Die Reaktion von Santa Marta auf das Sarah/​Benedikt XVI.-Buch

Keine gemeinsame Linie


Kardinal Robert Sarah und Benedikt XVI. Der Inhalt ihrer Verteidigung des priesterlichen Zölibats durchkreuzt eine ganze Reihe von Plänen.
Kardinal Robert Sarah und Benedikt XVI. Der Inhalt ihrer Verteidigung des priesterlichen Zölibats durchkreuzt eine ganze Reihe von Plänen.

(Rom) Das neue Buch zur Ver­tei­di­gung des prie­ster­li­chen Zöli­bats, das gemein­sam von Bene­dikt XVI. und Kar­di­nal Robert Sarah vor­ge­legt wird, sorgt bereits vor sei­nem offi­zi­el­len Erschei­nen für welt­wei­tes Auf­se­hen. Zwei Reak­tio­nen lie­gen inzwi­schen aus dem Vati­kan vor, bei­de stam­men von den Pres­se­ver­ant­wort­li­chen von San­ta Mar­ta.

Anzei­ge

Aus den Tie­fen unse­rer Her­zen“ ist nicht nur eine Auf­for­de­rung an Papst Fran­zis­kus, nicht Hand an die Dis­zi­plin des prie­ster­li­chen Zöli­bats zu legen. Es ist auch eine Ver­tie­fung des theo­lo­gi­schen Ver­ständ­nis­ses des Zöli­bats. Die­ser stößt in der Welt auf gro­ßes Unver­ständ­nis, wenn nicht sogar auf Ableh­nung. Selbst Katho­li­ken sind oft nicht mehr imstan­de, oder nicht mehr bereit, ihn zu ver­tei­di­gen. Das hat auch damit zu tun, daß dem gläu­bi­gen Volk in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten nicht sel­ten die nöti­ge Unter­wei­sung dazu ver­sagt wur­de. Ein Kle­rus, der selbst nicht mehr von der Rich­tig­keit und Gott­ge­wollt­heit sei­nes Lebens­stan­des über­zeugt ist, kann und wird ihn auch nicht ver­tei­di­gen. Wird das The­ma des prie­ster­li­chen Zöli­bats öffent­lich ange­spro­chen, sind Kir­chen­ver­tre­ter häu­fig bemüht, die Fra­ge schnell wie­der vom Tisch zu haben. Die dabei gezeig­te Hal­tung ist in der Regel defen­siv, wenn nicht kapi­tu­lie­rend. Das gilt auch für die häu­fig­ste Kurz­for­mel dazu: Der prie­ster­li­che Zöli­bat sei nur ein Gesetz der Kir­che, per­sön­lich habe man kein Pro­blem damit, die Kir­che kön­ne das Gesetz aber ändern. Die­se For­mu­lie­rung muß dem auf­merk­sa­men Zuhö­rer signa­li­sie­ren, daß die Insti­tu­ti­on des Prie­ster­zö­li­bats sturm­reif ist. Es fehlt nur mehr der klei­ne Fin­ger­stoß des Pap­stes, um sie zum Ein­sturz zu bringen.

Der kleine Fingerstoß

Seit dem Bericht des öster­rei­chi­schen Links­au­ßen-Bischofs Erwin Kräut­ler über sei­ne Audi­enz Anfang April 2014 bei Papst Fran­zis­kus liegt die­ser „klei­ne Fin­ger­stoß“ in der Luft. Es wäre ein Leich­tes für Fran­zis­kus, die­se Sor­ge zu zer­streu­en, doch er hat es bis­her nicht getan. Sei­ne Aus­sa­gen beschränk­ten sich auf die in jeder Hin­sicht unbe­frie­di­gen­de oben erwähn­te Kurz­for­mel. Sei­ne Hand­lun­gen las­sen sich sogar als För­de­rung der Zöli­bats­geg­ner erken­nen. Die gan­ze Ama­zo­nas­syn­ode, die nicht wegen des Regen­wal­des, son­dern mit dem pri­mä­ren Ziel der Zöli­bats­auf­wei­chung insze­niert wur­de, spricht eine deut­li­che Spra­che. Beleg dafür ist wie­der­um der Bericht Kräut­lers über sei­ne Papst­au­di­enz im April 2014, die als erster erkenn­ba­rer Moment der Syn­oden­vor­be­rei­tung fest­zu­ma­chen ist. Kräut­ler berich­te­te an die­ser Stel­le nicht von Regen­wald und Indio-Stäm­men, dafür aber von der Auf­for­de­rung von Fran­zis­kus, ihm „muti­ge Vor­schlä­ge“ zu brin­gen, um dem von Kräut­ler behaup­te­ten Prie­ster­man­gel zu begegnen. 

