Moraltheologische Argumente zur Impfung gegen Corona

Der Ausgangspunkt


Am 4. Juni wur­de auf die­ser Sei­te ein Ein­spruch gegen die Stel­lung­nah­me von Prof. Josef Spin­del­böck zur Covid-Imp­fung ver­öf­fent­licht, des­sen Autor Wolf­ram Schrems ist. Die Stel­lung­nah­me von Prof. Spin­del­böck war am 30. Mai auf Kath​.net erschie­nen. Auf Ersu­chen von Prof. Spin­del­böck ver­öf­fent­li­chen wir sei­ne leicht aktua­li­sier­te Stel­lung­nah­me, um im Sin­ne der Fair­neß einen direk­ten Ver­gleich von Stel­lung­nah­me und Ein­spruch zu ermöglichen.

Anzei­ge

Von Prof. Dr. theol. Josef Spindelböck*

Die fol­gen­den Über­le­gun­gen wol­len auf der Grund­la­ge des christ­li­chen Men­schen­bil­des, wie es vom Lehr­amt der Katho­li­schen Kir­che bezeugt wird, Ori­en­tie­rung in einer Fra­ge geben, die vie­le bewegt.

Wer sich gegen eine gefähr­li­che Krank­heit imp­fen lässt, lei­stet grund­sätz­lich einen begrü­ßens­wer­ten Bei­trag für die Erhal­tung der eige­nen Gesund­heit und die ande­rer Men­schen. Frei­lich müs­sen wich­ti­ge Vor­aus­set­zun­gen gege­ben sein:

1. Der Impf­stoff soll wirk­sam sein und zugleich arm an mög­li­chen schwe­ren Neben­wir­kun­gen. Dies ver­langt eine aus­rei­chen­de Zeit für Tests und kli­ni­sche Prü­fun­gen. Die Coro­na-Impf­stof­fe muss­ten unter zeit­li­chem Druck ent­wickelt wer­den, gel­ten aber inzwi­schen als rela­tiv sicher.1 Eine Abwä­gung zwi­schen einem erwar­te­ten gro­ßen Nut­zen und mög­lichst gering zu hal­ten­den mög­li­chen Neben­wir­kun­gen ist nötig. Es ist nach­voll­zieh­bar, dass man ange­sichts der gegen­wär­ti­gen Coro­na-Situa­ti­on nicht län­ger zuwar­ten kann und will: Nur wirk­sa­me Schutz­maß­nah­men für sich selbst und ande­re – zu denen auch die Imp­fung zählt – kön­nen die wei­te­re Aus­brei­tung von Covid-19 so ein­däm­men, dass vie­le vor schwe­ren Krank­heits­ver­läu­fen bewahrt blei­ben und sich das pri­va­te und gesell­schaft­li­che Leben stu­fen­wei­se normalisiert.

2. Die Ent­wick­lung, die Her­stel­lung und die Anwen­dung des jewei­li­gen Impf­stof­fes sol­len mora­lisch ein­wand­frei sein. Lei­der gibt es bei eini­gen Impf­stof­fen einen pro­ble­ma­ti­schen Ursprung in Zell­li­ni­en, die aus abge­trie­be­nen Föten gewon­nen wur­den. Außer­dem wur­den Impf­stof­fe in Zell­kul­tu­ren gete­stet, die aus sol­chen pro­ble­ma­ti­schen Lini­en stam­men.2 Hier kann man für sich selbst sagen, gleich­sam zeug­nis­haft: Da mache ich nicht mit! Das ist zu respek­tie­ren und wird von der Kir­che aner­kannt. Eine sol­ches Nein kann nicht ver­pflich­tend für alle gemacht wer­den. Es gibt Men­schen, die ent­we­der eine bestimm­te Imp­fung benö­ti­gen oder denen eine Imp­fung gesetz­lich vor­ge­schrie­ben oder doch zumin­dest nahe­ge­legt wird. Hier sagt die Kir­che, dass der Geimpf­te nicht für all das ver­ant­wort­lich ist, was bei der Her­stel­lung und den Tests eines Impf­stof­fes viel­leicht an Unmo­ra­li­schem geschieht. Es gibt eine gestuf­te Ver­ant­wor­tung. Wo kei­ne ethisch ein­wand­frei­en Impf­stof­fe zur Ver­fü­gung ste­hen, ist es mora­lisch akzep­ta­bel, auch jene ein­zu­set­zen, bei deren Ent­wick­lung und Pro­duk­ti­on Zell­li­ni­en von huma­nen Feten zum Ein­satz kamen, betont die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on in ihrer Note vom 21.12.2020 als Ant­wort auf Anfra­gen. Sich damit imp­fen zu las­sen, bedeu­tet kei­ne for­mel­le Betei­li­gung an einer Abtrei­bung.3 Zugleich sol­len sich mög­lichst vie­le Men­schen bei Ent­schei­dungs­trä­gern in Poli­tik, Medi­zin und Wirt­schaft für die Her­stel­lung mora­lisch ein­wand­frei­er Impf­stof­fe ein­set­zen und in die­sem Sinn einen posi­ti­ven Ein­fluss auf die Bil­dung der öffent­li­chen Mei­nung nehmen.

