(Rom) P. Antonio Spadaro SJ, einer der engsten Vertrauten von Papst Franziskus und Schriftleiter der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica, liefert eine offiziöse Lesart der Radikalmaßnahmen wegen des Coronavirus, mit denen das sakramentale Leben der Gläubigen in einem nie dagewesenen Ausmaß abgewürgt wurde. Im Leitartikel „Pandemie und Kultusfreiheit“ der neuen Ausgabe der Zeitschrift (Heft 4078), die am Samstag erscheinen wird, betont Spadaro, daß die monatelange Aussetzung der Messe „keine religiöse Verfolgung“ sei, denn die Kirche war „nie geschlossen“.
Es ist Intention des Artikels, der kurz vor der Wiederzulassung öffentlicher Gottesdienste in Italien erscheint, die ab 18. Mai gilt, die in der Coronakrise fast bis zur Selbstaufgabe getriebene Allianz zwischen Staat und Kirche zu verteidigen, wobei der Kirche die wenig angemessene Rolle eines Staatsknechtes zukam.
Das Verbot von religiösen Zelebrationen werde „normalerweise“ als „Diskriminierung oder gar Verfolgung“ verstanden, gibt Spadaro zu verstehen. Im aktuellen Fall treffe das aber nicht zu, so Spadaro. Die römische Jesuitenzeitschrift erscheint stets mit ausdrücklicher Druckerlaubnis des vatikanischen Staatssekretariats, wobei Papst Franziskus bei Artikeln zu Themen, die ihm wichtig sind, die Aufgabe des Zensors im Gegensatz zu seinen Vorgängern persönlich übernimmt.
Die Druckerlaubnis bestätigt, daß es sich bei der Lesart Spadaros um jene des Heiligen Stuhls handelt. Spadaro wird noch deutlicher: „Dies scheint nicht die Zeit zu sein, sich auf einen mißverstandenen ‚zivilen Ungehorsam‘ zu berufen.“
Der Papstvertraute will damit sagen:
„Die derzeitigen Beschränkungen sind aus menschenrechtlicher Sicht legal und akzeptabel. Wir sind der Ansicht, daß der Schutz der Schwachen und Verletzlichen auch aus religiöser Sicht einen sehr hohen Stellenwert hat und daher mit dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und Aggregation in Einklang gebracht werden muß. Die Maßnahmen zielen darauf ab, das menschliche Leben sowohl für Gläubige als auch für andere Mitglieder der Gesellschaft zu schützen. deshalb ist es wichtig zu erkennen, daß das Verbot von Versammlungen, einschließlich religiöser Feiern, im Normalfall nicht als religiöse Diskriminierung oder gar Verfolgung verstanden werden sollte.“
Die offizielle, wenn auch nur offiziös vorgetragene Lesart des Heiligen Stuhls zu den Radikalmaßnahmen von weltlichen und kirchlichen Autoritäten unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem aufsehenerregenden Aufruf Veritas liberabit vos einer Gruppe namhafter Kardinäle, Bischöfe und Intellektuellen, darunter der ehemalige Präfekt der römischen Glaubenskongregation, Gerhard Kardinal Müller. Sie brachten darin ihre Sorge über die radikalen Einschränkungen zum Ausdruck, tadelten das unkritische, ja propagandistische Verhalten vieler Massenmedien und äußerten die Befürchtung, das Coronavirus könnte bestimmten Kräften zum Vorwand dienen, um über die Etablierung einer Weltregierung nach der Weltherrschaft zu greifen.
Spadaro erwähnt den Aufruf nicht. Zu weit sind die Positionen voneinander entfernt, zu sehr will der Vatikan nicht mit einer solchen Kritik in Verbindung gebracht werden. In den vergangenen Jahren wurde viel Zeit und Energie aufgebracht, um eben diesen Kräften, die im Aufruf gemeint sind, näherzukommen. Daher will das offizielle Rom nicht einmal durch die Erwähnung der in Veritas liberabit vos benannten Sorgen und Bedenken diesen Vorschub leisten. Ihre Wirkung auf das Volk wird gefürchtet. Spadaro bevorzugt daher ihr Totschweigen.
