
Mit einem Buch mit provokantem Titel ist der Publizist Rino Cammilleri an die Öffentlichkeit getreten: „Hat die Inquisition auch Gutes getan?“ Darin geht es nicht nur um die Heilige Inquisition, sondern auch die Kreuzzüge, um die Hexenverfolgung im „dunklen Mittelalter“, um die Muslime auf Sizilien nach der Rückeroberung der Insel durch die Christen. Mit den historischen Fakten und den Waffen der Vernunft zerlegt der Autor die zahlreichen falschen Mythen, die sich durch eine schlechte, ideologisch verzerrte und antikatholische Geschichtsvermittlung im kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben.
Rino Cammilleri wurde 1950 auf Sizilien geboren. Nach dem Studium der Politikwissenschaften begann er eine akademische Laufbahn als Dozent für Diplomatisches und Konsularisches Recht an der Universität Pisa. Heute ist er freier Publizist. Während seiner Studentenzeit, die kurz nach 1968 begann, war er ein militanter Anhänger der Studentenbewegung, doch dann folgte seine Bekehrung zu Christus und zum katholischen Glauben.
Zur Inquisition, nach der er sein jüngstes Buch benannte, zitiert er mit Bedacht einen namhaften Historiker, Paolo Prodi, ehemaliger Rektor der Universität Bologna und Bruder des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten und italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi. Dieser sagte:
„Mit der Inquisition schafft die Kirche die erste fundamentale Säule der modernen Justiz, um Verbrechen von Amts wegen zu verfolgen.“
Damit schielt Cammilleri auf jene „aufgeklärten“, kirchenfernen Kreise, die sich selbst für „modern“ und die Kirche für „überholt“ halten, bei näherem Nachbohren allerdings große Wissenslücken zeigen und vor allem, von dem was man weiß, stimmt vieles gar nicht. Die Schuld sucht der Autor nicht so sehr bei den Betroffenen, sondern bei einer irrigen und irreführenden Geschichtsvermittlung.

Warum aber ist es möglich, daß sich falsche Geschichtsdarstellungen hundert Jahre und mehr halten können? Der Hauptgrund liegt wohl darin, daß viele, die an die falsche Geschichte glauben, ihr Geschichtsbild gar nicht richtigstellen wollen. Sie müßten sich dann von sicher geglaubten und für die Propaganda geeigneten Behauptungen trennen und vielleicht sogar einen Umdenkprozeß beginnen. Nun, genau diesem Anliegen ist das Buch des Autors verpflichtet.
Was Paolo Prodi zum Ausdruck brachte, besagt zum Beispiel nichts Geringeres, als daß der Kirche und der Inquisition ein großes und wichtiges Verdienst in der Weiterentwicklung des Strafprozesses zukommt. Durch die Kirche wurde das heidnische Römische Recht, das anklagend war und auf der Klage einer Seite beruhte, durch den Amtsermittlungsgrundsatz ersetzt. Anders als in den Schulen und erst recht von den Medien verbreitet, war es gerade die vielgescholtene Inquisition, die Ermittlungen und Urteile von Amts wegen einführte und damit den Rechtsstaat erst wirklich zum Rechtsstaat nach heutigen Vorstellungen machte. Schutz und Rechte des Angeklagten gehen, ebenso wie das Legalitätsprinzip, auf die Inquisition zurück.
Der Autor läßt daher keinen Zweifel: Die Antwort auf die im Buchtitel gestellte Frage lautet „Ja“.
Erschienen ist das Buch soeben im Verlag Fede & Cultura als Band 5 der Reihe „Il Kattolico“ (Der Katholik). Auch der Name der Buchreihe will provozieren. Der Buchstabe „K“, griechisch Kappa, fehlt im italienischen Alphabet. Wenn umgangssprachlich daher etwas mit „K“ geschrieben wird, will das eine besondere Betonung unterstreichen. Im konkreten Fall ist es ein Bekenntnis zur Katholizität.
Wenig bekannte Gestalten
Um nicht zuviel der Lektüre vorwegzunehmen, soll der weitere Inhalt nur gestreift werden:
Auf 140 Seiten gibt Cammilleri absichtlich weniger bekannten historischen Persönlichkeiten Raum wie dem Spanier Gil Alvarez de Albornoz (1310–1367). Der junge Adelige wurde Augustiner-Chorherr und Erzbischof von Toledo und damit Primas von Spanien. Als solcher unterstützte er die Endphase der Reconquista gegen die Muslime. Als er unter dem ab 1350 regierenden König Peter dem Grausamen von Kastilien und Leon in Ungnade fiel, ging er nach Avignon, wohin seit 1309 das Papsttum durch die französischen Könige ins Exil gezwungen war. Vom Papst wurde er als Legat nach Italien entsandt, wo er tatkräftig die päpstliche Autorität im Kirchenstaat wiederherstellte und die Verhältnisse ordnete. Damit machte er die Rückkehr des Papstes nach Italien möglich. 1367 konnte er dort noch Papst Urban V. begrüßen, ehe er kurz darauf verstarb und in der Kathedrale von Toledo beigesetzt wurde.
