Ein Kommentar von Clemens Victor Oldendorf.
Als 2007 das Motu proprio Summorum Pontificum von Papst Benedikt XVI. am 7. Juli veröffentlicht wurde, bestimmte der Heilige Vater gewiss nicht ohne absichtsvolle Symbolträchtigkeit, dass die Bestimmungen dieses päpstlichen Erlasses mit Wirkung vom 14. September desselben Jahres rechtskräftig werden sollten. Das Fest Kreuzerhöhung und die Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers, die knappe „tridentinische“ Definition der heiligen Messe, sollten so gezielt miteinander assoziiert werden.
Die in dem Dokument vom damaligen Papst angenommene Zweigestaltigkeit des einen Römischen Ritus und die darin eingeführte Formulierung und rechtliche Festlegung einer ordentlichen und einer außerordentlichen Form im Ritus der Liturgie wurden damals von manchem mit Ratzingers Prägung einer Reform der Reform in Verbindung gebracht und die Alte Messe als ein Baustein in diesem Projekt angesehen, ja als dessen Grund- oder Eckstein. Ob ihr diese Rolle und Stellung tatsächlich in Ratzingers eigener Absicht zugedacht war oder Projektion und Wunschtraum solcher, die ratzingerischer als Ratzinger waren oder sein wollten, bleibt Spekulation und war es von Anfang an.
Selbsteinschätzung und nachprüfbare Relevanz
Was man in Rückschau auf das Pontifikat des Papstes aus Deutschland heute jedenfalls sagen kann, ist, dass dieses Motu proprio dessen konkreteste Maßnahme mit der am weitesten reichenden praktischen Auswirkung gewesen ist und bleibt und das, obwohl das Motu proprio de facto bloß von einem zahlenmäßig geringen Segment der Kirche in Anspruch genommen wurde und wird.
In der Selbstwahrnehmung der damit verbundenen Klientel empfindet man zwar oft sehr stark die eigene Wichtigkeit, die tatsächliche Relevanz aber bleibt überschaubar bis gering. So ist es auch nicht empirisch nachweisbar, dass die Alte Messe unter Summorum Pontificum eine Massenbewegung angestoßen hätte. Ja, nach einer gewissen Euphorie der Anfangszeit, die dann auch mit dem außerordentlichen Pontifikatswechsel gehörig ausgebremst wurde, bestimmen vielerorts, wo die überlieferte Liturgie gefeiert wird, kleine und kleinste Gruppen, sowie Stagnation oder sogar Rückgang das Bild.
Was noch am ehesten zugegeben werden muss, ist, dass im Verhältnis zur geringen Zahl der Gläubigen, die wirklich konsequent im alten Ritus verwurzelt sind, hier nicht das Problem des Priestermangels besteht, sondern im Gegenteil geradezu das eines Überschusses an Priestern und Ordensleuten. Dieses Phänomen wird höchstens in den sozusagen noch familiäreren Kreisen übertroffen, die auf die Apostolische Konstitution Anglicanorum Coetibus angesprochen haben. Psychologisch werden hier wie da ähnliche Mentalitäten und Typen erreicht; die einen flüchten vor der Frauenordination, die andern sind zufrieden, sobald die liturgischen Bücher von 1962 auf dem Messbuchpult am Altar liegen und von rechts nach links getragen werden und wieder retour.
Eine unverstandene Motivation
Ein Grund für diese Sachlage liegt sicherlich darin, dass Benedikt XVI. meinte, das Problem der Traditionalisten rein liturgisch lösen zu können. Dies meinen, heißt aber, den Ansatzpunkt derer misszuverstehen, die sich vor nunmehr 50 Jahren der sogenannten Liturgiereform Pauls VI. verweigerten, die nicht eine außerordentliche Form zugestanden haben wollten, sondern beanspruchten, dass die ganze Kirche weiterhin einer Liturgie, Theologie und überhaupt einer Glaubenspraxis folgen müsse, die unzweifelhaft und nachweislich in der Tradition steht und nicht gegen diese oder auch nur etwa alternativ neben der Spur.
Eine Reform der Reform löst die andere ab
Die Reform der Reform Benedikts XVI. ist vergessen. Aber auch auf die Agenda des regierenden Papstes könnte die Formel einer Reform der Reform durchaus angewandt werden. In diese projizieren andere eigene Vorstellungen.
Wenn Franziskus jüngst gesagt hat, er fürchte sich nicht vor dem Schisma, hatte er möglicherweise gar nicht sosehr Konservative und Traditionalisten vor Augen, die abgehängt werden könnten: Die Anglikanisierung der katholischen Kirche, die man in gewisser Weise schon Benedikt XVI. zuschreiben kann, der mit Anglicanorum Coetibus und Summorum Pontificum Freiräume für bestimmte Sensibilitäten geschaffen hat, ohne aber die ganze Kirche darauf zu verpflichten, ist der Amazonisierung, für die vermeintlich Franziskus steht, höchstwahrscheinlich gar nicht so unähnlich. Jedenfalls zeigt Franziskus den entschlosseneren Tatendrang, die entschiedenere Tatkraft.
Post aus Rom für Marx & Co
Und die jüngste Post, die die deutschen Bischöfe aus Rom bekommen haben – sie hat es gestern abend sogar in die Fernsehnachrichten geschafft – zeigt, dass Franziskus sehr genau weiß, was er will und richtig (oder katholisch) findet und dass er ausschließlich dies zum Maßstab macht. Das ist einerseits vermutlich die größte Gemeinsamkeit zwischen Papst Franziskus und Kardinal Müller, andererseits aber ebenso der Hauptgrund, weswegen beide nicht so gut miteinander auskommen. Dass das unter Umständen bei Müller kindisch ist und beim Papst nicht, kann nur daran liegen, dass der Papst der Papst und Müller ein frühzeitig pensionierter Kardinal(-präfekt) ist.
Und worin bestehen die größten Unterschiede zwischen Benedikt und Franziskus? Einerseits in wuchtiger Machtentschlossenheit versus professorale Vornehmheit, die zum Hemmschuh der päpstlichen Regierungsgewalt wurde, und andererseits darin, dass Ratzinger sich den emeritierten Papst auf den Leib schneidern ließ; Franziskus regiert – ob es einem passt oder nicht.
Bild: MiL