(München) Das Rücktrittsangebot von Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising, „wäre ja mal eine gute Nachricht“, wie es in einem auf sozialen Netzwerken verbreiteten Kommentar heißt. Bereits am 5. Mai brachten die Augsburger Nachrichten die Rücktrittsforderung an Kardinal Marx ins Spiel, nachdem dieser „Fehler“ im Umgang mit einem des Mißbrauchs beschuldigten Priester eingeräumt hatte. Die Hintergründe der „Operation Rücktritt“ sind jedoch andere.
Wie erst nun bekanntgegeben wurde, übermittelte Kardinal Marx dem Papst bereits am 21. Mai sein Rücktrittsangebot. Dieser traf jedoch bis heute keine Entscheidung. Eile scheint man in Rom damit also nicht zu haben. In seinen inzwischen erfolgten Presseerklärungen sprach er von einer „Mitverantwortung“ an der „Katastrophe des Mißbrauchs“. Eine solche Mitverantwortung gibt es allemal, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene, etwa der, daß Kardinal Marx bisher die Thematisierung der Tatsache verhinderte, daß mindestens 80 Prozent aller pädosexuellen Mißbrauchsfälle homosexueller Art waren.
Weshalb wird es aber zu keinem Rücktritt kommen? Zunächst einmal, weil Kardinal Marx auch der Vertreter Europas im C7-Kardinalsrat, der Papst Franziskus bei der Leitung der Weltkirche und der Reform der Römischen Kurie berät, auch Koordinator des Wirtschaftsrats des Vatikans und Kardinalprotektor des vatikanischen Wirtschaftssekretariats ist.
Gegen einen Rücktritt spricht vor allem die Chronologie. Kardinal Marx reichte am 21. Mai sein Rücktrittsangebot ein und Papst Franziskus entsandte am 28. Mai Apostolische Visitatoren nach Köln, nicht nach München. Eine unabhängige Kommission hatte Kardinal Woelki erst im März von Vorwürfen entlastet, im Umgang mit einem Fall von sexuellem Mißbrauch falsch gehandelt zu haben, und Papst Franziskus stellte ihn wieder unter Generalverdacht – zur Freude radikaler progressiver Kirchenkreise.
Der wirkliche Adressat des Rücktrittsangebots, wofür auch die Medienreaktionen sprechen, scheint Rainer Maria Kardinal Woelki, der Erzbischof von Köln, zu sein. Der Druck auf Kardinal Woelki wurde in den vergangenen Tagen massiv erhöht. Er ist es, der zum Rücktritt gedrängt werden soll. Kardinal Woelki führt seinem Rang nach die Minderheit in der Deutschen Bischofskonferenz an, die sich „pastoralen“ Revolutionen, die sich auf Neomodernismus reimen, entgegenstemmt. Diese Minderheit steht zahlenmäßig, und von Rom im Stich gelassen, auf ziemlich aussichtslosem Posten, ist aber mehr als nur ein Stachel im Fleisch der Mehrheit. Sie verhindert die gewünschte und angestrebte Einhelligkeit in der Bischofskonferenz und in der Öffentlichkeit.
Indem Kardinal Marx seinen Rücktritt anbietet, verschärft er den Druck auf Kardinal Woelki, denn: Wie könne es sein, daß der Erzbischof von München dem Papst seinen Amtsverzicht übermittelt, Kardinal Woelki aber nicht? Wie gesagt, hatte eine unabhängige Kommission den Erzbischof von Köln erst im März entlastet, doch dieses Ergebnis scheint innerkirchlich nicht erwünscht zu sein. Kardinal Marx erklärte nun den Grund, ohne die wirklichen Zusammenhänge offenzulegen. Mit der Bekanntgabe, Franziskus seinen Rücktritt angeboten zu haben, betonte Marx, daß der so umstrittene „Synodale Weg“ der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ganz unabhängig davon, also unter allen Umständen, weiterzugehen habe. Kardinal Woelki ist der ranghöchste Kritiker eben dieses „Synodalen Weges“.
Das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx, mit dem angeblich „denkwürdigen“ Hinweis (Münchner Merkur), die Kirche sei in Deutschland an einem „toten Punkt“ angelangt, ist daher nicht eine Botschaft an Papst Franziskus, sondern an Kardinal Woelki. Dessen Rücktritt soll provoziert werden, um die „synodale“ Agenda, ungestört von Woelkis kritischer Stimme, umsetzen zu können.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Erzbischöfliches Ordinariat München (EOM) / Lennart Preiss