Tod eines Großmeisters

Das Ringen um die Ausrichtung des Malteserordens ist wieder offen


Großmeister und Fürst Giacomo Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto (1944–2020)
Großmeister und Fürst Giacomo Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto (1944–2020)

(Rom) Gestern ist in Rom der Groß­mei­ster und Fürst des Sou­ve­rä­nen Rit­ter- und Hos­pi­tal­or­dens des hei­li­gen Johan­nes von Jeru­sa­lem, von Rho­dos und von Mal­ta ver­stor­ben. Gia­co­mo Bene­det­to Dal­la Tor­re del Tem­pio di San­gui­net­to, der glanz­lo­se 80. Groß­mei­ster des Mal­te­ser­or­dens, war erst vor zwei Jah­ren gewählt wor­den. Nach schwe­ren Tur­bu­len­zen. Damit ist das Rin­gen um den älte­sten Rit­ter­or­den der Kir­che wie­der offen.

Anzei­ge

Der Mal­te­ser­or­den ist ein Völ­ker­rechts­sub­jekt und damit eine Beson­der­heit im inter­na­tio­na­len Spek­trum. Sei­ne Sou­ve­rä­ni­tät litt in jüng­ster Zeit aller­dings unter mas­si­ven Ein­grif­fen durch Papst Fran­zis­kus und das vati­ka­ni­sche Staats­se­kre­ta­ri­at. Das betrifft auch die Wahl des Ver­stor­be­nen. Im Jahr 2017 stan­den kurz­zei­tig zwei Brü­der des Gra­fen­ge­schlechts Dal­la Tor­re del Tem­pio di San­gui­net­to an der Spit­ze von zwei der drei gro­ßen Rit­ter­or­den der Kir­che: Gia­co­mo Dal­la Tor­re del Tem­pio di San­gui­net­to als Groß­mei­ster und Fürst des Mal­te­ser­or­dens und sein älte­rer Bru­der Giu­sep­pe Dal­la Tor­re del Tem­pio di San­gui­net­to als Gene­ral-Statt­hal­ter des Rit­ter­or­dens vom Hei­li­gen Grab zu Jerusalem.

Im Mal­te­ser­or­den rin­gen seit eini­gen Jah­ren zwei Frak­tio­nen um die Aus­rich­tung des Ordens, die ver­ein­facht als „eng­li­sche“ und „deut­sche“ Frak­ti­on bezeich­net werden.

Von 1988 bis 2017 stan­den zwei Bri­ten an der Spit­ze des Ordens, der bald sein tau­send­jäh­ri­ges Grün­dungs­ju­bi­lä­um bege­hen kann. Der Grün­dungs­ur­sprung als geist­li­cher Hos­pi­tal­or­den liegt im fer­nen Jahr 1048. 1099 wur­de er im Zuge des Ersten Kreuz­zugs unter sei­nem ersten Groß­mei­ster Ger­hard Sas­so zum Rit­ter­or­den. Als sol­cher wur­de er 1113 von Papst Pascha­lis II. aner­kannt. Der Orden ist ein sou­ve­rä­nes Völ­ker­rechts­sub­jekt. Ein eige­ner Staat, wenn auch fast ohne eige­nes Staats­ge­biet. Er zählt welt­weit mehr als 13.000 Rit­ter und Damen, unter­hält mit 107 Staa­ten diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen und betreibt 2000 huma­ni­tä­re Pro­jek­te in 120 Staa­ten, für die er auf 120.000 Frei­wil­li­ge und Mit­ar­bei­tern zäh­len kann. Der Jah­res­haus­halt liegt bei zwei Mil­li­ar­den Euro.

Der Vertrauensbruch

Was jedoch zum Jah­res­wech­sel 2016/​2017 geschah, wird von einem Teil der Rit­ter als Staats­streich gese­hen. Der wie sei­ne Vor­gän­ger auf Lebens­zeit gewähl­te 79. Groß­mei­ster und Fürst, Fra Matthew Fest­ing, wur­de am 24. Janu­ar 2017 von Papst Fran­zis­kus zum Rück­tritt gezwun­gen. Eine For­de­rung, der sich der Groß­mei­ster zwar theo­re­tisch ent­zie­hen hät­te kön­nen, nicht aber fak­tisch – nicht gegen­über dem Papst.

