Neue Studien bestätigen: Kannibalen-Berichte von Kolumbus waren richtig

Anthropophage Praktiken im vorkolumbianischen Amerika


Die seit einem halben Jahrhundert in Zweifel gezogenen Berichte von Christoph Kolumbus wurden durch neue Studien bestätigt.
Die seit einem halben Jahrhundert in Zweifel gezogenen Berichte von Christoph Kolumbus wurden durch neue Studien bestätigt.

Wer bis­her dach­te, die maka­bren Schil­de­run­gen der Ent­decker Ame­ri­kas und der ersten Sied­ler auf dem neu­en Kon­ti­nent über dort herr­schen­den Kan­ni­ba­lis­mus sei­en schau­ri­ge Erfin­dun­gen gewe­sen, muß sei­ne Mei­nung kor­ri­gie­ren. Der Kan­ni­ba­lis­mus unter Indio-Völ­kern, den die Con­qui­sta­do­res ent­setzt nach Euro­pa berich­te­ten, ent­sprang nicht ihrer Phan­ta­sie und war auch nicht kolo­nia­li­sti­sche Pro­pa­gan­da. Neue­ste Stu­di­en bestä­ti­gen die anthro­po­pha­gen Prak­ti­ken der indi­ge­nen Völ­ker. Eine die­ser Stu­di­en vor weni­gen Tagen in einer wis­sen­schaft­li­chen Fach­zeit­schrift vorgestellt.

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Als Chri­stoph Kolum­bus im Zuge sei­ner ersten Ame­ri­ka-Fahrt die heu­te Baha­mas genann­ten Inseln der Kari­bik erreich­te, traf er dort auf die fried­li­chen Tai­nos, ein Volk, das er als „freund­lich und ein­fach“ beschrieb.

Als er auf die nahe­ge­le­ge­ne Insel Gua­de­lou­pe gelang­te, bot sich ihm ein ganz ande­res Bild. Der Emp­fang war aus­ge­spro­chen feind­se­lig. Sei­ne Schil­de­run­gen und die spä­te­rer spa­ni­scher Chro­ni­ken berich­ten von Wil­den, die geschickt mit Pfeil und Bogen umge­hen konn­ten und Men­schen­fres­ser waren. Die Kno­chen ihrer Opfer bewahr­ten sie in Kör­ben auf, wäh­rend sie die Köp­fe und die noch blu­ten­den Bei­ne in ihren Hüt­ten an Bal­ken hängten.

Kolum­bus, der noch über­zeugt war, sich im Osten zu befin­den, nann­te sie ent­setzt „Kan­ni­ba­len“, weil er sie mit asia­ti­schen Unter­ta­nen des mon­go­li­schen Groß­khans in Ver­bin­dung brach­te. Er knüpf­te damit an die furcht­ein­flö­ßen­de Erin­ne­rung an zen­tral­asia­ti­sche Rei­ter­völ­ker an, die von den Hun­nen bis zu den Mon­go­len tau­send Jah­re lang Euro­pa in Schrecken ver­setzt hatten.

Eini­ge Jahr­zehn­te spä­ter, als geo­gra­phi­sche Klar­heit herrsch­te, kor­ri­gier­ten sich die Spa­ni­er und nann­ten die kan­ni­ba­li­schen Bewoh­ner der Kari­bik und der Küsten von Kolum­bi­en, Vene­zue­la und Gua­ya­na als „Kari­ben“. Den Kan­ni­ba­lis­mus, den sie erleb­ten, schrie­ben sie ritu­el­len Prak­ti­ken zu: Die „Kari­ben“ waren der Über­zeu­gung, sich die Kraft der Fein­de „anzu­eig­nen“, indem sie sie auffressen.

Bis­her war die Wis­sen­schaft der Mei­nung, die „Kari­ben“ sei­en nie in Gebie­te wie die Baha­mas vor­ge­sto­ßen, und die ent­spre­chen­den Berich­te der Spa­ni­er daher bloß erfun­de­ne Schau­er­ge­schich­ten. Dem ist aber nicht so.