3. Imp­fun­gen sol­len grund­sätz­lich frei­wil­lig sein, außer es besteht ein hohes Ansteckungs­ri­si­ko bei einer gefähr­li­chen Krank­heit. Auch ist es mög­lich, bestimm­te Alters- und Risi­ko­grup­pen bevor­zugt zu imp­fen. Wie Papst Fran­zis­kus betont, sol­len wirk­sa­me und zugleich ethisch ein­wand­freie Impf­stof­fe auch den Men­schen ärme­rer Län­der und Regio­nen in aus­rei­chen­der Wei­se zur Ver­fü­gung gestellt wer­den.4

Zuletzt aktua­li­siert am 04.06.2021

*Prof. Dr. theol. Josef Spin­del­böck, Moral­theo­lo­ge und Mit­glied der Nie­der­öster­rei­chi­schen Ethikkommission.


1 Die Risi­ken hal­ten sich in Gren­zen, wenn kei­ne Vor­er­kran­kung oder beson­de­re gesund­heit­li­che Bela­stung besteht; in Zwei­fels­fäl­len ist eine ärzt­li­che Abklä­rung vor der Imp­fung zu emp­feh­len. Die Über­wa­chung der Sicher­heit von Impf­stof­fen und bio­me­di­zi­ni­schen Arz­nei­mit­teln erfolgt in Deutsch­land durch das Paul-Ehr­lich-Insti­tut. In Öster­reich geschieht dies durch das Bun­des­amt für Sicher­heit im Gesund­heits­we­sen. Im Ein­zel­fall ist zu prü­fen, ob Reak­tio­nen in zeit­li­cher Nähe zu einer Imp­fung in einem ursäch­li­chen Zusam­men­hang mit die­ser ste­hen. Offe­ne Fra­gen, auch hin­sicht­lich mög­li­cher Lang­zeit­fol­gen, füh­ren zu Verunsicherungen.

2 Beim mRNA-Impf­stoff der Fir­ma BioNTech/​Pfizer wer­den zur Testung Zell­li­ni­en aus abge­trie­be­nen Föten ver­wen­det, nicht aber zur Pro­duk­ti­on des Impf­stoffs. Bei den Vek­torimpf­stof­fen von Astra­Ze­ne­ca und John­son & John­son wer­den auch für die Pro­duk­ti­on des Impf­stof­fes Zell­li­ni­en uner­laub­ten Ursprungs ver­wen­det. Im Impf­stoff als sol­chem fin­den sich die­se Zel­len nicht mehr. Vgl. Susan­ne Kum­mer, Covid-19-Impf­stof­fe: Ethi­sche Stel­lung­nah­me zu Fra­gen der Her­stel­lung, IMABE, 12.01.2021.

3 “Wenn daher ethisch ein­wand­freie Covid-19-Impf­stof­fe nicht zur Ver­fü­gung ste­hen (z. B. in Län­dern, wo Impf­stof­fe ohne ethi­sche Pro­ble­me den Ärz­ten und Pati­en­ten nicht zugäng­lich gemacht wer­den oder wo ihre Ver­tei­lung auf­grund beson­de­rer Lager- und Trans­port­be­din­gun­gen sich als schwie­ri­ger erweist oder wenn zwar im sel­ben Land ver­schie­de­ne Arten von Impf­stof­fen zur Ver­tei­lung gelan­gen, jedoch es die Gesund­heits­be­hör­den den Bür­gern nicht erlau­ben, jenen Impf­stoff zu wäh­len, mit dem sie geimpft wer­den wol­len), ist es vom sitt­li­chen Stand­punkt aus ver­tret­bar, Covid-19-Impf­stof­fe in Anspruch zu neh­men, bei wel­chen in ihrem Ent­wick­lungs- und Her­stel­lungs­pro­zess Zell­li­ni­en aus abge­trie­be­nen Föten ver­wen­det wor­den sind.“ – Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re, Note bezüg­lich der sitt­li­chen Bewer­tung der Anwen­dung eini­ger Impf­stof­fe gegen Covid-19, 21. Dezem­ber 2020.

4 Vgl. Fran­zis­kus, Anspra­che beim Oster­se­gen „Urbi et Orbi“, 4. April 2021.

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