Aus­gangs­punkt war ein Ver­trau­ens­bruch zwi­schen ihm und dem Groß­kanz­ler des Ordens, Albrecht Frei­herr von Boe­se­la­ger, dem füh­ren­den Ver­tre­ter der „deut­schen“ Frak­ti­on. Durch inter­ne Unter­su­chun­gen hat­te der Groß­mei­ster erfah­ren, daß das Hilfs­werk des Ordens, Mal­te­ser Inter­na­tio­nal, unter der Lei­tung Boe­se­la­gers, oder zumin­dest mit sei­ner Dul­dung, in meh­re­ren Ent­wick­lungs­län­dern an UNO-Pro­gram­men zur För­de­rung der „repro­duk­ti­ven Gesund­heit“ mit­wirk­te. Hin­ter die­ser Chif­fre ver­birgt die inter­na­tio­na­le Abtrei­bungs­lob­by ihre Agen­da. Kon­kret ging es um Pro­gram­me zur Ver­tei­lung von Ver­hü­tungs­mit­teln, was der Leh­re der Kir­che wider­spricht. Ein wei­te­rer Punkt waren undurch­sich­ti­ge Aktio­nen im Zusam­men­hang mit einem Schwei­zer Treu­hand­kon­to. Dabei ging es um einen Geld­wert von 30 Mil­lio­nen Schwei­zer Fran­ken. Der Groß­mei­ster hat­te dazu sogar eine Anzei­ge bei der Schwei­zer Staats­an­walt­schaft erstattet.

Der Kar­di­nal­pro­tek­tor des Ordens, Ray­mond Bur­ke, der seit 2014 das Amt eines päpst­li­chen Dele­ga­ten beim Orden inne­hat und für die geist­li­che Betreu­ung der Pro­feß­rit­ter zustän­dig ist, hat­te Papst Fran­zis­kus am 10. Novem­ber 2016 über die Gefahr einer frei­mau­re­ri­schen Infil­tra­ti­on im Orden sowie über die Ver­tei­lung von Ver­hü­tungs­mit­teln durch das Hilfs­werk des Ordens in Kennt­nis gesetzt. Fran­zis­kus ver­lang­te ein ent­schie­de­nes und ener­gi­sches Vor­ge­hen dage­gen. Der Kar­di­nal woll­te sich jedoch absi­chern und erbat schrift­li­che Anweisungen.

Papst Fran­zis­kus mit Kar­di­nal Bur­ke am 10. Novem­ber 2016: Lächeln für das Pressefoto?

Das hat­te sei­nen Grund: Der Kar­di­nal war einst nach dem Papst der höch­ste Rich­ter der Kir­che. Zwei Jah­re zuvor, Anfang Novem­ber 2014, kurz nach Abschluß der ersten Fami­li­en­syn­ode, war er von Papst Fran­zis­kus als Prä­si­dent der Apo­sto­li­schen Signa­tur des Ober­sten Gerichts­ho­fes abge­setzt und als Kar­di­nal­pro­tek­tor zum Mal­te­ser­or­den abge­scho­ben wor­den. Ein Amt mit Pre­sti­ge, aber ohne Ein­fluß auf die Kir­chen­lei­tung. Anlaß für die Straf­maß­nah­me war der Wider­stand des Kar­di­nals gegen die päpst­li­che Linie zu den wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschiedenen.

Ende 2016 war der Kar­di­nal in einer sehr schwa­chen Posi­ti­on. Im Sep­tem­ber des Jah­res hat­te Bur­ke zusam­men mit drei wei­te­ren Kar­di­nä­len dem Papst Dubia (Zwei­fel) zum umstrit­te­nen nach­syn­oda­len Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia über­mit­telt. Da Fran­zis­kus eine Ant­wort ver­wei­ger­te, mach­ten die Kar­di­nä­le im Novem­ber des­sel­ben Jah­res ihre Fra­gen öffent­lich. Damit war Feu­er am Dach, und die vier Unter­zeich­ner waren zahl­rei­chen Anfein­dun­gen ausgesetzt. 

