
Der Verlag Solfanelli veröffentlichte vor wenigen Wochen mit „L’isola misteriosa“ (Die geheimnisvolle Insel) das neue Buch des Historikers und katholischen Intellektuellen Roberto de Mattei, der damit einen weiteren gelungenen Ausflug in die Belletristik unternimmt. Wie bereits die „Trilogia romana“ (Römische Trilogie) desselben Autors enthält auch der neue Band drei Erzählungen, die miteinander verwoben sind. Sie bieten ein facettenreiches Bild von Sizilien, der ursprünglichen Heimat der Barone de Mattei, weshalb Elemente der Familiengeschichte einen wesentlichen Baustein bilden, ohne dies direkt sichtbar zu machen. Im Nuovo Arengario besprach Emilio Biagini das Buch.
Die geheimnisvolle Insel
Von Emilio Biagini
Drei miteinander verbundene Geschichten erschaffen ein Fresko des sizilianischen Lebens und der sizilianischen Kultur vor und nach dem Erdbeben von Messina vom 28. Dezember 1908 und sind nicht nur für Sizilien, sondern für ganz Italien von Bedeutung und für Europa von Interesse. Die Protagonisten sind historische Persönlichkeiten wie Annibale Maria di Francia, Sir Alexander Nelson Hood und ein Hygieneprofessor aus Catania, Witwer von Maria Sciuto-Patti, dessen Namen der Autor nie nennt, an den er sich aber herzlich erinnert. In der Seele des Professors existierten zwei gegensätzliche Welten: der Positivismus des neuen, geeinten Italiens, der in der Wissenschaft das Instrument des irreversiblen Fortschritts sah, und das zutiefst katholische Klima, das er durch die Familie seiner Frau kennengelernt hatte, an die er sich nach ihrem frühen Tod noch enger band.
Am Vorabend des Erdbebens löst sich dieses kulturelle Dilemma durch die Dialoge der Figuren beim sonntäglichen Mittagessen im Palazzo Asmundo des Erzbischofs von Catania, Giuseppe Kardinal Francica-Nava de Bondifè, auf: Freimaurerei gegen Katholizismus. Das freimaurerische Ziel ist das satanische: die Zerstörung der Familie. Zu diesem Zweck wollen die Freimaurer das Bildungswesen in die Hand bekommen. Die Freimaurerei ist ein Staat im Staat mit eigenen Gesetzen und der Anwendung der Todesstrafe. Die Mafia tut dasselbe und steht der Freimaurerei näher, als man denken würde.
Kraftvoll ist die Erzählung des Erdbebens und furchtbar der Brief des Professors an seinen Schwager, den Ingenieur Salvatore Sciuto-Patti, der eine dramatische und teils schreckliche Schilderung der zerstörten Stadt enthält. Bürgermeister Gaetano D’Arrigo hatte allen Grund, sich über die verspätete Hilfeleistung zu beklagen, aber der König entließ ihn und nützte dazu den Umstand, daß der Bürgermeister in verständlicher Panik aus der Stadt geflohen und einen Tag lang nicht erreichbar war. Präfekt Adriano Trinchieri hatte nicht gezögert, den König darüber zu informieren, mit vorhersehbaren katastrophalen Folgen für die politische Karriere des Bürgermeisters.
Ein Geschwader der russischen Kriegsmarine spielte bei den Rettungsaktionen eine unschätzbare und lobenswerte Rolle. Der russische Admiral Wladimir Ponomarew befahl, ohne auf Erlaubnis von oben zu warten, dem unter seinem Kommando stehenden Verband, zwei Schlachtschiffen und zwei Kreuzern, die im Hafen von Augusta vor Anker lagen, sofort nach Messina aufzubrechen, um der betroffene Bevölkerung zu Hilfe zu kommen. Sechs Tage lang waren die russischen Matrosen und Marinesoldaten die einzigen, die den Verletzten eine erste Hilfe brachten und in den Trümmern nach Vermißten suchten. Sie befreiten Hunderte von Verschütteten, transportierten etwa dreitausend Verwundete in die Krankenhäuser von Palermo, verteilten Lebensmittel und Kleidung an die Überlebenden und hielten die öffentliche Ordnung aufrecht. In Messina werden sie noch heute als „die russischen Engel“ bezeichnet. Die italienische Marine der Savoyer traf erst sechs Tage später ein und übernahm mit beschämender Verspätung das Kommando über die Rettungsaktion.