Auch er nennt allerdings Kriterien für die wegen des Coronavirus verhängten Einschränkungen:
„Alle Beschränkungen der Grundrechte müssen jedoch eine Rechtsgrundlage haben, notwendig, angemessen und im Allgemeinen verhältnismäßig in Bezug auf den Zweck sein, dem sie dienen, und das Gesetz, das sie einschränken. Die Bedrohung durch Covid-19, so ernst sie auch sein mag, befreit Regierungen und Parlamente nicht von diesen Anforderungen.“
Einer näheren Prüfung, ob diese Kriterien eingehalten wurden und werden, unterzieht der Schriftleiter der Civiltà Cattolica die staatlichen Maßnahmen allerdings nur bedingt, und wo er es tut, erfolgt dies zustimmend. Angesichts der Vielzahl der von den einzelnen Regierungen gesetzten Schritte wäre eine umfassende Erörterung auch schwierig. Eine Reihe von Maßnahmen ähneln sich jedoch, so wie die ausgegebenen Parolen weitgehend deckungsgleich, ja identisch sind. Was eine gemeinsame Handschrift nahelegt. Eine zusammenfassende Bewertung wäre daher durchaus denkbar. Wenn Spadaro keinen Versuch dazu unternimmt, bestätigt dies die zustimmende Grundintention des Leitartikels.
Der Leiter der römischen Jesuitenredaktion geht stattdessen auf die Maßnahmen zur Einschränkung der Religionsfreiheit ein, die in Italien zuletzt für erhebliche Unruhe sorgten. Zunächst hatte die Regierung im Zuge der sogenannten „Phase 2“ ab dem 4. Mai auch die Wiederzulassung öffentlicher Gottesdienste in Aussicht gestellt, dann aber kategorisch ausgeschlossen. Papst Franziskus mußte intervenieren, um den Unmut der Bischöfe zu beruhigen. Die Regierung stellte darauf die Wiederzulassung für Ende Mai in Aussicht, dann einigte man sich auf den 18. Mai.
Darauf geht auch Spadaro ein:
Stimmen der „verschiedenen Religionsgemeinschaften“ hätten sich gefragt, „ob alle Maßnahmen der Sperrung verhältnismäßig waren. Aufgrund der Dringlichkeit und Gefahr mußten die Regierungen andererseits kurzfristig sehr ernsthafte und weitreichende Entscheidungen treffen, was sie in Bezug auf die Verantwortung enorm belastete.“ Eine Anspielung darauf, daß beispielsweise in Italien die Corona-Maßnahmen von der Regierung mit bloßem Dekret des Ministerpräsidenten, aber ohne Gesetz erlassen wurden. Formalrechtlich betrachtet wurde mit bloßem Verwaltungsakt ein ganzes Land lahmgelegt und ein 60-Millionen-Volk in staatliche Geiselhaft genommen. Das sagt Spadaro nicht, der Verweis auf den „Verwaltungsakt“ läßt es aber zumindest anklingen.
Verteidigung staatlicher Maßnahmen
Grundsätzlich verteidigt er in seinem Leitartikel jedoch die getroffenen Radikalmaßnahmen:
Die Gesellschaft müsse sich „bewußt sein, daß die gegenwärtigen Beschränkungen hauptsächlich dem moralischen Gebot des Schutzes des menschlichen Lebens dienen und nicht für andere politische Zwecke verwendet werden.“ So seien sie zu verstehen und Ausnahmen seien eben Ausnahmen: „Außer in einigen bedauerlichen Fällen“.