Am 1. Dezem­ber 2016 erteil­te Fran­zis­kus in einem Schrei­ben an den Kar­di­nal Hand­lungs­an­wei­sun­gen für Groß­mei­ster Fest­ing, „ent­schlos­sen“ gegen Infil­tra­tio­nen vor­zu­ge­hen. Wört­lich teil­te Fran­zis­kus mit:

„Soll­te sich das her­aus­stel­len, sind die Rit­ter, die even­tu­ell Mit­glie­der sol­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Bewe­gun­gen und Ver­ei­ni­gun­gen sind, auf­zu­for­dern, ihre Zuge­hö­rig­keit zurück­zu­neh­men, weil die­se mit dem katho­li­schen Glau­ben und der Ordens­zu­ge­hö­rig­keit unver­ein­bar ist.“

Und zur Ver­tei­lung von Ver­hü­tungs­mit­teln ließ er wissen:

„Es ist zudem beson­ders dafür Sor­ge zu tra­gen, daß bei den Initia­ti­ven und Hilfs­wer­ken des Ordens nicht Metho­den und Mit­tel ein­ge­setzt und ver­brei­tet wer­den, die dem Moral­ge­setz wider­spre­chen. Wenn in der Ver­gan­gen­heit in die­sem Bereich die­ses Pro­blem auf­ge­tre­ten ist, so hof­fe ich, daß es voll­stän­dig gelöst wer­den kann. Es wür­de mir ehr­lich miß­fal­len, wenn eini­ge hohe Offi­zie­re – wie Sie selbst mir berich­tet haben –, obwohl sie von die­ser Pra­xis wuß­ten, vor allem von der Ver­tei­lung von Ver­hü­tungs­mit­teln jeder Art, nicht dage­gen ein­ge­schrit­ten sind, um dem ein Ende zu setzen.“

Groß­mei­ster Fest­ing stell­te, das Schrei­ben des Pap­stes in der Hand, Groß­kanz­ler von Boe­se­la­ger am 6. Dezem­ber 2016 im Bei­sein des Kar­di­nal­pro­tek­tors zur Rede. Es kam zu einem hef­ti­gen Kon­flikt, in dem Boe­se­la­ger die Anschul­di­gun­gen bestritt. Kar­di­nal Bur­ke kom­men­tier­te im Febru­ar 2017 den Zusam­men­prall zwi­schen Groß­mei­ster und Groß­kanz­ler mit den Wor­ten:

„Wer die Ver­tei­lung von Ver­hü­tungs­mit­teln zuläßt, soll auch die Ver­ant­wor­tung dafür übernehmen.“

Boe­se­la­ger tat das nicht. Es kam zum Bruch. Fest­ing warf sei­nem Groß­kanz­ler vor, ihn hin­ter­gan­gen und die Leh­re der Kir­che miß­ach­tet zu haben. Da Boe­se­la­ger einen Rück­tritt ablehn­te, setz­te ihn der Groß­mei­ster gemäß Ordens­ver­fas­sung ab.

Die vatikanische Karte

Boe­se­la­ger eil­te in den Vati­kan, um dage­gen zu pro­te­stie­ren, was for­mal­recht­lich irrele­vant wäre, da der Mal­te­ser­or­den sou­ve­rän ist. Die Rea­li­tät sieht jedoch anders aus, da jeder Mal­te­ser­rit­ter auch Katho­lik ist, und als sol­cher dem Papst Gehor­sam schuldet. 

Der abge­setz­te Groß­kanz­ler, mit dem vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at gut ver­netzt, ließ sei­ne Bezie­hun­gen spie­len. Das Staats­se­kre­ta­ri­at mach­te für ihn mobil und Papst Fran­zis­kus erin­ner­te sich plötz­lich nicht mehr an sei­ne Hand­lungs­an­wei­sung vom 1. Dezem­ber. Das sei alles ein Miß­ver­ständ­nis gewe­sen, tadel­te Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin den Groß­mei­ster in einem Schrei­ben vom 21. Dezem­ber 2016. Der Papst habe eine Hal­tung der aus­ge­streck­ten Hand und „Lösun­gen“ gewollt, aber „nie gesagt, jeman­den zu verjagen!“

Am 22. Dezem­ber setz­te das Staats­se­kre­ta­ri­at im Namen von Fran­zis­kus eine Unter­su­chungs­kom­mis­si­on mit dem Auf­trag ein, die Ent­las­sung Boe­se­la­gers als Groß­kanz­ler zu unter­su­chen. Die Vor­ge­hens­wei­se wur­de von Juri­sten mit Kopf­schüt­teln auf­ge­nom­men: Ein sou­ve­rä­ner Staat setzt eine Kom­mis­si­on ein, um die Abset­zung des Regie­rungs­chefs eines ande­ren sou­ve­rä­nen Staa­tes auf sei­ne Recht­mä­ßig­keit zu prüfen. 

