Von Abbé Claude Barthe, Res Novae
Die Nicht-Annahme des Zweiten Vatikanischen Konzils hat sich konkret auf die Verweigerung der Liturgiereform konzentriert, auch wenn eine gewisse Zahl von praktizierenden Gläubigen der überlieferten Messe ihre Zustimmung zu den „gut interpretierten“ Konzilsinstitutionen betont. Jedenfalls ist die Existenz der traditionellen Liturgie ein anhaltendes und sogar wachsendes Phänomen der fehlenden Akzeptanz. Marginal? Papst Bergoglio, welcher der Papst der vollständigen Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils sein will, ist zu der Überzeugung gelangt, daß das Phänomen so wichtig ist, daß er sich für seine Ausmerzung einsetzen muß. Das hat zur Folge, daß das potentiell Marginalisierte in den Mittelpunkt gerückt ist: Die tridentinische Messe wird als das zu vernichtende Übel gebrandmarkt und die Priesterseminare, die Priester dafür ausbilden, sind als Krebsgeschwüre zu beseitigen. Und das alles unverzüglich.
Eine Rückkehr zur ursprünglichen Gewalt der Liturgiereform
Sie wird also, wie unter Paul VI., erneut verboten. Das Begleitschreiben zu Traditionis custodes benennt unmißverständlich das Ziel des päpstlichen Textes: die „Rückkehr zu einer einheitlichen Zelebrationsform“, zur neuen Liturgie. Die Entscheidung ist brutal und unumstößlich: Der Papst bestimmt sowohl das Ende der überlieferten Messe als auch das Ende der traditionellen Welt, die er anklagt – und sie allein! – die Einheit der Kirche zu gefährden.
Das Vaticanum II: Dessen großer Entwurf – eine Offenheit gegenüber der modernen Welt in ihrer Modernität, um von den Menschen dieser Zeit besser verstanden zu werden – ist eine Art Zwischending zwischen traditioneller Orthodoxie und Heterodoxie (in diesem Fall eines neomodernistischen Relativismus). Die Anwendung einiger zweideutiger Sätze erlaubt es zum Beispiel, zu behaupten, daß ein getrennter Christ als solcher dennoch in einer gewissen Gemeinschaft mit der Kirche stehen kann: Laut Unitatis redintegratio blieb Luther, der glaubte, mit der Kirche des Papstes gebrochen zu haben, in Wirklichkeit ein „unvollkommener“ Katholik (UR, 3).
Seit seiner Wahl bewegt sich Papst Franziskus auf diesem Grat und geht über das Mögliche hinaus: Er verwandelt die Kollegialität in Synodalität, geht mit der Erklärung von Abu Dhabi über Nostra Aetate und das Assisi-Treffen hinaus, aber er hütet sich, die Schwelle zu überschreiten, jenseits derer man abstürzen – oder schneller abstürzen – würde in jene Leere, in die bereits die kühnsten progressiven Theologien gestürzt sind. Wie Paul VI. bleibt er dem kirchlichen Zölibat und dem männlichen Priestertum treu, umgeht aber die traditionelle Ordnung durch den von Papst Montini eröffneten Weg der Laienämter (die Einrichtung von Amtsträgern, die klerikale Funktionen ausüben, ohne Kleriker zu sein, um wahrscheinlich zum Amt der Diakonisse oder sogar des nicht-formalen Vorstehers der Eucharistie zu gelangen) und durch die Übertragung von Quasi-Jurisdiktionsämtern an Laien (immer höhere Positionen in den römischen Dikasterien).
Mit anderen Worten: Franziskus behält genug von der Institution bei, entleert sie aber immer mehr ihrer doktrinären Substanz. Laut seinen Worten reißt er die Mauern ein:
- Humanæ vitæ und eine Reihe von Texten, die auf diese Enzyklika folgten, hatten die Ehemoral vor der Liberalisierung bewahrt, die das Konzil in der Ekklesiologie bewirkt hatte. Amoris laetitia hat diesen Damm eingerissen: Menschen, die im öffentlichen Ehebruch leben, können in ihrem Zustand verbleiben, ohne eine schwere Sünde zu begehen (AL, 301).
- Summorum Pontificum hatte ein Recht auf die Bewahrung der bisherigen Kirche anerkannt, nämlich die überlieferte Liturgie mit der dazugehörigen Katechese und dem damit verbundenen Klerus. Traditionis custodes hat diesen Versuch einer „Rückkehr“ zunichtegemacht: Die neuen liturgischen Bücher sind der einzige Ausdruck der Lex orandi des römischen Ritus (TC, Art. 1).