Robert Kardinal Sarah, ein bedachter und mutiger Kirchenmann.
Robert Kar­di­nal Sarah, ein bedach­ter und muti­ger Kirchenmann.

Zur Erin­ne­rung: Kräut­ler nütz­te das Inter­view der Salz­bur­ger Nach­rich­ten für einen Sei­ten­hieb gegen Bene­dikt XVI. Die­sem habe er zwei Jah­re zuvor das­sel­be Anlie­gen vor­ge­bracht. Es besteht kein begrün­de­ter Zwei­fel, daß Kräut­ler bei­den Päp­sten sei­nen Vor­schlag eines ver­hei­ra­te­ten Kle­rus vor­leg­te. Papst Bene­dikt XVI. ant­wor­te­te ihm mit dem geist­li­chen Rat, um Prie­ster­be­ru­fun­gen „zu beten“. Bekannt ist nicht, wie Kräut­ler gegen­über dem damals noch regie­ren­den Papst reagier­te, aber sei­ne ent­lar­ven­de Aus­sa­ge dazu von Mai 2014: „Da mache ich nicht mit“. Begei­stert hin­ge­gen war Kräut­ler über die Ant­wort von Papst Fran­zis­kus. Des­sen Auf­for­de­rung, „muti­ge Vor­schlä­ge“ zu unter­brei­ten, mün­de­te direkt in der Durch­füh­rung der Ama­zo­nas­syn­ode. Zu den Beweg­grün­den für Kräut­lers Ama­zo­nas-Enga­ge­ment wer­den mas­si­ve Zwei­fel geäu­ßert. Wie könn­te es auch anders sein, wenn ein Mis­sio­nar nach 60 Jah­ren des Mis­si­ons­ein­sat­zes, davon 35 als Bischof der größ­ten Ama­zo­nas-Diö­ze­se, stolz von sich behaup­tet, nie einen Indio getauft zu haben. Papst Fran­zis­kus schei­nen sol­che Bekennt­nis­se nicht zu stö­ren. Er mach­te Kräut­ler neben Kar­di­nal Clau­dio Hum­mes zum Haupt­or­ga­ni­sa­tor der Ama­zo­nas­syn­ode und ernann­te ihn per­sön­lich zum Synodalen.

Kla­re Aus­sa­gen von Papst Fran­zis­kus sind eher zu poli­ti­schen als zu kirch­li­chen The­men zu erwar­ten. Wer also auf eine ein­deu­ti­ge Aus­sa­ge des regie­ren­den Kir­chen­ober­haup­tes zur Zöli­bats­fra­ge war­tet, war­tet ver­ge­bens. Kla­re Wor­te zur Ver­tei­di­gung von Glau­bens­leh­re und Kir­chen­ord­nung gehö­ren nicht zu sei­ner Stra­te­gie. Die Hal­tung von Fran­zis­kus, das ist nach bald sie­ben Jah­ren sei­nes Pon­ti­fi­kats deut­lich gewor­den, muß indi­rekt erschlos­sen wer­den, teils mühe­voll, beson­ders kon­kret anhand des­sen, was und wen er begün­stigt. Folgt man die­sem etwas auf­wen­di­gen Weg, gewinnt das trü­be Bild zuse­hends an Schärfe. 