Min­de­stens drei von fünf Mit­glie­dern der Kom­mis­si­on waren per­sön­li­che Freun­de und Geschäfts­part­ner Boe­se­la­gers. Damit stand von vor­ne­her­ein fest, was für ein Ergeb­nis gewünscht war. Das bestä­tig­te sich auch in der Wort­wahl: Der Vati­kan sprach nicht von einem „Fall Boe­se­la­ger“, son­dern von einer „Kri­se in der Ordensleitung“.

Auch im Mal­te­ser­or­den ver­stand man: Plötz­lich ging es nicht mehr um den Kopf des Groß­kanz­lers, son­dern des Groß­mei­sters. Die­ser ersuch­te daher wie­der­holt, vom Papst in Audi­enz emp­fan­gen zu wer­den, um den Sach­ver­halt rich­tig­stel­len und die unglaub­li­chen Vor­gän­ge auf­zei­gen zu kön­nen, die sich abspiel­ten. In San­ta Mar­ta stell­te man sich jedoch taub. Der Groß­mei­ster ließ dem Papst schrift­li­che Stel­lung­nah­men und Doku­men­te zukom­men, die das Gesag­te bele­gen soll­ten, wäh­rend er der päpst­li­chen Unter­su­chungs­kom­mis­si­on „Befan­gen­heit“ vor­warf. Kar­di­nal Bur­ke, immer­hin Kar­di­nal­pro­tek­tor des Ordens, mein­te dazu eini­ge Mona­te spä­ter: Der „Inter­es­sens­kon­flikt“ eini­ger Mit­glie­der der vom Papst ernann­ten Unter­su­chungs­kom­mis­si­on „ist von Bedeu­tung für die Kri­se des Ordens, das muß sehr klar sein“.  Es sei schon „sehr selt­sam, daß drei [von fünf Mit­glie­dern der Unter­su­chungs­kom­mis­si­on] direkt in die Sache mit der Spen­de an den Orden invol­viert sind“, die die Abset­zung des Groß­kanz­lers zu unter­su­chen hat­ten und die Emp­feh­lung aus­spra­chen, ihn wie­der ein­zu­set­zen. Zu den Mil­lio­nen auf dem Schwei­zer Treu­hand­kon­to gebe es kei­ne Klar­heit, wer der Spen­der sei, woher das Geld stam­me, wie das Geld ver­wal­tet wer­de, „und das ist nicht gut. Die­se Din­ge soll­ten geklärt werden“.

Der 80. Groß­mei­ster und Fürst in San­ta Maria del Prio­ra­to, der Prio­rats­kir­che des Ordens auf dem Aven­tin in Rom.

Der Histo­ri­ker Rober­to de Mat­tei schrieb am 11. Janu­ar zum Ver­hal­ten von Papst Fran­zis­kus und des vati­ka­ni­schen Staatssekretariats:

„Fas­sen wir zusam­men: Für jene, die das Gesetz Got­tes und das Natur­recht ver­let­zen, gibt es Dia­log und die aus­ge­streck­te Hand. Für jene, die hin­ge­gen den Glau­ben und die katho­li­sche Moral ver­tei­di­gen, steht der Knüp­pel des poli­ti­schen Kom­mis­sars und der Unter­su­chungs­kom­mis­si­on schon bereit.“

Der päpstliche Putsch

Erst am Abend des 24. Janu­ar ließ Fran­zis­kus den Groß­mei­ster zu sich. Die Begeg­nung ver­lief kurz und schmerz­lich. Fest­ing, der gehofft hat­te, dem Papst Rede und Ant­wort ste­hen zu kön­nen, kam nicht zu Wort. Fran­zis­kus stell­te ihn vor voll­ende­te Tat­sa­chen. Er ver­lang­te vom Groß­mei­ster den Rück­tritt, setz­te Boe­se­la­ger wie­der als Groß­kanz­ler ein und hob alle Ent­schei­dun­gen der Ordens­re­gie­rung seit dem 6. Dezem­ber auf. Die Sou­ve­rä­ni­tät des Ordens küm­mer­te Fran­zis­kus nicht. „Der Papst hat es so gefor­dert“, sag­te Fra Fest­ing nach der ent­täu­schen­den Begegnung.