Eine andere weniger bekannte Gestalt der Kirchengeschichte ist Angelo da Gerusalemme, ein Name, der mit „Engel von Jerusalem“ wiedergegeben werden könnte. Gemeint ist ein Karmelitenpater, der 1185–1225 lebte und als Märtyrer starb. Die katholische Kirche verehrt ihn als Heiligen. Er entstammte einer jüdischen Familie des Heiligen Landes, die sich zum Christentum bekehrte. Er und sein Zwillingsbruder Johannes traten im Alter von etwa 25 Jahren auf dem Berg Karmel bei Haifa in das erste Kloster des Karmelitenordens ein. 1218 wurde er zum Papst nach Rom entsandt, um diesem zur Approbation die neue Ordensregel als kontemplativen Bettelorden zu unterbreiten. In Rom, wo er als Prediger wirkte, lernte er den heiligen Franz von Assisi und den heiligen Dominikus kennen. Darauf wurde er nach Sizilien entsandt, um die Häresie der Katharer zu bekämpfen. So zog er predigend und die Sakramente spendend durch das Land. In einer Stadt heilte er sieben Aussätzige. In der Stadt Licata traf er auf den örtlichen Feudalherren namens Berengar, der mit seiner leiblichen Schwester in einem inzestuösen Verhältnis lebte. Der Karmelit konnte die Schwester bekehren und dazu bewegen, ihren Bruder zu verlassen. Dieser war darüber so erzürnt, daß er in die Kirche stürmte, in der der „Engel von Jerusalem“ gerade predigte, und diesen mit fünf Schwerthieben niederstreckte. Der Heilige wurde in ein benachbartes Haus gebracht und gepflegt. Vier Tage später erlag er am 5. Mai 1225 den schweren Verletzungen, nachdem er die Bewohner der Stadt ersucht hatte, seinem Mörder zu vergeben. Er wurde in der Kirche seines Martyriums beigesetzt, die sofort zum Ziel zahlreicher Pilger wurde.
Der gläubige Souverän
Eine andere Geschichte, die Cammilleri rekonstruiert, ist jene des französischen Königs Ludwig XIII., dem es nicht gelang, mit den ständigen internen Konflikten mit den Protestanten fertig zu werden. Er rief deshalb die Dominikaner in der Hauptstadt zusammen und bat sie, den Rosenkranz vor dem versammelten Königshof zu beten. Dann schickte er sie zu seinen Truppen, die La Rochelle belagerten. Die Ordensmänner verteilten Tausende von Rosenkränzen an die Soldaten. Jeden Abend wurde im Licht der Fackeln eine Statue der Gottesmutter in Prozession um die Mauern der belagerten Stadt getragen und die Soldaten sangen unter dem Hohngelächter der Protestanten Marienhymnen. Am 1. November 1628 ergab sich die strategisch wichtige Stadt und Festung und damit endeten auch die Religionskriege, die Frankreich jahrzehntelang erschüttert hatten. Die Hingabe des Monarchen war so groß, daß er in zahlreichen Novenen die Mutter vom Sieg um einen Thronerben bat, nachdem seine Frau mehrere Fehlgeburten hatte. Und auch dieser Wunsch wurde ihm erfüllt. Sein Sohn sollte der spätere „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. werden, der allerdings nicht so vom Glauben durchdrungen war wie seine Eltern.
Während der Regierungszeit Ludwigs XIV. kam es zu den Offenbarungen des heiligsten Herzens Jesu an die heilige Margarete Maria Alacoque. Der König wurde darin aufgefordert, Frankreich dem Herzen Jesu zu weihen. Der Herrscher tat es aber nicht. Ein Jahrhundert später wird die Monarchie beseitigt und der König hingerichtet, während die Katholiken des Anti-Jakobineraufstandes in der Vendée im Moment der größten Gefahr für ihr Land „das Heilige Herz an ihre Jacken, Hüte und Flaggen nähen“. Und nach ihnen werden das Hunderttausende „von Soldaten während des Ersten Weltkriegs tun, so viele, daß die laizistische Regierung es 1917 ausdrücklich verbieten“ sollte.
Der Rosenkranzsühnekreuzzug
Auch Österreich bezieht der Autor in seine Darstellung ein mit einem besonderen historischen Ereignis. Es ist einem „Rosenkranzsühnekreuzzug“ zu verdanken, der von Pater Petrus Pavlicek in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg gefördert wurde, als das Land von Alliierten besetzt und in vier Besatzungszonen aufgeteilt war. Der Franziskanerpater antwortete damit auf den Ruf der Gottesmutter, den er im Heiligtum von Mariazell empfangen hatte:
„Betet täglich den Rosenkranz und ihr werdet gerettet werden“.