Das neue Buch „Aus den Tiefen unserer Herzen“
Das neue Buch „Aus den Tie­fen unse­rer Herzen“

Der Vor­wurf ist zudem nicht von der Hand zu wei­sen, daß es sich dabei nicht um Zufall oder Unge­nü­gen, son­dern um Absicht han­delt und Ver­schleie­rung Teil der Stra­te­gie ist. Dafür gibt es sogar einen expli­zi­ten Beleg, den einer sei­ner Ver­trau­ten ent­hüll­te, Erz­bi­schof Bru­no For­te, den Fran­zis­kus auf Syn­oden für Ver­trau­ens­po­si­tio­nen hin­zu­zog. Msgr. For­te ent­hüll­te im Mai 2016 wohl­ge­launt in sei­nem Bis­tum Chie­ti-Vas­to, daß es Fran­zis­kus in sei­nen stra­te­gi­schen Pla­nun­gen und sei­nem tak­ti­schen Vor­ge­hen dar­um geht, Wider­stän­de „kon­ser­va­ti­ver“ und „tra­di­tio­na­li­sti­scher“ Kir­chen­krei­se regel­recht aus­zu­trick­sen. Dar­aus folgt: Fran­zis­kus weiß, was er tut, und alles was er tut, tut er bewußt und berech­nend. Das betrifft auch sein Vor­ge­hen im Zusam­men­hang mit dem drän­gen­den Wunsch der kirch­li­chen 68er-Bewe­gung, den Zöli­bat aus der Liste der Wei­he­vor­aus­set­zun­gen zu strei­chen und als kon­sti­tu­ti­ves Ele­ment des latei­ni­schen Prie­ster­tums zu beseitigen.

Die­sen Bestre­bun­gen stel­len sich nun aber zwei der höch­sten Kir­chen­ver­tre­ter in den Weg. Kein Gerin­ge­rer als Bene­dikt XVI., der Vor­gän­ger von Fran­zis­kus auf dem Papst­thron, und kein Gerin­ge­rer als Robert Kar­di­nal Sarah, der Prä­fekt der römi­schen Kon­gre­ga­ti­on für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung. Sie ram­men mit ihrem Buch einen Mark­stein in den Boden, der für die Wie­der­her­stel­lung kla­rer Ver­hält­nis­se sorgt, die Fran­zis­kus seit meh­re­ren Jah­ren ver­hin­dert. Der vor­ma­li­ge Papst und der Kar­di­nal­prä­fekt haben eine rote Linie gezo­gen, die der gesam­ten Kir­che eine Über­tre­tung sicht­bar macht. 

Zwei Reaktionen von Santa Marta

Die welt­li­chen Medi­en wid­men dem Buch brei­ten Raum, und es fehlt dabei nicht an den übli­chen ideo­lo­gisch moti­vier­ten Sei­ten­hie­ben gegen Bene­dikt XVI. Es lie­gen aber auch zwei Reak­tio­nen aus dem Vati­kan vor. Die erste stammt von Vati­kan­spre­cher Matteo Bruni, die zwei­te vom päpst­li­chen Haus- und Hof­va­ti­ka­ni­sten Andrea Tor­ni­el­li, der seit Dezem­ber 2018 über­ge­ord­ne­ter Haupt­schrift­lei­ter aller Vati­kan­me­di­en ist. Bei­de Reak­tio­nen wur­den vom Osser­va­to­re Roma­no (Aus­ga­be v. 13./14.01.2020), teil­wei­se auch von Vati­can­News veröffentlicht. 

Tor­ni­el­lis Arti­kel wur­de dabei wesent­lich grö­ße­re Sicht­bar­keit ein­ge­räumt als der Stel­lung­nah­me des Vati­kan­spre­chers. Der Haus­va­ti­ka­nist hat offen­sicht­lich mehr zu sagen. In der Tat steht Tor­ni­el­li Papst Fran­zis­kus viel näher und genießt frei­en Zutritt zum Kirchenoberhaupt. 