Tatsache ist, daß der Papst und seine Berater große Risiken eingegangen sind, indem sie diese so eilig verfaßten und gewaltsamen Bestimmungen erließen. Verblüffte Kommentatoren sprechen von einer mangelnden Kenntnis, die der lateinamerikanische Papst vom kirchlichen Terrain des Abendlandes hat. Sie verweisen auf die eklatante Desavouierung des Hauptwerks von Benedikt XVI. Sie zeigen mit dem Finger auf die Widersprüche einer chaotischen Regierung, die jene, die der Tradition „innen“ verbunden sind, zerschlägt, während sie jenen, die ihr „außen“ angehören, wie die FSSPX, Zugeständnisse gewährt, die einer halben Anerkennung gleichkommen. Sie staunen schließlich über die Tatsache, daß man sich, obwohl sich in Deutschland das Feuer des Schismas ausbreitet und überall sorglose Häresie herrscht, in eine liturgische Praxis verbeißt, die sich weder des einen noch des anderen schuldig gemacht hat.
Man kann sich aber vorstellen, daß der Papst und seine Entourage diese Kritik nur mit einem Achselzucken quittieren. Die Rechtfertigung für den repressiven Angriff, den sie entfesselt haben, ist für sie entscheidend: Die tridentinische Messe macht die Existenz einer Kirche in der Kirche sichtbar, weil sie eine Lex orandi ante repräsentiert und daher vorkonziliar ist. Man kann über die Abirrungen der deutschen Kirche hinwegsehen, die schlimmstenfalls zu konziliar sind, aber man könne nicht die überlieferte Liturgie tolerieren, die vorkonziliar ist.
Über das Zweite Vatikanische Konzil und was davon herkommt, wird nicht diskutiert! Auf sehr charakteristische Weise wird im Begleitschreiben zu Traditionis custodes das Konzil für unfehlbar erklärt: Die Liturgiereform geht auf das Zweite Vaticanum zurück; dieses Konzil war eine „feierliche Ausübung der kollegialen Macht“; daran zu zweifeln, daß das Konzil in die Dynamik der Tradition eingefügt ist, bedeutet daher, „am Heiligen Geist selbst zu zweifeln, der die Kirche leitet“.
Eine Repression, die zu spät kommt
Allerdings befinden wir uns im Jahr 2021 und nicht mehr im Jahr 1969, in der Zeit, als frisch und freudig das neue Meßbuch promulgiert wurde, auch nicht mehr im Jahr 1985, der Zeit von „Zur Lage des Glaubens“ und der Synodenversammlung, die bereits eine besorgte Bilanz der Früchte des Zweiten Vatikanischen Konzils zog, und auch nicht mehr im Jahr 2005, als der Ausdruck „Hermeneutik der Erneuerung in der Kontinuität“ wie ein Versuch wirkte, auf mühsame Weise eine Realität wieder zusammensetzen zu wollen, die immer mehr den Händen entglitt. Heute ist es zu spät.
Die kirchliche Institution steht auf der Kippe, die Mission ist erloschen und, zumindest im Westen, verschwindet die Sichtbarkeit von Priestern und Gläubigen. Andrea Riccardi, die Hauptfigur der Gemeinschaft Sant’Egidio, das genaue Gegenteil eines Konservativen, sieht in seinem neuesten Buch „La Chiesa brucia. Crisi e futuro del Cristianesimo“ (Die Kirche brennt. Krise und Zukunft des Christentums) den Brand von Notre-Dame in Paris als Gleichnis für die Situation der Katholizität und analysiert Land für Land dessen Zusammenbruch in Europa. Sein Diskurs ist typisch für den von enttäuschten Bergoglianern, die zu enttäuschten Konzilsanhängern werden.
Wie könnte man sich da wundern, daß Autoren, die viel freier vom kirchlichen Apparat sind als er, Alarm schlagen und nicht zögern, zu benennen, woher das Übel kommt. So der Akademiker Jean-Marie Rouart in „Ce pays des hommes sans Dieu“ (Dieses Land der Menschen ohne Gott), laut dem der Kampf der westlichen Gesellschaft mit dem Islam schon verloren ist und die einzige Möglichkeit, uns zu retten, ein „christliches Aufschrecken“ ist, d. h. eine radikale Umkehr: Die Kirche, so schreibt er, „muß mit dem Äquivalent einer Gegenreformation beginnen, um zur christlichen Erneuerung zurückzukehren, die es ihr im 17. Jahrhundert ermöglichte, einem Protestantismus siegreich entgegenzutreten, der sie in Frage gestellt hatte“. Oder Patrick Buisson in „La fin d’un monde“ (Das Ende einer Welt), der zwei Teile seines großen Werks der Lage der Katholizität widmet: „Le krach de la foi“ (Der Crack des Glaubens) und „Le sacré massacré“ (Das massakrierte Heilige). „Auf eine Weise, die beunruhigend und brutal zugleich ist, wurde der tridentinische Ritus, der vier Jahrhunderte lang der offizielle Ritus der lateinischen Kirche war, über Nacht für unerwünscht erklärt, seine Zelebration verboten und seine Gläubigen verfolgt.“ Die Katholizität wurde verlassen, um „zur Konzilsreligion“ überzugehen.