Kar­di­nal Bur­ke blieb for­mal zwar im Amt, wur­de aber fak­tisch aller Auf­ga­ben ent­blößt. Fran­zis­kus ernann­te den dama­li­gen Sub­sti­tu­ten des Kar­di­nal­staats­se­kre­tärs, Ange­lo Becciu, zum Son­der­de­le­ga­ten. Die­ser über­nahm anstel­le von Bur­ke die Ver­tre­tung des Pap­stes beim Orden. Die Bezeich­nung ver­hüll­te zudem nur not­dürf­tig, daß er die Voll­mach­ten eines Apo­sto­li­schen Kom­mis­sars hatte.

Der Staats­streich war voll­zo­gen, und um einen sol­chen han­del­te es sich tat­säch­lich, denn der Mal­te­ser­or­den ist im Sin­ne des Völ­ker­rechts ein sou­ve­rä­ner Staat, der Groß­mei­ster und Fürst sein Staats­ober­haupt. Kar­di­nal Bur­ke sag­te Anfang April 2017 in einem Inter­view zu den Ereig­nis­sen im Orden befragt:

„Es gesche­hen sehr selt­sa­me Dinge.“

Am 29. April 2017 ver­sam­mel­te sich unter dem Vor­sitz des päpst­li­chen Son­der­de­le­ga­ten der Gro­ße Staats­rat des Ordens, um die Nach­fol­ge zu klä­ren. Drei Tage zuvor hat­te sich Fran­zis­kus mit einem Brief an die Mit­glie­der des Staats­rats gewandt. In dem Schrei­ben wur­den die Voll­mach­ten Becci­us bekräf­tigt, wäh­rend eine Auf­for­de­rung, den Orden von Frei­mau­rern zu rei­ni­gen, fehlte. 

Dem abge­setz­ten Groß­mei­ster, obwohl Pro­feß­rit­ter des Ordens, hat­te Erz­bi­schof Becciu im Namen des Pap­stes die Teil­nah­me am Wahl­ka­pi­tel unter­sagt. Ein wei­te­rer rechts­wid­ri­ger Akt unter vie­len. Die Auf­re­gung im Orden war so groß, daß Fra Fest­ing im letz­ten Moment doch die Rück­kehr nach Rom erlaubt wurde. 

Die Wahl des Groß­mei­sters kam aber nicht zustan­de. Dafür wur­de der Groß­pri­or von Rom, Fra Gia­co­mo Dal­la Tor­re del Tem­pio di San­gui­net­to, für ein Jahr zum Statt­hal­ter gewählt.

Das Kartenhaus

Um unlieb­sa­me Pres­se­be­rich­te zum Schwei­gen zu brin­gen, hat­te Boe­se­la­ger im Früh­jahr 2017 Anzei­ge gegen ver­schie­de­ne Medi­en erstat­tet. Die Akti­on, die offen­sicht­lich zur Ein­schüch­te­rung gedacht war, erwies sich jedoch als Bume­rang. Das Land­ge­richt Ham­burg stell­te fest, daß Boe­se­la­ger für die Ver­tei­lung von Ver­hü­tungs­mit­teln in Kri­sen­ge­bie­ten ver­ant­wort­lich war, und gegen­tei­li­ge Behaup­tun­gen von ihm nicht der Wahr­heit ent­spra­chen. Das aber war der Haupt­kon­flikt­punkt im Streit mit dem Groß­mei­ster. Seit­her steht fest, daß Boe­se­la­ger offen­bar auch Papst Fran­zis­kus hin­ter­gan­gen hat­te, Fra Fest­ing mit der Ent­las­sung des Groß­kanz­lers im Recht, Papst Fran­zis­kus mit sei­ner Ent­las­sung von Groß­mei­ster Fest­ing aber im Unrecht war.