Der Hochmut
Das Klima im damaligen hohen Klerus von Messina skizziert das zweite Gespräch, das zwischen Monsignore Letterio D’Arrigo Ramondini, Erzbischof von Messina, und dem Piemonteser Don Luigi Orione stattfand, der am 25. Juni 1909 durch den Willen von Pius X. das Amt eines päpstlichen Vikars in Messina angetreten hatte, was vom Erzbischof keineswegs gut aufgenommen wurde. Er behandelt Don Orione barsch, der auf die lieblosen und unhöflichen Äußerungen des Prälaten mit dem Hinweis reagiert, der Heilige Vater sei in Sorge wegen des Eindringens der Modernisten in Messina nach dem Erdbeben.

In Messina stieß Don Orione auf Fallstricke aller Art, einschließlich eines kriminellen Friseurs, der ihm Syphilis zu impfen versuchte, um ihn zu diskreditieren. Aber nach weniger als einer Woche hatten die Gebete des heiligen Priesters seine Heilung erwirkt. Geht das Attentat auf die Freimaurerei zurück? Don Orione vermutet vielmehr den Klerus selbst und zwar die Kreise, die unmittelbar dem Erzbischof nahestehen.
Nach einer langen und feindseligen Diskussion, in der die Hochmütigkeit und die mangelnde Nächstenliebe des hohen Prälaten zum Ausdruck kommen, entläßt der Erzbischof Don Orione mit Drohungen und empfängt den Kanonikus Annibale Maria di Francia, dem er sofort Vorhaltungen macht, weil er vom Erdbeben als Strafe Gottes gesprochen hatte. Die Antwort des Kanonikus ist erhellend.
„Die Sünden der Völker wecken den Zorn Gottes, der mit dem Schwert seiner Gerechtigkeit die Menschheit mit Geißeln straft, d. h. mit blutigen Kriegen, mit Erdbeben und mit tödlichen Krankheiten.“
Der Erzbischof, der nur auf das Äußere achtet, verweist stolz auf die vollen Kirchen und die Tatsache, daß „sehr viele Menschen zu den Predigten kommen“, aber der heilige Kanonikus zerlegt diese Darstellung sofort:
„Die Bewohner von Messina füllten die Kirchen, aber ein armer, alter Mann mit einer Glocke in der Hand ging zwei Tage vor dem Erdbeben durch die Straßen unserer Stadt: Vor jeder Tür klingelte er und sagte: ‚Meine Herrschaften, beten Sie, beten Sie, denn es wird eine große Strafe kommen‘.“
Und mit einem spirituellen Flügelschlag öffnet er eine unerwartete Perspektive auf die Katastrophe:
„Wenn wir für einen Augenblick die Geheimnisse der Gnade und Barmherzigkeit wissen könnten, wie wir sie in der Ewigkeit vollständig wissen werden, die sich unter den Trümmern des schrecklichen Erdbebens entfaltet haben, unter den Opfern der göttlichen Gerechtigkeit und der unendlichen Barmherzigkeit des verehrungswürdigen Herzens Jesu, würden wir zutiefst von heiligem Staunen ergriffen! Wer kann sagen, wie viele Seelen in diesen Momenten besondere Reue und Zerknirschung zeigten? Und wie viele Seelen wurden gerettet, die ohne diese schreckliche Geißel verlorengegangen wären!“
Von solchen übernatürlichen Perspektiven überhaupt nicht berührt, beschuldigt der giftende Prälat den Heiligen, von der „angeblichen Seherin von La Salette“ beeinflußt zu sein. Nachdem di Francia die komplexen Umstände geschildert hatte, die die Seherin Mélanie Calvat nach Messina und schließlich nach Altamura in Apulien gebracht hatten, zitiert er dem schwer irritierten Prälaten, der keine Kritik duldet, die schreckliche Botschaft von La Salette:
„Die Priester, Diener meines Sohnes, mit ihrem schlechten Lebenswandel und ihrer Respektlosigkeit bei der Feier der heiligen Geheimnisse, mit ihrer Liebe zu Geld und Vergnügen, sind zur Jauchengrube der Unreinheiten geworden. Ja, die Priester provozieren die Rache, und die Rache schwebt über ihren Köpfen. Wehe den Priestern und gottgeweihten Menschen, die mit ihrer Untreue und ihrem schlechten Leben meinen Sohn erneut kreuzigen! Die Sünden der gottgeweihten Menschen schreien zum Himmel und verlangen nach Rache. Es gibt keine großzügigen Seelen mehr, es gibt niemanden mehr, der es wert ist, das makellose Opfer dem Ewigen zugunsten der Welt anzubieten.“
Der Erzbischof, ein perfektes Beispiel für einen verweltlichten Prälaten, der gegenüber himmlischen Warnungen taub, anmaßend und autoritär ist, beendet das Gespräch, indem er dem heiligen Kanonikus droht. Nachdem di Francia die Höhle des Unholds verlassen hatte, beurteilte er den Erzbischof auf die Frage von Don Orione nicht als „fitusu“, wie die Sizilianer sagen, sondern meinte vielmehr, daß er kein „schlechter Mensch“ sei, ihm aber „innerer Geist“ fehle, „insbesondere in Bezug auf die Beziehung zur Demut des Herzens“. Was liebenswürdig klingt, ist in Wirklichkeit für einen einfachen Gläubigen schon ernst. Für einen Seelenhirten, insbesondere der hohen Hierarchie, ist es gleichbedeutend mit einem vernichtenden Urteil.
