Eine Problemanzeige von Clemens Victor Oldendorf.
Dieser Beitrag versteht sich als ein kurzer Erstimpuls zur Beschreibung eines Problems, das sich mit der „Alten Messe“ und dem Milieu, das sich um sie bildet, stellt. Damit erklärt sich die Knappheit und das Skizzenhafte des Beitrags.
Blickt man in die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dann insbesondere nach der Liturgiereform Pauls VI. zurück, war die Reaktion der Zurückweisung durchaus von unterschiedlichen Motiven angetrieben. Gemeinsam war allen Traditionalisten der ersten Stunde das Festhalten an der „Alten Messe“. Bestreben war, den ererbten katholischen Glauben unverwässert weiterzugeben und aus ihm zu leben, also Kontinuität zum Vorherigen zu wahren, den Bruch damit abzulehnen.
Verkürzung und Neuschöpfung von Tradition
Später war es Benedikt XVI., der, auch schon als Kardinal und Präfekt der Glaubenskongregation, das Problem der Traditionalisten auf die Liturgie verkürzte und meinte, es durch Zugeständnisse und in weiterer Folge praktisch völlige Freigabe der liturgischen Bücher von 1962 beheben zu können.
Im Pontifikat Ratzingers gab es ein Buch über ihn als Theologen und Papst, das richtig dies Problem erkannte, an dem aber sonst eigentlich bloß der Untertitel gut gelungen war: „Die neue Tradition“. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf übrigens fragt neuerdings nicht ganz unbegründet, ob diese nicht schon vom Ersten Vaticanum definiert worden ist.
Während bei Ratzinger mit neuer Tradition sein spezieller hermeneutischer Ansatz gemeint sein kann, ergibt die Prägung auch für viele heutige und vermutlich verstärkt noch für künftige traditionstreue Katholiken Sinn. Die Kontinuität zu vorkonziliarem Glauben und einer großkirchlich getragenen, ganz natürlichen, selbstverständlichen Glaubenspraxis wurde unterbrochen, und man nimmt Zuflucht zu einem Konstrukt von Tradition, wozu man vielleicht eine Strömung aus der Zeitspanne, die grob von 1870 bis 1950 reicht, herausgreift und mit der Tradition gleichsetzt.
Ein Vorgehen, ebenso einseitig, wie wenn Ratzinger die Anhänglichkeit an die liturgische Überlieferung fast ausschließlich als Frucht einer Prägung deutet, die manche vor dem Konzil aus der Liturgischen Bewegung empfangen hatten. Für manche mag das gelten, indes war diese Bewegung selbst so vielgestaltig und divergierend, dass sie ebenfalls gerade Begeisterung für die nachkonziliare Liturgiereform wecken konnte. Ähnlich war die theologische Prägung, die der junge Seminarist Marcel Lefebvre empfangen hatte, nur eine Strömung, sogar eine, deren politische Vorstellungen und Ziele mit Ursprung im französischen Katholizismus jener Jahre von Pius XI. sodann verurteilt wurden, auf dessen Christkönigsprogramm jedoch sich die Priesterbruderschaft St. Pius X. so gerne beruft. Damit soll all das nicht pauschal diskreditiert werden, nur soll nicht das Segment zum Ganzen, ein Beweggrund nicht zur einzigen und umfassenden Begründung erklärt werden.
Konstrukt und Isolation
Wo dies geschieht, droht tatsächlich Ideologisierung und die Bildung geistiger und auch gruppenmäßiger Ghettos. Und es wiederholt sich – abgewandelt zwar – unter katholischen Traditionalisten aller Schattierungen die unterbrochene Kontinuität, die man dem Konzil vorwirft oder unterstellt. Dann nämlich, wenn in einem solchem Mikrokosmos der konstruierten Tradition, die substantiell nichts mehr mit einstiger Praxis der Großkirche zu tun hat – zumal wenn eine Abkopplung von der klassischen Theologie geschieht oder diese nicht mehr reflektiert verstanden wird (was von Nichttheologen gar nicht zu verlangen ist) – und wenn die Glaubensweitergabe nicht besser funktioniert als in anderen religiösen Sondergruppen, wo man häufig beobachtet, dass Kinder und Jugendliche spätestens, sobald sie aus den Bestimmungen und dem Einfluss des Elternhauses herausgewachsen sind, sich jeder religiösen Praxis entziehen.
Neue Generationen und die Zukunft der Überlieferung
So kommt es, dass viele der seit circa 1990 nachwachsenden Generationen von Traditionalisten nicht selbst den Hintergrund einer bereits traditionstreuen katholischen Familie haben, sondern praktisch Konvertiten sind, Neubekehrte mit allen Nachteilen und Übertreibungen, die das mit sich bringen kann. Das gilt gerade dann, wenn sie katholisch getauft wurden, denn in der Praxis sind vorkonziliar katholisch und nachkonziliar katholisch längst deutlich verselbständigte und voneinander klar sich unterscheidende Konfessionen.
Das vervollständigt sozusagen das Problem, dass man sich von dem, was denn authentisch vorkonziliar katholisch ist oder besser gesagt: war, zunehmend ein eigenes Bild konstruiert. Damit gelingt es immer schwieriger, echte Verbindung mit der Überlieferung herzustellen, zumal diese nicht mit einem sterilen Reflex der Abkapselung erzielt werden kann. Die „Alte Messe“ allein genügt dazu jedenfalls nicht, und Substanz kann nicht mit seichtem Mystizismus oder striktem Moralismus ersetzt oder wieder aufgebaut werden, um abschließend nur zwei der drohenden Zerrbilder des überlieferten katholischen Glaubens, die sich abzeichnen, exemplarisch anzureißen.
Bild: Wikicommons