Wer aber hoff­te, der Vati­kan wür­de nach dem Urteil sei­ne Posi­ti­on revi­die­ren, sah sich schnell ent­täuscht. Es waren voll­ende­te Tat­sa­chen geschaf­fen wor­den, und dabei blieb es. Neben den Fra­gen von Recht und Unrecht und Wahr­heit und Lüge spiel­te offen­sicht­lich ein wei­te­rer Aspekt eine noch grö­ße­re Rol­le: Inter­es­sen. Damit sind nicht nur, aber auch die myste­riö­sen Mil­lio­nen auf einem Schwei­zer Kon­to gemeint.

Hen­ry Sire ali­as „Mar­can­to­nio Colon­na“, selbst Mal­te­ser­rit­ter und Autor des auf­se­hen­er­re­gen­den Buches Der Dik­ta­tor­papst, das im Herbst 2017 erschie­nen ist, äußer­te dar­in einen Ver­dacht. Papst Fran­zis­kus habe mög­li­cher­wei­se bewußt zwei Sei­ten gegen­ein­an­der aus­ge­spielt, um einen Macht­kampf zu ent­fa­chen, zuzu­spit­zen und dann ent­schei­den zu kön­nen. Daß sich dabei auch unter­schied­li­che Posi­tio­nen bezüg­lich der Moral­leh­re gegen­über­stan­den und sich Fran­zis­kus auf die Sei­te der Lais­sez fai­re-Ver­tre­ter schlug, sei im Gesamt­kon­text kein Zufall. Ech­te Kon­ser­va­ti­ve und Tra­di­tio­na­li­sten ris­kie­ren bei Fran­zis­kus, über die Klin­ge sprin­gen zu müssen.

Der neue Großmeister

Am 2. Mai 2018 ver­sam­mel­te sich der Gro­ße Staats­rat erneut und konn­te dies­mal die Wahl voll­zie­hen. Zum 80. Groß­mei­ster und Fürst wur­de der bis­he­ri­ge Statt­hal­ter Fra Gia­co­mo Dal­la Tor­re del Tem­pio di San­gui­net­to gewählt. Er wur­de als Kom­pro­miß­kan­di­dat bewor­ben: kein Eng­län­der, kein Deut­scher. Fra Dal­la Tor­re war jedoch der Wunsch­kan­di­dat der „deut­schen“ Frak­ti­on. Über die Wahl schrieb Fran­ca Gian­sol­da­ti am 4. Mai 2018 in der römi­schen Tages­zei­tung Il Mess­ag­ge­ro:

„Eine Art von Palast­ver­schwö­rung mün­de­te in einer bei­spiel­lo­sen Ein­mi­schung durch den Vati­kan, die zu Brü­chen, Zwei­feln und Miß­trau­en unter den Rit­tern führ­te, ob der Über­gang [die Abset­zung von Groß­mei­ster Fest­ing Ende Janu­ar 2017] die Sou­ve­rä­ni­tät und Auto­no­mie des Ordens ver­letzt habe. Der Zwei­fel trat auch am Mitt­woch mor­gen auf, als 54 Wäh­ler geru­fen waren, den neu­en Groß­mei­ster aus einem am Tag vor­her bestimm­ten Drei­er­vor­schlag (Fra Gia­co­mo Dal­la Tor­re, Fra Car­lo Ippo­li­to und Fra Pierre de Bize­mont) zu wäh­len, als der Gesand­te des Pap­stes, Msgr. Ange­lo Becciu, in der Vil­la Magi­stra­le in die Ver­samm­lung platz­te. Nie­mand hat­te damit gerech­net, jeden­falls nicht für die­sen Moment. Er über­brach­te die päpst­li­chen Grü­ße, mahn­te, jedes Pro und Con­tra genau abzu­wä­gen und wünsch­te gute Arbeit. Dann folg­te ein beson­de­rer Dank an Dal­la Tor­re für sein Wir­ken als Statt­hal­ter in die­ser schwie­ri­gen Zeit. Der Ein­druck eini­ger Rit­ter: Die Anwe­sen­heit des päpst­li­chen Son­der­ge­sand­ten hat­te ihrer Mei­nung nach den Zweck, auf indi­rek­te Wei­se Druck auf die Wäh­ler auszuüben.“

