(Rom) Die USA sind für Papst Franziskus das Schlüsselland in kirchlicher und politischer Hinsicht. In der Bischofskonferenz wurden bei der gestern zu Ende gegangenen Herbstvollversammlung zu einem Schlüsselthema die Mehrheitsverhältnisse gezählt.
Die USA sind in kirchlicher Hinsicht für Franziskus und sein Umfeld nicht ein, sondern das Schlüsselland, weil es dort gut organisierte und lebendige, katholische Gemeinschaften gibt, die vor dem Zeitgeist nicht kapituliert haben und auch gar nicht daran denken, zu kapitulieren. Sie fürchten den Kulturkampf nicht, den Papst Franziskus gerne meidet. In den USA sieht Santa Marta auch den Hort des Widerstandes gegen den Bergoglio-Kurs.
Die USA sind aber auch in politischer Hinsicht für Franziskus und sein Umfeld das Schlüsselland, weil sie die entscheidende Vormacht des Westens und die einflußreichste Macht in der Welt sind. Vor allem aber, weil es dort ausreichend starke Kräfte gibt, einen Mann wie Donald Trump gegen den Willen des Establishments in das Weiße Haus und damit zum mächtigsten Mann der Welt zu wählen.
Das direkte Umfeld des Papstes, darunter P. Antonio Spadaro und die römische Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica, blies daher im Sommer 2017 zum Angriff gegen das, was in Santa Marta als „religiöse Rechte“ bezeichnet wird, die – ob protestantisch oder katholisch – für die Wahl von Trump verantwortlich gemacht wird. Eröffnet wurde parallel auch der Kampf, um den innerkirchlichen Widerstand gegen Papst Franziskus einzudämmen.
Ein zentrales Lenkungsinstrument, das Papst Franziskus nützt, sind Ernennungen. Die Besetzung von Führungspositionen an der Römischen Kurie, von wichtigen Bischofsstühlen und nicht zuletzt des Kardinalskollegiums stellen einen herausragenden Aspekt des derzeitigen Pontifikats dar, weit mehr als für seine Amtsvorgänger.
Zu den Schlüsselzielen gehört der personelle Umbau der Amerikanischen Bischofskonferenz. Den Auftakt dazu machte die aufsehenerregende Ernennung von Msgr. Blase Cupich, damals als progressiver Außenseiter Bischof der kleinen Diözese Spokane, auf den traditionell bedeutendsten Bischofssitz der USA. Am 20. September 2014 wurde Cupich von Franziskus zum Erzbischof von Chicago berufen und zwei Jahre später zum Kardinal kreiert.
Seither folgten weitere Neubesetzungen auf derselben Linie. Bis 2018 hatte der inzwischen in Ungnade gefallene und nunmehrige Ex-Kardinal Theodore McCarrick maßgeblichen Einfluß auf die Bischofsernennungen in den USA bzw. dann von ihm empfohlene Bischöfe wie Cupich.
Tauziehen bei der Herbstvollversammlung der Bischöfe
Vom 11.–13. November tagte in Baltimore die Herbstvollversammlung der Amerikanischen Bischofskonferenz. Zu den Veränderungen, die das derzeitige Pontifikat bedeutet, gehört nicht nur die Personalpolitik, sondern auch ein Bruch in zentralen Fragen, vor allem den „nicht verhandelbaren Werten“, wie sie Papst Benedikt XVI. nannte. Papst Franziskus erklärte im September 2013, gleich in seinem ersten Interview, daß der Widerstand gegen die „Kultur des Todes“ nicht zu seinen Prioritäten gehöre.
Seither geht in diesem Punkt ein Bruch durch die Kirche. Ein Bruch, der von Franziskus ausgeht und die Amerikanische Bischofskonferenz, aufgrund der eingangs beschriebenen Situation in den USA besonders akzentuiert trifft. Diese Spaltung wurde auch bei der Herbstvollversammlung sichtbar, wo sich die beiden gegensätzlichen Positionen in einer Abstimmung gegenüberstanden und zählen ließen. LifeSiteNews berichtete ausführlich.
Die Kontroverse drehte sich um eine Formulierung, mit der ein Schlüsselthema unserer Zeit, die Tötung ungeborener Kinder durch Abtreibung, heruntergespielt werden sollte. Das Dokument, über das die Bischöfe abstimmten, behandelt die kirchliche Soziallehre, konkret die Gewissensbildung: Welche Aufgaben haben gläubige Katholiken als mündige Bürger in einem Staatswesen zu erfüllen. In dem von Erzbischof Gomez von Los Angeles verantworteten Papier, wird der Widerstand gegen die Abtreibung als „herausragende Priorität unserer Zeit“ bezeichnet. Die Verhinderung der Tötung ungeborener Kinder sei eine Voraussetzung für einen gerechten Staat, der wiederum Voraussetzung für das Allgemeinwohl sei.
Kardinal Cupich beantragte dagegen, die Prioritäten der Bischofskonferenz mit jenen von Papst Franziskus in Einklang zu bringen: Dieser wünsche, „ideologische Rahmenbedingungen zu vermeiden, durch die unsere Gesellschaft im politischen Diskurs gelähmt wird“.
