Pius XII. und die Weihnacht 1943

Weihnachten 2020


Papst Pius XII. auf dem Petersdom in Rom.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Weih­nach­ten 1943 war in Rom, das von den Natio­nal­so­zia­li­sten besetzt war, eine der här­te­sten Weih­nach­ten der Kriegs­zeit. Eine Aus­gangs­sper­re war in Kraft und daher die öffent­li­chen Weih­nachts­mes­sen abge­sagt. Pius XII. zele­brier­te nur eine fei­er­li­che Mes­se am Nach­mit­tag des 24. Dezem­ber im Petersdom.

An die­sem Tag hielt der Papst eine Anspra­che vor dem Hei­li­gen Kar­di­nals­kol­le­gi­um und der Römi­schen Prä­la­tur, deren wich­tig­ste Pas­sa­gen wir berich­ten wollen.

Pius XII. erin­nert zunächst an einen Aus­druck, der den Chri­sten kost­bar ist: „Ein Herz und eine Seele“.

„Die­ses ‚cor unum et ani­ma una‘, das die ersten Jün­ger Chri­sti ein­te, war die ent­flamm­te gei­sti­ge Waf­fe der klei­nen Her­de der frü­hen Kir­che, die ohne irdi­sche Mit­tel, allein mit dem Wort, mit selbst­lo­ser Lie­be und mit Opfer­be­reit­schaft, auch des eige­nen Lebens, einen bei­spiel­lo­sen Sie­ges­zug gegen eine feind­se­li­ge Welt begann und voll­ende­te. Gegen die Kräf­te des Wider­stands, des Eifers und der Ver­ach­tung für die Lei­den und den Tod eines sol­chen Her­zens und einer sol­chen See­le ver­moch­ten alle Kün­ste und Angrif­fe der feind­li­chen Mäch­te, die gegen ihre Exi­stenz und Leh­re, gegen ihre Aus­brei­tung und Festi­gung ankämpf­ten, nichts aus­zu­rich­ten, son­dern zer­bra­chen daran.“

„So form­te sich aus der Ver­ei­ni­gung der Her­zen und See­len aller Gläu­bi­gen ein Herz und eine See­le, die sich durch die Ver­brei­tung des Glau­bens im Lau­fe der Zeit auf so vie­le Regio­nen und Völ­ker aus­dehn­ten und immer noch aus­deh­nen. Das ist ein solch schö­nes Band von Her­zen und See­len, das uns aus allen Län­dern und allen Ufern erreicht, und es wird leben­di­ger und erneu­ert sich in der gegen­wär­ti­gen Stun­de gemein­sa­mer Bedräng­nis­se und Anru­fun­gen und gemein­sa­mer Wün­sche und Hoff­nun­gen, belohnt durch die Barm­her­zig­keit des bele­ben­den und hei­li­gen­den gött­li­chen Gei­stes, der die Braut Chri­sti formt und immer in ihrer Ein­heit und Uni­ver­sa­li­tät bewahrt, auch inmit­ten der Umwäl­zun­gen, die die Natio­nen erschüttern.“

Der Papst beschreibt dann den Krieg und sei­ne har­ten Folgen.

„Im Lau­fe die­ses Jah­res ist der Sturm des Krie­ges auch der Ewi­gen Stadt immer näher gekom­men und schwe­re Lei­den haben vie­le Ange­hö­ri­ge unse­rer Diö­ze­se getrof­fen. Nicht weni­ge der Ärm­sten muß­ten mit­an­se­hen, wie ihr Haus durch Luft­an­grif­fe zer­stört wur­de. Ein Hei­lig­tum, das dem christ­li­chen Rom am Her­zen liegt und ein wah­res Juwel einer ehr­wür­di­gen Anti­ke ist, wur­de getrof­fen und erlitt nur schwer wie­der­gut­zu­ma­chen­de Wunden.“

Die Rui­nen, fügt der Papst hin­zu, sind nicht nur mate­ri­el­ler, son­dern auch wirt­schaft­li­cher Natur:

„Wenn die Unter­bre­chung und Läh­mung der nor­ma­len Pro­duk­ti­on des­sen, was für das Leben not­wen­dig ist, mit dem gegen­wär­ti­gen Rhyth­mus fort­schrei­tet, ist zu befürch­ten, daß trotz der sofor­ti­gen Sorg­falt der zustän­di­gen Behör­den das Volk von Rom und ein Groß­teil der ita­lie­ni­schen Bevöl­ke­rung sich in nicht fer­ner Zukunft in einer Armut wie­der­fin­den wer­den, wie es sie in leben­di­ger Erin­ne­rung viel­leicht nie gege­ben hat und von die­sem schon so gezeich­ne­ten Land nie erlit­ten wurde.“

Pius XII. lädt den­noch zu gei­sti­ger und mora­li­scher Ruhe ein:

„Wir emp­feh­len allen, ins­be­son­de­re den Ein­woh­nern Roms, drin­gend, ruhig und gemä­ßigt zu blei­ben und kei­ne vor­schnel­len Hand­lun­gen zu set­zen, die nur noch schwer­wie­gen­de­re Kata­stro­phen ver­ur­sa­chen würden.“

Vor allem, so der Papst, dür­fen wir uns in Schwie­rig­kei­ten nicht ent­mu­ti­gen lassen.

„Inmit­ten sol­cher Unru­hen ver­steht sich, wie ange­mes­sen es ist, daß jeder ent­schlos­sen und mutig in der mora­li­schen Pra­xis des Lebens bleibt, da sich nicht weni­ge Chri­sten, selbst unter denen, die im Dienst der Kir­che und des Hei­lig­tums ste­hen, von der Trau­rig­keit der Zeit, der Bit­ter­keit der Ent­beh­run­gen, den erfor­der­li­chen Anstren­gun­gen und der Ket­te der Ent­täu­schun­gen, die sich immer mehr zuzieht und sie betrifft, über­man­nen las­sen, und das so sehr, daß sie der Gefahr nicht ent­kom­men, den Mut zu ver­lie­ren und jene Fri­sche und Beweg­lich­keit des Gei­stes, jene Robust­heit des Wil­lens, jene Gelas­sen­heit und Freu­de, das zu wagen und zu voll­enden, was man begon­nen hat, zu ver­lie­ren, ohne die eine frucht­ba­re Arbeit des Apo­sto­lats nicht mög­lich ist.“

In der gegen­wär­ti­gen Not, einer Zeit des Krie­ges und des Elends, lädt der Papst „die Schwa­chen, Ent­mu­tig­ten, Müden“ ein, ihren Blick auf die Krip­pe in Beth­le­hem und auf den Erlö­ser zu rich­ten, der die gei­sti­ge und mora­li­sche Erneue­rung der Mensch­heit aus einer bei­spiel­lo­sen Armut her­aus ein­lei­tet, aus einer fast völ­li­gen Tren­nung von der Welt der Mäch­ti­gen der dama­li­gen Zeit her­aus“. Die­se Sicht­wei­se „soll dar­an erin­nern und ermah­nen, daß die Wege des Herrn nicht die Wege sind, die durch das fal­sche Licht einer rein irdi­schen Weis­heit beleuch­tet wer­den, son­dern durch die Strah­len eines Him­mels­sterns, der der mensch­li­chen Klug­heit unbe­kannt ist. Von der Grot­te von Beth­le­hem aus soll­ten sich alle, die sich der Geschich­te der Kir­che zuwen­den, davon über­zeu­gen, was über ihren gött­li­chen Grün­der gesagt wur­de: „Sui eum non rece­perunt“ (Joh 1, 11), „die Sei­nen nah­men ihn nicht auf“. Das ist im Lau­fe der Jahr­hun­der­te das schmerz­haf­te Kleid der Braut Chri­sti geblie­ben. Sie kön­nen sich auch davon über­zeu­gen, daß die Zei­ten des har­ten Kamp­fes mehr­fach groß­ar­ti­ge Sie­ge vor­be­rei­te­ten, die für lan­ge Zeit­räu­me von ent­schei­den­der Bedeu­tung waren.“

Pius XII. wen­det sich dann den groß­zü­gi­gen See­len zu.

„Falls es uns erlaubt ist, in die Visi­on von Got­tes Plä­nen ein­zu­drin­gen, deren Licht die Ver­gan­gen­heit ist, sind die schwie­ri­gen und grau­sa­men Bedin­gun­gen der gegen­wär­ti­gen Stun­de viel­leicht nichts ande­res als der Auf­takt zu neu­en Ent­wick­lun­gen, in denen die Kir­che, die zu allen Völ­kern und für alle Zei­ten gesandt ist, sich neu­en Pflich­ten gegen­über­sieht, die ande­ren Zeit­al­tern unbe­kannt waren und die nur muti­ge und ent­schlos­se­ne See­len erfül­len kön­nen: Her­zen, die kei­ne Angst haben, zu erle­ben, daß sich das Geheim­nis des Kreu­zes des Erlö­sers auf dem irdi­schen Weg der Kir­che wie­der­holt und erneu­ert; die nicht mit den Jün­gern von Emma­us dar­an den­ken, vor der bit­te­ren Wirk­lich­keit durch Flucht zu ent­kom­men; Her­zen, die sich bewußt sind, daß die Sie­ge der Braut Chri­sti, ins­be­son­de­re die letz­ten, in signum cui con­tradice­tur vor­be­rei­tet und erlangt wer­den, das heißt, im „Zei­chen, dem wider­spro­chen wird“, im Gegen­satz also zu allem, was sich die mensch­li­che Mit­tel­mä­ßig­keit und Eitel­keit zur Ver­hin­de­rung des Tri­umphs des Gei­sti­gen und des Gött­li­chen ausdenkt.“

Der Hei­li­ge Vater setzt sei­nen Auf­ruf wie folgt fort:

„Wenn wir heu­te Hil­fe in unse­re Zeit brin­gen sol­len, wenn die Kir­che den Her­um­ir­ren­den und denen, die von den gei­sti­gen und zeit­li­chen Qua­len unse­rer Tage erbit­tert sind, jene Mut­ter sein soll, die hilft, berät, bewahrt und befreit, wie könn­te sie ein sol­ches Bedürf­nis stil­len, wenn sie nicht über eine aci­es ordi­na­ta ver­fü­gen wür­de, die sich aus groß­zü­gi­gen See­len rekru­tiert, die sich über dem lie­ben Anblick des neu­ge­bo­re­nen Kin­des weder fürch­ten noch ver­ges­sen, den Blick auf das Kreuz des Herrn zu erhe­ben, der auf dem Kal­va­ri­en­berg für die Erneue­rung der Welt das Opfer Sei­nes Lebens brach­te, und die das höch­ste Gesetz des Kreu­zes als Stär­ke und Wert in ihrem Leben und Han­deln abbilden?“

Die Wor­te, mit denen Pius XII. sei­ne Weih­nachts­an­spra­che von 1943 abschließt, sind voll Ver­trau­en auf die unfehl­ba­ren gött­li­chen Verheißungen.

„Wir beten für die Mensch­heit, die gefes­selt und gebun­den in den Ket­ten des Irr­tums, des Has­ses und der Zwie­tracht liegt, fast wie in einem von ihr selbst errich­te­ten Gefäng­nis, und wie­der­ho­len die Anru­fung der Kir­che im hei­li­gen Advent:

O cla­vis David et scep­t­rum domus Isra­el; qui ape­ris, et nemo clau­dit; clau­dis, et nemo ape­rit; veni et educ vinc­tum de domo car­ceris, seden­tem in ten­ebris et umbra mortis.

„O Schlüs­sel Davids und Zep­ter des Hau­ses Isra­el; der du öff­nest, und nie­mand kann schlie­ßen; du schließt, und kei­ne Macht ver­mag zu öff­nen; komm und füh­re den Gefan­ge­nen, der in der Fin­ster­nis und im Schat­ten des Todes sitzt, aus dem Gefängnis.“

Die­se Wor­te der Hei­li­gen Schrift schwin­gen auch heu­te mit ihrer bestän­di­gen Kraft mit. Auch heu­te, wie damals, sind wir Gefan­ge­ne der Fin­ster­nis, aber in der Dun­kel­heit set­zen wir all unse­re Hoff­nung auf das Hei­li­ge Kind von Beth­le­hem, auf Sei­ne gött­li­che Mut­ter und auf den hei­li­gen Josef, das Haupt der Hei­li­gen Fami­lie, indem wir sie um die Stär­ke bit­ten, eine wirk­li­che Aci­es ordi­na­ta zu sein, die „cor unum et ani­ma una“ aus Lie­be zur Kir­che und zur christ­li­chen Zivi­li­sa­ti­on kämpft.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017 und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobingen2011.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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1 Kommentar

  1. Man darf nicht ver­ges­sen das es Gott selbst ist der alles umfasst. Sei­ne Grö­ße ist zu unfass­bar fuer den Men­schen. Chri­stus kam um uns mit Gott zu ver­söh­nen und uns den Hei­li­gen Geist zu senden.
    Satan darf mit sei­nen Hel­fern nur des­halb wue­ten weil Gott es noch nicht unter­bun­den hat, erst muss sich die Pro­phe­zei­ung erfüllen.
    Das Weih­nachts­fest ist ein kur­zer Moment des inne­hal­tens um sich Gott zuzu­wen­den, da darf auch der ver­wir­rer nicht stören.
    Deo gra­ti­as und ein geseg­ne­tes Fest.

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