(Mailand) Die Bilder von Militärlastwagen, die Särge von Toten transportieren, haben Mitte März die Welt erschüttert. Sie stammten aus der norditalienischen Stadt Bergamo (Berghem). Die Schockbilder haben stark, vielleicht am stärksten dazu beigetragen, Ängste in anderen Ländern zu erzeugen und deren Regierungen zu beeinflussen, radikale Maßnahmen gegen das Coronavirus zu ergreifen. Die Regierungen loben sich dafür. Die Radikalmaßnahmen hätten Schlimmeres verhindert. Stimmt das aber? Und wie kam es zu den dramatischen Bildern von Bergamo?
Inzwischen liegen für die europäischen Länder die Zahlen zu den Reproduktionsraten vor. Nimmt man sie zum Maßstab, werden die Regierungsmaßnahmen deutlich überschätzt. Die Zahlen sprechen eine so klare Sprache, daß sie von den Regierungen und vielen Medien nur versteckt, widerwillig oder gar nicht kommuniziert werden. Im Klartext: Als von den Regierungen das gesamte öffentliche Leben heruntergefahren, die Grenzen dicht gemacht und die eigenen Bürger zu Gefangenen erklärt wurden (in Österreich am 15. März, in der Schweiz am 16. März, wobei auf eine generelle Ausgangssperre verzichtet wurde, und schließlich auch in der Bundesrepublik Deutschland am 22. März) war Corona in diesen Ländern bereits im Abklingen – auch in Italien. Die Radikalmaßnahmen, mit ihren schwerwiegenden, teils desaströsen Folgen für Wirtschaft und Soziales (sowohl in Deutschland als auch in Österreich sind mehr als 40 Prozent der Berufstätigen arbeitslos oder in Kurzarbeit, dergleichen gab es in den vergangenen 150 Jahren nur einmal: nach der Wirtschaftskrise von 1929), sind demnach für den Rückgang nicht ursächlich.
Haben die radikalen Eingriffe letztlich nur geschadet? Aus dem linearen Verlauf der Reproduktionsrate geht hervor, daß sie das Abklingen nicht einmal erkennbar beschleunigt haben.
Nun scheinen sich die Regierungen offenbar davor zu fürchten, daß den Bürgern diese Zusammenhänge bewußt werden. Wohl auch deshalb wird zur Rechtfertigung der Verweis auf die Militärlastwagen voller Särge auffällig oft wiederholt.
Was hatte es mit den Lastwagen und den Särgen auf sich?
Mitte März erreichte die Todesrate in der lombardischen Provinz Bergamo ihren Höhepunkt. Zur Eindämmung des Coronavirus war die Behandlung von Intensivpatienten schwerpunktmäßig in der gleichnamigen Provinzhauptstadt konzentriert worden. Inwieweit die hohe Todesrate in Bergamo auf eine falsche Behandlungsmethode zurückging, werden Untersuchungen zu klären haben. Der Verdacht steht wegen der untypischen Übersterblichkeit zumindest im Raum. Fest steht: Mehr als 96 Prozent der Coronatoten hatten Vorerkrankungen, über 60 Prozent sogar drei und mehr, wie das zuständige Istituto Superiore della Sanità (ISS) in Rom inzwischen bekanntgab.
Vor allem aber wurden alle Coronatoten verbrannt. Die Medien berichteten über eine entsprechende Anordnung zur Covid-19-Bekämpfung. Heute will niemand mehr etwas von einer solchen Anordnung gewußt haben. Die Toten hätten zu jedem Zeitpunkt beerdigt oder verbrannt werden können, heißt es von übergeordneter Stelle. Tatsache ist jedoch, daß in Bergamo die Coronatoten im März, ob aus Übereifer oder aufgrund eines Mißverständnisses, verbrannt wurden. Damit stieß das einzige Krematorium der Provinz schnell an seine Grenzen. Im Normalfall wird nur ein Teil der Verstorbenen kremiert. In Italien sind es etwa 30 Prozent. Der Großteil der Toten wird auch in Bergamo erdbestattet, verteilt auf die zahlreichen Friedhöfe der ganzen Provinz.
Auf diesen Normalfall sind die Kapazitäten des Krematoriums der Provinz angelegt. Die Einäscherung einer Leiche dauert mindestens 1,5 Stunden. Anschließend läßt man die Asche abkühlen und füllt sie in eine Urne. Selbst wenn das Krematorium von Bergamo rund um die Uhr betrieben würde, könnten laut Auskunft der Verwaltung maximal 25 Leichen am Tag verbrannt werden.
