worden sein könnten. Die Orgelpfeifen und Kirchenglocken gehören zu den ältesten noch erhaltenen der Christenheit. Von der begonnenen Erforschung erhofft man sich eine Reihe von Fragen zu klären.
Entdeckt wurden die genannten und weitere Funde in den vergangenen hundert Jahren im Zuge mehrerer Grabungen, bei denen der Untergrund der Grotten unter der Geburtskirche erforscht wurde. Nicht nur die Glocken, auch die Orgelpfeifen waren sorgfältig verpackt und in den Grotten eingegraben worden.
In Nazareth war bereits ein ähnlicher Fund gemacht worden. Dort waren wunderschön gearbeitete Kapitelle für die Kreuzritterkirche vergraben worden, wohl weil sie vor einem Angriff nicht mehr in der Kirche angebracht werden konnten. Der Schatz von Nazareth war vor dem muslimischen Angriff von 1291 vergraben worden, der das endgültige Ende des Kreuzfahrerstaates auf dem Festland bedeutete.
„Alles, was nicht niet- und nagelfest war, versuchte man zu retten und grub es unter der Geburtskirche ein“, schildert Pater Stéphane das Geschehen in Bethlehem.
Offenbar ging das Wissen um die vergrabenen Schätze im Laufe der Zeit verloren. Erst die archäologischen Erkundungen des 20. Jahrhunderts brachten sie wieder ans Licht. Die Orgelpfeifen wurden nach Jerusalem gebracht und schon in der Vergangenheit im Museum der Flagellatio gezeigt. Man wählte dafür eine orgelähnliche Aufstellung, um dem jüdischen und muslimischen Publikum, dem Orgeln nicht vertraut sind, eine Ahnung zu vermitteln.
Das Königreich Jerusalem, das Kerngebiet der Kreuzritterstaaten, existierte von 1099 bis 1291. Die ersten Kreuzritterstaaten wurden 1098 errichtet. Die letzte Kreuzritterbastion im Nahen Osten fiel 1302. Im Zuge der Kreuzzüge entstandene Randstaaten der Kreuzritter existierten noch bis 1798, der letzte auf Malta.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Custodia.org (Screenshots)
Karte: Google Maps/Giuseppe Nardi