(Rom) Steht die Errichtung einer eigenen Nachrichtenagentur des Heiligen Stuhls bevor? Wird es bald eine Vatican News Agency geben? Diese Vermutung äußerte am 14. April der Vatikanist Andrea Gagliarducci in einem Beitrag für die polnische Presseagentur KAI, den er am Sonntag auf seinem Blog auch in italienischer Sprache veröffentlichte. Gagliarducci sieht darin die Umsetzung des „nächsten Schrittes der vatikanischen Kommunikationsreform“.
Die Idee einer vatikanischen Presseagentur gibt es schon lange. Zumindest seit Mitte der 80er Jahre wurde sie wiederholt von verschiedenen Vatikanisten vorgebracht. Verwirklicht wurde sie bisher nicht. Gagliarducci nennt zwei Gründe, weshalb es diesmal soweit sein könnte.
- Erstens das erklärte Ziel der unter Franziskus begonnenen Reform, das gesamte Spektrum der Kommunikationsmittel abdecken zu wollen, wozu auch eine Presseagentur gehört, ein Bereich, der vom Heiligen Stuhl noch nie abgedeckt wurde.
- Zweitens der Wunsch, mit einem neuen Medienentwicklungsprojekt neue Spender zu gewinnen und insgesamt die Attraktivität der vatikanischen Medien für Spender zu erhöhen.
Den Knackpunkt macht der Vatikanist im zweiten Punkt aus. Die Kommunikationsreform von Papst Franziskus sei bereits „im sechsten Schwangerschaftsjahr“ und weise noch immer eine Reihe von offensichtlichen Schwächen auf. In dieser Zeit gab es eine Reformkommission, dann einen Reformausschuß, wurde ein Kommunikationssekretariat errichtet, das bereits zwei Präfekten erlebte, gab es vier Leiter des vatikanischen Presseamtes und Vatikansprecher, zwei Schriftleiter des Osservatore Romano, zwei Verlagsleiter des Vatikanverlages, und die Liste ist damit noch immer nicht vollständig. Erwähnt sei nur noch die 2018 erfolgte Ernennung von Andrea Tornielli, zuvor Haus- und Hofvatikanist von Papst Franziskus, zum Hauptchefredakteur aller Vatikanmedien mit Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis.
Was wurde erreicht? Verschiedene Medien, die zu unterschiedlichen Zeiten und unter teils besonderen Umständen entstanden sind und nebeneinander existierten – der Osservatore Romano erscheint seit 1861, der Vatikanverlag publiziert seit 1926, Radio Vatikan sendet seit 90 Jahren, das vatikanische Fernsehzentrum CTV wurde 1983 ins Leben gerufen –, wurden als Vatican Media zusammengeführt. Die Devise lautet: Weniger Eigenständigkeit, mehr Koordination.
Das vatikanische Presseamt, das zuvor dem Staatssekretariat unterstand, wurde dem neuen Kommunikationssekretariat unterstellt. Das Staatssekretariat fungiert aber weiterhin als Nachrichtenfilter.
Der Hauptgrund für die Zusammenlegung aller Medien war nicht eine angestrebte Effizienzsteigerung, sondern die Absicht, Kosten einzusparen. Die weltlichen Medien finanzieren sich durch Werbeeinnahmen oder aus dem Steuertopf. Die Medien des Vatikans verfügen über keine Werbeeinnahmen und der Vatikan hebt faktisch keine Steuern ein.
Radio Vatikan mußte den Kurz- und Mittelwellenbereich opfern, obwohl damit die entlegensten Weltgegenden zensurlos erreicht werden konnten. Dafür gibt es nun das Portal Vatican News, das Text‑, Bild- und Tonbeiträge in allen Formaten verbreitet. Im Mittelpunkt der Berichterstattung steht dabei naturgemäß Papst Franziskus.
Kritik läßt Gagliarducci vor allem in der Personalfrage anklingen, wenn er betont, daß diese „mit gesundem Menschenverstand“ gemacht wurde, auch als 1984 mit der Berufung von Joaquin Navarro-Valls eine Professionalisierung einsetzte. Nun aber sei nicht nur Improvisation, sondern „fast gewaltsame Diskontinuität“ zu erkennen.
Der Vatikansprecher sei heute nicht mehr das „Sprachrohr“ des Papstes. Unter Papst Franziskus gibt es für ihn keinen direkten Zugang zu Santa Marta. Diese Gunst gilt anderen. Greg Burke wurde nicht einmal mehr in die Kommunikationskommission der Jugendsynode berufen. Mit dem Wechsel zu Matteo Bruni erfolgte die „Institutionalisierung“ des Rückbaus.