Das Arsen-Attentat
Der Autor führt uns dann zu einer Begegnung zwischen Prinzessin Maria Cristina Giustiniani Bandini, der unermüdlichen treibenden Kraft beim Aufbau der Organisation der katholischen Frauen, und der jungen Angelina Auteri. Später erlitten Donna Angelina (die Vorsitzende der katholischen Frauenbewegung wurde), ihr Ehemann und einige ihrer Gäste ein schweres Arsen-Attentat (das für zwei der Gäste tödlich war). Die öffentliche Meinung sah in den Freimaurern die Anstifter des Verbrechens.
Während nach dem Erdbeben auf katholischer Seite darüber diskutiert wird, wie die Wahrheit und das Gute zum Sieg geführt werden können, sind auch die Vertreter des Feindes, die nichts aus der heilsamen göttlichen Bestrafung gelernt haben, am Werk. Herzog Antonio Colonna di Cesarò und der Anwalt Luigi Fulci diskutieren am Ende eines Abendessens unter Freimaurern über das, wovon alle Feinde der Wahrheit besessen sind: Wie kann die Kirche zerstört werden? Der Herzog bemerkt mit offensichtlicher Befriedigung, daß sich in der Kirche selbst der Abgrund des Modernismus aufgetan hat, mit dem sich die Freimaurerei in einer säkularen und dogmenlosen, esoterischen und magischen Spiritualität verständigen könne. Fulci sagt, er glaube „an den Willen des Menschen zur Macht“ (sic) und fährt fort:
„Das magische Handeln ermöglicht es uns, einen außerordentlichen Einfluß auf die psychischen Energien der Gesellschaft auszuüben.“
In der Tat kann der Atheismus nicht gewinnen. Es ist zu offensichtlich, daß es eine Gottheit geben muß, aber die Agenten des Bösen zielen geschickt auf etwas anderes ab, auf eine gefälschte Religiosität, die anscheinend die spirituellen Bestrebungen des Menschen befriedigt und ihn mehr oder weniger unabsichtlich dazu bringt, den Feind anzubeten.
Treues Sizilien
Die letzte Geschichte mit dem aussagekräftigen Titel „Treues Sizilien“ beginnt mit einer Rede des Professors an der Universität von Catania, die mit den Worten schließt:
„Der moderne Mensch ist, wenn er nicht krank ist, depressiv, besorgt, hat sein Lächeln, das Aroma der Existenz, verloren und die Quelle der spontanen Fröhlichkeit ausgetrocknet. Warum rennt dieser Mensch so schnell auf der Straße, wenn ihn am Ende der zurückgelegten Strecke plötzlich die eisige Wahrheit des unvermeidlichen Fatums erwartet?“
Es folgt eine interessante Konversation im Salon von Sir Alexander Nelson Hood, in der die Tragödie Siziliens und des gesamten italienischen Südens wirklichkeitsnah illustriert wird. In dieses Gebiet, das Königreich Beider Sizilien, war die napoleonische Soldateska eingedrungen, und es wurde von der beschämenden englischen Arroganz tödlich beleidigt wie im Fall der willkürlichen Hinrichtung von Admiral Francesco Caracciolo, des Herzogs von Brienza. Dann wurde es von den Savoyern durch den zwielichtigen Abenteurer Garibaldi, der ständig von England unterstützt wurde, brutal annektiert und ausgeplündert.