Er bemüh­te sich gleich in der Über­schrift, die Bedeu­tung des Buches von Bene­dikt XVI. und Kar­di­nal Sarah her­un­ter­zu­spie­len, was wie folgt klingt: 

„Ein Bei­trag über den prie­ster­li­chen Zöli­bat in treu­em Gehor­sam zum Papst.“ 

Den bei­den Autoren kommt es nicht unge­le­gen, denn sie wis­sen dar­um, in wel­cher Grö­ßen­ord­nung sie Wider­spruch äußern. Im Unter­ti­tel erklärt Tor­ni­el­li, daß der „eme­ri­tier­te Pon­ti­fex“ und der Kar­di­nal­prä­fekt in einem Buch ein The­ma behan­deln, zu dem Papst Fran­zis­kus sich ohne­hin bereits „mehr­fach geäu­ßert hat“.

Die deut­sche Redak­ti­on von Vati­kan­News brach­te die Reak­ti­on folgendermaßen:

„Vati­kan: ‚Hal­tung von Fran­zis­kus zum Zöli­bat ist bekannt‘.“

Ist sie das?

Die deut­sche Redak­ti­on bezieht sich auf die Stel­lung­nah­me von Vati­kan­spre­cher Bruni:

„Bruni zitier­te eine Äuße­rung von Papst Fran­zis­kus vom Janu­ar 2019. Der Papst hat­te erklärt, er sei nicht ein­ver­stan­den damit, einen optio­na­len Zöli­bat zu erlau­ben. ‚Ich per­sön­lich mei­ne, dass der Zöli­bat ein Geschenk für die Kir­che ist. Zwei­tens bin ich nicht damit ein­ver­stan­den, den optio­na­len Zöli­bat zu erlau­ben, nein. Nur für die ent­le­gen­sten Orte blie­be man­che Mög­lich­keit – ich den­ke an die Pazi­fik­in­seln‘, sag­te Fran­zis­kus damals.“

In der Tat ein bezeich­nen­des Bei­spiel für die berg­o­glia­ni­sche Dia­lek­tik, des Nein, Jein, Ja. Im Novem­ber 2015 erklär­te Fran­zis­kus in der Kir­che der Luthe­ra­ner in Rom, um nur ein Bei­spiel zu nen­nen, mit einem lan­gen, gewun­de­nen Rede­fluß, daß er „nie“ die Zulas­sung von Pro­te­stan­ten zur Kom­mu­ni­on erlau­ben wer­de, „aber“ – der lan­gen Rede kur­zer Sinn –, wenn sie selbst vor ihrem Gewis­sen zur Ansicht gelan­gen, die Kom­mu­ni­on emp­fan­gen zu kön­nen, ja dann… Die Mehr­heit der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz ver­stand. Seit Som­mer 2018 dür­fen, in etli­chen deut­schen Diö­ze­sen, pro­te­stan­ti­sche Ehe­gat­ten von Katho­li­ken die Kom­mu­ni­on emp­fan­gen. Damit wur­de die Tür zur Inter­kom­mu­ni­on auf­ge­sto­ßen, dezen­tral, und tat­säch­lich ohne for­ma­le „Zulas­sung“ durch Papst Fran­zis­kus. Er war es aller­dings, der grü­nes Licht erteil­te, den Weg auf­zeig­te, die deut­schen Bischö­fe nicht ermahn­te und die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on zurück­pfiff, als die­se gegen den deut­schen Vor­stoß vor­ge­hen woll­te. For­mal erklär­te Fran­zis­kus nichts in der Sache, doch in Wirk­lich­keit ist er der ent­schei­den­de Akteur die­ser und ande­rer revo­lu­tio­nä­rer Änderungen. 