Die doppelte Handbremse
Gagliarduccis Kritik setzt noch an einem anderen Punkt an. Die Ausrichtung von Vatican News folge Marketing-Ideen. Was er damit sagen will, soll mit etwas anderen Worten wiedergegeben werden. Unter dem selbstauferlegten Marketing-Druck leidet, was eigentlich die Stärke sein könnte. „Die Kommunikation der Aktivitäten und des Images des Papstes verflacht.“ Die Fakten werden berichtet, doch ihre Bedeutung nicht ausreichend herausgearbeitet. Genau darin aber läge der Kern dessen, was durch die Öffentlichkeitsarbeit des Heiligen Stuhls zu leisten wäre. Was, wann, wo ist das tägliche Brot einer Heerschar von Medienmachern aller Art. Die Kirche und der Papst haben jedoch eine Mission. Die wirkliche Kommunikation des Vatikans beginnt nach der bloß narrativen Mitteilung eines Ereignisses. Der Kontext und die Zusammenhänge, ihre Einbettung in den Auftrag der Kirche, das macht die Meldung erst zur Nachricht für die Kirche.
Gagliarducci kritisiert, was jeder Vatikanist weiß, aber kaum einer sagt: Die Erneuerung und Umstrukturierung der vatikanischen Medien brachte nicht die erhoffte Transparenz. Im Gegenteil. Unter Franziskus wurde die Kommunikation stark eingeschränkt. Information versteht Santa Marta primär als kontrollierte Information, was leicht mit Propaganda verwechselt werden kann. Der Zugang zu den Synoden wurde abgeschafft und den Synodalen ein Schweigegebot auferlegt. Pressekonferenzen zu den Synoden fanden mit einseitiger Besetzung statt. Manches wird gar nicht mehr kommuniziert und allgemeine Pressekonferenzen werden nur mehr zu Randthemen abgehalten.
„Ein Marketing-Ansatz ist mit einer gewissen Sorge verbunden, die öffentliche Meinung kontrollieren zu wollen, was zu Zurückhaltung und Schweigen führt und dadurch wiederum die Idee nährt, es könnte ein Komplott im Gange sein oder man wolle etwas verbergen.“
Anders ausgedrückt: Die Medienverantwortlichen sind von der Sorge getrieben, etwas zu tun, was Santa Marta mißfallen könnte, und hängen sich lieber selbst einen Maulkorb um. Damit gerät das Preis-Leistungs-Verhältnis trotz der Reformen auf andere Weise erneut in eine unbefriedigende Schieflage. Es ist, als wären gleich zwei Handbremsen gezogen, eine handwerkliche und eine inhaltliche.
Den Planungen und Befürchtungen des vatikanischen Kommunikationsbereichs steht ein Papst gegenüber, der seine ganz eigene Öffentlichkeitsarbeit betreibt und dies tut, ohne irgendwen davon in Kenntnis zu setzen.
Allein in den ersten Monaten 2021 sind zwei Gesprächsbücher mit ihm erschienen, dazu Interviews in Massenblättern wie Vanity Fair und La Gazzetta dello Sport, der auflagenstärksten Sport-Tageszeitung der Welt.
Die Kommunikationsverantwortlichen des Vatikans hinken Papst Franziskus hinterher. Auch nach acht Jahren des Pontifikats und trotz des Umbaus des gesamten Mediensektors ist es nicht gelungen, ein ausgeglichenes Maß zu finden. Vatican News ist nicht zur ersten Quelle für die Journalisten der ganzen Welt geworden, obwohl alle Informationen, Übertragungen, Hintergründe, Interviews exklusiv zur Verfügung stünden oder stehen könnten.
Während Franziskus bereitwillig mit weltlichen Medien spricht, die ihm auch brisante Fragen stellen, die er spontan beantwortet, sind die vatikanischen Medien nur zu Interviews im Stil von Höflingen fähig. Selbst aktuelle und wichtige Fragen werden nicht gestellt, schon gar nicht wird nachgefragt. Diese Form der Hofberichterstattung macht diese Fragen im alten oder neuen Kleid weitgehend wertlos. Vielmehr kündigen die vatikanischen Medien damit indirekt und ungewollt bereits das nächste „wilde“ Interview von Franziskus mit einem weltliche Medium an.
Kann die Schaffung einer eigenen Presseagentur daran etwas ändern?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: vaticanreporting.blogspot.com (Screenshot)