(Berlin) Der Radikalumbau der Berliner Hedwigskathedrale geht weiter. An Allerheiligen wandten sich deshalb die Freunde der Hedwigskathedrale e. V. in einem Schreiben an die neue Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz und mahnen die Mitverantwortung der Bischofskonferenz an dem „unnötigen und liturgisch nicht begründbaren Radikalumbau“ an und fordern ihr Tätigwerden „in kritischer Situation“.
Ältester Kirchenbau Berlins seit der Reformation
Die heutige Hedwigskathedrale, damals noch als Pfarrkirche, wurde 1747–1773 nach den Plänen von Georg Wenzel von Knobelsdorff als erster Kirchenneubau in Berlin seit der Reformation errichtet. Die katholische Gemeinde setzte sich damals vor allem aus Schlesiern zusammen, vornehmlich Soldaten, da der Großteil Schlesiens im Siebenjährigen Krieg von Österreich an Preußen abgetreten werden mußte. Deshalb wurde die heilige Hedwig von Andechs zur Patronin, die auch Schutzpatronin Schlesiens ist. Als Rundbau wurde die Kirche dem berühmten Pantheon in Rom, der Kirche Sancta Maria ad Martyres, nachempfunden. Die Kirchweihe erfolgte am 1. November 1773 durch Reichsgraf Ignatius Krasicki, Fürstbischof von Ermland, dem katholischen Teil Ostpreußens.
Die Kirche unterstand zunächst dem Apostolischen Vikariat Ober- und Niedersachsen, dem die wenigen „privilegierten“ katholischen Gemeinden im protestantischen deutschen Norden bzw. die dortigen untergegangenen Bistümer unterstanden. Eines dieser ehemaligen Bistümer war Brandenburg, zu dem Berlin gehört hatte. Es war 948 errichtet worden und 1560 untergegangen. Für Berlin zuständig war ab Ende des 18. Jahrhunderts die Apostolische Delegatur des Fürstbischofs von Breslau. Sitz des fürstbischöflichen Delegaten war die Berliner Hedwigskirche, deren Propst er war.
Mit der Errichtung des Bistums Berlin durch Papst Pius XI. im Jahr 1930 erfolgte die Erhebung der Propsteikirche zur Bischofskirche.
In der Nacht zum 2. März 1943 wurde die Hedwigskathedrale Opfer eines der ersten britischen Luftangriffe auf Berlin. Die Kuppel stürzte ein, auch ein Teil der Kryptadecke. Das Gotteshaus brannte völlig aus. Nur die Außenmauern blieben stehen.
Durch die Aufteilung des Deutschen Reiches und Berlins unter den vier alliierten Siegermächten lag die zerstörte Hedwigskathedrale nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone und damit in Ost-Berlin, der Hauptstadt der 1949 von Moskau errichteten DDR. Im Gegensatz zu anderen Kirchenruinen, die von den kommunistischen Machthabern gesprengt und beseitigt wurden, konnte 1952–1963 der Wiederaufbau der Kathedrale nach den Plänen von Hans Schwippert erfolgen. Durch die wiedererrichtete Kuppel entsprechen die Proportionen des Gesamtbaus einschließlich der Krypta den harmonischen Ausmaßen einer Kugel. Die Altäre von Unterkirche und Oberkirche, die miteinander verbunden waren, bildeten eine Raumvertikale zur Lichtöffnung an der Kuppelspitze. In der Unterkirche befinden sich neben den Gräbern der Berliner Bischöfe auch die Taufkapelle und die Beichtstühle. Sie dient auch dem Gedächtnis der katholischen Märtyrer Berlins in der Zeit des Nationalsozialismus.
Seit 1994 ist Berlin ein Erzbistum, womit Papst Johannes Paul II. der Rolle der neuen Hauptstadt des wiedervereinigten Landes Rechnung trug.
Der „unnötige“ Umbau
2013 begann eine bis heute fortdauernde Leidensgeschichte. Das Erzbistum schrieb einen Architektenwettbewerb aus mit dem Ziel, die liturgische und theologische „Weiterentwicklung“ seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil durch eine bauliche Neugestaltung des Innenraumes zum Ausdruck zu bringen.
2016 stimmte der Diözesanrat mit Dreiviertelmehrheit für das Siegerprojekt, das jedoch „weiter entwickelt“ werden müsse. Der seit 2015 amtierende Erzbischof Heiner Koch unterstützt den Umbau mit Nachdruck. Dazu wurde das Eigentum der Kathedrale, das aus historischen Gründen bei der Dompfarre lag, auf das Erzbistum übertragen. 2016 gab Msgr. Koch seine Entscheidung für den Umbau bekannt. Es solle eine Kathedrale „für das 21. Jahrhundert“ geschaffen werden, die auch Menschen anspreche, „denen christliche Symbole fremd sind“.