Stellungnahme von Andrea Tornielli im Osservatore Romano
Stel­lung­nah­me von Andrea Tor­ni­el­li im Osser­va­to­re Romano

Nicht anders zeich­net es sich beim prie­ster­li­chen Zöli­bat ab. Er wer­de „nie“ erlau­ben, er sei „nicht ein­ver­stan­den“, wie Vati­kan­spre­cher Bruni ihn zitier­te, doch dann folgt das „aber“, klein­laut, unschein­bar, aber von revo­lu­tio­nä­rer Wir­kung. „Nur für die ent­le­gen­sten Orte“, sei ein „aber“ denk­bar. Zu ihnen gehört laut den Geo­gra­phie­kennt­nis­sen des öster­rei­chi­schen Pasto­ral­theo­lo­gen Paul Zuleh­ner, wie Kräut­ler ein medi­al omni­prä­sen­ter Ver­tre­ter der kirch­li­chen 68er-Bewe­gung, auch das nie­der­öster­rei­chi­sche Wald­vier­tel. Zuleh­ner, Kräut­ler und einer gan­zen Rei­he von Bischö­fen des deut­schen Sprach­rau­mes wür­den noch vie­le ande­re „ent­le­gen­ste Orte“ ein­fal­len, etwa Frank­furt am Main, Hil­des­heim, Linz, Sankt Gallen …

Sowohl Bruni in Kurz­form als auch Tor­ni­el­li in Lang­fas­sung sind bemüht, die durch die Mel­dun­gen zum Buch auf­tre­ten­den Beden­ken zu zer­streu­en, Papst Fran­zis­kus und Bene­dikt XVI. könn­ten in der Fra­ge unter­schied­li­che Posi­tio­nen ver­tre­ten. Doch dazwi­schen streut der päpst­li­che Haus­va­ti­ka­nist sei­ne „aber“ ein, klu­ger­wei­se ohne die­se Kon­junk­ti­on zu gebrauchen. 

„Der prie­ster­li­che Zöli­bat ist kein Dog­ma und war nie eines.“

Er sei „ein Geschenk für die Kir­che“, so hät­ten ihn „alle Päp­ste“ der jüng­sten Zeit bezeich­net. In der Ost­kir­che gebe es die Mög­lich­keit, ver­hei­ra­te­te Män­ner zu Prie­stern zu wei­hen, eben­sol­che „Aus­nah­men“ gebe es in der latei­ni­schen Kir­che, die „gera­de von Bene­dikt XVI. in der Kon­sti­tu­ti­on Angli­ca­n­o­rum coe­ti­bus erlaubt wur­den“, näm­lich für die Angli­ka­ner, die in die vol­le Ein­heit der Kir­che zurück­keh­ren. Dar­in wer­den, so Tor­ni­el­li, Ent­schei­dun­gen „von Fall zu Fall“ genannt.

Torniellis Abwehrversuche

Wel­che Stel­lung­nah­men erwähnt Tor­ni­el­li, mit denen Fran­zis­kus sich zur Fra­ge schon „mehr­fach geäu­ßert“ hat?

Er beginnt mit dem Gesprächs­buch, das der dama­li­ge Kar­di­nal Jor­ge Mario Berg­o­glio zusam­men mit einem Freund, dem argen­ti­ni­schen Rab­bi Avra­ham Skorka, ver­öf­fent­lich­te. Damals sag­te Berg­o­glio, er sei für die Bei­be­hal­tung des Zöli­bats „mit allen für und wider, die er mit sich bringt, weil es zehn Jahr­hun­der­te mehr der posi­ti­ven Erfah­run­gen als der Feh­ler sind. Die Tra­di­ti­on hat ihr Gewicht und ihre Gültigkeit.“