In verständliche Sprache übersetzt: Die Abtreibungsfrage sei zu kontrovers, schaffe Gegenpositionen und verhindere Dialog und Allianzen der Kirche mit Kräften, die für Abtreibung sind.
Der Franziskus nahestehende Kardinal forderte statt der vorgesehenen Formulierung, eine ausführliche Passage aus dem umstrittenen Apostolischen Schreiben Gaudete et exsultate von Papst Franziskus zu übernehmen, in der die Bedeutung der Lebensrechtsfrage abgeschwächt wird mit dem indirekten Vorwurf, andere Fragen nicht zu vernachlässigen, und mit der Umlenkung des Blickes auf andere Aspekte. Durch das Aufwiegen der Lebensrechtsfrage mit anderen Fragen, soll erstere relativiert werden.
Konkret nannte Cupich den Absatz 101 von Gaudete et exsultete:
„101. Schädlich und ideologisch ist ebenso der Fehler derer, die in ihrem Leben dem sozialen Einsatz für die anderen misstrauen, weil sie ihn für oberflächlich, weltlich, säkularisiert, immanentistisch, kommunistisch oder populistisch halten, oder die ihn relativieren, als würde es wichtigere Dinge geben bzw. als würde er nur eine bestimmte von ihnen verteidigte Ethik oder ein entsprechendes Argument betreffen. Die Verteidigung des ungeborenen unschuldigen Lebens zum Beispiel muss klar, fest und leidenschaftlich sein, weil hier die Würde des menschlichen Lebens, das immer heilig ist, auf dem Spiel steht und es die Liebe zu jeder Person unabhängig von ihrer Entwicklungsstufe verlangt. Aber gleichermaßen heilig ist das Leben der Armen, die schon geboren sind und sich herumschlagen mit dem Elend, mit der Verlassenheit, der Ausgrenzung, dem Menschenhandel, mit der versteckten Euthanasie der Kranken und Alten, denen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, mit den neuen Formen von Sklaverei und jeder Form des Wegwerfens. Wir können kein Heiligkeitsideal in Erwägung ziehen, das die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht sieht, wo einige feiern, fröhlich verbrauchen und ihr Leben auf die Neuheiten des Konsums reduzieren, während andere nur von außen zuschauen können und gleichzeitig ihr Leben weiter voranschreitet und armselig zu Ende geht.“
Msgr Robert McElroy, den Papst Franziskus 2015 zum Bischof von San Diego ernannte, und der als einer der entschiedensten Bergoglianer im Episkopat gilt, sekundierte und erhob gegen die Prioritätensetzung Einspruch. Abtreibung sei kein herausragendes Thema, wenn es um soziale Gerechtigkeit und die Verwirklichung der kirchlichen Soziallehre gehe.
McElroy ging soweit, zu sagen, daß eine solche Priorität „nicht mit der Lehre des Papstes übereinstimmt“, wenn nicht sogar mit dieser „unvereinbar“ sei. Es sei ein „schwerwiegender Nachteil für unser Volk“, wenn nicht das vermittelt werde, was der Papst lehre.
„Lehre der Kirche zur Abtreibung kann nie der Lehre des Papstes widersprechen“
Eine Reihe von Bischöfen widersprachen McElroy, darunter Bischof Joseph Strickland von Tyler und Erzbischof Charles Chaput von Philadelphia. Erzbischof Chaput betonte, daß die Abtreibung sogar „das wichtigste soziale Problem unserer Zeit ist“. Es sei gar nicht möglich, so der Erzbischof, daß die Position der Kirche zur Abtreibung der „Lehre des Papstes“ widerspricht.
Obwohl Msgr. Chaput, der Erzbischof von Philadelphia, einer der herausragenden Bischöfe der USA ist, wurde er von Papst Franziskus bisher bei Kardinalserhebungen übergangen. Folgt man der Einschätzung von Beobachtern, werde das auch so bleiben. Auch darin zeige sich nämlich deutlich, wen Franziskus fördern wolle und wen nicht.
Schließlich kam es zur Abstimmung:
143 Bischöfe stimmten für die Beibehaltung der ursprünglichen Formulierung, die den Widerstand gegen Abtreibung als „herausragende Priorität unserer Zeit“ bezeichnet.
69 Bischöfe stimmten dagegen.
Bischof Strickland twitterte darauf:
„Gott sei Dank hat die Bischofskonferenz dafür gestimmt, die Vorrangstellung der Heiligkeit des Lebens der Ungeborenen zu wahren. Es ist traurig, daß 69 mit Nein gestimmt haben.“
Durch die Abstimmung haben sich die Vertreter der gegensätzlichen Positionen zählen lassen. Das Ergebnis wird auch in Santa Marta aufmerksam zur Kenntnis genommen werden.
Die Mehrheitsverhältnisse in der Amerikanischen Bischofskonferenz sind eindeutig. Papst Franziskus hat jedoch seinen Schuh in der Tür.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: LifeSiteNews (Screenshot)