Die Erzählung endet in Taormina mit dem aufschlußreichen Gespräch zwischen dem Professor und dem Kanonikus di Francia, der dem bisher meisterhaft skizzierten Bild noch wichtige Schattierungen hinzufügt:
„Die Mafia ist die Entartung des ritterlichen Charakters unseres Volkes, das zwischen den Höhen der Heiligkeit und den Abgründen des Verbrechens schwankt. “
Die Seele Siziliens ist die Treue.
Viele Nationen haben den Glauben verloren, nicht aber Sizilien, das „nie den Glauben verlor, den es von den drei Bischöfen empfing, die der heilige Petrus auf die Insel geschickt hatte, bevor er Antiochien Richtung Rom verließ: den heiligen Berillus nach Catania, den heiligen Marcianus nach Syrakus und den heilige Pankratius nach Taormina. Zu diesen Namen sind jene der heiligen Märtyrerinnen Rosalia in Palermo, Agatha in Catania und Lucia in Syrakus hinzuzufügen. Sizilien ist auch das Land der fünf heiligen Päpste: Agatho, Leo II., Konon, Sergius I. und Stephan IV.“
Zu Ehren des heiligen Agatho ist die Tatsache zu bemerken, daß er anläßlich des Dritten Konzils von Konstantinopel (680–681) nicht zögerte, seinen Vorgänger Honorius I., der in die monothelitische Häresie gefallen war, zu exkommunizieren und mit dem Bann zu belegen.
Denkwürdig ist auch folgende Beschreibung:
„Das wahre Sizilien ist weder das byzantinische noch das arabische oder staufische, sondern das normannische, das die königliche Investitur von Papst Urban II. erhielt und auf den Schlachtfeldern der Kreuzzüge kämpfte. Im Jahr 1571 war La Capitana di Sicilia*, eine außergewöhnliche Galeasse, eine Mischung aus Ruder- und Segelschiff, die unter dem Kommando von Giovanni Antonio Folch de Cardona aus Palermo stand, der den rechten christlichen Flügel in der Schlacht von Lepanto befehligte, in der sich das Schicksal des Christentums entschied.“
Schließlich ist der Kontrast zwischen dem gesunden Glauben an die Vorsehung und dem kranken und trügerischen Glauben an den Fortschritt von großer Bedeutung.
„Jenen, die eine Unumkehrbarkeit des Fortschritts verkünden, widersetzt sich die Kirche, aber auch die historische Erfahrung, durch den Verweis auf die Möglichkeit des Niedergangs. Die Dekadenz kann wie im Römischen Reich zu einer Katastrophe führen. Die Zivilisationen, Herr Professor, sind sterblich. Nur die Kirche ist unsterblich, ihr Wort überragt die Geschichte und urteilt über sie.“
Dieses großartige Werk sollte in keiner Bibliothek derer fehlen, die die Welt und den unaufhörlichen Kampf zwischen Gut und Böse, der dort stattfindet, verstehen wollen. Es werden sehr wichtige Aspekte der italienischen Geschichte und der Kirche deutlich, die ein Licht auf die Krise der heutigen Welt werfen. Professor de Mattei tritt uns mit diesem Buch nicht nur als angesehener Historiker, sondern auch als Schriftsteller entgegen, der in der Lage ist, einem faszinierenden historischen Bild eine literarisch-narrative Form von edler Qualität zu verleihen.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
- Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Corrispondenza Romana
*La Capitana di Sicilia war eine außergewöhnliche Galeasse, eine Mischung aus Ruder- und Segelschiff, die im Gegensatz zu den meisten Galeeren über 29 Ruder je Längsseite verfügte und das Flaggschiff des 1130 ausgerufenen Königreichs Sizilien war, das aus der 1071 von den Normannen errichteten Grafschaft Sizilien hervorging. Das Königreich Sizilien war seit 1442 bzw. endgültig ab 1468 mit dem Königreich Neapel in Personalunion verbunden und wurde seit 1516 von den Habsburgern, dem Haus Österreich (Casa d’Austria), regiert.