Die Mal­te­ser hat­ten wie­der einen Groß­mei­ster, doch seit dem Sturz von Groß­mei­ster Fest­ing ist der wirk­lich star­ke Mann im Orden Groß­kanz­ler Boe­se­la­ger. Fran­zis­kus kann sich heu­te auf den Orden ver­las­sen, da Boe­se­la­ger ihm zu Dank ver­pflich­tet ist. Hen­ry Sire nennt sol­che Abhän­gig­kei­ten das bevor­zug­te Mit­tel von Papst Fran­zis­kus, „Loya­li­tä­ten“ zu schaf­fen und Per­so­nen an sich zu binden.

Groß­mei­ster Dal­la Tor­re bei der Ange­lo­bung 2018, im Hin­ter­grund der päpst­li­che Son­der­de­le­gat Becciu und Groß­kanz­ler Boeselager

Der abschüssige Weg

Der Mal­te­ser­or­den wird seit­her mehr und mehr in eine huma­ni­tä­re NGO umge­baut, hul­digt der poli­ti­schen Kor­rekt­heit und steu­ert in eine Iden­ti­täts­kri­se. Boe­se­la­gers neue Agen­da für den Orden lau­tet „Migra­ti­on“, ein The­ma, das Fran­zis­kus, der inter­na­tio­na­li­sti­schen Lin­ken und den glo­ba­li­sti­schen Eli­ten beson­ders kost­bar ist.

Sogar die Homo­phi­lie ist 2019 beim alt­ehr­wür­di­gen Rit­ter­or­den ange­kom­men. Sie fin­det sich zwar nicht auf der offi­zi­el­len Inter­net­sei­te der Ordens­lei­tung, aber auf jener des Groß­prio­rats von Rom. In einer Pres­se­schau tauch­te ein Arti­kel der Tages­zei­tung La Repubbli­ca auf, von der Papst Fran­zis­kus sag­te, es sei die ein­zi­ge Zei­tung, die er regel­mä­ßig lese. Der Arti­kel berich­tet über ein römi­sches Comic-Festi­val über Frau­en­rech­te und „Gen­der-Fra­gen“ aller sexu­el­len Nei­gun­gen, indem „neue Bil­der von zeit­ge­nös­si­schen Hel­din­nen, les­bi­sche Lie­bes­ge­schich­ten und Frau­en­freund­schaf­ten“ geschaf­fen wer­den. Der stu­dier­te Phi­lo­soph und Psy­cho­lo­ge Mau­ro Faver­za­ni ergänzte:

„Dem fügen sich die Bekun­dun­gen einer unein­ge­schränk­ten und tota­len Zustim­mung zu den Aus­sa­gen von Papst Fran­zis­kus hin­zu mit beson­de­rer Berück­sich­ti­gung der ihm beson­ders wich­ti­gen The­men. Sie sind Aus­druck eines wie­der­ge­fun­de­nen Idylls nach den Stür­men, die vor weni­gen Jah­ren statt­fan­den und zu einer ‚Revi­si­on‘ des Sou­ve­rä­nen Rit­ter- und Hos­pi­tal­or­den vom Hei­li­gen Johan­nes führten.“

Dekret, mit dem Großmeister Dalla Torre den überlieferten Ritus verbot
Im Juni 2019 wur­de der über­lie­fer­te Ritus von Groß­mei­ster Dal­la Tor­re verboten

Am 10. Juni 2019 hol­te der anson­sten unschein­ba­re neu Groß­mei­ster Dal­la Tor­re zum Schlag aus. Er unter­sag­te jeg­li­che lit­ur­gi­sche Zele­bra­ti­on des Ordens in der außer­or­dent­li­chen Form des Römi­schen Ritus. Die Anord­nung ent­spricht einem bedin­gungs­lo­sen Ver­bot des über­lie­fer­ten Ritus auf allen Ordensebenen.