Das Volk betete mehrere Jahre lang mit Treue und Beständigkeit zu Unserer Lieben Frau. Tatsächlich erklärte sich die Sowjetunion anders als in Ost- und Mitteldeutschland bereit, sich zusammen mit den westlichen Besatzungsmächten aus Österreich zurückzuziehen. Am 13. Mai 1955 wurde der österreichische Bundeskanzler nach Moskau gerufen, um diese gute Nachricht entgegenzunehmen: Die Rote Armee werde Österreich verlassen, um das Neutralitätsversprechen des Landes gegenüber den beiden ideologischen Blöcken des Kalten Krieges zu erhalten. Der Abzug der Roten Armee erfolgte im Oktober jenes Jahres, dem Rosenkranzmonat.
Im literarischen Bereich befaßt sich Cammilleri mit dem Schriftsteller Giacomo Leopardi (1798–1837), den noch heute jedes italienische Schulkind kennenlernt. Noch immer wird Leopardi aber als Atheist bezeichnet und deshalb von Kirchengegnern besonders verehrt. In Wirklichkeit bekehrte er sich auf dem Sterbebett und ließ einen Priester rufen, der ihm die Beichte abnahm und die Sterbesakramente spendete. Bis heute wird dieser für das Seelenheil und die Bewertung des Dichters entscheidende Umstand unterschlagen, weil sein Hauswirt Antonio Ranieri ihn geheimhielt. Von dem Richter Alessandro Stefanucci d’Alba gefragt, warum er dies getan habe, antwortete Ranieri: „Ich hätte Leopardi bei den Freidenkern ruiniert, dessen Ruf bei diesen allein auf seinem Unglauben beruhte.“ Das „Geheimnis“ wurde von interessierten Kreisen bis heute am Leben erhalten.
Weitere Themen sind kaum bekannte Details zu den Hexenverfolgungen und zahlreiche weitere. Das Bild runden wahre Anekdoten ab wie die Entstehung des Croissant und des Cappuccino im Zusammenhang mit dem Sieg der Christen bei der Türkenbelagerung von Wien 1683. Der Cappuccino wurde nach dem Kapuzinerpater Marco d’Aviano benannt, der mit aufrüttelnden Predigten die Verteidiger Wiens anfeuerte.
Cammilleris Buch garantiert eine kurzweilige Lektüre mit einer Fülle von Richtigstellungen und Informationen und leistet damit einen Beitrag, der historischen Wahrheit eine Bahn zu brechen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Fede & Cultura
Pfarrer Sebastian Kneipp, der „Wasserdoktor“, hat auch eigene Erfahrungen und sein umfassendes (Allgemein-)Wissen in Büchern niedergeschrieben. Neben seinem Buch „Meine Wasserkur“ schrieb er auch die Bücher „So sollt ihr leben!“ und „Rathgeber für Gesunde und Kranke“. Er bemerkt dort u.a., daß die Menschen in früheren Zeiten (auch Mittelalter?) durchaus sehr alt wurden, nicht nur Ausnahmen, sondern generell. Uns wurde ja immer vorgegaukelt, daß im Mittelalter etc. die Menschen jung starben und meist kein hohes Alter erreichten. Aber das ist so nicht richtig, da die Menschen früher abgehärtet waren und wesentlich gesünder lebten als wir heutzutage. Dies auch eine Richtigstellung zum „katholischen Mittelalter“ und zur Geschichte.
Die Bücher von Pfarrer Kneipp sind lesens- und bedenkenswert.
Noch eine Nachbemerkung: Daß die Menschen in jüngerer Zeit häufiger jung starben, hat wohl u.a. auch etwas mit der industriellen Revolution zu tun und ist ein Phänomen des 18. und 19. Jahrhunderts, also der Neuzeit. Als Europa noch christlich-katholisch war und die Arbeit sich vor allem auch in Gilden und Zünften abspielte, waren die Menschen noch gesund und abgehärtet. Und glücklich, soweit dies von unserem irdischen Dasein gesagt werden kann. Sie lebten in der Einheit mit Gott und brauchten die Geschichte nicht durch Verdrehungen und Lügen zu manipulieren.
Danke für diese hochinteressante Buchbesprechung! Der Autor verfügt offenbar über ein profundes historisches Bewußtsein und viele Detailkenntnisse.
Vielleicht finden sich geeignete Leute, die Übersetzungen ins Deutsche und Englische machen können. Es ist ja immer sehr schade, wenn wichtige Literatur dann nur in einem Sprachgebiet zugänglich ist.