Letzt­lich bewegt sich die­ses Bekennt­nis jedoch auf der erwähn­ten, schwa­chen Kurz­for­mel. Berg­o­glio mini­miert die Trag­wei­te des prie­ster­li­chen Zöli­bats auf die Hälf­te der Kir­chen­ge­schich­te, was impli­ziert, daß in der ande­ren Hälf­te die Pra­xis eine ganz ande­re gewe­sen sein müs­se, zudem in jener Hälf­te, die im Geist einer „Wie­der­ent­deckung“ einer fik­ti­ven „Urge­mein­de“ heu­te grö­ße­res Gewicht genießt. Vor allem aber redu­ziert er den prie­ster­li­chen Zöli­bat auf eine Abwä­gung der „Erfah­run­gen“. Und auf wel­che „Tra­di­ti­on“ beruft sich der Kar­di­nal? Offen­bar nur auf die ver­än­der­ba­re der ver­gan­ge­nen „zehn Jahr­hun­der­te“. Sei­ne Ver­tei­di­gung des Zöli­bats bewegt sich aus­schließ­lich auf hori­zon­ta­ler, mensch­li­cher Ebe­ne. Die ver­ti­ka­le Ach­se, gött­li­che Ach­se fehlt.

Und so geht es wei­ter auch bei den ande­ren von Tor­ni­el­li zitier­ten Bele­gen. Als näch­sten Beleg nennt der Haus­va­ti­ka­nist die auch von Vati­kan­spre­cher Bruni erwähn­te päpst­li­che Aus­sa­ge auf dem Rück­flug vom Welt­ju­gend­tag in Pana­ma im Janu­ar 2019. Fran­zis­kus ging dar­in soweit, Paul VI. zu zitie­ren, der mein­te, er sei eher bereit, sein Leben zu geben, als das Zöli­bats­ge­setz zu ändern. Doch dann schob Fran­zis­kus auf die­se „muti­ge“ Aus­sa­ge, wie er sie nann­te, das bereits erwähn­te „aber“ nach.

An drit­ter Stel­le ver­weist Tor­ni­el­li auf die For­de­rung des Schluß­do­ku­ments der Ama­zo­nas­syn­ode, ver­hei­ra­te­te Män­ner zum Prie­ster­tum zuzu­las­sen. Fran­zis­kus aber habe, so sein eng­ster Medi­en­be­ra­ter, in sei­ner Schluß­an­spra­che am 26. Okto­ber die­ses The­ma „in kei­ner Wei­se erwähnt […], nicht ein­mal flüchtig“.

Die Nicht­er­wäh­nung lie­ße sich aller­dings eben­so­gut anders­rum aus­le­gen und sein Schwei­gen als Unter­las­sung. Für Klar­heit, die Tor­ni­el­li zu sug­ge­rie­ren ver­sucht, sorg­te Fran­zis­kus nicht, denn die For­de­rung der Ama­zo­nas­syn­ode hät­te nach einer Ant­wort ver­langt. Pro­gres­si­ve Kir­chen­krei­se legen zudem, und das nicht erst seit Fran­zis­kus, jede aus­blei­ben­de, aus­drück­li­che Zurück­wei­sung ihrer Posi­tio­nen als das Gewäh­ren von Spiel­raum aus. 

Vatikansprecher Bruni auf VaticanNews
Vati­kan­spre­cher Bruni auf VaticanNews

Tor­ni­el­li selbst sagt dann zwei Sät­ze wei­ter, man beach­te: Fran­zis­kus habe in sei­ner Anspra­che zum Syn­oden­ab­schluß „von der Krea­ti­vi­tät der neu­en Ämter und der Rol­le der Frau gespro­chen“ und vom „Prie­ster­man­gel“. Um genau zu sein, und um Tor­ni­el­li in die­sem Punkt zu ergän­zen: Fran­zis­kus sprach gera­de­zu auf­fäl­lig oft von „neu­en Ämtern“. Wört­lich sag­te er unter ande­rem den Satz:

„Krea­ti­vi­tät bei neu­en Dienst­äm­tern und sehen, bis wohin man gelan­gen kann.“

Er sag­te nicht etwa, bis wohin man gehen kann. Eben­so ließ er die Fra­ge des Frau­en­dia­ko­nats offen, zu der er „for­schen“ und „prü­fen“ las­se, sich selbst „bemü­hen“ und „neue Per­so­nen“ in die von ihm ernann­te Kom­mis­si­on beru­fen wer­de, die bis­her offen­bar nicht die gewünsch­ten Ergeb­nis­se lie­fer­te. Auf der offi­zi­el­len Sei­te des Vati­kans heißt es an die­ser Stel­le der Rede an die Synodalen:

„Ich neh­me die Her­aus­for­de­rung an, die ihr gestellt habt: »Und sie sol­len gehört wer­den.« Ich neh­me die Her­aus­for­de­rung an. [Applaus].“

In Sum­me eig­nen sich alle von Tor­ni­el­li ange­führ­ten Stel­len wenig bis gar nicht für den von ihm beab­sich­tig­ten Zweck.

Keine gemeinsame Linie

Bei­de Stel­lung­nah­men der Pres­se­ver­ant­wort­li­chen des Hei­li­gen Stuhls, sowohl jene von Vati­kan­spre­cher Bruni als auch die des lei­ten­den Chef­re­dak­teurs Tor­ni­el­li, zie­len dar­auf ab, den Ein­druck zu erwecken, Papst Fran­zis­kus und Bene­dikt XVI. und Kar­di­nal Sarah wür­den ohne­hin in der Zöli­bats­fra­ge, die eine Fra­ge des sakra­men­ta­len Prie­ster­tums ist, die­sel­be Posi­ti­on vertreten.

Genau dar­an zwei­feln aber Bene­dikt XVI. und der Kar­di­nal­prä­fekt, sonst hät­ten sie nicht die drin­gen­de Not­wen­dig­keit ver­spürt, die Tex­te zu ver­fas­sen, die im Buch vor­ge­legt wer­den. Sie sind sich offen­sicht­lich völ­lig bewußt, daß sie eine Über­zeu­gung ver­tei­di­gen, die von der offi­zi­el­len Linie des Hei­li­gen Stuhls abweicht. Des­halb for­mu­lie­ren sie dra­ma­tisch und spre­chen davon, von ihrem Gewis­sen gedrängt wor­den zu sein, „das Schwei­gen zu bre­chen“, nicht län­ger „schwei­gen“ zu kön­nen. Schon der Buch­ti­tel sagt es aus. Es ist ein Erhe­ben der Stim­men „aus den Tie­fen unse­rer Herzen“.

Dar­an ändert auch nichts, ob Bene­dikt XVI. nun im Detail wuß­te oder nicht, daß die Tex­te in Buch­form erschei­nen wer­den. Ent­spre­chen­de „for­ma­li­sti­sche“ Abschwä­chungs­ver­su­che, die der­zeit unter­nom­men wer­den, zeich­nen deren Akteu­re nicht aus.

Nein, Tor­ni­el­lis und Brunis Ver­su­che, Über­ein­stim­mung zu sug­ge­rie­ren, kön­nen nicht über­zeu­gen. Viel­mehr schei­nen sie jenen Sand in die Augen streu­en zu wol­len, die bereit­wil­lig die Augen dafür hin­hal­ten. Wozu offen­bar auch jene gehö­ren, die nun ger­ne im Inter­es­se von San­ta Mar­ta eine „Distan­zie­rung“ von Bene­dikt XVI. von dem Buch (auch von sei­nen eige­nen Tex­ten?) errei­chen würden.

Das Buch von Bene­dikt XVI. und Kar­di­nal Sarah hat bereits die Plä­ne von Papst Fran­zis­kus und sei­nem „deut­schen Gefol­ge“ durch­kreuzt, die nicht auf den Treue­be­kennt­nis­sen zur kirch­li­chen Tra­di­ti­on grün­den, son­dern auf dem stän­dig dar­auf fol­gen­den, berg­o­glia­ni­schen „aber“.

Damit Bene­dikt XVI. und Fran­zis­kus in der Zöli­bats­fra­ge wie­der eine gemein­sa­me, die kirch­li­che Linie ver­tre­ten, wird Fran­zis­kus sei­ne Kurs­än­de­rung vor­neh­men müssen.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Facebook/​VaticanNews/​OR (Screen­shots)

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