Maria Gua­ri­ni, Gene­ral­di­rek­to­rin der Biblio­thek des ita­lie­ni­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mi­ni­ste­ri­ums und Theo­lo­gin, schrieb auf ihrem Blog Chie­sa e Post­con­ci­lio:

„Es han­delt sich um eine Ent­schei­dung, die eine immer ver­brei­te­te­re neue Abnei­gung gegen­über dem über­lie­fer­ten Römi­schen Ritus zeigt, und deren lapi­da­re Moti­va­ti­on es ist, ‚dem Papst nicht zu mißfallen‘.“

Der Orden kam nicht wirk­lich zur Ruhe, denn die erreich­te Ruhe war zum Teil erzwun­gen. Der eng­li­sche Ordens­zweig, eines von sechs Groß­prio­ra­ten, wird seit dem Putsch in Schach gehal­ten. Dabei gin­gen bis dahin aus ihm die mei­sten Beru­fun­gen her­vor. Seit drei Jah­ren wird er „wie ein Aus­sät­zi­ger“ behan­delt, so der Vati­ka­nist Mar­co Tosat­ti im Juli 2019.

Noch deut­li­cher wur­de Hen­ry Sire in einem Kom­men­tar. Er beschul­dig­te den neu­en Groß­mei­ster Fra Gia­co­mo Dal­la Tor­re, „eine Mario­net­te in der Hand der deut­schen Frak­ti­on“ zu sein. Mit wem man auch im Orden über den neu­en Groß­mei­ster spricht, so Sire, alle sagen das Gleiche:

 „Alle sagen, er ist ein sehr guter Mensch, er ist ein guter Ordens­mann, aber…“

Tosat­ti ergänz­te: „Wer ihn kennt, behaup­tet, daß vie­le sei­ner Ent­schei­dun­gen nicht gera­de sei­ner Linie entsprechen.“

Die Anspie­lung dürf­te auch auf das Mani­fest für die Zukunft des Mal­te­ser­or­dens gemünzt gewe­sen sein, das Boe­se­la­ger anläß­lich sei­ner Bestä­ti­gung als Groß­kanz­ler für wei­te­re fünf Jah­re vor­leg­te. Dar­in ver­kün­de­te er den Dia­log mit den Ver­tre­tern des Islams, den Ein­satz gegen den Kli­ma­wan­del, grö­ße­re Auf­merk­sam­keit für die Rol­le der Frau und die Har­mo­ni­sie­rung der Nor­men für Pro­feß­rit­ter mit dem kano­ni­schen Recht, ein Punkt, der eine tief­grei­fen­de „Reform“ des Ordens zum Ziel hat, um des­sen stän­di­sche Ver­fas­sung umzu­bau­en (der Orden zählt drei Stän­de: Die Pro­feß­rit­ter wie Fest­ing und Dal­la Tor­re gehö­ren dem Ersten Stand, Boe­se­la­ger aber dem Zwei­ten Stand an). Groß­kanz­ler Boe­se­la­ger und Groß­mei­ster Dal­la Tor­re wuß­ten, daß kei­ne Rede davon sein konn­te, daß alle im Orden eine sol­che Agen­da gutheißen.

Groß­mei­ster Dal­la Tor­re mit Papst Franziskus

Gestern ist der Groß­mei­ster nach einer glanz­lo­sen Amts­zeit an der Spit­ze des älte­sten Rit­ter­or­dens im Alter von 75 Jah­ren in Rom ver­stor­ben. Der 80. Groß­mei­ster ist tot, wäh­rend der 79. Groß­mei­ster noch lebt. Ein Groß­mei­ster wird, wie der Papst, auf Lebens­zeit gewählt. Die Situa­ti­on erin­nert an die Par­al­le­le der bei­den Päp­ste, und der nun­meh­ri­ge Tod des amtie­ren­den Groß­mei­sters vor jenem des zurück­ge­tre­te­nen gilt für Tei­le des päpst­li­chen Hof­staa­tes, auf den regie­ren­den und den eme­ri­tier­ten Papst umge­legt, als Super-Gau.

Mit dem Tod von Groß­mei­ster Dal­la Tor­re ist die Fra­ge nach der Aus­rich­tung des Ordens wie­der offen. Wer tritt sei­ne Nach­fol­ge an? Wer kann sich durch­set­zen? Wie groß wird dies­mal die Ein­mi­schung des Vati­kans sein?

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: SMOM/​MiL/​NBQ/​GN (Screen­shots)

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