Eine neue mor­pho­lo­gi­sche Stu­die, die im Sci­en­ti­fic Reports [1] ver­öf­fent­licht und an über 100 Schä­deln von Kari­bik­be­woh­nern aus der Zeit von 800 v. Chr. bis 1542 n. Chr. durch­ge­führt wur­de, bestä­tigt, was Chri­stoph Kolum­bus berich­te­te. Die Unter­su­chun­gen ermög­lich­ten fest­zu­stel­len, wie sich die „Kari­ben“ nach Jamai­ka, His­pa­nio­la und auf die Baha­mas aus­brei­te­ten. Das zwingt dazu, die Hypo­the­sen des ver­gan­ge­nen hal­ben Jahr­hun­derts, die sich als halt­los erwie­sen, neu zu for­mu­lie­ren und den Berich­ten von Kolum­bus und den spa­ni­schen Sied­lern neue Glaub­wür­dig­keit zu schen­ken. Prof. Wil­liam Kee­gan vom Flo­ri­da Muse­um of Natu­ral Histo­ry, Co-Autor des soeben ver­öf­fent­lich­ten Auf­sat­zes „Faces Divul­ge the Ori­g­ins of Carib­be­an Pre­hi­sto­ric Inha­bi­tants“ (Schä­del ent­hül­len die Ursprün­ge der prä­hi­sto­ri­schen Bewoh­ner der Kari­bik), sagt zu den Ergebnissen: 

„Wir müs­sen alles neu inter­pre­tie­ren, was wir zu wis­sen glaub­ten. […] Ich habe jah­re­lang ver­sucht, zu bewei­sen, daß Kolum­bus falsch lag, aber er hat­te recht: Es gab Kari­ben sogar im Nor­den der Kari­bik, als er dort ankam.“

Ann Ross, Pro­fes­so­rin an der Natur­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tät der North Caro­li­na Sta­te Uni­ver­si­ty und Haupt­au­to­rin der Stu­die, ver­wen­de­te als Refe­renz­pa­ra­me­ter Gesichts­er­ken­nungs­merk­ma­le in 3D wie die Grö­ße der Augen­höh­len oder die Län­ge der Nase: 

„Wir wis­sen, daß die Kari­ben eine Art Schä­del­ab­fla­chung prak­ti­zier­ten, um bestimm­te Cha­rak­te­ri­sti­ken zu erzie­len. Das ist recht ein­fach zu iden­ti­fi­zie­ren, aber um ein Volk wirk­lich auf­zu­spü­ren, muß man sich die erb­li­chen Merk­ma­le anse­hen, d.h. die Fak­to­ren, die gene­tisch über­tra­gen werden.“ 

Durch die neue Stu­die konn­ten nicht nur drei ver­schie­de­ne Bevöl­ke­rungs­grup­pen in der Kari­bik iden­ti­fi­ziert wer­den, son­dern auch ihre Migra­ti­ons­rou­ten. Die erste Migra­ti­ons­wel­le von Yuca­tan nach Kuba und West­in­di­en bestä­tigt, was in der Ver­gan­gen­heit bereits anhand der Ähn­lich­kei­ten der Stein­werk­zeu­gen ver­mu­tet wur­de. Die zwei­te Migra­ti­ons­wel­le, die der Ara­wak- Grup­pe, zu der auch die erwähn­ten Tai­nos gehör­ten, ereig­ne­te sich zwi­schen 800 und 200 v. Chr. und erfolg­te von den Küsten Kolum­bi­ens und Vene­zue­las über Puer­to Rico, was durch die Ähn­lich­kei­ten der gefun­de­nen Töp­fer­wa­ren bestä­tigt wird. Es gab jedoch noch eine drit­te, bis­her unbe­kann­te Migra­ti­ons­wel­le: die der „Kari­ben“. Sie beweg­ten sich vom nord­west­li­chen Ama­zo­nas, um 800 v. Chr., Rich­tung Nor­den auf His­pa­nio­la, Jamai­ka und die Baha­mas. Sie waren die ersten Bewoh­ner die­ser Gebiete. 

„Das wird die Per­spek­ti­ve für die Betrach­tung der kari­bi­schen Bevöl­ke­rung ver­än­dern“, so Pro­fes­sor Ross. 

Die ver­schie­de­nen Expan­si­ons­pha­sen in die­sen Gebie­ten erklä­ren nun, war­um eine bestimm­te Art von Kera­mik, bekannt als „Meil­la­co­id“, zu einer bestimm­ten Zeit auf His­pa­nio­la auf­taucht, hun­dert Jah­re spä­ter auf Jamai­ka und im ersten nach­christ­li­chen Jahr­tau­send dann auf den Bahamas. 