Dagegen rührte sich Widerspruch, unter anderem durch den für den Erhalt des Baubestandes eintretenden Verein Freunde der Hedwigskathedrale, der unter dem Vorsitz von Prof. Hans Joachim Meyer von einem „exorbitant kostspieligen“, aber „unnötigen und liturgisch nicht begründbaren Radikalumbau“ spricht. Das Erzbistum selbst bezifferte die Kosten 2016 auf 43 Millionen Euro. Die Freunde der Hedwigskathedrale setzten dem ein Sanierungskonzept unter Erhaltung des Baudenkmals für 4,1 Millionen Euro entgegen.
Prof. Meyer war 1990 unter Lothar de Maizière Minister für Bildung und Wissenschaft der ersten freigewählten und zugleich letzten Regierung der DDR und anschließend bis 2002 Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst. Unter anderem wird vom Verein herausgehoben, daß der Innenraum der nach dem Krieg wiederaufgebauten Kathedrale „das einzige“ Bau- und Kunstwerk aus der Zeit der deutschen Teilung ist, das von Künstlern aus Ost und West gestaltet wurde.
„Mit dem Umbau demonstrieren die heutigen Verantwortlichen des Bistums, dass sie aus dem einzigen Bistum, das bis 1990 Teile aus Ost- und aus Westdeutschland (= Westberlin) umfasste, ein rein westdeutsches Bistum machen wollen.“
„Tragische“ Modernisierung
Die Kritik, so auch durch die Stiftung Denkmalschutz, betrifft vor allem, daß das Projekt keine denkmalgerechte Lösung erkennen läßt. Durch Urheberrechtsklagen von Künstlern und ihren Rechtsnachfolgern, die am Wiederaufbau der Kathedrale beteiligt waren, wurde vergeblich versucht, das Bauvorhaben zu verhindern. Namhafte Kunsthistoriker und andere Sachverständige sprachen sich öffentlich für den Erhalt der ursprünglichen Innengestaltung von Schwippert aus. Die erzbischöfliche Begründung der „Modernisierung“ wurde als „tragisch“ bezeichnet. Insgesamt stößt das Projekt unter Berlins Katholiken auf wenig Gegenliebe. Dennoch hielt Erzbischof Koch daran fest.
Am 31. August 2018 wurde die letzte Messe zelebriert. Seither ist das Gotteshaus geschlossen, obwohl mit den Arbeiten erst im Mai 2020 begonnen wurde. Der Verein Freunde der Hedwigskathedrale hielt zahlreiche „Protestwachen“ vor den verschlossenen Kirchentüren ab und stellte Reste des zertrümmerten Hochaltars aus dem Bauschutt-Container sicher.
Ein Fünftel der Kosten trägt der Bund. In beträchtlichem Ausmaß sind über die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) vor allem die anderen Bistümer beteiligt. An sie richtet sich deshalb das jüngste Schreiben des Vereins Freunde der Hedwigskathedrale mit der Aufforderung, ihre „Mitwirkung an der Destruktion des bedeutsamen Bestands zu überdenken“. Die Angelegenheit Hedwigskathedrale sei für die Bischofskonferenz „nicht erledigt und sollte nochmals aufgegriffen werden“.
Bereits zu einem früheren Zeitpunkt hatten sich die Freunde der Hedwigskathedrale an die Bischofskonferenz, aber auch an alle Diözesanbischöfe einzeln gewandt, doch dort wie auch bei der DBK kein Gehör gefunden. Es hieß entweder, man sei „nicht zuständig“ oder wolle sich nicht in die Angelegenheiten des Erzbistums Berlin „einmischen“. Durch die beachtliche Finanzierung des Umbaus sei diese Einmischung jedoch eine Tatsache, denn sie mache den Radikalumbau erst möglich, argumentieren die Kritiker.
Im Schreiben an das DBK-Generalsekretariat vom Montag wird auch eine empörend empfundene Stellungnahme der Rechtsvertretung des Erzbistums Berlins gegenüber dem Landgericht Berlin vom 28. Juni 2019 zitiert, in der es heißt:
„Es bleibt dabei: Im Zuge des geplanten Umbaus der St.-Hedwigs-Kathedrale wird das streitgegenständliche Gesamtkunstwerk der Urheber vollständig vernichtet.“
Die Freunde der Hedwigskathedrale unter dem Vorsitz von Prof. Meyer lassen jedoch nicht locker. Ihr Schreiben an die neue DBK-Generalsekretärin erfolgte bewußt an Allerheiligen, dem 58. Jahrestag der Altarweihe nach dem Wiederaufbau. Darin heißt es:
„Mitverantwortung verpflichtet zum Tätigwerden in kritischer Situation, die sich in der respektlosen Destruktivität der Baumaßnahmen und dem Festhalten der Verantwortlichen an der ziellosen Banalisierung des Kircheninneren unübersehbar offenbart.“
„Wir erwarten eine kritische Neubewertung der Vorgänge um St. Hedwig und erhoffen dabei Ihre Mitwirkung.“
Text: Andreas Becker
Bild: Freunde der Hedwigskathedrale e. V./Wikicommons (Screenhots)