Mitte März kamen demnach zwei Faktoren zusammen, einmal die Übersterblichkeit (der laut staatlichem Statistikamt ISTAT eine Untersterblichkeit von 6,5 Prozent vorausging; die Frage der Übersterblichkeit kann nicht auf einen Monat, sondern nur bezogen auf einen längeren Zeitraum betrachtet und geklärt werden) und mehr noch die tatsächliche oder imaginierte, jedenfalls exekutierte Anordnung, Coronatoten zu verbrennen. Dadurch kam es im Krematorium zum Leichenstau. Obwohl von den Toten, die laut Covid-19-Protokoll speziell verpackt und die Särge sofort versiegelt wurden, keine aktive Kontamination ausgehen konnte, wurde auf eine rasche Verbrennung gedrängt.
Da die Lage in angrenzenden Nachbarprovinzen entspannter war, wurde das Militär aktiviert (weil kostenlos, wie es hieß) einen Teil der Leichen in die dortigen Krematorien zu transportieren. Dadurch kam es am Abend des 18. März und am 19. März zu jenen bekannten und dramatischen Bildern, die um die Welt gingen. Ohne den erklärenden Zusatz, wie es dazu kam, mußten die Bilder schockierend wirken und einen dramatischeren Eindruck vermitteln, als es tatsächlich war. Hätten die Staatsorgane die Menschen, die es wünschten, ihre Toten wie gewohnt auf den Friedhöfen begraben lassen, wäre es auch in Bergamo zu keinen Engpässen gekommen. Erst behördliche Eingriffe verursachten die Zuspitzung.
Die Dramatisierung hatte auch mit der etwas theatralischen Inszenierung durch das Verteidigungsministerium zu tun, dem sowohl das Heer wie auch die Carabinieri, eine Polizeieinheit, unterstehen. Unklar ist, wie es zur Aktivierung des Heeres kam. Von der Krematoriumsverwaltung und der Stadtregierung ging die Initiative nicht aus.
Rückblickend scheint eine absichtliche Dramatisierung nicht auszuschließen zu sein. Diese kam manchen zumindest nicht ungelegen. Sollte jemand Interesse an der Coronakrise haben, dem konnte kaum „Besseres“ passieren. Angesichts der verdächtig uniformen Sprache, die von Regierungen und regierungsnahen Experten in der Coronakrise länderübergreifend gebraucht wird, ist ein solcher Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen. Nichts hat die Behauptung, „wir“ befänden „uns im Krieg“ gegen das Coronavirus, stärker visualisiert als die Bilder der Militärfahrzeuge, der Soldaten und der Särge aus Italien.
Kaum anders, übrigens gleich länderübergreifend uniform, läßt sich der Einsatz von Bundeswehrsoldaten an der deutschen Grenze erklären, oder von Bundesheersoldaten zur Überwachung von Quarantänegebieten in Österreich oder von italienischen Soldaten an unzähligen Kontrollposten mitten im eigenen Land – natürlich alle schwerbewaffnet –, denn auf Viren kann man bekanntlich schießen.
Erinnert man sich an die inszenierten Fotos der Regierenden nach dem islamistischen Attentat auf die linksradikale Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 in Paris oder an das plötzliche Auftauchen der Dschihadmiliz Islamischer Staat (IS) wie aus dem Nichts, nachdem Obama seine zweite Amtszeit als US-Präsident angetreten hatte, und ihrem fast ebenso plötzlichen Verschwinden, als Trump in das Weiße Haus einzog, dann kann man sich inzwischen schon so einiges vorstellen. Die vom IS ermordeten Christen wurden offensichtlich als Kollateralschaden billigend in Kauf genommen. Es war die Regierung Obama, die sich weigerte, die Christen Syriens als gefährdete Minderheit anzuerkennen.
Doch zurück zu den Toten von Bergamo: Priestern war (und ist) es untersagt, die Intensivstationen mit den Coronapatienten zu besuchen. Die vom Tod bedrohten Kranken blieben ohne geistlichen Beistand. Erst die vom Militär verladenen Särge durften sie segnen. Den Angehörigen blieb die übliche Verabschiedung am offenen Sarg verwehrt, da diese sofort versiegelt werden mußten. Bittere Erfahrungen, nachdem sie zuvor bereits ihre Lieben nicht mehr im Krankenhaus oder Altersheim besuchen durften.
Am 26. April wurden die Urnen mit den eingeäscherten Toten nach Bergamo zurückgebracht. Wiederum durch das Militär. In diesem Fall eindeutig nicht nur aus Kostengründen, sondern tatsächlich, weil es politisch so gewünscht war.
Zusammen mit den Urnen erhielten die Hinterbliebenen auch die Rechnungen. Die Leichen waren auf die Krematorien der Provinzen Modena, Brescia, Parma, Piacenza, Rimini und Varese aufgeteilt worden. Die dort verlangten Tarife unterscheiden sich erheblich und reichen für Provinzfremde bis zum Doppelten der in Bergamo verlangten Kosten von 511 Euro. Das sorgte für zusätzlichen Unmut samt Zweifeln, ob tatsächlich jeweils die Asche des verstorbenen Angehörigen abgeliefert wurde.
Text: Andreas Becker/Giuseppe Nardi
Bild: Istat/MiL (Screenshot)