
(Rom) Weihnachten naht und im Vatikan brodelt die Gerüchteküche. Wer wird in Ehren emeritiert, wer entlassen, wer wegbefördert?
Das Hauptinstrument der Interventionen, die Papst Franziskus am Kirchenkörper vornimmt, sind Personalentscheidungen. Das bezeichnendste Beispiel dafür ist seit dem 20. September 2014 die Ernennung von Msgr. Blase Cupich zum Erzbischof von Chicago, dem bedeutendsten Bischofssitz in den USA. 2016 erhob ihn Franziskus auch in den Kardinalsstand.
Kardinal Cupich ist seither der „Mann des Papstes“ in den USA. Kardinal Burke, der unter Papst Benedikt XVI. maßgeblichen Einfluß auf etliche Bischofsernennungen in den USA hatte, wurde zur selben Zeit von Franziskus demontiert und aus dem Vatikan entfernt. Cupich mußte die unter Franziskus gewonnene Machtposition zunächst mit Kardinal Theodore McCarrick teilen, dessen Kreis er entstammt und dem er seinen Karrieresprung zu verdanken hatte. Seit McCarrick im Sommer 2018 nach Enthüllungen der New York Times stürzte, ist Cupich das uneingeschränkte Schwergewicht in der US-Kirche. Wenn er nach Rom reist, stehen Entscheidungen in zwei Richtungen an: Es rollen Köpfe und es werden Pläne der Mehrheit der Amerikanischen Bischofskonferenz zunichtegemacht.
Aus dem McCarrick/Cupich-Kreis berief Franziskus die neuen US-Kardinäle, aus der Mehrheitsgruppe hingegen keinen.
Cupich reiste im Herbst 2018 nach Rom, um die Einrichtung einer unabhängigen Kommission zur Überprüfung von Vorwürfen gegen Bischöfe im Zusammenhang mit dem sexuellen Mißbrauchsskandal durchzuführen. McCarrick war gerade gestürzt und Kardinal Wuerl folgte ihm. Eine unabhängige Kommission schien dem genannten Kreis offensichtlich eine zu große Bedrohung. Auf Cupichs Intervention untersagte Papst Franziskus deren Errichtung, während er zur gleichen Zeit eine solche in Frankreich erlaubte – allerdings mit nicht unumstrittenen Folgen. Cupich zeigte jedenfalls, daß er und nicht die Mehrheit der Amerikanischen Bischofskonferenz den Ton angibt.
Gleiches wiederholte sich in diesem Jahr, als Cupich US-Präsident Joe Biden, die Vorsitzende des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi und andere Abtreibungspolitiker vor der faktischen Exkommunikation bewahrte – wiederum durch einen Besuch in Santa Marta. Das war im April.
Im vergangenen August reiste Cupich erneut nach Rom. Kurz darauf wurden der Sekretär, Msgr. Bruno Marie Duffé, und der argentinische Untersekretär, Don Augusto Zampini, des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen entlassen. Das Dikasterium gehört zu den Neuschöpfungen von Papst Franziskus und wurde von ihm im August 2016 errichtet. Aktiv ist es seit dem 1. Januar 2017. Die Leitung einer Unterabteilung, jener für „Flucht und Migration“, übernahm Franziskus selbst.
Mit der Entlassung von Msgr. Duffé wurde die Don-Bosco-Schwester und Untersekretärin Alessandra Smerilli FMA, Leiterin der Abteilung „Glaube und Entwicklung“, interimistisch zur Sekretärin des Dikasteriums ernannt. Das mediale Interesse bezog sich wegen des Geschlechts erwartungsgemäß auf diese Beauftragung, während die Entfernung des bisherigen Sekretärs und eines Untersekretärs weitgehend unbeachtet blieben.
Nun macht das vorweihnachtliche Gerücht die Runde, auch Kardinal Peter Turkson sei von Franziskus entlassen worden. Kardinal Turkson aus Ghana, den Johannes Paul II. zum Erzbischof von Cape Coast ernannt und zum Kardinal kreiert hatte, war 2009 von Benedikt XVI. als Vorsitzender des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden nach Rom berufen worden. Als solcher fiel er wiederholt durch unerwartet deutliche Wortmeldungen auf, so auch zum Islam. Turkson wird einerseits für seine persönlichen Standpunkte gelobt, andererseits wird ihm zum Vorwurf gemacht, diese zugunsten seiner Karriere bei Bedarf zurückzustellen. So ist er seit Anfang 2017 Kardinalpräfekt des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen, von dem bis heute nicht ganz klar ist, wofür genau es steht.
Als solcher zeigte sich Turkson als treuer Vollstrecker des päpstlichen Willens. Am 11. Dezember wurde Turkson von Franziskus in Audienz empfangen. Seither brodelt die Gerüchteküche, was im Vatikan noch nichts bedeuten muß. Sicher ist, daß Franziskus bei dieser Gelegenheit nicht Turksons sofortigen Rücktritt verlangte, wie gegenüber dem Großmeister des Malteserordens geschehen bzw. Kardinal Gerhard Müller zur Kenntnis gebracht, denn dann wäre dieser bereits offiziell verlautbart worden.
Am 31. Dezember endet allerdings das fünfjährige Mandat, das Franziskus an Turkson übertragen hatte. Seine Verlängerung im Amt gilt nicht als sicher. Allerdings wird der Kardinal aus Afrika erst im Oktober 2023 sein 75. Lebensjahr vollenden. Seine vorzeitige Abberufung würde vor aller Augen sichtbar machen, daß er bei Franziskus in Ungnade gefallen ist. Nach der Emeritierung von Kardinal Robert Sarah gäbe es dann keinen schwarzafrikanischen Dikasterienleiter mehr. Eine weitere Option wäre eine Wegbeförderung.
Noch ist Kardinal Turkson im Amt. Man wird sehen, ob er es am 1. Januar 2022 auch noch sein wird.
Als gesichert gilt, daß Kardinal Cupich nicht nur der Mann ist, der mit Hilfe von Santa Marta innerhalb der US-Kirche den Ton angibt. Seine Stimme hat soviel Gewicht, daß er auch Einfluß auf die personelle Besetzung von Führungspositionen an der Römischen Kurie nehmen kann. Dabei geht es nicht nur um innerkirchliche Gewichtungen und Machtpositionen. Im Zusammenhang mit dem Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen geht es in erster Linie um Politik. Es geht vor allem um die Migration und die universelle Brüderlichkeit, die im Global Compact for Migration und dem Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen von Abu Dhabi ihren Niederschlag gefunden haben. Hinzu kam in jüngster Zeit noch Corona, als neues Instrument der globalen „Transformation“. Der nach dem Cupich-Besuch entlassene Untersekretär Zampini war Leiter der Covid-19-Task-Force des Vatikans. Kurz darauf erließ der Vatikan für das gesamte Staatsgebiet eine 3G-Regel, mit der ein epochaler anthropologischer Paradigmenwechsel vollzogen wurde. Seither ist nicht nur ein Teil der Menschheit und der Gläubigen ausgesperrt, sondern auch das bisher selbstverständliche Konzept des gesunden Menschen wurde abgeschafft.
Die Frage, die man sich nicht nur in katholischen Kreisen der USA stellt: Woher rührt dieser Einfluß eines Mannes, der bis zu seiner Berufung nach Chicago weitgehend unbekannt war und in der Amerikanischen Bischofskonferenz als progressiver Außenseiter galt?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia/Youtube (Screenshot)