Die grundsätzliche Zustimmung und moralische Legitimierung der staatlichen Zwangsmaßnahmen bildet den roten Faden des Leitartikels:
„Wenn es in demokratischen Staaten auch immer notwendig ist, staatliche Maßnahmen genau zu hinterfragen und zu überwachen, insbesondere wenn sie die Grundrechte einschränken, scheint dies nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, sich auf einen mißverstandenen ‚zivilen Ungehorsam‘ zu berufen.“
Schließlich folgt der kirchliche Persilschein:
„Die Angaben der Gesundheitsbehörde zu unterschätzen, würde bedeuten, unverantwortlich zu sein.“
Dazu unterbleibt ein kritisches Hinterfragen von Bedeutung, Risiko und Ausmaß der Corona-Bedrohung. Keine Bedenken äußert Spadaro auch zur irreführenden Panikmache durch Regierungsvertreter, Experten und Medien, beispielsweise, indem Corona-positiv getestete Personen wiederholt als „Erkrankte“ bezeichnet werden, obwohl alle bisherigen Erhebungen zeigen, daß höchstens zehn Prozent der Infizierten an Covid-19 erkranken. Das Virus ist das eine, die Krankheit (Covid-19) etwas anderes.
Erst nach seiner Verteidigung der staatlichen Restriktionen äußert Spadaro, daß es „wichtig“ sei:
„(…) daß Regierungen Ad-hoc-Maßnahmen zur Verfügung stellen, die es den Gläubigen ermöglichen, unter Einhaltung von Sicherheitsbedingungen, die auf dem Verlauf der epidemiologischen Kurve beruhen, am Kultus teilzunehmen. Die spirituellen Bedürfnisse der Religionsgemeinschaften, die mit ihren Werten zur Gewährleistung der sozialen Stabilität und des Zusammenhalts beitragen, dürfen nicht vernachlässigt werden.“
Die Schaffung eines Präzedenzfalles
Implizit heißt die Civiltà Cattolica mit dem Leitartikel des engen Vertrauten von Papst Franziskus die drastischen Eingriffe der Regierung als Präzedenzfall gut, was bedeutet, daß Regierungen in Zukunft die öffentlichen Gottesdienste bei „gesundheitlicher Notwendigkeit“ verbieten dürfen. Da in zahlreichen Staaten, darunter im gesamten deutschen Sprachraum, weniger Menschen mit und an dem Coronavirus gestorben sind als in einer saisonalen Grippewelle, ließe sich daraus auch ein permanenter Lockdown im Winterhalbjahr rechtfertigen, der die Welt in jeder Grippesaison lahmlegt. Zudem ist bisher keine Übersterblichkeit nachweisbar, nicht einmal in Italien, das in der allgemeinen Wahrnehmung und Medienberichterstattung eine zentrale Rolle spielt, obwohl in Belgien im Verhältnis weit mehr Menschen als „Coronatote“ gezählt werden, ebenso in Spanien, und Großbritannien dabei ist, mit Italien gleichzuziehen.
Spadaro stellt keine Fragen, was an dem Coronavirus so anders ist, daß es eine so radikal andere Vorgehensweise rechtfertigt. Vor allem stellt er keine Fragen, ob die zugrunde gelegten Annahmen sich bewahrheitet haben. Ebensowenig zur selektiven Informationspolitik, einschließlich dem Zurückhalten wichtiger Zahlen durch die Regierungen verschiedener Länder, der Unterlassung wichtiger Verifizierungen, beispielsweise durch Antikörpertests und der auffällig aggressiven Haltung gegen Kritiker.
Der Leitartikel, der zur Unterstützung der staatlichen und kirchlichen Radikalmaßnahmen dient, endet mit einer Aussage, die grundsätzlich richtig, im Gesamtkontext aber frei in der Luft zu hängen scheint:
„Die Kirche, wenn sie wirklich selbige ist, ist nie ‚geschlossen‘“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La Civiltà Cattolica/Twitter/Antonio Spadaro (Screenshots)