Außerdem ist 2021 das Kräfteverhältnis zwischen jenen, die „das Konzil gemacht hatten“ und jenen, die es erlitten, ein ganz anderes als in den 70er Jahren. Andrea Riccardi trifft, wie alle anderen auch, diese realistische Feststellung:
„Der Traditionalismus ist in der Kirche eine Realität von einiger Bedeutung, sowohl was die Organisation als auch die Mittel angeht. Obwohl die traditionelle Welt eine Minderheit ist (in Frankreich 8–10 Prozent der Kirchenbesucher), nimmt sie überall zu, insbesondere in den Vereinigten Staaten. Sie ist jung, fruchtbar an Berufungen, in der Lage, die katechetische Weitergabe zu gewährleisten, und attraktiv für den jungen Klerus und die Diözesanseminaristen.“
Der aus Argentinien kommende Papst Bergoglio hat lange gebraucht, um zu begreifen, bis die italienischen Bischöfe und die Prälaten der Kurie ihn auf das unerträgliche Wachstum der traditionellen Welt hingewiesen haben, das umso sichtbarer ist, weil es sich inmitten des allgemeinen Zusammenbruchs vollzieht. Das machte es notwendig, für die entsprechenden „Heilmittel“ zu sorgen, die gleichen, die dem blühenden Priesterseminar von San Rafael in Argentinien, dem Orden der Franziskaner der Immakulata, der Diözese Albenga in Italien, der Diözese San Luis in Argentinien usw. verabreicht wurden.
Für einen „vorwärtsgerichteten“ Ausweg aus der Krise
Trotz alledem ist die Konzilskirche nicht wiederbelebt worden und die Mission wurde noch schwächer. Eine ganze Reihe von Dokumenten hat sich mit der Mission befaßt: Ad Gentes, das Konzilsdekret von 1965, die Ermahnung Evangelii nuntiandi von 1975, die Enzyklika Redemptoris missio von 1990, das Dokument Dialog und Verkündigung von 1991 und die Apostolischen Schreiben, die das Thema der Neuevangelisierung unermüdlich aufgreifen: Ecclesia in Africa, 1995, Ecclesia in America, 1999, Ecclesia in Asia, 1999, Ecclesia in Oceania, 2001, Ecclesia in Europa, 2003. Es wurde ein Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung geschaffen. Die Tagungen haben sich vervielfacht, bei denen von einer Mission gesprochen wird, die sich im Dialog artikulieren muß, und von einer Evangelisierung, die kein Proselytismus sein darf, usw. Noch nie wurde so viel über Mission gesprochen, doch noch nie wurde so wenig bekehrt.
François Mitterrand sagte über den Abbau der Arbeitslosigkeit: „Wir haben alles versucht“. Das gleiche gilt für die Rettung der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Der Versuch einer Maximierung des Konzils durch die Wahl von Papst Bergoglio hat Schiffbruch erlitten, ebenso wie letztlich der Versuch gescheitert ist, man muß es eingestehen, das Konzil durch die Wahl von Papst Ratzinger abzumildern. Braucht es also einen Schritt zurück? Ja, aber in der Art eines Auswegs „nach vorne“.
Es gibt viele, auch unter den ehemaligen Anhängern von Papst Bergoglio, die die brutale Unterdrückung der traditionellen Welt, letztlich allein deshalb, weil sie zu lebendig ist, für nicht vertretbar halten. Kann man sich, mit dem nächsten Pontifikat, eine Schubladisierung von Traditionis custodes vorstellen? Ganz sicher und noch Besseres, wie uns scheint: daß den sogenannten „lebendigen Kräften“ eine Freiheit in der Kirche eingeräumt wird. Im Hinblick auf diese wesentliche Kraft, die die jahrhundertealte Tradition repräsentiert, ist es vernünftig, die Aushandlung eines Kompromisses ins Auge zu fassen, der für die Kirche geeigneter wäre als der Kompromiß von Summorum Pontificum. Das Ziel muß die Beseitigung aller Restriktionen sein, mit anderen Worten, die völlige Freiheit für die überlieferte Liturgie und alles, was dazu gehört. Und das im Namen des gesunden Menschenverstands. So wie einige Bischöfe in der Welt all jenen „lebendigen Kräften“, Gemeinschaften, Gründungen und Werken, die missionarische Früchte tragen, erlaubt haben, sich in ihren Diözesen zu entfalten, so muß auch auf der Ebene der Weltkirche die Zeit kommen, allem, „was funktioniert“, Freiheit zu gewähren.
Summorum Pontificum kann als ein Versuch der Koexistenz von Katholiken, die die Liturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht annehmen, mit einer gemäßigten Konzilswelt analysiert werden. Ein neuer Versuch könnte mit einer Konzilswelt unternommen werden, die anscheinend „liberaler“ ist als jene von Benedikt XVI., die sich jedoch des irreparablen Scheiterns der vor fünfzig Jahren verkündeten Utopie bewußt wird.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL