Tradition, unterbrochene Kontinuität und Norm

Konstrukt und Projektion von Tradition


Was ist in den vergangenen 60 Jahren in und mit der Kirche geschehen?
Was ist in den vergangenen 60 Jahren in und mit der Kirche geschehen? Bild: Wappen von Clemens VIII. (1592-1605) im Papstpalast von Viterbo.

Eine Pro­blem­an­zei­ge von Cle­mens Vic­tor Oldendorf.

Anzei­ge

Die­ser Bei­trag ver­steht sich als ein kur­zer Erst­im­puls zur Beschrei­bung eines Pro­blems, das sich mit der „Alten Mes­se“ und dem Milieu, das sich um sie bil­det, stellt. Damit erklärt sich die Knapp­heit und das Skiz­zen­haf­te des Beitrags.

Blickt man in die Zeit unmit­tel­bar nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil und dann ins­be­son­de­re nach der Lit­ur­gie­re­form Pauls VI. zurück, war die Reak­ti­on der Zurück­wei­sung durch­aus von unter­schied­li­chen Moti­ven ange­trie­ben. Gemein­sam war allen Tra­di­tio­na­li­sten der ersten Stun­de das Fest­hal­ten an der „Alten Mes­se“. Bestre­ben war, den ererb­ten katho­li­schen Glau­ben unver­wäs­sert wei­ter­zu­ge­ben und aus ihm zu leben, also Kon­ti­nui­tät zum Vor­he­ri­gen zu wah­ren, den Bruch damit abzulehnen.

Verkürzung und Neuschöpfung von Tradition

Spä­ter war es Bene­dikt XVI., der, auch schon als Kar­di­nal und Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, das Pro­blem der Tra­di­tio­na­li­sten auf die Lit­ur­gie ver­kürz­te und mein­te, es durch Zuge­ständ­nis­se und in wei­te­rer Fol­ge prak­tisch völ­li­ge Frei­ga­be der lit­ur­gi­schen Bücher von 1962 behe­ben zu können.

Im Pon­ti­fi­kat Ratz­in­gers gab es ein Buch über ihn als Theo­lo­gen und Papst, das rich­tig dies Pro­blem erkann­te, an dem aber sonst eigent­lich bloß der Unter­ti­tel gut gelun­gen war: „Die neue Tra­di­ti­on“. Der Kir­chen­hi­sto­ri­ker Hubert Wolf übri­gens fragt neu­er­dings nicht ganz unbe­grün­det, ob die­se nicht schon vom Ersten Vati­ca­num defi­niert wor­den ist.

Wäh­rend bei Ratz­in­ger mit neu­er Tra­di­ti­on sein spe­zi­el­ler her­me­neu­ti­scher Ansatz gemeint sein kann, ergibt die Prä­gung auch für vie­le heu­ti­ge und ver­mut­lich ver­stärkt noch für künf­ti­ge tra­di­ti­ons­treue Katho­li­ken Sinn. Die Kon­ti­nui­tät zu vor­kon­zi­lia­rem Glau­ben und einer groß­kirch­lich getra­ge­nen, ganz natür­li­chen, selbst­ver­ständ­li­chen Glau­bens­pra­xis wur­de unter­bro­chen, und man nimmt Zuflucht zu einem Kon­strukt von Tra­di­ti­on, wozu man viel­leicht eine Strö­mung aus der Zeit­span­ne, die grob von 1870 bis 1950 reicht, her­aus­greift und mit der Tra­di­ti­on gleichsetzt.