Bei der Kan­ni­ba­lis­mus-Fra­ge geht es aller­dings nicht nur um längst Ver­gan­ge­nes: Noch heu­te, 528 Jah­re nach der Ent­deckung Ame­ri­kas durch Kolum­bus, gibt es Bevöl­ke­rungs­grup­pen wie die Yan­om­ami , die Kin­der­mord und ritu­el­len Kan­ni­ba­lis­mus prak­ti­zie­ren. Die Yan­om­ami leben im Ama­zo­nas­ge­biet zwi­schen Bra­si­li­en und Vene­zue­la. Den Kan­ni­ba­lis­mus haben sie auf­grund ihrer Abge­schie­den­heit bewahrt, was im Umkehr­schluß anzeigt, daß er einst in Ame­ri­ka viel wei­ter ver­brei­tet war, was sehr gut belegt ist.

Die Asche der ver­brann­ten Lei­chen von toten Ver­wand­ten wird von den Yan­om­ami geges­sen, weil sie glau­ben, daß sich dar­in die Lebens­en­er­gie des Ver­stor­be­nen befin­det und er durch den Ver­zehr wie­der in den Fami­li­en­ver­band inte­griert wird. In den Doku­men­ten der Ama­zo­nas­syn­ode, die im Okto­ber 2019 im Vati­kan statt­fand, wird gefor­dert, die „Ahnen­er­fah­run­gen, Kos­mo­lo­gien, Spi­ri­tua­li­tät und Theo­lo­gien der indi­ge­nen Völ­ker“ zu hören und zu wür­di­gen. Auch deren anthro­po­pha­gen Praktiken?

„Auf all das ver­zich­ten wir ger­ne“, so Mau­ro Faver­za­ni von Cor­ri­spon­den­za Roma­na.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL


[1] Ross, A.H., Kee­gan, W.F., Pateman, M.P. et al. Faces Divul­ge the Ori­g­ins of Carib­be­an Pre­hi­sto­ric Inha­bi­tants. Sci Rep 10, 147 (2020)

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3 Kommentare

  1. Die­se „Ama­zo­nas­syn­ode“ ist doch nur ein tro­ja­ni­sches Pferd, durch das der Zöli­bat abge­schafft wer­den soll. Die Macher im Hin­ter­grund küm­mern sich einen Dreck um die indi­ge­nen Völ­ker, es ist wich­tig um ihren Betrug zu ver­tu­schen, irgend­wo in der Welt einen Prä­ze­denz­fall zu schaf­fen, der als Aus­nah­me geneh­migt und dann als Regel in der Kir­che ein­ge­führt wird.
    Das Gan­ze wird dann auch noch Tra­di­ti­on genannt.
    So wird das mit Allem gemacht, was die­se Kir­chen­ver­bre­cher ange­stellt haben, seit unse­lig­sten Konzilszeiten.

  2. Es ist bezeich­nend für unse­re Zeit, dass objek­ti­ve Tat­sa­chen zuneh­mend unwich­ti­ger wer­den. Wich­tig ist, was sich sub­jek­tiv „rich­tig anfühlt“ und was einen Teil der beque­men Mas­se sein läßt. Die Ähn­lich­keit zu den kind­li­chen „Eloi“ aus H.G. Wells „Zeit­ma­schi­ne“ ist bedrückend: man lebt völ­lig unre­flek­tiert und ver­weich­licht zuneh­mend. Immer mehr Men­schen leben in Deutsch­land bereits vir­tu­ell in einer ima­gi­nier­ten Inklu­si­ons­ge­sell­schaft, in der alle ohne Pro­ble­me und Unter­schie­de zusam­men­le­ben, die har­te Rea­li­tät wird ein­fach aus­ge­schal­tet. Nun scheint noch eine „ama­zo­ni­sche“ Phan­ta­sie­kir­che dazu­zu­kom­men, die nur „Chan­cen“ und „Mög­lich­kei­ten“ kennt, sich „krea­tiv ein­zu­brin­gen“ und sich „aus­zu­le­ben“ – ohne Ge- oder Verbote.

    Gehen wir nicht herr­li­chen Zei­ten entgegen…? 😉

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