Ein Vor­ge­hen, eben­so ein­sei­tig, wie wenn Ratz­in­ger die Anhäng­lich­keit an die lit­ur­gi­sche Über­lie­fe­rung fast aus­schließ­lich als Frucht einer Prä­gung deu­tet, die man­che vor dem Kon­zil aus der Lit­ur­gi­schen Bewe­gung emp­fan­gen hat­ten. Für man­che mag das gel­ten, indes war die­se Bewe­gung selbst so viel­ge­stal­tig und diver­gie­rend, dass sie eben­falls gera­de Begei­ste­rung für die nach­kon­zi­lia­re Lit­ur­gie­re­form wecken konn­te. Ähn­lich war die theo­lo­gi­sche Prä­gung, die der jun­ge Semi­na­rist Mar­cel Lefeb­v­re emp­fan­gen hat­te, nur eine Strö­mung, sogar eine, deren poli­ti­sche Vor­stel­lun­gen und Zie­le mit Ursprung im fran­zö­si­schen Katho­li­zis­mus jener Jah­re von Pius XI. sodann ver­ur­teilt wur­den, auf des­sen Christ­kö­nigs­pro­gramm jedoch sich die Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. so ger­ne beruft. Damit soll all das nicht pau­schal dis­kre­di­tiert wer­den, nur soll nicht das Seg­ment zum Gan­zen, ein Beweg­grund nicht zur ein­zi­gen und umfas­sen­den Begrün­dung erklärt werden.

Konstrukt und Isolation

Wo dies geschieht, droht tat­säch­lich Ideo­lo­gi­sie­rung und die Bil­dung gei­sti­ger und auch grup­pen­mä­ßi­ger Ghet­tos. Und es wie­der­holt sich – abge­wan­delt zwar –  unter katho­li­schen Tra­di­tio­na­li­sten aller Schat­tie­run­gen die unter­bro­che­ne Kon­ti­nui­tät, die man dem Kon­zil vor­wirft oder unter­stellt. Dann näm­lich, wenn in einem sol­chem Mikro­kos­mos der kon­stru­ier­ten Tra­di­ti­on, die sub­stan­ti­ell nichts mehr mit ein­sti­ger Pra­xis der Groß­kir­che zu tun hat – zumal wenn eine Abkopp­lung von der klas­si­schen Theo­lo­gie geschieht oder die­se nicht mehr reflek­tiert ver­stan­den wird (was von Nicht­theo­lo­gen gar nicht zu ver­lan­gen ist) – und wenn die Glau­bens­wei­ter­ga­be nicht bes­ser funk­tio­niert als in ande­ren reli­giö­sen Son­der­grup­pen, wo man häu­fig beob­ach­tet, dass Kin­der und Jugend­li­che spä­te­stens, sobald sie aus den Bestim­mun­gen und dem Ein­fluss des Eltern­hau­ses her­aus­ge­wach­sen sind, sich jeder reli­giö­sen Pra­xis entziehen.

Neue Generationen und die Zukunft der Überlieferung

So kommt es, dass vie­le der seit cir­ca 1990 nach­wach­sen­den Gene­ra­tio­nen von Tra­di­tio­na­li­sten nicht selbst den Hin­ter­grund einer bereits tra­di­ti­ons­treu­en katho­li­schen Fami­lie haben, son­dern prak­tisch Kon­ver­ti­ten sind, Neu­be­kehr­te mit allen Nach­tei­len und Über­trei­bun­gen, die das mit sich brin­gen kann. Das gilt gera­de dann, wenn sie katho­lisch getauft wur­den, denn in der Pra­xis sind vor­kon­zi­li­ar katho­lisch und nach­kon­zi­li­ar katho­lisch längst deut­lich ver­selb­stän­dig­te und von­ein­an­der klar sich unter­schei­den­de Kon­fes­sio­nen.

Das ver­voll­stän­digt sozu­sa­gen das Pro­blem, dass man sich von dem, was denn authen­tisch vor­kon­zi­li­ar katho­lisch ist oder bes­ser gesagt: war, zuneh­mend ein eige­nes Bild kon­stru­iert. Damit gelingt es immer schwie­ri­ger, ech­te Ver­bin­dung mit der Über­lie­fe­rung her­zu­stel­len, zumal die­se nicht mit einem ste­ri­len Reflex der Abkap­se­lung erzielt wer­den kann. Die „Alte Mes­se“ allein genügt dazu jeden­falls nicht, und Sub­stanz kann nicht mit seich­tem Mysti­zis­mus oder strik­tem Mora­lis­mus ersetzt oder wie­der auf­ge­baut wer­den, um abschlie­ßend nur zwei der dro­hen­den Zerr­bil­der des über­lie­fer­ten katho­li­schen Glau­bens, die sich abzeich­nen, exem­pla­risch anzureißen.

Bild: Wiki­com­mons

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